Protocol of the Session on January 19, 2012

Vielen Dank.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Thelen, es ist natürlich so, dass in einem Bericht die Angaben zu demenzkranken Menschen schwierig sind; denn die Pflegereform lässt nach wie vor auf sich warten, und die Erfassung von Menschen mit Demenz wäre erheblich einfacher, wenn dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff auch die Demenzkranken entsprechend erfassen würde. Dann könnte man auch die demenzkranken Menschen erfassen.

(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)

Das wissen Sie aber auch. Sie können es wirklich schlecht erfassen, wie viele Menschen dann tatsächlich von Demenz betroffen sind, schon gar nicht in den statistischen Daten, die dann gemeldet werden.

Ich habe mich aber bei diesem Begriff, der in Ihrem Antrag zur Eingliederungshilfe vorkommt, auch gefragt, warum die Eingliederungshilfe nicht weiter teurer werden

darf. Ich habe nach den Gründen gefragt. Diese Gründe fehlen sowohl in Ihrem Antrag als auch in Ihrer Anfrage.

Es ist tatsächlich nicht so, dass der demografische Wandel als solches zu einer Erhöhung der Eingliederungshilfe führt, sondern zwei Effekte sind hier parallel zu nennen.

Der erste Effekt ist, es gab keine alten Menschen mit Behinderung. Ursache dafür war, dass diese Menschen vor dem Krieg umgebracht worden sind. Das heißt, es ist sozusagen ein Einspareffekt, den wir hinter uns haben, den wir den Nationalsozialisten zu „verdanken“ haben, wenn wir das so ausdrücken dürften.

(Zurufe von der CDU)

Wir alle begrüßen es – das gilt für das ganze Haus –, dass es endlich wieder Menschen gibt, die trotz ihrer Behinderung alt werden. Wir verdanken das einem gesellschaftlichen Konsens, der alle gesellschaftlichen Gruppen betrifft.

(Unruhe bei der CDU)

Der gesellschaftliche Konsens bedeutet, dass Menschen mit Behinderung dabei sein sollen.

Wenn Sie mich eben falsch verstanden haben – Sie wissen, das ist meine Diktion –, dann entschuldige ich mich dafür. Ich wollte Sie weder damit provozieren noch das als in irgendeiner Weise positiv ausdrücken.

Das Gedenken an die monströsen Ausmaße, die die Maßnahmen der Nationalsozialisten hatten, ist selbst heute noch kaum erträglich und beschämt uns zutiefst. Das gilt für uns alle.

Wir müssen aber anerkennen, dass erst dadurch, dass jetzt Überlende alt werden, die ab ihrer Kindheit schwer behindert gewesen sind, auch diese Menschen zunehmend in das Rentenalter kommen und sie vorher schon von Eingliederungshilfe abhängig waren. Diese Zahl tragen wir. Ich denke, wir tragen sie alle gemeinsam aus Überzeugung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Damit stellt sich auch die Frage, ob es tatsächlich der demografische Wandel ist, der die Zunahme der Eingliederungshilfe verursacht hat. Da ist tatsächlich Ihre Anfrage etwas schwierig zu verstehen. Es ist dort gefragt, welches politische Handlungskonzept die Landesregierung insoweit zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen und zur Zukunftssicherung der Eingliederungshilfe verfolgt. Es wird natürlich schwierig, wenn ich sage, die Ursachen liegen nicht in der eigentlichen Alterung der Gesellschaft, dass die Eingliederungshilfe zunimmt. Dann muss ich natürlich andere Konzepte verfolgen. Hier geht es darum, zum Beispiel Betreuungs- und Beschäftigungskonzepte für Menschen, die eine Behinderung haben, die vorher in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen gearbeitet haben und vorher in einer Tagesförderstätte betreut wurden, zu entwickeln. Da geht es mehr um die Hilfe und weniger um die Kosten, die dabei anfallen. Aber die Kosten wer

den durch das Älterwerden dieser behinderten Menschen nicht steigen.

Ein zweiter Effekt, der dazu führt, dass die Zahl behinderter älterer Menschen zunimmt, ist der, dass der medizinische Fortschritt und auch die soziale Absicherung dieser Menschen zugenommen haben. Sowohl die Beschäftigung als auch die Teilhabe an der Gesellschaft führen dazu, dass Menschen gesünder sind. Wir wissen das aus vielen Statistiken, die Menschen betreffen, die aus anderen Gründen keine Teilhabe an der Gesellschaft haben. Wir wissen, das macht krank. Das heißt, je besser die Menschen mit Behinderung versorgt sind und je besser die gesundheitliche Versorgung und soziale Integration ist, desto besser ist auch die Gesundheit dieser Menschen, und desto älter werden sie.

Das ist aber ein Effekt, der dazu geführt hat, dass die Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen gegenüber der übrigen Bevölkerung zugenommen hat.

Jetzt schreiben Sie in Ihrem Antrag: „Eine Eindämmung der Kosten ist Bestandteil der Herausforderungen, die die demografische Entwicklung für die Eingliederungshilfe stellt.“ Diese Eindämmung der Kosten kann – ich denke, auch das muss Konsens zwischen uns sein – nicht im Vorenthalten von Leistungen, sondern in einer zielgenauen Anpassung der Leistungen und in einer Überprüfung der Leistungen – erreichen sie das, was sie erreichen sollen – liegen.

Das heißt, wenn ein Mensch die Bedürfnisse hat teilzuhaben, und wenn ein Mensch die Bedürfnisse hat versorgt zu werden, dann muss es doch zwischen uns allen unstrittig sein, dass diese Bedürfnisse befriedigt werden können. Ich denke, der Zug dahin, dass man dafür große Einrichtungen macht, in denen lange Zeit Menschen eher satt und sauber gepflegt wurden, als dass man sich auch um die Tagesstrukturierung, um die Beschäftigung, um Teilhabe kümmern konnte, ist vorbei.

(Beifall des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich glaube, da sind wir uns alle einig, dass dies Geld kosten wird. Frau Thelen, da liegen wir auseinander. Das ist unabhängig davon, ob wir viele kleine Einrichtungen haben, ob wir aufsuchende Hilfen haben, ob diese Menschen eine Assistenz zur Verfügung haben oder ob dies in einer großen Einrichtung stattfindet. Auch in einer großen Einrichtung kostet gute Pflege Geld.

(Frau Thelen, CDU: Es wirkt sich dramatisch auf den steigenden Bedarf bei Betreuungs-, Pflege- und Hilfskräften aus!)

Natürlich wird es sich auswirken. Bessere Pflege und bessere Versorgung in einer großen Einrichtung kosten auch mehr Geld. Das ist das, was Sie verstehen müssen.

(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)

Das heißt, der Weg in die ambulante Versorgung, dieser Weg in die Assistenz ist – Ihre Partei sagt, das ist alter

nativlos, mir fällt leider kein besseres Wort ein – ohne Alternative. Auf dem Weg sind wir längst alle gemeinsam.

Ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass die bisherige Landesregierung da zu wenig getan hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Wir hätten es uns als außerparlamentarische Opposition geradezu wünschen können, dass wir die Landesregierung aus der außerparlamentarischen Opposition heraus hätten stärker kritisieren können. Hier ist einiges passiert.

Die Landesregierung stellt einiges in ihrer Antwort dar. Ich bin froh, dass diese Antwort nicht die Kosten, sondern in erster Linie die Ausgestaltung der Eingliederungshilfe in Rheinland-Pfalz betrifft. Da zeigt die Antwort auf die Große Anfrage tatsächlich auf, wie sehr sich die Hilfen für Menschen mit Behinderungen gewandelt haben und wie sehr es zu einem Paradigmenwechsel von der fürsorglichen Fremdbestimmung zur unterstützenden Hilfe und Assistenz gekommen ist.

So herum wird daraus ein Schuh. Was Menschen brauchen, das wollen wir leisten. Diese Leistung, Hilfe und Unterstützung muss so effizient und effektiv wie möglich sein.

Ein weiteres Ziel muss sein, dass eine Selbstbestimmung von Menschen stattfinden kann, und zwar unabhängig davon, wie schwer behindert sie sind. Dazu hatten wir Gespräche in den entsprechenden Einrichtungen. Andere Mitglieder des Hauses waren mit dabei, zum Beispiel Herr Dröscher und Sie, Frau Thelen. Es ist völlig klar, dass Menschen, die in einer Einrichtung bleiben wollen, sich dort wohlfühlen und dies als ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben, nicht gezwungen werden sollen, diese Einrichtungen zu verlassen. Aber wir wollen die Tendenz, Menschen in immer größeren Einrichtungen zu versorgen, verlassen. Die Wohnform muss durch die Selbstbestimmung der Menschen bestimmt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Keinesfalls dürfen Menschen gezwungen werden, in großen Pflegeeinrichtungen betreut zu werden, die auf ihre Bedürfnisse nicht eingerichtet sind. Allerdings ist es so, dass wir die Hoffnung haben können, dass mit der zunehmenden Zahl demenzkranker Menschen die großen Pflegeeinrichtungen und die dezentralen Pflegeeinrichtungen mit diesem Bild von Menschen bzw. diesem Krankheitsbild von Menschen, die eine Tagesstrukturierung, Beschäftigung brauchen und pädagogisch betreut werden müssen, wesentlich besser umgehen lernen.

Die Landesregierung hat hier bereits vor unserer Regierungsbeteiligung Richtiges getan. Sie hat mit dem Modellvorhaben nach § 14 a AG SGB XII, also dem Ausführungsgesetz zum Zwölften Sozialgesetzbuch, die Möglichkeit eröffnet, dass die Formen der Leistungserbringung im ambulanten Bereich dahin gehend erprobt werden, ob die Eingliederungshilfe effektiver und effizienter geleistet werden kann. Das ist gut so.

Für Menschen mit Behinderungen, egal in welchem Alter, aber auch für die älteren Menschen muss gelten, nichts über uns ohne uns. Das heißt, diese Menschen müssen gefragt werden. Wir müssen in diesem Prozess – das geht aus der Anfrage und aus der Antwort noch nicht hervor, das steht aber in unserem Antrag, Sie haben ihn sicherlich gelesen – die Menschen mit Behinderungen, ihre Angehörigen und die Selbsthilfe als grundlegende Teilnehmer integrieren. Dann können wir zu einer den Bedürfnissen und Bedarfen angepassten Entwicklung kommen, die pro hilfeabhängigem Menschen nicht teurer werden muss.

Sie haben recht, da muss es Planungen geben. Dazu bzw. zu der Pflege werde ich im zweiten Teil noch etwas sagen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kessel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Ministerin Dreyer! Wir haben die Antwort Ihres Hauses auf unsere Große Anfrage zu den Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die pflegerische Versorgung mit großem Interesse gelesen und intensiv diskutiert.

Ein inhaltlich gegliedertes, zeitlich gestaffeltes und vor allem konkretes Konzept zur Sicherung der pflegerischen Versorgung vor dem Hintergrund des bereits stattfindenden demografischen Wandels suchten wir leider vergeblich.

(Beifall bei der CDU)

Danach hatte unsere Fraktion für den Zeitraum bis 2015, bis 2025 und bis 2050 gefragt. Die Antwort verweist auf allgemeine Ziele und Grundsätze und auf bestehende Bestimmungen, auf die Zuständigkeiten der Kommunen und kritisiert angebliche Versäumnisse der Bundesregierung.

Im Gegensatz dazu will Herr Bundesminister Bahr in seinem Entwurf zur Pflegereform die häusliche Pflege stärken und die pflegenden Angehörigen entlasten. Die höheren Pflegegeldsätze sollen 500.000 Demenzkranken zugutekommen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Über die konkreten landespolitischen Handlungserfordernisse in den verschiedenen Bereichen und Zeiträumen ist sich die Landesregierung offenbar noch nicht ganz klar geworden. Mit Ausführungen, wie „Die rheinland-pfälzische Landesregierung steht auch in Zukunft zu ihrer Strukturverantwortung im Bereich der Pflege“ und allgemeinen, aber keinesfalls konkreten Ankündi

gungen von unbestimmten Beiträgen, Maßnahmen, Weiterentwicklungen, Erprobungen, Unterstützungen, Auseinandersetzungen und Analysen, ohne auch nur ansatzweise die gestellten Fragen zu beantworten, zeigt die Landesregierung, dass sie konzeptionell auf die demografische Entwicklung noch nicht vorbereitet ist.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Pörksen, SPD: Das kann aber auch an den Fragen liegen!)

Das mag so sein, Herr Pörksen.