Protocol of the Session on October 6, 2015

Es wurde schon gesagt, ich möchte es aber noch einmal betonen: Diese Frauen haben in ihren Heimatländern und auf der Flucht, aber gegebenenfalls auch in Deutschland Schlimmes durchgemacht. Viele von ihnen haben Übergriffe erfahren, sie haben auf der Flucht Vergewaltigung erfahren, sie haben Unvorstellbares erlebt. Es gibt Frauen, die von Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung betroffen waren oder immer noch akut betroffen sind. Wir sind es diesen Frauen schuldig – dafür bin ich dem Frauenministerium und dem Integrationsministerium im doppelten Sinne außerordentlich dankbar –, dass wir sensibel und mit einem besonders fürsorglichen und sozialen Blick auf diese Frauen schauen und uns fragen: Wo besteht noch Handlungsbedarf, und wo sind wir gut aufgestellt?

Nun ist es so, dass die Große Anfrage, die hier vorliegt – das ist keine Kritik, es ist einfach der Schnelligkeit der Ereignisse geschuldet –, aus dem Mai dieses Jahres stammt. Sie ist natürlich sowohl von den Zahlen als auch von manchen Entwicklungen an einigen Stellen überholt.

Es ist zum Beispiel so, dass einige Projekte, die damals in anderen Bundesländern existent waren, mittlerweile auch in Rheinland-Pfalz ins Leben gerufen wurden, beispielsweise in Bezug auf die Situation von schwangeren Frauen, auf die Sie hingewiesen haben, Frau Kohnle-Gros. In der Tat kommen viele schwangere Frauen nach Deutschland und auch zu uns nach Rheinland-Pfalz. Diese Frauen haben natürlich einen besonderen Unterstützungsbedarf.

Ich möchte auf ein Projekt hinweisen, das vor vier Wochen in Speyer in Zusammenarbeit mit der Hebammenschule und dem dortigen Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus ins Leben gerufen wurde, bei dem man sich ganz gezielt um schwangere Flüchtlingsfrauen kümmert, jede schwangere Flüchtlingsfrau ganz gezielt eine besondere Betreuung erfährt und bei dem auch die Hebammen im Rahmen ihrer Ausbildung, aber auch im Rahmen ihrer Tätigkeit sehr offen sind und sich darauf eingelassen haben. Sie haben glücklicherweise gesagt, wir machen da mit. Wir wollen diesen Flüchtlingsfrauen in besonderer Weise zur Seite stehen.

Es gibt auch einen Pool an Dolmetscherinnen, die sich bereit erklärt haben, an diesem Projekt mitzuwirken. Viele davon machen dies ehrenamtlich. Ich finde, das ist eines von vielen tollen Beispielen in Rheinland-Pfalz, die zeigen, ja, es gibt hier eine gute Willkommenskultur. Ja, es gibt hier auch schon durchaus sehr gute Projekte, wie wir die Flüchtlinge willkommen heißen können, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Herausforderungen sind in der Tat vielfältig. Die Situation von Frauen ist deshalb eine besondere, weil die Frauen unseres besonderen Schutzes bedürfen. Wenn es so ist, dass etwa 80 % bis 90 % der Menschen, die zu uns kommen – ich habe die genaue Zahl auch nicht im Kopf, es ist auch eine volatile Zahl –, männliche Flüchtlinge

sind und nur ein sehr geringer Anteil weiblicher Flüchtlinge unter ihnen ist, dann muss man sich ein Boot oder einen Transporter vorstellen, in dem oftmals nur eine Frau unter zehn oder 20 Männern ist. Das ist eine besonders bedrohliche und gefährliche Situation für die Frauen. Viele Frauen, die zu uns kommen, sind traumatisiert, sei es, dass sie mit oder ohne Kinder zu uns kommen.

Ich möchte die Zeit auch nutzen, wenigstens einen Fall herauszugreifen, der mir in den letzten Wochen in meiner Arbeit mit Flüchtlingen begegnet ist. Es ist der Fall einer Flüchtlingsfrau, der mir sehr nahe gegangen ist und den ich einfach exemplarisch nennen möchte, damit es nicht bei den Zahlen bleibt, damit den Zahlen auch ein Gesicht und eine Geschichte gegeben wird.

Es handelt sich um eine Frau, wobei ich aus Datenschutzgründen nicht sagen will, aus welchem Land sie kommt und aus welcher Stadt sie geflohen ist. Sie hat ihren Mann in den Wirren des Krieges oder Konfliktes verloren. Er ist verstorben. Sie hat fünf Kinder.

Sie hatte sich auf die Flucht gemacht. Es gab keine Perspektive für sie in ihrem Heimatort. Sie hat ein Kind auf dem Rücken und ein Kind auf der Hüfte getragen. Die drei größeren Kinder sind mitmarschiert.

Das jüngste der Kinder, das mitmarschierte, war etwa zwei Jahre alt. Nach vielen Stunden und Tagen der Flucht waren alle fünf Kinder und die Frau mit ihren Kräften am Ende. Es kam – das ist für mich als dreifache Mutter etwas, was ich kaum aussprechen kann – der Moment, in dem diese Frau sich entscheiden musste, ihre zweijährige Tochter zurückzulassen, um das Leben ihrer restlichen Kinder zu retten. Sie hat dieses Mädchen zurückgelassen. Es war irgendwann nur noch ein Punkt am Horizont. Sie hat dieses Mädchen nicht mehr wiedergesehen.

Diese Frau ist jetzt in Rheinland-Pfalz. Diese Frau ist traumatisiert. Diese Frau möchte ich exemplarisch für viele Frauen und Kinder nennen, die hier bei uns sind und dringend unsere Hilfe, unsere Unterstützung, unsere Anteilnahme und ein Willkommen mit offenen Armen an dieser Stelle brauchen.

(Beifall im Hause)

Frau Kohnle-Gros und Frau Scharfenberger sind auf den nächsten Punkt eingegangen. Ja, es ist richtig, Gewalt ist leider nicht nur bei Flüchtlingsfrauen, sondern auch bei Frauen heutzutage, im 21. Jahrhundert, immer noch ein Problem. Ich möchte an dieser Stelle nur sagen, selbstverständlich gilt das Grundgesetz für alle, die hier in Rheinland-Pfalz und in Deutschland sind. Für alle gilt das Grundgesetz. Was ich aber auch sagen möchte, ist, die Gewalt an Frauen kam nicht mit den Flüchtlingen. Die Gewalt war auch schon vorher hier. Die Gewalt ist leider alltäglich.

Es ist so, dass das größte Risiko einer Frau, in unserer Gesellschaft verletzt zu werden, immer noch ihr eigener Partner oder ihr eigener Mann ist, der Gewalt ausübt. Deswegen ist es ganz wichtig und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass wir dieser Gewalt gegen Frauen, sei es in den engen sozialen Beziehungen oder auch in einem an

deren sozialen Kontext, entschieden entgegentreten. Alle Frauen in Rheinland-Pfalz, ganz egal, woher sie kommen, egal, welche Hautfarbe oder Religion sie haben, haben unseren Schutz vor dieser Gewalt verdient.

Natürlich sind alle Programme, die Rheinland-Pfalz bietet, die Frauenhäuser, die Beratungsstellen, für alle Frauen offen, die zu uns kommen und in Rheinland-Pfalz sind. Das möchte ich an dieser Stelle betonen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich möchte noch auf den Punkt eingehen, dass natürlich der spezifische Blick auf die Frauen auch bedeutet, sie brauchen genügend weibliches Personal in den Aufnahmestellen und in den Beratungsstellen. Es gibt eine hervorragende Arbeit, die an den unterschiedlichen Stellen geleistet wird. Es gibt SOLWODI. Ich möchte auch herausstellen, was in der Großen Anfrage ebenfalls erwähnt wurde, es gibt UTAMARA und andere gute Organisationen, die sich jetzt schon den Flüchtlingsfrauen oder den von Gewalt betroffenen Frauen mit Fluchterfahrung annehmen.

Natürlich müssen wir schauen, dass wir diese Angebote auch dahin gehend weiterentwickeln, dass sie auf die spezifischen Erfahrungen, die die Frauen, die zu uns kommen, mitbringen, gute Antworten finden.

Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen, weil ich ihn in meiner alltäglichen Arbeit immer wieder erfahre. Es gibt den Bedarf nach spezifischen Angeboten für Frauen, beispielsweise Deutschkurse. Es gibt Kulturkreise, bei denen wir darauf achten müssen, dass es Deutschkurse nur für Frauen gibt. Dann sollten wir auch darauf achten – es wurde eben schon gesagt, dass viele Frauen mit ihren Kindern kommen –, dass bei diesen Deutschkursen für die Flüchtlingsfrauen auch eine Kinderbetreuung angeboten wird. Hier gibt es schon einige sehr gute Angebote, auch vom Land mit unterstützt und gefördert. Ich denke, hier sollten wir auf jeden Fall schauen, dass wir diese Angebote zielgerichtet weiterentwickeln.

(Glocke des Präsidenten)

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Sahler-Fesel das Wort. Sie haben noch eine Redezeit von vier Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass wir nicht nur dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sind, sondern auch unserer Verfassung in Rheinland-Pfalz. Auch in unserer Verfassung in Rheinland-Pfalz steht glasklar, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind.

Übrigens haben wir im Jahr 2010 unsere Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation der Frauen in RheinlandPfalz genau mit diesem Einstieg begonnen und haben die Fragen abgestimmt.

Frau Spiegel hat eben deutlich gesagt, alle diese Bereiche sind natürlich für Frauen, die geflohen sind, genauso offen und genauso notwendig.

Frau Kohnle-Gros, ich hatte mich schon gefragt, warum Sie eine Große Anfrage zur Aussprache stellen, die sich zahlenmäßig – dafür können Sie nichts – durch die Ereignisse sehr überholt hat, aber dann nicht wirklich zur Großen Anfrage sprechen, sondern im Grunde genommen die Große Anfrage dazu nutzen, uns Ihr Programm zu verkaufen, indem Sie mehrfach sagten: Wir wissen ja, wir wissen ja.

Die Dinge, die Sie uns sowohl von den Zahlen als auch von den Abläufen her dargestellt haben, finden Sie nicht in der Antwort der Großen Anfrage, nicht, weil die Antwort nicht spezifisch genug wäre, sondern weil sie das überhaupt nicht erst nachgefragt haben.

Wir hätten gerne mit Ihnen über das Papier des Familienbundes, wie heißt das Ding

( Marlies Kohnle-Gros, CDU: Frauenrat!)

Deutschen Frauenrates, Entschuldigung, ich hätte beinah Ethikrat gesagt –, diskutiert, wenn Sie das hier zur Diskussion gestellt hätten. Das hätten wir gerne gemacht.

Selbstverständlich sind unsere Erstaufnahmeeinrichtungen kein rechtsfreier Raum. Ich kann es aber hier nicht so stehen lassen, dass man den Eindruck erhält, dass die Frauen in der Erstaufnahmeeinrichtung immer Angst haben müssen vor sexuellen Übergriffen und Gewalt und als ob es da kein Personal gäbe, als ob nicht jede Menge Sicherheitspersonal und anderes Personal da wäre, an das sich die Menschen wenden können.

Natürlich gelten unsere Gesetze. Sie gelten auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen; dort entsprechend geahndet.

In der Großen Anfrage steht zum Beispiel, dass selbst in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Trier und Ingelheim Frauenflure eingerichtet sind, wo Frauen getrennt untergebracht werden und sich sicherer fühlen können. Das geht zum Beispiel aus einer solchen Großen Anfrage hervor.

Beim Bildungsstand wird nur nach Analphabetismus gefragt. Mit Blick auf die Frauenkurse dürfe nicht einfach etwas unterstellt werden. Das finde ich ein bisschen einfach. Man müsste die Bildungspolitiker einmal mit einer Anfrage löchern, ob es wirklich so ist, dass die Frauen, die aus dem Ausland zu uns kommen, ganz automatisch einen schlechteren Bildungsstand als die inländischen Frauen haben. Die Fachfrau der GRÜNEN schüttelt genauso energisch den Kopf, wie ich ihn innerlich geschüttelt habe. Das sind Vorurteile, die leider mit einzelnen Äußerungen bedient wurden, die ich in der Form und Art nicht stehen lassen will.

Zum Beispiel haben wir auch eine Hausordnung in der

Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende. Da brauchen wir keine neue einzuführen.

Man kann es nicht oft genug sagen. Es gibt da keine Sondergesetze. Selbstverständlich unterliegen alle Menschen, die in Deutschland sind, egal, wo sie herkommen, unseren deutschen Gesetzen und werden auch genau danach behandelt. Deshalb ist eine solche Darstellung hier und so, als ob das alles aus der Großen Anfrage hervorgeht, schwierig, und zwar schwierig im Umgang und schwierig in der Außenwirkung. Ich würde bitten, dass wir das nicht so hopplahopp machen, sondern intensiv miteinander auch im Ausschuss besprechen, wie die Situationen sind, weil die Zahlen in der Statistik nicht erhoben werden. Das sind nicht wir, sondern das ist das Bundesamt. Wir müssen da noch ein bisschen schärfer ran. Das wünsche ich mir in der weiteren Diskussion.

Schönen Dank.

(Beifall der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich darf Gäste im Landtag begrüßen, es ist die Initiative „Gemeinsam für Uersfeld“, herzlich willkommen hier bei uns im Landtag!

(Beifall im Hause)

Weiterhin begrüße ich die Theatergruppe Prosackos, herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Alt das Wort.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns alle einig, wir stehen vor großen Herausforderungen. Wir sind uns alle einig darüber, dass die Flüchtlingsfrauen unserer Unterstützung bedürfen.

Wir alle wissen, dass die Frauen auf der Flucht häufig Opfer von Gewalt, insbesondere von sexueller Gewalt werden. Auch wenn die Flucht bei der Ankunft in Deutschland ein Ende hat, müssen wir Vorkehrungen treffen, damit die Flüchtlingsfrauen nicht weitere Gewalterfahrungen erleben.

Wir haben eine reformierte EU-Aufnahmerichtlinie, die besonders schutzwürdige Gruppen in den Fokus genommen und Maßnahmen zur Versorgung und Unterbringung besonders schutzbedürftiger Personen vorgesehen hat. Dazu gehören Schwangere, Alleinerziehende, aber auch andere von Gewalt betroffene Personen.