Protocol of the Session on November 12, 2015

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ist auch der dritte Teil der Aktuellen Stunde zu Ende.

Wir kommen dann zu Punkt 13 der Tagesordnung:

Unternehmen Klimaschutz – Politik zukunftsfähig gestalten Regierungserklärung von Frau Staatsministerin Lemke

Für die Landesregierung spricht Frau Lemke.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

(Hans-Josef Bracht, CDU: Die Debatte ging in die Hose!)

In weniger als drei Wochen beginnt die UN-Klimakonferenz in Paris.

(Unruhe im Hause)

Darf ich um Aufmerksamkeit für die Regierungserklärung bitten? Wir sind beim nächsten Tagesordnungspunkt.

(Alexander Schweitzer, SPD: Herr Bracht hat was mit seiner Hose! Wir wollten ihm nur behilflich sein!)

Ich bitte, die Auswertung der letzten Debatte anderen zu überlassen. Danke.

(Christian Baldauf, CDU: Wir machen euch das nächste Mal ein paar Vorschläge! – Carsten Pörksen, SPD: Das wäre das erste Mal!)

Vielen Dank, Herr Präsident. In weniger als drei Wochen beginnt die UN-Klimakonferenz in Paris.

(Vizepräsidentin Barbara Schleicher-Rothmund übernimmt den Vorsitz)

Da soll ein neues Weltklimaabkommen für die Zeit nach 2020 verabschiedet werden. In Paris werden Weichen gestellt, die die Menschen in Rheinland-Pfalz unmittelbar betreffen. Es wird uns hier betreffen, aber noch viel stärker unsere Kinder, Enkel und Urenkel.

Angesichts der enormen Herausforderung, die wir in der Flüchtlingspolitik zu bewältigen haben, wird uns doch in aller Dramatik vor Augen geführt, dass sich Versäumnisse bitterlich rächen. Wenn wir vor Jahren die Bekämpfung der Fluchtursachen nur halb so entschieden angegangen wären, wie heute von allen gefordert wird, wenn wir mehr in Frieden und in Entwicklung investiert hätten, wenn wir andere Staaten bei der Beherbergung von Millionen von Flüchtlingen unterstützt hätten, anstatt die Mittel zu kürzen, dann wären wir jetzt nicht in der Situation, in der wir sind: in Europa nicht, in Deutschland nicht und auch nicht in Rheinland-Pfalz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht den Fehler machen, den wir so oft machen, die Dinge erst dann anzugehen, wenn es zu spät ist. Klimaschutzpolitik ist Zukunftsvorsorge: Zukunft für die Menschen in unserem Land, Zukunft für die freiheitliche Gesellschaft und Zukunft für unsere Unternehmen und die wirtschaftliche Grundlage.

Klimaschutz ist, wenn wir schon bei der aktuellen politischen Lage sind, natürlich auch ein wichtiger Beitrag, wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen, also auch Hunger, Armut bis hin zu Kriegen.

Sollte der globale Klimaschutz scheitern, so müssen wir mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen. In dieser Analyse sind sich sogar Greenpeace und Bundesentwicklungsminister Müller von der CSU einmal einig.

200 Millionen Flüchtlinge: Das zeigt eindringlich, aktive Klimaschutzpolitik ist eine zentrale politische Aufgabe. Der Klimawandel hat Auswirkungen auf alle Länder und auf alle Regionen der Welt. Wir sind auch hier in RheinlandPfalz gefordert, ambitioniert und konsequent zu handeln. Deswegen ist es etwas, was mit Blick auf die Flüchtlingssituation weltweit und nicht nur hier notwendig ist. In der Tat geht es nämlich noch um viel mehr. Es geht beim Klimaschutz in einem ganz elementaren Sinn um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.

„There is no plan B, because we do not have a planet B“ so Ban Ki-moon. Die Alarmzeichen sind dringlich. 2014 hat die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erstmals den Schwellenwert von 400 parts per million überschritten und damit einen Spitzenwert für die letzten 800.000 Jahre erreicht. Neun der zehn wärmsten Jahre waren nach dem Jahr 2000. 2014 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen überhaupt, global, in Deutschland und hier in Rheinland-Pfalz. Nach den Daten der NASA ist 2015 davor, den Rekord erneut zu brechen. Wer weiß, was 2016 sein wird.

Die Dimension von Unwettern und Dürren sowie das Abschmelzen von Gletschern und der Polkappen ist nun einmal Fakt. Das aktuelle Niedrigwasser auf dem Rhein ist eine Klimafolge direkt vor unserer Haustür. Die Klimaerwärmung ist evident und nicht mehr abzustreiten. Ich bin froh, dass es mittlerweile eigentlich auch in der Politik Konsens ist. Aber wir brauchen ambitionierte Verpflichtungen. Das Zwei-Grad-Ziel muss eingehalten werden. Wenn wir das nicht schaffen – so die klare Botschaft der Klimaforschung – , dann drohen wir die Belastbarkeit des Ökosystems Erde endgültig zu sprengen. Die Folgen wären global spürbar – auch hier in Rheinland-Pfalz.

Als Wirtschaftsministerin sage ich, Klimawandel gefährdet eben das globale Wirtschaftssystem, in dem RheinlandPfalz als exportstarker Akteur aufblüht. Aufgrund der fortgeschrittenen Verflechtungen sind Engpässe bei der Versorgung mit Rohstoffen und Vorprodukten vorprogrammiert. Auch die Nachfrage nach unseren Erzeugnissen aus den Regionen, die unter den Folgen den Klimawandels besonders leiden, wird sich verändern.

Klimaschutz ist auch aus wirtschaftlichen Erwägungen eine Schlüsselaufgabe in unserer Gesellschaft. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass wir unsere Wirtschaft klimaverträglich aufstellen. Es liegt – das ist die gute Nachricht – auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Unternehmen. Klimaschutz richtig betrieben, bietet für unsere Unternehmen ein erhebliches ökonomisches Potenzial. Deshalb ist es unabdingbar, dass Klimaschutz in der Politik eine wichtige Rolle spielt. Das wird in diesem Hause niemand bestreiten.

Dazu braucht es klare Ziele. Die haben wir in RheinlandPfalz formuliert. In unserem Klimaschutzgesetz steht, bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 40 % gegenüber 1990 zurückgehen. Bis 2050 wollen wir eine Reduktion von CO2-Äquivalenten von Treibhausgasen um 90 % gegenüber 1990.

Wir meinen es ernst mit dem Klimaschutz, und wir binden uns gesetzlich und belassen es nicht bei unverbindlichen

Absichtserklärungen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

US-Präsident Obama hat es in diesem Jahr treffend gesagt: „Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt. Und wir sind die letzte, die dagegen noch etwas tun kann.“ Wir sind jetzt in der Pflicht zu handeln, jetzt das feste Fundament für einen effektiven Klimaschutz zu legen, sonst wird es zu irreversiblen Entwicklungen im Weltklima kommen, und alle Anstrengungen zukünftiger Generationen bleiben Makulatur.

Sehr geehrte Damen und Herren, da reicht es nicht, hier in Rheinland-Pfalz zu sagen, wir zeigen mit dem Finger auf andere. Wir müssen selbst die Initiative ergreifen und verantwortlich vorangehen. Klimaschutz ist Querschnittsaufgabe, die alle politischen Bereiche betrifft, sei es – in den einzelnen Handlungsfeldern gesprochen – durch Energieeinsparung in der Gebäudesanierung, sei es durch den Schutz von Mooren und Grünland zur Speicherung von CO2 in Böden, oder sei es durch Vermehrung der Verwendung von Holz beim Bau zur langfristigen Bindung von CO2. Das sind nur verschiedene beispielhafte wirkungsvolle Maßnahmen. Dazu zählen ebenso viele vielleicht im ersten Moment kleinteilig anmutende Ideen wie die Aufstellung von Fahrradständern.

Wir haben als eines der ersten Bundesländer neben Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen überhaupt einen gesetzlichen Rahmen mit verbindlichen Reduktionszielen erstellt und einen Fahrplan erarbeitet, um auf Landesebene den Klimaschutz voranzubringen.

Dabei haben wir von Anfang an auf eine breite Beteiligung unserer Bürgerinnen und Bürger gesetzt. Ihre Erfahrungen, ihre Expertise und ihre Meinung sind uns wichtig und wurden in den Erstellungsprozess des Klimaschutzkonzeptes integriert.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Landesregierung hat sich schon 2011 dafür entschieden, die Klimaschutzpolitik und die Wirtschaftspolitik in einem Ministerium zusammenzuführen. Erfolgreiche Klimaschutzpolitik ist die Basis erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Lassen Sie mich als Wirtschaftsministerin die wirtschaftliche Betrachtung des Klimaschutzes nach vorne stellen – ganz konkret:

Was sind die Kosten des Klimawandels? Welche Kosten entstehen durch Klimaschutz? Welchen Nutzen und welchen Gewinn können wir aus dem Klimaschutz ökonomisch ziehen?

Schon 2006 hat die Weltbank im „Stern“-Bericht die jährlichen Kosten des Klimawandels beziffert: Wenn nicht gehandelt wird, verursacht der Klimawandel einen Kostenanstieg von bis zu 20 % des globalen Bruttoinlandsprodukts. Das entspräche in Rheinland-Pfalz – nur um einmal die Dimension darzustellen – 25 Milliarden Euro pro Jahr Schaden. Das wäre keine Rezession, das wäre eine existenzielle Krise. Dagegen war die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise nur ein kleiner Konjunktureinbruch. Es geht also nicht um die Frage des „Ob“, sondern um die des „Wie“.

Die gute Nachricht: Effektiver Klimaschutz zahlt sich aus, eröffnet den Unternehmen Wachstumspfade, beflügelt die Innovation und schafft Arbeitsplätze; denn wer technische Lösungen für diese Herausforderungen anbietet, kann den Zukunftsmarkt mitgestalten. Dort geht es um Wettbewerbsund komparative Vorteile, also um harte Wirtschaftspolitik.

Unsere Politik eröffnet für den Wirtschaftsstandort Rheinland-Pfalz eine zentrale wirtschaftliche Zukunftsperspektive. Als Kronzeugin kann ich die EUKlimakommissarin Hedegaard benennen, die sagt: „Es gibt keine gute Wirtschaftspolitik ohne Klimaschutz.“

Ich will noch weiter gehen und sagen: Kluge Klimaschutzpolitik ist kluge Wirtschaftspolitik. Kluge Wirtschaftspolitik verlangt, dass wir das Klima von Anfang an mit bedenken.

Gute Ansätze sind vorhanden und werden in Teilen der Wirtschaft bereits angewandt. Ressourceneffizienzstrategien erlauben es, dass Produkte immer weniger Energie und Materialien zur Erzeugung benötigen, um die notwendigen Umweltwirkungen zu minimieren und dazu noch Kosten zu sparen. Beim Cradle-to-Cradle-Prinzip wird so produziert, dass alle Materialien komplett wiederverwertet werden können und nicht der geringste Müll hinterlassen wird. Beim Ökodesign versuchen die Unternehmen, Umweltbelastungen durch verbessertes Produktdesign über den gesamten Lebensweg zu mindern.

Hinzu kommt der nicht zu übersehende Umbruch in unserer Gesellschaft. Umwelt- und Klimaschutz sind bereits Teil des Lebensstils geworden. Das zeigt sich zum Beispiel in der Mobilität; denn Mobilität bedeutet für die Menschen nicht immer nur ein eigenes Auto. Fortbewegung gibt es durch ÖPNV, Carsharing auf Abruf und vieles mehr.

Der Grundgedanke des Carsharing findet sich zunehmend auch in anderen Lebensbereichen. Share Economy ist das Stichwort. Benutzen statt besitzen: Das ist nicht nur ein neues Geschäftsmodell, es ist auch Ressourcen- und Klimaschutz im Alltag.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Schöne daran ist: Lebensstil hat mit den Bürgerinnen und Bürgern zu tun. Wenn es als Lebensstil ankommt, sehen wir doch, dass den Bürgern klarer denn je ist, dass Klimaschutz umfassend ist, die Gestaltungsmöglichkeiten vielfältig und sie daran mitwirken. Die Bürger sind zu einem Paradigmenwechsel bereit. Sie fordern von der Politik, Lösungen zu entwickeln, um unsere Umwelt zu erhalten.

Ein zentraler Baustein für effektiven Klimaschutz ist natürlich auch die Energiewende. Wir haben uns in RheinlandPfalz nicht auf bundesweiten Zuwachsraten ausgeruht, sondern den Ausbau im Land entschieden vorangetrieben. Wir haben den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung gesteigert und marschieren stramm auf 40 % zu. Wir haben in Rheinland-Pfalz die installierte Leistung der Windkraftanlagen verdoppelt, während die Zahl der Anlagen nur um die Hälfte zugenommen hat.

Die Energiewende zahlt sich für die Kommunen und die Menschen vor Ort aus, weil sie von Beginn an von der

rot-grünen Landesregierung als Bürgerenergiewende angelegt war. Bürgerenergiewende, das heißt regionale Wertschöpfung, regionale Arbeitsplätze, regionale Steuereinnahmen.

Was daraus entsteht, kann man zum Beispiel an der Hängeseilbrücke Geierlay sehen. Auch jetzt, fünf Wochen nach der Eröffnung, strömen wöchentlich rund 15.000 Besucher zur Hängebrücke nach Mörsdorf, die durch die Kommune mit Mitteln aus der Energiewende finanziert wurde. Das übertrifft die kühnsten Erwartungen und bringt neue Perspektiven in unseren schönen Hunsrück. Hier ermöglicht die Energiewende konkret Regionalentwicklung.

(Unruhe im Hause)

Warum sollen wir denn auch 6 Milliarden Euro jährlich für Öl und Gas ausgeben, das aus Krisenregionen der Welt importiert wird, und damit auch zur Destabilisierung dieser Regionen beitragen? Warum belassen wir nicht diese Wertschöpfung in unseren Städten und Gemeinden und steigern die örtlichen Einnahmen durch eigene Energieerzeugung? Das macht uns wirtschaftlich unabhängiger, krisenresistenter, und so wird aus Klimapolitik auch Friedenspolitik.