Protocol of the Session on June 20, 2012

Sie zitieren am allerliebsten die Richterinnen und Richter aus Koblenz.

(Ramsauer, SPD: Sie hört wieder nicht zu, wie immer!)

Ich bin immer dafür, die Sachen bis zum Ende zu lesen; denn in dem Urteil des Verfassungsgerichts steht auch, dass die angespannte Finanzsituation der Kommunen im Wesentlichen durch steigende Sozialausgaben veranlasst wurde und das Land die Verpflichtung hat, sich in dieser Hinsicht schützend vor seine Kommunen zu stellen.

Meine Damen und Herren, wenn jetzt die rheinlandpfälzische Landesregierung sagt, Soziallasten der Kommunen sind abzufedern und der Bund muss dafür einstehen, dann tut sie genau das, was ihr das Verfassungsgericht in Koblenz aufgetragen hat. Warum Sie das hier zu kritisieren haben, ist mir völlig schleierhaft, Frau Klöckner.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir dürfen dabei nicht das Große, das Ganze und die Zielsetzung, warum wir heute diskutieren, aus dem Auge verlieren. Es geht einerseits darum, die Krise im Euroraum zu bekämpfen, andererseits darum, die Umsetzung bestimmter Beschlüsse in der Bundesrepublik kritisch zu überprüfen. Damit berührt diese Debatte zwei relevante Regelungskreise, die man einerseits argumentativ auseinanderhalten muss – Frau Klöckner, das ist Ihnen nicht ganz so sehr gelungen –, andererseits zusammen denken muss. Auch das ist Ihnen ziemlich wenig gelungen. Da ist einerseits die Debatte um eine europapolitische Positionierung und Perspektive und andererseits die Frage um die Sensibilität für Verfassungsfragen und den Umgang im Föderalismus.

Ich muss Ihnen sagen, die Bundesregierung bietet in beiden Fällen ziemlich wenig, meine Damen und Herren. Einerseits rückt sie ständig scheibchenweise von ihren angeblich knallharten europapolitischen Positionen ab. Andererseits weiß sie ehrlich gesagt gar nicht so genau, wo sie in weiten Teilen hin will. Wenn wir über Europa

reden, leben wir natürlich in einer Situation, in der wir seit mehreren Jahren zum Handeln getrieben sind. Wir reden hier nicht über Schönheitschirurgie, wir reden über Notfalloperationen. Deswegen tun wir manchmal auch Dinge oder werden politisch bestimmte Dinge verantworten, die wir nach reiner Lehre eigentlich nicht verantworten würden. Wir haben aber eine Notsituation, die es erforderlich macht. Allerdings fällt da ohne klaren Kurs und ohne klaren Kompass die Richtung schwer. Ich glaube, die Kanzlerin und die gesamte Bundesregierung haben keine Vorstellung davon, welches Europa sie eigentlich wollen. Darum betreibt man auch statt beherztem Krisenmanagement mehrheitlich europapolitische Allgemeinplätzchenbäckerei und Flickschusterei.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die europäische Finanz- und Schuldenkrise ist sicherlich nicht allein von der Bundesregierung zu verantworten, aber die Kanzlerin ist auch nicht wirklich bei ihrer Beseitigung hilfreich. Das aktuelle Beispiel dafür ist der Umgang mit den sogenannten EU-Altschulden. Frau Klöckner, ich weiß, es macht sich so gut, sich schützend vor den deutschen Steuerzahler und Sparbuchinhaber zu stellen, aber nehmen Sie doch die Ernsthaftigkeit der Debatte auch einmal an.

(Ramsauer, SPD: Sie hört nicht zu! Du brauchst nichts zu sagen!)

Ich brauche sie zumindest nicht anzusprechen. Das stimmt schon.

(Fuhr, SPD: Sie ist jetzt beleidigt!)

Natürlich haben wir europarechtliche Vorgaben, die „NoBail-Out-Klausel“ zu beachten. Das ist vollkommen richtig. Natürlich gilt es zu vermeiden, dass Nationalstaaten in ihrer Staatsverschuldung weitermachen und dabei eine Entkopplung von Haftung und Risiko eintritt. Dennoch müssen wir konstatieren, dass der Vorschlag des Deutschen Sachverständigenrates zum Altschuldentilgungsfonds bereits seit acht Monaten auf dem Tisch liegt. Dieser steht jetzt nicht in Gefahr, irgendwie aus wilden linken Weltökonomen zu bestehen. Es ist einfach grob fehlerhaft anzunehmen, dass die Debatte dadurch besser werden würde, dass wir möglichst lang vor uns herschieben und die Knappheit an Zeit dann die besseren Entscheidungen produzieren würde. Ich glaube, wir sehen gerade ganz aktuell, dass das nicht der Fall ist.

Eine vernünftige und sachgerechte Debatte im Vorfeld würde wahrscheinlich viele Entscheidungen dabei einfach besser machen. Es spricht aus meiner Sicht grundsätzlich nichts dagegen, Schulden der EU-Staaten zu poolen, um deren Zinsbelastung, die vor allen Dingen durch Marktversagen überdeutlich hoch geworden ist, deutlich zu reduzieren. Nur dieser Weg schafft tatsächlich finanzielle Erleichterung, dass die Staaten einen Weg aus der Krise schaffen.

Aber das gibt es natürlich nicht umsonst, so wie Sie das hier darstellen; denn in aller Euphorie um vermeintlich zinsgünstige Kredite und unendliches Geld bedeutet das auch, dass diese Staaten einem verbindlichen Tilgungs

plan beizutreten haben – das ist uns in Rheinland-Pfalz übrigens sehr vertraut, weil wir genau das mit den Kommunen mit dem kommunalen Entschuldungsfonds gemacht haben –, und gleichzeitig müssen die Staaten, zumindest nach dem Vorschlag des Sachverständigenrates, eine eigene Sicherungsleistung von 20 % bis 25 % des Volumens selbst beitragen. Das wird niemandem leichtfallen. Es gibt in diesem Fall keine leichten und keine billigen Lösungen. Es gibt keine komfortablen Regelungen mehr. Die Zeiten sind vorbei, aber es ist wichtig, dass wir diese Maßnahmen ergreifen, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der andere Aspekt, über den wir seit mehreren Wochen intensiv diskutieren, ist die innerstaatliche Umsetzung dessen, was die Bundesregierung so auf europäischer Ebene aushandelt oder mit anderen europäischen Staaten zum Vertrag erhebt. Dass sie sich dabei wiederholt über die Verfassung, insbesondere das Budgetrecht des Parlamentes, hinweggesetzt hat, was nur vom Verfassungsgericht in Karlsruhe ausgebremst werden konnte, ist wirklich kein Ausweis für ein solides verfassungsrechtliches und föderales Verständnis.

Meine Damen und Herren, gestern hat es das doch wieder einmal bewiesen. Wie häufig müssen eigentlich noch die Bundesparlamentarier nach Karlsruhe ziehen, um diese Bundesregierung auszubremsen?

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Klöckner, sich dann mit dieser Chuzpe hinzustellen, d‘accord. Das, was gestern das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geurteilt hat – da dürfen Sie einmal bei Frau Kramp-Karrenbauer nachlesen –, ist natürlich auch auf die Rechte der Länder zu übertragen. Selbstverständlich ist das unsere Sichtweise, dass Artikel 23 in Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes auch für die Länder gilt. Frau Klöckner, so sehen wir das, weil wir die Haushaltsautonomie der Länder im Gegensatz zu Ihnen offensichtlich deutlich ernst nehmen. Darum hat diese Landesregierung auch die volle Unterstützung der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür, ihre skeptische, aber gleichzeitig konstruktive Haltung zur Umsetzung des Fiskalpakts in der Bundesrepublik so fortzusetzen. Ich finde, sie leistet dabei eine hervorragende Arbeit. Ich weiß von meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion, dass das voll unterstützt wird. In dieser Hinsicht wünsche ich ein frohes weiteres Gelingen und das Schlimmeres verhindert werden könnte.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Pörksen, SPD: Sehr gut!)

Für die Landesregierung hat nun Herr Finanzminister Dr. Kühl das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich nicht mehr reden, aber ein paar Dinge muss ich Ihnen dennoch erwidern, um sie auch klarzustellen, Frau Klöckner.

Erster Punkt: Der Bundesregierung ist ein Fehler unterlaufen, oder sie hat etwas übersehen – besser gesagt. Als sie den Fiskalpakt in Europa verhandelt hat, war sie in dem festen Glauben, dass dieser Fiskalpakt mit der deutschen Schuldenbremse kompatibel ist.

(Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie hat das nicht verstanden!)

Das hat sie noch im März behauptet. Das Bundesfinanzministerium wollte auch mit den Ländern keine Gespräche darüber führen. Die Länder haben immer mehr gedrungen, nicht nur SPD-geführte Länder, alle Länder. Die Referenten haben es sozusagen in ihren Besprechungen zuerst gemerkt. Dann kamen sie mit uns ins Gespräch. Es ist aber so etwas wie Stolz eingetreten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Man wollte nicht zugeben, dass man in Gesetzen – nämlich im Haushaltsgrundsätzegesetz, im Stabilitätsratsgesetz, im Sanktionszahlungsgesetz – etwas Substanzielles ändert, und es durfte schon überhaupt nicht sein, dass auf die Länder eine zusätzliche Last zugekommen ist, weil sie jetzt die Verantwortung für die Kommunen übernommen haben und damit für diese 0,15 % mindestens ab 2020 verantwortlich sind, dass dadurch eine neue Qualität entsteht, der gegebenenfalls durch eine neue Quantität, also durch eine finanzielle Umverteilung, begegnet werden muss.

Deswegen verhandelt die Bundesregierung total hartnäckig und versucht, so wenig wie möglich zu regeln und immer zu behaupten, das sei schon irgendwie kompatibel. Sie sagt, die Dinge, die man befürchtet, könnten nicht passieren, dass die Bundesrepublik über 0,5 % kommt. Der Ministerpräsident hat die Beispiele aber genannt. Sie haben auch eines genannt. Wenn die Eingliederungshilfe um 50 % steigt und bei der Finanzverteilung der Eingliederungshilfe passiert nichts, dann haben die Länder in der Summe 6 Milliarden Euro mehr Kosten. Wenn die Zinsen so steigen, wie der Ministerpräsident es gesagt hat – 2 % ist nicht allzu viel –, dann sind es 2,5 Milliarden Euro mehr. So könnten wir das immer weiter spinnen und durchaus erkennen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Länder im letzten Jahr 14 Milliarden Euro Schulden neu gemacht haben, aber mit 0,15 % nach heutigem Bruttoinlandsprodukt rund 4 Milliarden Euro Schulden machen dürften, dass darin ein unheimliches Gefahrenpotential steckt.

Die Verhandlungen gebärden sich schwierig, weil – ich sage es einmal so – Herr Schäuble auf der einen Seite erkennt, dass er das rund kriegen muss, und auf der anderen Seite aber ungern sagen möchte, so wie die Länder vorschlagen, wäre es in Ordnung. Frau Klöckner, jetzt sagen Sie, da kommen lauter gute Vorschläge entweder von der Bundesregierung oder von den BLändern. Haben Sie sich einmal die Gesetzesformulierungen angeschaut, die die Bundesregierung vorgelegt hat? Ich habe in der letzten Woche, als wir in Berlin

waren und Ihre Fraktion wohl auch in Berlin war, gesehen, dass Sie getwittert haben und gesagt haben – – –

(Frau Klöckner, CDU: Ach, Sie folgen mir?)

Nein, ich hab‘ jemand, der mir ab und zu einmal einen Tweed von Ihnen zuschickt.

(Dr. Weiland, CDU: Ich hab‘ jemand!)

Ich twittere gar nicht,

(Frau Klöckner, CDU: Er lässt verfolgen!)

aber das hat eher etwas damit zu tun, dass mir das technisch zu kompliziert ist.

(Frau Klöckner, CDU: Aber dann den Fiskalpakt aushandeln!)

Doch, das ist so.

(Pörksen, SPD: Die haben doch keine Zeit für so einen Quatsch!)

Doch. Ich arbeite effizient, dann hätte ich auch Zeit für so etwas.

Frau Klöckner, da twittern Sie, die Haushaltsautonomie der Länder muss gewahrt bleiben; sinngemäß. Dann verstehe ich nicht, warum Sie nicht hingegangen sind und die Texte, die alle Länder – A-Länder, B-Länder – entwickelt haben, Gesetztestexte, die sie entwickelt haben, in der Präsidiumssitzung der CDU vorgelegt haben. Ich fürchte, Sie waren in der Präsidiumssitzung der CDU am Montag, in der das berühmte BouffierPapier entstanden ist, von dem Sie heute sagen, das ist ganz toll, da wird festgeschrieben, dass bis 2012/2013 alle Finanzbeziehungen geregelt werden. Ich war an diesem Montagabend mit 15 anderen Finanzministern bei Herrn Schäuble. Herr Schäuble hatte uns eingeladen. Dann ist uns dieses Ding in dieser Sitzung auf den Tisch gekommen. Da war die Sitzung gesprengt. Die Kollegen von der B-Seite haben irgendwie betreten geschwiegen, weil sie gesagt haben, das kann doch nicht wahr sein, dass in dieser Verhandlungssituation so ein Teil auf den Tisch kommt,

(Ministerpräsident Beck: In der MPK hat es zwei Minuten gedauert, dann war es weg!)

das im Grunde genommen alles wieder nach hinten verlagert. Ein paar Tage später war es dann ausgeräumt. Aber das sind unglückliche Verhandlungssituationen.

Wenn Sie sagen, das alles sei ganz toll, bitte ich Sie: Reden Sie doch mit uns! Vertreten Sie die Interessen von Rheinland-Pfalz! Reden Sie vor einer CDUPräsidiumssitzung mit uns über das, was den Interessen des Landes Rheinland-Pfalz nutzt. Versuchen Sie, das dort zu vertreten oder wenigstens kritisch zu reflektieren, was wir dazu zu sagen haben.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Jetzt sagen Sie, der Bund habe schon so viel Tolles für die Kommunen gemacht: Grundsicherung im Alter. Bei der Grundsicherung im Alter habe er Kosten in Höhe von 4 Milliarden Euro übernommen.

Liebe Frau Klöckner, Sie dürfen nicht die Propaganda aus der Zeit glauben, in der Sie noch Mitglied der CDUBundestagsfraktion waren und man Ihnen erzählt hat, das sei Geld des Bundes. Darin steckt zur Hälfte Geld der Länder aus dem damaligen Umsatzsteuerpunkt für die Bundesanstalt für Arbeit. Die andere Hälfte des Umsatzsteuerpunktes – die Hälfte, die den Ländern gehört – hat die Bundesregierung jetzt herausgenommen und zur Konsolidierung des eigenen Haushalts verwandt. Das sind 2 Milliarden Euro. Das finde ich schäbig. Allein deswegen müsste uns der Bund im Zuge dieser Verhandlungen zusagen, Geld zurückzuerstatten. Das müsste er schon aus Prinzip machen; denn es ist unanständig, den Ländern und den Kommunen Geld wegzunehmen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Licht, CDU: Jetzt führen wir einmal die gleiche Diskussion zwischen Land und Bund! Nur zum Vergleich!)

Lieber Herr Licht, jetzt führe ich mit Ihnen, aber auch mit Frau Klöckner eine andere Diskussion. – Ich habe im Rahmen dieser Debatte häufig gehört: Wenn man innerhalb Europas anderen Ländern hilft – Griechenland ist immer das Land, das man dabei vor Augen hat –, müssen das Prinzip von Leistung und Gegenleistung und das Prinzip, dass Hilfe keine Einbahnstraße sein darf, gelten. Herr Hering hat das so gesagt. Aber ich habe von dieser Seite des Parlaments auch immer gehört, dass Solidarität dazukommt. Das bedeutet eine Hilfe, die sich nicht immer nur nach ökonomischen Maßstäben bemessen lässt.