Nun sagt Herr Böhr in seinem bereits erwähnten Aufsatz unter der Zwischenüberschrift „Einwände und Bedenken“; ich zitiere: „Gegen diese Vorschläge wird immer wieder, meist von den Finanzministern aller Parteien, eingewandt, sie seien nicht bezahlbar, weil die Einnahmenverluste des Staates zu hoch zu veranschlagen sind.“
Meine Damen und Herren, die Finanzminister aus allen Parteien wissen wohl, warum sie sich darauf nicht ein
Das hat noch eine andere Seite. Herr Böhr sagt nämlich, das könne man aus der Sozialhilfe, die der Staat erspart, einsparen.
Meine Damen und Herren, im letzten Jahr, für das die Statistik vorliegt, 2003, hat der gesamte Sozialhilfeaufwand für die Hilfe zum Lebensunterhalt – die Hilfe in besonderen Lebenslagen kann ich nicht sehen; denn das ist die Heimunterbringung –, die Herr Böhr – teilweise jedenfalls – zur Gegenfinanzierung heranziehen will für seine – ich beziehe es jetzt nur auf den Beitragssatz in der Sozialversicherung – 86 Milliarden Euro ein Potenzial von 9,8 Milliarden Euro.
Meine Damen und Herren, spätestens an dieser Stelle wird deutlich – Herr Böhr, Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, und ich habe auch Anlass anzunehmen, dass das auf Gegenseitigkeit beruht, ich kann Ihnen nur sagen, ich lese auch manche Aufsätze, die Sie schreiben, gern –, in Bezug auf Finanzpolitik sollten Sie sich wirklich zurückhalten. Da kommt in aller Regel, wenn Sie zur Feder greifen, nichts Vernünftiges heraus. Ich bin sicher, dass auch dieser Vorschlag, den Sie hier gemacht haben, folgenlos bleiben wird. Kein Unionspolitiker – weder im Regierungsamt noch im Parteiamt – wird diesen Vorschlag aufnehmen. Da bin ich ganz sicher.
Aber nun sagt Herr Böhr, es gibt einen Vorschlag von Herrn Professor Kirchhof, den man nur aufgreifen und realisieren müsse, dann kämen die Dinge ins Lot. Ich will das nicht verkürzen, sondern durchaus sagen, dass Professor Kirchhof, den ich persönlich sehr schätze, wichtige Anstöße in Richtung Vereinfachung des Steuerrechts gegeben hat. In der Veranstaltung in der vergangenen Woche hier bei der Commerzbank, als wir gemeinsam miteinander gestritten haben, habe ich dies auch zum Ausdruck gebracht. Allerdings bitte ich Folgendes nicht zu übersehen: Die Steuerabteilungsleiter aller Länder, auch der unionsgeführten Länder, unter Einschluss des FDP-Kollegen in Sachsen-Anhalt, des Kollegen Paqué, haben ermittelt, und die Finanzministerkonferenz hat sich diese Berechnung ausdrücklich zu Eigen gemacht, dass der Vorschlag von Herrn Professor Kirchhof im ersten Jahr zu Steuerausfällen von 42 Milliarden Euro führen würde, im zweiten Jahr zu 31 Milliarden Euro und im dritten Jahr zu 21 Milliarden Euro; alsodegressiv gestaltet.
Professor Kirchhof hat sich gegen diese Berechnung gewehrt. Aber ich will Ihnen ein kleines Beispiel geben, wenn Sie sich hinter den Vorschlag von Herrn Professor Kirchhof stellen: Zwei Familien, beide mit zwei Kindern. In dem einen Fall gibt es ein zu versteuerndes Einkommen von 50.000 Euro Arbeitslohn. Die Steuerbelastung
beträgt heute 7.900 Euro. Nach Professor Kirchhof wären es 4.800 Euro, also eine steuerliche Entlastung von 3.100 Euro.
Nebendran wohnt eine Familie mit ebenfalls zwei Kindern, die 1 Million Euro versteuert. Die bisherige Steuerbelastung betrug 463.000 Euro, künftig 242.000 Euro, eine Ersparnis von 221.000 Euro.
Meine Damen und Herren, ich bin kein Mensch, der neidisch ist. Ich habe weder Sozialneid noch bin ich auf sonst jemanden neidisch. Ich bin froh, dass bei mir alles so ist, wie es ist, ohne selbstgefällig zu sein. Das hat nichts mit Sozialneid zu tun, ich sage nur, wer obere Einkommen in dieser Quantität entlastet, der muss sich fragen, wie er es langfristig mit der Qualität des Sozialstaats und einem gerechten Steuersystem hält.
Ich sage – das habe ich auch in der vergangenen Woche Herrn Professor Kirchhof coram publico gesagt –: Ich glaube nicht, dass die Flattax kommt, und deswegen wird es die Union auch nicht machen, die Union wird den Stufentarif nicht einführen und auch kein Bierdeckelrecht in Bezug auf das Steuerwesen, sondern es wird beim linear-progressiven Tarif bleiben, den ich im Übrigen auch für den gerechteren halte.
Ich komme zum Abschluss und sage, mit der Steuerreform, die wir im Jahr 2000 gemacht haben, haben wir die Steuern nachhaltig gesenkt. Wir hatten im Jahr 2000 noch eine Steuerquote von 23 %. Sie liegt jetzt bei 20 %.
Diese Differenz von 3 % bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt macht eine steuerliche Entlastung von 60 Milliarden Euro plus aus, um die Unternehmen, Familien, Arbeitnehmer – alle Steuerzahler – mit einem Einkommensteuertarif entlastet wurden, der wettbewerbsfähig ist, auch im internationalen Vergleich. Die Steuerquote ist so niedrig wie noch nie in Deutschland, in der Alt-EU auch die niedrigste. Nach Hinzukommen der zehn neuen Beitrittsländer hat nur die Slowakei eine Steuerquote, die niedriger ist als die unsrige.
Aber wir haben auch die Abgabenquote gesenkt. Erstmals seit 1990 liegt die Abgabenquote im Jahr 2004 wieder unter 40 %. Vor allen Dingen die Staatsquote wurde gesenkt. Diese hatte im Jahr 1996 den Höchststand mit 49,3 % und im vergangenen Jahr einen Stand von 46,9 % erreicht.
Jetzt wird es darum gehen, das Steuerrecht zu verschlanken und verständlicher zu machen. Vor allen Dingen wird es darum gehen, steuerliche Subventionen abzubauen. Aber wir werden dabei darauf zu achten haben, dass die Symmetrie nicht verloren geht. Wer generell die Abschaffung von steuerlichen Subventionen fordert – ich bin ohnehin misstrauisch als gebranntes Kind aus dem Vermittlungsausschuss, weil dort nämlich von den Subventionsbekämpfern jede einzelne Subvention mit Klauen und Zähnen verteidigt wurde in den
vergangenen Jahren –, und wer beispielhaft für den Abbau steuerlicher Subventionen nur die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sowie die Pendlerpauschale aufzählt, der ist kein guter Hüter der sozialen Symmetrie.
Ich weiß auch, dass 5 % der höchsten Einkommensbezieher mehr als 41 % des gesamten Steuerertrags bringen
und die unteren 50 % der Einkommensbezieher nur 8,3 % bringen. Das weiß ich auch. Ich weiß auch, dass derjenige, der nur wenig zahlt, nur gering entlastet werden kann, und der, der überhaupt nichts zahlt, auch nicht entlastet werden kann. Das weiß ich sehr wohl. Aber dennoch gilt es darauf zu achten, dass die soziale Symmetrie bei dem, was steuerpolitisch geschieht, gewahrt bleibt und vor allen Dingen ein Weiteres gewahrt bleibt. Ich wiederhole es immer wieder, wie Gerhard Stoltenberg es einmal formuliert hat: das Gleichgewicht von Etatpolitik, von Haushaltspolitik und Steuerpolitik.
Als Gäste begrüße ich Lehrerinnen und Lehrer der Schillerschule Lahnstein sowie Mitglieder der SPD aus dem Gemeindeverband Edenkoben und Maikammer. Herzlich willkommen im Landtag!
Meine Damen und Herren! Ich habe die Debatte um die Steuerpolitik eröffnet. Herr Jullien hat mit Verschuldungsdaten darauf reagiert. Ich möchte dem die eine oder andere Zahl entgegenhalten, weil Sie sich auf die Verschuldung bezogen haben, die sich unter der rotgrünen Bundesregierung so enorm gesteigert habe, nämlich von rund 743 Milliarden Euro im Jahr 1998 auf ca. 860 Milliarden Euro Ende des Jahres 2004. Das ist nicht schön. Das ist eine Steigerung um etwa 15,7 %.
Jetzt will ich Ihnen einmal ein paar Vergleichszahlen nennen. Die Verschuldung in der Ära Kohl stieg von 1983 bis 1998 um etwa 58,5 %.
(Lelle, CDU: Mit Wiedervereinigung! – Ministerpräsident Beck: Genau nicht! – Zuruf des Abg. Lelle – Ministerpräsident Beck: Sie haben keine Ahnung!)
Die Verschuldung des Bundes stieg in der gesamten 16jährigen Ära Kohl – die Damen und Herrn von der FDP waren in weiten Teilen auch daran beteiligt – um etwa 360 %. Herr Jullien, diese Zahlen sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben, weil das die Grundlast war, mit der die rotgrüne Bundesregierung gestartet ist.
Sie haben nicht nur diesen Schuldenberg hinterlassen. Sie haben außerdem ein unbeackertes Feld hinsichtlich der Sozialabgaben sowie andere notwendiger Reformbereiche in dieser Republik hinterlassen, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, weil Sie erstickt sind im eigenen Mehltau, der sich über Ihre Regierung gelegt hat, meine Damen und Herren. Daher haben Sie über Staatsverschuldung nicht die große Lippe zu führen, Herr Jullien.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben von dem liberalen Sparbuch gesprochen. Das ist schon ein Widerspruch in sich. Ich schaue mir einmal an, wie Sie etwas gegenfinanzieren wollen. Ich greife beispielsweise heraus, wie Sie im Bereich der Bundesagentur für Arbeit vorgehen. In Ihrem Papier zählen Sie die Kostentreiber auf. Das seien die Mittel für die Ich-AGs, Mittel für die berufliche Rehabilitation in Höhe von 2,7 Milliarden Euro, Mittel für Altersteilzeit in Höhe von 1 Milliarde Euro, die Mittel für Berufsausbildungsbeihilfe, mit denen Ausbildungsplätze zusätzlich gefördert werden sollen: das sind Lehrgangskosten für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen usw.
Im Klartext heißt das – dann sagen Sie das bitte auch –, dass Sie zulasten der Menschen sparen, die mithilfe dieser Mittel und Maßnahmen ihren Weg zurück in die Arbeitswelt finden wollen. Es ist falsch, an diesem Punkt zu sparen. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Luftbuchungen vorführen, angefangen von dem Überschlag, über Bürokratieabbau sparen wir ein, oder die Privatisierung von Bundesvermögen in Höhe von rund 5 Milliarden Euro. Das ist ein einmaliger Veräußerungsgewinn, der mitnichten das abdeckt, was Sie mit Ihrer Steuerreform abdecken wollen.
Insofern werden die Maßnahmen, die Sie beabsichtigen, soziale Ungerechtigkeiten verstärken. Sie werden die öffentlichen Kassen aushöhlen und weiter leeren. Sie werden eine Steuergestaltungsmöglichkeit als Freiheit für Spitzenverdiener und Großunternehmen schaffen. Das werden wir bis zum 18. September diskutieren. Ich
bin davon überzeugt, dass die Wählerinnen und Wähler in Deutschland nicht, wie Bertolt Brecht einmal festgestellt hat, die dümmsten Kälber sind, die ihre Schlächter selbst wählen, sondern dass sie klug und wissend wählen werden.
Ich will noch etwas zu Ihren Vorschlägen zur Unternehmenssteuerreform sagen. Herr Böhr, Sie sollten einmal sagen, wer die großen Kapitalgesellschaften letztlich entlasten will. Das haben Sie als Vorwurf an Rotgrün formuliert. Der Wegfall der Gewerbesteuer, so wie die FDP ihn plant, ist eine Entlastung der Großunternehmen, weil das die einzigen sind, die noch Gewerbesteuer zahlen. Den kleinen und mittleren Unternehmen wird die Gewerbesteuer mittlerweile erstattet. Dann schlagen Sie vor, diese Mittel wieder hineinzuholen, indem Sie den Arbeitnehmern zusätzliche Steuern aufbürden. Nichts anderes heißt doch eine Hebesatzmöglichkeit bei der Einkommenssteuer für die Kommunen. Das ist eine Verlagerung von Unternehmenssteuern auf die Steuerlast der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Genau das wollen wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren. (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Ihrem Berliner Programm steht darüber hinaus etwas von unbegrenzter Verrechnung von Gewinnen und Verlusten, und zwar unabhängig davon, ob die Konzerne ihre Unternehmen im Inland oder Ausland stehen haben. Weshalb haben wir denn eine Mindeststeuer eingeführt, damit wir von diesen Unternehmen in diesem Land überhaupt noch Steuern einnehmen können und wir ihnen nicht die Türen öffnen zu jeder Steuergestaltungsmöglichkeit? Dabei machen Sie die Türen weit und weiter auf. Sie werden sehen, dass auf diesem Weg nichts mehr hineinkommt. Sie werden auch damit nicht die Wettbewerbsmöglichkeit schaffen.
Sie haben festgestellt, wir hätten kein Steuerkonzept. Ich gebe Ihnen gern den Entwurf unseres Bundestagswahlprogramms. Vielleicht verfolgen Sie die Debatte am Wochenende; denn das kann lehrreich sein. Wir haben einen Grundsatz für die Weiterentwicklung des Steuerrechts und für den Ansatz der Probleme in diesem Land. Das bezieht sich einmal auf die Senkung der Lohnnebenkosten, insbesondere im Niedriglohnbereich, weil genau das der Hebel ist, um weitere Abwanderungen in die Schwarzarbeit zu verhindern. Damit werden wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen.
Für uns gilt außerdem der Satz noch, dass Eigentum verpflichtet. Für Sie gilt der Satz offensichtlich nicht. Unsere Steuervorschläge beinhalten natürlich eine Veränderung bei der Erbschaftssteuer. Sie beinhalten auch die Überprüfung und Neuformulierung einer Vermögenssteuer, um in diesem Bereich Einkommen und Vermögen heranzuziehen zur Finanzierung der Aufgaben des Staates. Ohne diese Möglichkeiten werden wir es nicht schaffen, die notwendige soziale, verkehrliche und sonstige Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Ohne diese Mittel rutscht das Land ab in eine soziale Ungleichheit, die wir nicht verantworten wollen und auch nicht mitgestalten werden. (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)