Protocol of the Session on October 18, 2001

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei muss die Frage eine entscheidende Rolle spielen, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen wirklich dazu geführt hätten, einen der Attentäter bei uns in Deutschland früher zu erkennen. Die Diskussion über die Wirksamkeit und die Verhältnismäßigkeit der angedachten und vorgeschlagenen Maßnahmen ist mindestens ebenso wichtig wie die Sicherheitsmaßnahmen selbst. In dieser Hinsicht stimme ich Herrn Zuber ausdrücklich zu.

Meine Damen und Herren, deshalb ist nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch besonnenes Handeln unter strenger Beachtung des rechtsstaatlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Mittel gefordert. Dazu gehört eine genaue Begründung, weshalb die neuen Sicherheitsgesetze unverzichtbar sind und weshalb die alten nicht ausreichen.

Meine Damen und Herren, für uns von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehört zu besonnenem Handeln auch, dass wir in der Flut der neuen Maßnahmen, Richtlinien und Gesetze die Frage stellen, wie wir unsere Weltoffenheit und unsere Freizügigkeit – von der wir alle profitieren – erhalten können.

In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Tagung an der Mainzer Universität in der vergangenen Woche, bei der es um die Internationalisierung der Hochschulen ging und bei der vom Veranstalter, dem World University Service, die bange Frage gleich im Titel nachgeschoben wurde: Internationalisierung der Hochschulen ohne ausländische Studenten?

Auf der Veranstaltung hat es Gerd Köhler vom GEWVorstand auf den Punkt gebracht: „Der verbrecherische Missbrauch des Gastrechts durch einige ausländische Studenten darf nicht dazu führen, dass die Öffnung der Hochschulen in Frage gestellt wird.“

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Creutzmann, FDP: Wer will das denn? – Böhr, CDU: Wer tut das? – Pörksen, SPD: An wen halten Sie diese Rede? An uns?)

Meine Damen und Herren, das ist eine Herausforderung, vor der wir stehen. Dazu habe ich heute sehr wenig gehört. Wie kann man eine stärkere Öffnung nicht nur der Hochschulen, sondern überhaupt der Gesellschaft für Menschen aus dem Ausland vornehmen, so wie sie die Green Card und auch der Bericht der Einwanderungskommission gewollt haben? Wie kann das einhergehen mit den Maßnahmen zur Herstellung einer größeren Sicherheit in Deutschland? Beides muss man zusammen sehen, und beides muss zusammengehen. Das ist die Herausforderung. Herr Zuber, in Ihrer Rede finde ich nur die eine Seite. Das ist in der aktuellen Situation eine Vernachlässigung.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es besteht unverkennbar die Gefahr, dass die Angst vor islamistischen Terroristen und die Sorge, auch wir könnten die Ziele von Anschlägen werden, von einem Teil der Politik dazu benutzt wird, Angst und Misstrauen gegen Ausländerinnen auch in Deutschland zu schüren und sie mit der Debatte um die Zuwanderung von Arbeitskräften zu vermischen. So ist zum Beispiel nach der Meinung von Bayerns Ministerpräsidenten Stoiber ein Zuwandungsgesetz wegen der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen untragbar – so sagt er – und man dürfe in diesem Bereich keine neuen Risiken zulassen. So Bayerns Ministerpräsident im „Handelsblatt“ vom 12. Oktober.

Meine Damen und Herren, wir warnen vor einer neuen Form subtiler Fremdenfeindlichkeit unter der Fahne der Terrorismusbekämpfung. Wir müssen im Gegenteil alles tun, damit vor allem bei den Ausländerinnen nicht der Eindruck entsteht, dass die eigentliche Triebfeder dieser sich überschlagenden Gesetzesverschärfungen nicht die Bemühungen um mehr Sicherheit sind, sondern eine latente Fremdenfeindlichkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir müssen auch sehen, dass von den aktuellen Gesetzesverschärfungen zu 90 % Bürgerinnen nicht deutscher Herkunft und besonders Menschen muslimischen Glaubens betroffen sind. Das muss man auch einmal deutlich sagen.

(Pörksen, SPD: Das ist doch Quatsch!)

Diese Menschen haben in unserer Gesellschaft nur eine geringe Beschwerdemacht. Nicht nur deshalb, weil viele von Ihnen einen minderen Rechtsstatus haben als wir Inländerinnen, sondern auch weil sie unseren rechtsstaatlichen Institutionen wenig trauen, was oft, aber nicht

nur aus den Erfahrungen in ihrem Heimatland erklärlich ist.

Meine Damen und Herren, auch die Muslime in unserer Gesellschaft sind bereit, notwendige staatliche Maßnahmen zu unterstützen. Wir können aber wohl alle nachfühlen, dass sie sich durch die öffentliche Berichterstattung über die arabische – wie es manchmal heißt – oder islamische Bedrohung und die Ankündigung immer neuer Polizeimaßnahmen sehr verunsichert fühlen. Deshalb müssen wir uns intensiv mit der Frage befassen, wie die Rechtssicherheit der hier lebenden Migrantinnen verbessert werden kann und wie ihr Vertrauen in ein differenziertes Vorgehen des Staats gestärkt werden kann.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die selbstverständliche Konsequenz aus dem vielbeschworenen Satz, den viele Politiker, gleich welcher Couleur, so gern im Mund führen: Es darf keinen Generalverdacht gegenüber Muslimen, gegenüber Menschen aus arabischen Ländern, gegenüber Ausländerinnen geben. – Wer das sagt – das ist ein wichtiger Satz –, der muss auch sagen, was er dagegen tun will. Dazu sehe ich im Moment noch sehr wenige Vorschläge.

Meine Damen und Herren, unsere Forderung ist klar: Die rechtliche Stellung der hier lebenden Migrantinnen muss gestärkt werden, und es darf keine Zwei-KlassenGesellschaft für Migrantinnen geben. Das ist zum Beispiel auch völlig konträr gegenüber der Vorstellung des Bundesinnenministers, Ausländerinnen und Ausländer schon dann auszuweisen, wenn nur der Verdacht besteht, dass sie ein schweres Verbrechen begangen haben. Das stellt unser rechtsstaatliches Prinzip der Unschuldsvermutung auf den Kopf und erschüttert ein weiteres Mal den Glauben der Migrantinnen in unsere Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden nicht akzeptieren, dass Rechtsstaatlichkeit und Freiheit als zentrale Werte unserer Gesellschaft hinten angestellt werden; denn wenn wir das tun, hätten die Terroristen schon eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht. Wir wählen einen anderen Weg. Wir wollen mehr Sicherheit schaffen, ohne unsere freiheitlichen Grundwerte zu gefährden. Sicherheit herstellen und Freiheit sichern, darin sehen wir unsere Aufgabe. Jedes Mittel, jede Maßnahme, die zum Schutz der Bürgerinnen ergriffen wird, müssen wir daran messen, ob sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, um das Ziel zu erreichen, terroristisches Handeln zu verhindern und zu bekämpfen.

Es geht nicht darum, eine Debatte der Inneren Sicherheit um ihrer selbst willen zu führen. Es geht auch nicht darum, an die Debatten zur Inneren Sicherheit der letzten Jahre anzuknüpfen und diese mit immer neuen Vorschlägen zu übertrumpfen. Es muss immer gegenwärtig sein, dass die aktuelle Debatte der Inneren Sicherheit vor dem Hintergrund einer anderen Kultur und einer anderen Religion steht. Das erfordert deshalb eine klare

Abgrenzung und ein Höchstmaß an Sensibilität. Es geht nicht allein um bessere und effektivere Maßnahmen und Instrumente, sondern es geht auch um ihre Auswirkungen, Folgen und Nebenwirkungen, seien sie nun gewollt oder seien sie ungewollt.

Ich nenne nur einige Beispiele: So wurde auf der ersten Sitzung des Ausländerbeirats seit den Terroranschlägen in Mainz davon berichtet, dass in Darmstadt eine Kopftuch tragende Frau beschimpft und bespuckt worden sei, einem Mitglied der interkulturellen politischen Liste der AStA an der Universität Mainz gedroht wurde, ihm den Schlüssel zum AStA-Büro abzunehmen,

(Pörksen, SPD: Was halten Sie eigentlich für eine Rede?)

und ein muslimischer Inhaber eines Geschäfts in Mainz beschimpft wurde. Meine Damen und Herren, das zeigt, dass wir noch deutlicher kommunizieren müssen, dass wir uns gegen Terror und Gewalt wenden und nicht gegen eine Glaubensrichtung. Es geht darum, sich auf die Suche nach dem Täter zu beschränken und keine Gesinnungen und verdächtigen Meinungen zu verfolgen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nun zu den einzelnen Maßnahmen, die in diesem Bereich beschlossen wurden oder beschlossen werden sollen: Wir haben im Bereich Ausländerextremismus in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass der Extremismus auch von rechten Gruppen ausgeht, aber ein Vorgehen gegen „Graue Wölfe“ und islamistische Vereine, die offen zu Gewalt auffordern und mit Drohungen und Erpressungen Spenden sammeln, hat nie stattgefunden.

(Pörksen, SPD: Was erzählen Sie denn da?)

Wir unterstützen deshalb die Schaffung der Möglichkeit eines Verbots extremistischer Religionsgemeinschaften, wodurch es in Zukunft möglich wird, extremistische Gruppen, die unter dem Deckmantel der Religion operieren, verbieten zu können. Hierzu haben auch die christlichen Kirchen und zahlreiche muslimische Organisationen ihre Zustimmung erklärt. Diese Neuregelung ist kein Eingriff in die Religionsfreiheit.

Meine Damen und Herren, dieses Verbot muss aber auch von einem klaren Signal für einen Dialog der Religionen und der Kulturen begleitet werden. Da denke ich zum Beispiel an die Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht, der natürlich unter den gleichen Prämissen wie katholischer und evangelischer Religionsunterricht stehen muss. Das ist besonders aktuell.

Meine Damen und Herren, das wird aber nicht genügen. Wir müssen alle Anstrengungen unterstützen, damit auch in Deutschland und in Rheinland-Pfalz eine islam ische theologische Fakultät eingerichtet wird.

Der Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen muss auf allen staatlichen Ebenen verstärkt werden, und die für den Dialog erforderlichen Strukturen müssen so schnell wie möglich geschaffen werden.

Die Bundes-Ausländerbeauftragte Marie-Luise Beck hat deshalb die Einrichtung eines Rats der Muslime als Ansprechpartner und Beratungsgremium für die Bundesregierung angeregt. Wir sollten diese Anregung aufnehmen und auch auf Landesebene ein solches Dialoggremium schaffen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade jetzt kommt es darauf an, das Ziel einer modernen, humanitären Grundsätzen verpflichteten Regelung der Einwanderung nicht aus dem Auge zu verlieren. Den immer lauter werdenden Stimmen aus der Union, die ein Einwanderungsgesetz ganz ablehnen oder im Windschatten der Ereignisse ein Abschottungsgesetz durchsetzen wollen, erteilen wir eine Absage. Wir wollen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Sicherheit zu gewährleisten, das Einwanderungsland Deutschland zu gestalten, die Integration zu fördern und Flüchtlinge zu schützen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es geht um die Gewährleistung von Sicherheit. Wenn es darum geht, schließen wir uns ganz klar der Beurteilung des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum an. Er sagt nämlich: „Jetzt ist die Stunde der Polizei und nicht des Gesetzgebers.“ Das Instrumentarium, das Polizei und Verfassungsschutz zur Verfügung haben, reicht weitgehend aus. Das ist die einhellige Meinung fast aller Experten.

Meine Damen und Herren, es ist uns wichtig, festzuhalten, die öffentliche Sicherheit ist eine Aufgabe der Polizei. Das haben wir jedesmal betont, wenn vor allem von CDU und FDP wieder einmal die Forderung nach einer stärkeren Privatisierung polizeilicher Aufgaben kam.

Eine Privatisierung der Sicherheit, zu der auch die Sache mit den Polizisten „Light“ gehört, wie die CDU sie fordert, wird es mit uns nicht geben. Eine gut ausgebildete und gut bezahlte Polizei, die einer strengen parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle unterliegt, ist immer noch der beste Garant für uns ere Sicherheit.

Dabei sehen wir natürlich auch, dass die zusätzlichen Aufgaben im Moment, so wie Innenminister Zuber sie beschrieben hat, eine weitere Belastung der Polizei bedeuten. Wenn die personelle Stärke der Polizei auf dem jetzigen Stand bleiben soll – das wollen wir auch –, kann auf Dauer eine erfolgreiche Kriminalitätsbekäm pfung und Prävention nur aufrecht erhalten werden, wenn es zu einer Aufgabenverlagerung bzw. zu einer anderen Prioritätensetzung kommt.

Einen Weg hat Innenminister Zuber schon angedeutet. Es sollen mehr Verwaltungsangestellte eingesetzt werden, um Polizeibeamtinnen von organisatorischen Aufgaben zu entlasten.

Wir fordern allerdings auch, dass es im Hinblick auf die Bekämpfung von Terrorismus und Terroristen zu einer neuen Prioritätensetzung innerhalb der Kriminalitätsbekämpfung kommt. So muss die Bekämpfung von Geldwäsche, von Organisierter Kriminalität, sowie das Aus

trocknen der Finanzquellen des Terrorismus – hier ganz besonders des Drogenhandels – ganz entscheidend intens iviert werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Frage, wie nach den Terroranschlägen eine größere Sicherheit gewährleistet werden kann, wird neben der Polizei dem Verfassungsschutz eine tragende Rolle zugedacht.

(Kuhn, FDP: Ach was!)

Dabei lehrt uns ein Blick in die USA, dass die Hoffnung, Terroristen mit geheimdienstlichen Mitteln effektiv und effizient bekämpfen zu können, falsch ist. FBI und CIA geben – man höre und staune – pro Jahr 50 Milliarden Dollar aus. Trotzdem waren sie nicht in der Lage, diese furchtbaren Anschläge zu verhindern.

Meine Damen und Herren, auch in Rheinland-Pfalz haben wir immer wieder Kritik an der Arbeit des Verfassungsschutzes geäußert,