Protocol of the Session on July 1, 2004

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Damit ist der erste Teil der Aktuellen Stunde beendet.

Ich rufe das zweitenThema der

AKTUELLEN STUNDE

auf:

„Geringe Wahlbeteiligung – Wahlpflicht die falsche Anwort“ auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/3263 –

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Grützmacher das Wort.

Herr Zuber, so ist das manchmal. Da wirft man einen kleinen Stein ins Wasser – nämlich das Reizwort „Wahlpflicht“ –, und der zieht dann plötzlich ganz große Kreise.

(Pörksen, SPD: Oh! Was für Kreise? – Hartloff, SPD: Dann wird es wenigstens diskutiert!)

Ja genau.

Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN haben es schon mehr als einmal erfahren, wie wichtig es ist, durch eine gezielte Provokation eine wichtige und richtige Diskussion anzustoßen. Herr Zuber, das haben Sie mit Ihrem lauten Nachdenken über die Wahlpflicht auf jeden Fall erreicht. Dass diese Diskussion um die Wahlbeteiligung wichtig und notwendig ist, darin besteht sicher in diesem Haus große Übereinstimmung. Wir sind alle unzufrieden und besorgt, wenn die Beteiligung an Wahlen niedrig ist, wenn sie sich auf 50 % zubewegt und sogar noch weit darunter liegt. Wir sind uns einig, dass es wichtig ist, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger ihr Recht auf Beteiligung an der politischen Willensbildung durch Wahlen wahrnehmen. Wir haben auch immer ein bisschen spöttisch auf die amerikanischen Zustände geschaut, wo ein Präsident in der Regel nur von 25 % bis 30 % der Wahlberechtigten gewählt wird.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns aber hüten, auf die Frage, wie man die Bürgerinnen und Bürger

wieder stärker zum Wählen motivieren kann, allzu einfache Antworten zu geben. Die Wahlpflicht ist eine zu einfache Antwort; denn sie ist in keinem Fall geeignet, das zu erreichen, was wir eigentlich wollen, nämlich das Interesse und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für die Politik auf allen Ebenen zu wecken und zu fördern. Darum sollten wir und auch Sie, Herr Zuber, diesen Vorschlag so schnell wie möglich wieder in der Schublade verschwinden lassen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was können wir tun? Zuerst einmal sollte uns allen klar sein – das halte ich für ganz wichtig; deswegen stelle ich das auch an den Anfang –, dass man den Menschen, die nicht wählen gehen, nicht automatisch unterstellen darf, dass sie kein politisches Interesse haben.

(Keller, CDU: So ist es!)

Das wird schon allein dadurch ganz deutlich, dass es bei diesen Stichwahlen am letzten Sonntag neben natürlich sehr niedrigen auch sehr hohe Wahlbeteiligungen gab, zum Beispiel bei den Wahlen zum Ortsbürgermeister in Rhodt – dort sind 75 % zur Wahl gegangen – oder in Minfeld. Dort sind 79,7 % zur Wahl gegangen.

Erschreckend ist dagegen teilweise die äußerst niedrige Wahlbeteiligung bei den Stichwahlen der Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen. In Trier-Nord gingen nur 11,9 % zur Wahl. In Mainz und Ludwigshafen sah es bei den Stichwahlen auch nicht besser aus.

Meine Damen und Herren, wir wollen doch wohl nicht behaupten, dass die Bürgerinnen und Bürger in Rhodt und Minfeld politisch interessierter und engagierter als die Wählerinnen und Wähler in Trier und Ludwigshafen sind.

Meine Damen und Herren, hier lässt sich – wie ich meine – schon eine ganz wichtige Ursache für die hohe bzw. niedrige Wahlbeteiligung ausmachen. Die Wahlen zu den Ortsbürgermeisterinnen oder Ortsbürgermeistern werden deswegen von den Bürgerinnen und Bürgern ernst genommen, weil dieses Amt viel Einfluss und Macht in einer kleinen Gemeinde bedeutet. Es ist daher für die meisten Stimmberechtigten in dieser Gemeinde wichtig, dass sie durch ihre Stimmabgabe dabei mitwirken, wer dieses einflussreiche Amt bei ihnen im Ort einnehmen soll.

Ganz anders ist es aber bei den Ortsvorstehern. Die Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen haben nur sehr geringen Einfluss auf das Geschehen in ihrem Ortsteil. Von Macht kann man hier wirklich nicht reden. Das wissen auch die aufgeklärten und politisch interessierten Stimmberechtigten. Sie sagen sich zu Recht: Warum soll ich jemanden wählen, der sowieso nichts zu sagen hat?

Meine Damen und Herren, damit ist diese Nichtwahl auch eine politische Entscheidung. Sie fordert uns als Gesetzgeber und Gesetzgeberinnen heraus, darüber nachzudenken, wie wir hier eine Änderung herbeiführen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns GRÜNE wird aus diesen Zahlen deutlich, wenn wir die Direktwahl der Ortsvorsteher wieder wichtiger für die Bürgerinnen und Bürger machen wollen, wenn wir damit, dass sie wichtig ist, auch wieder mehr Menschen motivieren wollen, dass sie zur Wahl gehen, dann müssen die Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen auch wieder mehr Kompetenzen erhalten. Das ist unserer Meinung nach die Botschaft – – –

(Pörksen, SPD: Was heißt denn hier „wieder“?)

Ja gut, „wieder“ ist vielleicht falsch. Da haben Sie Recht. „Mehr Kompetenzen erhalten“ trifft es besser.

Das ist unserer Meinung nach die Botschaft, die uns gerade die Stimmberechtigten, die nicht zu den Wahlen gegangen sind, übermitteln wollen. Darüber sollten wir auch über diese Wahl hinaus nachdenken.

Meine Damen und Herren, ich habe meine erste Rede bei dieser Aktuellen Stunde ganz stark auf die Kommunalwahlen und auf die Stichwahlen konzentriert. Es gibt aber natürlich noch eine zweite Ebene, wo wir mit der Wahlbeteiligung auch nicht zufrieden sind. Das ist die europäische Ebene. Dazu werde ich dann im zweiten Teil noch etwas sagen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Pörksen das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bei der Aussprache zu einem Thema heute Morgen hat Frau Kollegin Grützmacher von den GRÜNEN auch gesprochen und gesagt, die Not der CDU müsse sehr groß sein – – –

(Unruhe im Hause)

Soll ich noch lauter reden?

Entschuldigung, wir haben mit der Uhr gekämpft.

Das wird mir jetzt aber nicht abgezogen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Kollegin Grützmacher hat heute Morgen anlässlich der Aussprache zu einem Thema gesagt, die Not der CDU müsse groß sein, dass sie auf dieses Thema verfallen sei. In der Mittagspause habe ich erfahren, dass der Kollege

Baldauf heute Morgen eine Besuchergruppe hatte. Also hatten sie mindestens einen Grund. Sie hatten nicht einmal diesen, Frau Kollegin.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Was hätten Sie nur gemacht, wenn sich Herr Minister Zuber am Wahlsonntag nicht geäußert hätte? Sie brauchten bis gestern Mittag 11:56 Uhr, um darauf zu kommen, dass das ein wichtiges Thema für eine „hoch aktuelle Stunde“ sei. Das war vier Minuten vor Ablauf der Frist.

(Beifall des Abg. Creutzmann, FDP)

Also wissen Sie, das überzeugt nicht so wahnsinnig.

(Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Thema! – Zuruf der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offensichtlich war Herr Minister Zuber zumindest ein Rettungsanker für Sie. Das war natürlich auch etwas Positives.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sagen Sie einmal etwas zur Wahlpflicht!)

Diese etwas große Aufgeregtheit zu dem Thema, die nach der Äußerung von Minister Zuber vom letzten Sonntag durch den Blätterwald geisterte, scheint mir doch etwas reduziert werden zu müssen.

Es ist sicherlich ein wichtiges Thema, und ich komme auf dieses Thema gleich noch einmal zurück.

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es hat mich bei dieser Frage doch schon etwas am üsiert, dass man vonseiten der CDU zwei Tage hintereinander, zuerst Herr Kollege Schnabel und dann noch der Fraktionsvorsitzende, dasselbe sagt und eine Presseerklärung herausgegeben hat.

Was war geschehen? Herr Kollege Zuber hat am Sonntag nach Durchführung der Stichwahl im Landkreis Alzey-Worms, auch in Kenntnis des Sieges, gesagt, ihn bekümmere die Wahlbeteiligung sehr. Dann kam der inkriminierende Vorschlag, man müsse über Wahlpflicht nachdenken. Andere haben es getan und eingeführt. Was daran so schlimm sein soll, über etwas nachzudenken, kann ich nicht ganz erkennen;