Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass sich die Schullaufbahnempfehlungen in der Praxis laut dieser eben schon zitierten Studie häufig an sozialen Kriterien, wie zum Beispiel am Bildungsniveau der Elternhäuser, orientieren.
Sie wirken damit auch noch verstärkt sozial selektiv in unserem sowieso schon sehr sozial selektiven Schulsystem, weil sie Schülerinnen und Schülern bei gleicher Leistungsfähigkeit, aber unterschiedlicher sozialer Herkunft unterschiedliche Übergangsempfehlungen ausstellen.
Bei den Empfehlungen werden Kinder aus einkommensstarken Elternhäusern oft begünstigt, aus ärmeren Familien trotz gleicher Leistungsfähigkeit benachteiligt.
Meine Damen und Herren, für uns GRÜNE steht fest, die Entscheidung über eine weiterführende Schulform nach der vierten Klasse ist ohne Wenn und Aber falsch.
Wir brauchen endlich leistungsfähigere und tatsächlich gerechtere Schulen mit einem längeren gemeinsamen Lernen und einer besseren individuellen Förderung. Das muss Ziel jeglicher bildungspolitischer Reformen sein;
Herr Kollege Kuhn, daran sollten wir uns orientieren. Es darf nicht sein, dass aufgrund eines sozial ungerechten Auswahlverfahrens wie der Schullaufbahnempfehlung,
das offenkundig noch nicht einmal zuverlässig ist, fundamentale Bildungs- und Lebenschancen verteilt werden.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren diese Frage heute vor allem vor dem Hintergrund des Wahlkampfs. Ich denke, es ist klar, dass es in einem solchen Wahlkampf die unterschiedlichen Parteien gibt, die übrigens nicht mit den Fraktionen komplett deckungsgleich sind.
Es werden heute von Herrn Wiechmann ganz gezielt die Parteiprogramme angesprochen. Es ist klar, dass, wenn unterschiedliche Parteien in einem Parlament sitzen, es auch unterschiedliche Wahlprogramme gibt.
Meine Damen und Herren, für die FDP steht im Mittelpunkt, Kinder und Jugendliche so optimal wie möglich in unseren Schulen zu fördern. Dabei dürfen Bildungschancen nicht vom sozialen Hintergrund des Elternhauses abhängen. Die Förderung muss so leistungsgerecht wie möglich sein.
Gerade die Schnittstellen und die Übergänge in unserem Bildungssystem bedürfen des besonderen Augenmerks. Wir haben im Bereich Kindertagesstätte/Grundschule in der Koalition einiges erreicht.
Die FDP hat zum Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule und bezüglich der Schullaufbahnempfehlung eine klare Position. Wir möchten die Schullaufbahnentscheidung im Interesse der betroffenen Kinder sicherer machen. (Beifall der FDP)
Wir können uns jedes Mal wieder die Statistik der Schulartwechsler ansehen, und dann sehen wir jedes Mal, dass es mehr Abstiege vom Gymnasium auf Haupt-, Real- und Regionale Schulen gibt, als es letztendlich Entwicklungen gibt, die dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler im gegliederten Schulwesen aufsteigen. Diese Schüler, die Absteiger, haben bereits tief greifende Misserfolgserfahrungen gemacht, und oft prägt das auch die gesamte weitere Entwicklung.
Wir möchten zum einen dann, wenn die Schullaufbahnempfehlung der Grundschule vom Wunsch der Eltern abweicht, also wenn es keine Einigung gibt, einen Probeunterricht oder eine Aufnahmeprüfung an der gewünschten weiteren Schule ermöglichen. Ich glaube auch, dass es in diesen Fällen sinnvoll wäre, weitere diagnostische Instrumente, wie zum Beispiel schulpsychologische Eignungsuntersuchungen und Schullaufbahnberatungen, einzusetzen.
Es geht nicht darum – das möchte ich ganz deutlich sagen –, sich für Eltern oder für Lehrerinnen und Lehrer als bessere Diagnostiker zu entscheiden oder die beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es muss darum gehen, die zu treffende Entscheidung im Interesse der betroffenen Kinder abzusichern.
Ich halte es deshalb auch für gut, dass meine Partei sich weiter dafür ausspricht, die Schullaufbahnempfehlung künftig durch die Einführung abschlussbezogener Standards für Grundschulen zu untermauern.
Die Vergleichsarbeiten zu Beginn der vierten Klasse geben schon jetzt sehr wichtige Hinweise auf die Entwicklung der Kinder, und man kann eine bessere Vergleichbarkeit gewährleisten, wenn man sie durch die Überprüfung schulübergreifend gültiger Standards sicherstellt. Das dient auch der Vergleichbarkeit zwischen den Grundschulen, da sich die aufnehmenden Kinder bei der weiterführenden Schule aus verschiedenen Grundschulen zusammensetzen.
Außerdem sollte man meiner Ansicht nach auch Daten über die Treffsicherheit von Schullaufbahnempfehlungen erheben und den jeweiligen Grundschulen zurückmelden, um die Diagnosefähigkeit in diesem Bereich weiter voranzubringen.
Lassen Sie mich noch kurz etwas zur Essener Studie sagen. Man muss mit den Daten auch vernünftig umgehen. Darüber, wie hoch tatsächlich die Fehlerquote bei der Prognose der Schule oder bei der Prognose der Eltern ist, sagt die Studie eigentlich nichts aus; denn wir haben eine Grundlage: Alle einschlägigen Untersuchungen stellen bei Schullaufbahnempfehlungen der Grundschule ungefähr eine Trefferquote von 70 % fest, das heißt, es gibt auch immer 30 % Fehleinschätzungen.
Bei der Freigabe des Elternwillens – das zeigt die Essener Studie – kommt noch einmal natürlich ein geringerer Teil – da haben Sie Recht – kumulativ hinzu. Im Prinzip zeigt das nur die additiven Anteile. In den anderen Fällen haben offensichtlich beide Partner, die Eltern und die Grundschule, die Lernentwicklung des Kindes falsch eingeschätzt. Das spricht eher für eine bessere Absicherung als dagegen.
Lassen Sie mich dann noch ein paar Worte zur Forderung der GRÜNEN nach der neuen Einheitsschule sagen. Sie begründen das immer mit den PISA-Siegern.
Wenn man sich PISA einmal genau ansieht, muss man zum einen sagen, dass die OECD-Studie keine klaren Aussagen für integrierte Systeme trifft; denn nicht nur die Sieger, sondern auch die Verlierer wie Mexiko oder Brasilien haben integrierte Schulsysteme. Wir müssen dann auch die Variablen jeweils vor dem Hintergrund der Lernkulturen in den Ländern sehen.
Aus PISA E wissen wir, dass im Jahr 2000 in Deutschland die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg am besten abgeschnitten haben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst will ich meinerseits mein Erstaunen über den Antrag der FDP zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren der FDP, Sie haben es doch ermöglicht, dass man die verbindliche Schullaufbahnempfehlung abgeschafft hat.
Was dahintersteht, haben wir heute von Herrn Wiechmann gehört, nämlich klar die Absicht – ich weiß, dass weite Teile der SPD diesen Gedanken hegen –, dass hiermit die Schullandschaft ausgehebelt werden sollte und könnte. Das vorweg.