Protocol of the Session on October 7, 2004

Ich will zu Beginn etwas zur gesamtwirtschaftlichen Ausgangslage sagen. Das haben beide Vorredner auch gemacht. Das geschah in unterschiedlichem Tenor. Ich will es anders als Herr Dr. Böhr darstellen. Ich glaube, man kann feststellen, die deutsche Wirtschaft hat die Stagnation überwunden, die uns drei Jahre lang begleitet hat. Sie steht am Beginn einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die wirtschaftliche Belebung vor allen Dingen vom Export getragen wird. Das ist die Entwicklung in den USA und in Südostasien, dort insbesondere in China.

Wir sehen, dass sich die Dynamik bei den Ausrüstungsinvestitionen verstärkt. Das ist ein Trend, den wir über lange Zeit nicht beobachten konnten. Wir sehen, dass der private Konsum immer noch verhalten ist. Das ist ursächlich damit verbunden, dass wir eine sehr schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt haben.

Wenn wir sehen, was wirtschaftswissenschaftliche Institute prognostizieren und was dem Entwurf des Bundeshaushalts 2005 zugrunde liegt, dann sind das andere Wachstumsraten als die, über die wir in der vergangenen Woche gesprochen haben. Die Institute prognostizieren mittlerweile größtenteils noch höhere Wachstumsraten. Das sind alles Dinge, die wir drei Jahre lang nicht erlebt haben. Herr Dr. Böhr, das war Ihnen nicht ein Wort und eine Bemerkung wert. Das finde ich schon bemerkenswert.

(Zuruf des Abg. Lelle, CDU)

Meine Damen und Herren, mit der Agenda 2010, mit der Steuerreform 2000 wurden auf Bundesebene Maßnahmen ergriffen, die einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der strukturellen Probleme erwarten lassen. Sie kommen nicht alle sofort zum Tragen, weil Veränderungen und Effekte, die sich auf die Funktionsweise des Arbeitsmarkts, auf das Gesundheits- und Rentensystem, auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe beziehen, nicht sofort eintreten. Das geschieht verzögert in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt und bei der Zustimmung der Parteien, die diese Reformen auf den Weg gebracht haben. Diese zögernde Zustimmungssteigerung stellen wir jetzt schon fest. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie stellen dies auch fest.

Wir ermöglichen mit diesen Strukturreformen auf Bundesebene, Lohnnebenkosten zu senken. Wir sorgen bezüglich demographischer Probleme und deren Auswirkungen vor.

Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, darauf kann sich niemand ausruhen. Das gilt auch für die rotgrüne Bundesregierung. Der Reformkurs darf nicht aufhören. Er muss darauf zielen, dass entstehende Gerechtigkeitslücken beseitigt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit meine ich, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe entschlossen angegangen werden muss. Man muss offen sein für Modifikationen, wenn sich herausstellt, dass sich in Form der Grunds icherung eine Armut festgemacht hat. Wir müssen dann reagieren. Das müssen wir sehr genau begleiten, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einem nächsten Schritt bei dieser Reformagenda brauchen wir die Einführung der Bürgerversicherung. Das ist ein Versicherungsmodell, das auf Solidarität und Wettbewerb basiert. Das dient als Grundlage für eine Reform der Krankenversicherung. Das bedeutet, jeder zahlt mit Einkommensbezug und unter Einbeziehung aller Einkommensarten ein. Nur so bekommen wir ein leistungsfähiges, solidarisches und vor allen Dingen bezahlbares Versicherungssystem hin, Herr Dr. Böhr. Herr Mertes hat Ihnen die Zahl von ungedeckten 40 Milliarden Euro vorgehalten. Ich will mich auf das beziehen, was aus Ihren eigenen Reihen von Herrn Seehofer und anderen aus Ihrer Schwesterpartei genannt wird, nämlich dass Sie eigentlich auf eine Deckungslücke von 100 Milliarden Euro mit Ihrem Konzept zusteuern. Das ist weder bezahlbar, solidarisch noch umsetzbar.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist diese Haushaltsdebatte mit einer gewissen Art von Optimismus zu führen. Durch die Veränderungen auf Bundesebene und durch die eingeleiteten Reformschritte wurde ein Veränderungsprozess auf den Weg gebracht. Ich sage noch einmal, der von Herrn Mittler gestern vorgetragene Optimismus wirkte eher wie gedopt als überzeugt.

Denn wenn wir nach 13 Jahren Rotgelb und nach bald zehn Jahren Kurt Beck auf diesen Doppelhaushalt, der uns vorgelegt wurde, schauen, wirkt dieser merkwürdig saft- und kraftlos. Ich weiß, buntes Schillern war noch nie Ihre Stärke, aber so wenig Farbe und so wenig Verantwortung für die drängenden Zukunftsfragen eines Landes habe ich hier noch nicht erlebt. Das sage ich ganz ausdrücklich auch in Anbetracht der Visionen, die hier eben von Herrn Mertes angeführt wurden. Diese Visionen finden sich in diesem Haushalt nicht durchgehend. Das will ich Ihnen auch deutlich machen.

(Lelle, CDU: Genauso ist es!)

Ich finde, viel mehr merkt man die Versäumnisse aus langen Jahren, weil Sie wenig mutige Entscheidungen zum Sparen getroffen haben, weil Sie wenig mutige Entscheidungen zum echten Subventionsabbau getroffen haben, weil Sie wenig mutige Entscheidungen zum

Abbau von öffentlichen Aufgaben getroffen haben und weil Sie keine echte Vorsorge für die explodierenden Personalkosten, insbesondere für die Versorgungsleistungen für eine älter werdende Beamten- und Beamtinnengesellschaft, getroffen haben.

(Ministerpräsident Beck: Na, na!)

Aber das war alles lange vorhergesagt. Das war auch lange vorher gerechnet. Allein Sie erschöpfen sich – auch da muss ich Herrn Mertes widersprechen – jetzt eher in einem Koalitionsgezänk als in enger Koalitionsverbundenheit. Vor allen Dingen wollen Sie vor der nächsten Wahl keine unangenehmen Wahrheiten auspacken, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Haushalt läuft Ihnen aus dem Ruder. Ihre Tricksereien, Ihre ungedeckten Wechsel auf eine rosige Zukunft weisen wir Ihnen seit Jahren nach. Jetzt natürlich bei einem Haushalt, der in ein Landtagswahljahr hineinzeigt, fehlt Ihnen erst recht der Mumm für zukunftsweisende Entscheidungen.

Ich sage Ihnen, Ihre Schwerpunktsetzungen im Haushalt gehen zulasten der Zukunft, da Sie sie mit Schulden und mit Vermögensveräußerungen bezahlen. Das ist das altbekannte Muster der Landesregierung. Mit diesem Haushalt führen Sie es fort und machen keine Kehrtwende, meine Damen und Herren.

Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Mehr getrieben als aus innerer Überzeugung wird bei den Hochschulen Besserung versprochen. Aber die versprochenen und dringend notwendigen Millionen kommen dort nicht an. Aber so gewinnt man nicht Zukunft, so setzt man sie aufs Spiel.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Personalkostenentwicklung versuchen Sie, sich durch Ausgabenverlagerungen von der LBB über den LSV und jetzt zur Universität Mainz gesundzurechnen. Ich sage nicht, dass es falsch ist, dies in eigene Betriebe und Globalhaushalte zu verlegen, aber wenn man einen Überblick über die Personalkostenentwicklung des Landes gibt, muss man diese natürlich mit einbeziehen. Das tun Sie nicht; denn dann müssten Sie feststellen, dass die Summe der Ausgaben für Personalkosten in diesem Haushalt nicht weniger, sondern mehr wird. Zusammengenommen macht die Personalkostenquote 48 % des Haushalts aus. Stellen Sie sich das einmal vor. 48 % ist fast die Hälfte dieses Landeshaushalts. Wenn das in diesem Tempo der Steigerung weitergeht – ich sehe nicht, dass Sie eine Wende einleiten – und wenn das in dem Tempo mit dem Anstieg der Versorgungsleistungen weitergeht, dann wird es noch mehr werden als die 48 %. Das wird diesem Land letztendlich die Luft für weitere Veränderungen und Verbesserungen, die notwendig sind, abdrücken, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als weiteres Beispiel nenne ich Zukunftsinvestitionen in die Kinderbetreuung. Herr Mertes hat es angesprochen.

Ich bin froh, dass Sie die U-3-Betreuung in den Mund genommen haben, aber es fehlt Ihnen doch wirklich der Wille, in diesem Bereich energisch und zügig voranzugehen.

(Hartloff, SPD: Das ist eine Behauptung, die durch nichts belegt ist!)

Das ist keine Behauptung, die durch nichts belegt ist. Schauen Sie doch bitte einmal in Ihren Haushalt hinein. Wo machen Sie hier einen Push in diesem Bereich.

(Mertes, SPD: Wir streiten erst einmal mit denen, die Mittel geben müssen!)

Es fehlt Ihnen der Wille, auf dem von Rotgrün vorgezeichneten Weg im Bund mitzugehen und dafür entsprechend viele Euros lockerzumachen, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mertes, SPD: Das ist doch kein Weg, das ist ein Trampelpfad!)

Wo wir bei der Kinderbetreuung sind, die neuen Millionen, die Sie für die Kinderbetreuung veranschlagen, sind Gelder der Kommunen. Ich würde Sie bitten, dass Sie das immer dazusagen. Sie verfügen da nämlich über Mittel der Kommunen. Sie rechnen es sich aber in Ihrer persönlichen und politischen Lobeshymne immer dem Land an. Es sind Gelder der Kommunen. Ich finde es richtig, weil diese auch dafür zu sorgen haben. Aber ich finde, es gehört dazugesagt, dass es Gelder der Kommunen sind, und es gehört dazugesagt, dass Sie gleichzeitig die Investitionsmittel, die vom Land kommen, in diesem Haushalt für die Kindertagesstätten und für die Kinderbetreuung zurückfahren.

(Schmitt, CDU: So ist das! Richtig!)

Das ist die ganze Wahrheit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Beck: Das sind Finanz- ausgleichsmittel! Wieso sind das Mittel der Kommunen? Wenn ich so etwas höre!)

Statt im Großen das Ruder herumzuwerfen, versuchen Sie im Kleinen, etwas Licht auf das Alltagsgrau Ihres Haushalts zu werfen. Ich habe das über das Frühjahr, über den Sommer, über den Herbst, der jetzt beginnt, wieder beobachtet: Preisverleihungen, PR-Aktionen, jede Menge Gutachten. – Jedes Gutachten, das vorgestellt wird, wird mit einem Medientermin des Professors oder manchmal auch einer Professorin – aber das ist immer noch seltener – mit dem Minister oder der Ministerin wohlfeil dargestellt, aber oft auch in hohem Maße unverbindlich. Offen bleiben die bleibenden Wirkungen auf die praktische Politik.

Meine Damen und Herren, wenn ich schon bei den zentralen Punkten Ihrer Mängelverwaltung bin, nicht einmal bei Ihren eigenen Renommierprojekten haben Sie die Lage im Griff. Aus Ihren so genannten Leuchttürmen

werden nach und nach schwarze Löcher, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mertes, SPD: Oh!)

Ein Beispiel ist das Arp-Museum:

(Mertes, SPD: Was glauben Sie, wie wir darunter leiden?)

seit 13 Jahren versprochen, seit 13 Jahren auf wackligen Füßen mit windigen Millionen-Finanzierungen und mit zweifelhaften Partnern. – Wenn Sie darunter leiden, kann ich Ihnen eine Empfehlung geben: Nicht einfach leiden und aushalten, sondern dann zupacken und etwas verändern. Schauen Sie in den Haushalt hinein. Mittlerweile sind die von Ihnen erwarteten Kosten um weitere 6 Millionen Euro auf fast 33 Millionen Euro davongelaufen. Damit ist es das teuerste Bauprojekt außerhalb des Hochschulbaus oder außerhalb des Baus von Justizvollzugsanstalten.

(Bracht, CDU: Alles über Schulden! – Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

Ja, ja. Ich habe es aber nur einmal in der Größenordnung verglichen. Das alles, weil Sie es nicht geschafft haben, rechtzeitig die Kurve zu bekommen. Das ist das Problem mit Ihren Renommierprojekten. Sie renommieren gern und zahlen aber später dann dafür, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die größte öffentliche Baustelle des Landes, der Flugplatz Ramstein, glänzt mit viel zitierten Merkwürdigkeiten, aber auch mit Kostensteigerungen für das Land – auch das ist im Haushalt veranschlagt –, die natürlich nicht vorherzusehen waren und wo Gelder nachgeschossen werden müssen, allerdings ohne dass wir jetzt in diesem Haushalt erkennen können, dass ein echter Gewinn für die von Fluglärm geplagten Menschen aus der Pfalz dabei herausspringt. Das hätten wir uns anders vorgestellt. Darum haben wir auch immer auf andere Umsetzung gedrängt, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo wir schon in der Pfalz sind, kann ich Ihnen auch nicht ersparen, über den WM-Ausbau des Fritz-WalterStadions zu sprechen. Ich bin Fußballfan. Ich bin auch Rheinland-Pfalz-Fan. Aber ich interessiere mich für das gesamte Land Rheinland-Pfalz und für die Anliegen aller Bürgerinnen und Bürger. Ich finde, in einer solchen Gesamtkonstellation muss man sich in einer solchen haushaltspolitischen Situation jede Million überlegen, die in diese WM-Ausrichtung gesteckt wird, und zwar gut überlegen. Da setzt meine Kritik an. Die haben Sie sich nicht gut überlegt. Es gab ein kritisches Kostenmanagement ohne ein Eingreifen von Ihnen. Es gab keine Frage nach dem Warum und Wofür, warum sich die Kosten so entwickeln und wofür, und schon gar nicht danach, ob der WM-Auftritt der Pfalz mit den Protago