Protocol of the Session on January 18, 2006

Zum anderen glaube ich aber, dass in vielen Fällen mehr von demselben Unterricht uns leider keinen Schritt weiter bringen würde. Die Qualität des Unterrichts muss so sein, dass Politik authentisch erlebt werden kann, junge Menschen vor allem befähigt werden, sich selbst Möglichkeiten zu schaffen, aktiv an der Demokratie teilhaben zu können. Wenn wir das nicht schaffen, wird uns mehr Unterricht auch nichts nützen.

Noch einmal eine Stufe komplexer wird es in der Lebenswelt Betrieb/Hochschule. Gerade weil wir im Moment einen enormen Druck am Arbeitsmarkt haben, ist es bei jungen Menschen oft so, dass sie sich auf diesen Lebensabschnitt und auf die Aufgabe, die ihnen dort gestellt ist, voll konzentrieren möchten und dabei anderes nebenher oft wenig Platz hat. Allerdings geht es meistens gleichzeitig um junge Erwachsene, die in der Phase vieles über die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge erfahren und in vielen Bereichen plötzlich eine eigene Betroffenheit empfinden.

Wichtig ist, dass sich diese jungen Menschen da, wo sie lernen und arbeiten, direkt einbringen können, sei es die demokratische und kollegiale Teilhabe beispielsweise im kleinen Handwerksbetrieb oder die organisierte innerbetriebliche Teilhabe im größeren Unternehmen, sei es eine wirksame und vertrauensvolle Vertretung der Studierenden im Rahmen der verfassten Studierendenschaft oder ein Engagement in einem studienfachnahen Projekt.

Junge Menschen müssen auch in dieser Lebensphase Orte finden, an denen sie sich in ihren Augen Gewinn bringend engagieren können. Da kann man zum einen sagen, es muss von der Landesregierung gemeinsame Anstöße geben. Die kann man den Tarifpartnern für den betrieblichen Bereich geben.

Es sind natürlich aber auch – dabei schaue ich mir speziell den Rahmen der Hochschulen an – die jungen Erwachsenen gefragt mitzugestalten, was in diesen Bereichen passiert. In Eigenverantwortung sind sie genauso dafür mitverantwortlich, dass ihre Gremien nicht abschrecken, sie andere für ihre Arbeit und dafür begeistern können, bei ihnen mitzumachen.

Meine Damen und Herren, die größte Begeisterung, die uns mitgegeben wurde, lag meines Erachtens im kommunalen Umfeld in der organisierten und nicht organisierten Jugendarbeit. Das liegt in der Natur der Sache. Kinder und Jugendliche machen das in ihrer Freizeit mit einem großen Engagement, und zwar freiwillig, aber nicht in einem Umfeld, in dem sie sich ohnehin schon befinden. Deshalb macht es sehr viel Freude zu sehen, was dort passiert. Wir wissen, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt der Projekte sehen konnten, die es im Land gibt.

Man sieht auch, dass sehr viele Kompetenzen entstehen. Wir haben ein sehr großes Verantwortungsbewusstsein bei diesen Jugendlichen erlebt, außerdem einen großen Organisationsgrad, Führungskompetenzen, Kenntnisse über verwaltungstechnische Abläufe und vieles mehr. Ich bin der Meinung, ein Geheimrezept gibt es nicht. Was wir gesehen haben, war sehr vielschichtig. Grundsätzlich ist es aber sehr einfach: Man muss den Jugendlichen eine Möglichkeit geben, selbst ihre Umwelt zu gestalten und dabei Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Hierfür müssen wir ihnen Räume und Möglichkeiten bieten. Das bezieht sich auch auf die Akteure vor Ort. Wichtig ist eine Unterstützung in jeglicher Form dann, wenn sie notwendig ist und gewünscht wird.

Frustration entsteht beim Engagement in der Regel dann, wenn andere die Arbeit nicht zu schätzen wissen, wenn Erwachsene die engagierten jungen Leute abbügeln oder wenn sie im bürokratischen Dschungel stecken bleiben. Deshalb sehe ich eine besonders wichtige Aufgabe darin, gemeinsam mit Jugendlichen Wege zu finden, wie sie mit Frustrationen konstruktiv umgehen können.

Die größten Anforderungen wurden mit Sicherheit an die Medien gestellt. Unsere Vorsitzende, Frau BredeHoffmann, hat dies ausgeführt. Einerseits wird die Kritik geübt, die Angebote seien nicht jugendgerecht. Ande

rerseits gibt es sehr viele Best-Practice-Beispiele, bei denen Jugendliche beteiligt werden. Ich glaube, dass die Initiatoren dieser guten Beispiele gemeinsam mit den großen Medienmachern auch über dieses Problem diskutiert haben. Das ist ein erster wichtiger Schritt, der hoffen lässt, dass einige unserer Empfehlungen umgesetzt werden und sich in den Köpfen etwas bewegt.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, insgesamt ist es uns gelungen, ein fraktionsübergreifendes „Powerprogramm“ zusammenzustellen. Die CDU-Fraktion hat in ihrem Sondervotum zwei Bereiche angesprochen, bei denen sie anderer Meinung ist. Herr Wiechmann, Ihr Verhalten fand ich etwas schade. Sie haben sich zum Schluss immer mehr aus dem Abstimmungsprozess mit der Begründung ausgeklinkt, Sie hätten keine Zeit. Jetzt legen Sie uns ein Programm vor, mit dem Sie zum Ausdruck bringen wollen, dass sie die besseren Jugendlichen seien. Ich habe das Gefühl, dass vom Ansatz her eine ganz andere Herangehensweise gewählt worden ist, weil wir es geschafft haben, insgesamt ein völlig ideologiefreies Programm zu erstellen sowie einen Bericht, der dadurch geprägt ist, dass wir zugehört und aufgenommen haben. Sie hingegen erheben Forderungen, die ich weder bei den Besuchen noch in den Berichtsbögen festgestellt habe. Das gibt einem zu denken.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deswegen darf ich das nicht fordern? – Vizepräsidentin Frau Hammer übernimmt den Vorsitz)

Ich nenne einmal bürokratische Instrumente wie Ihre Klassenversammlungen, die Schulkonferenz in den beschriebenen bürokratischen Details. Das Wahlalter könnte ich Ihnen jetzt auch noch vorhalten. Hierbei liegen uns völlig andere Rückmeldungen von den Kindern und Jugendlichen vor. Natürlich entspricht das, was Sie geschrieben haben, Ihrer Parteiprogrammatik. Es entspricht meines Erachtens aber nicht der Arbeitsweise der Enquete-Kommission insgesamt.

(Beifall bei FDP und SPD – Kuhn, FDP: Jetzt bin ich aber erschüttert!)

Es ist bereits angesprochen worden, dass wir trotz des Umfangs des Berichts einen unvollständigen Bericht abgeliefert hätten.

(Pörksen, SPD: Unvollständig!)

Die Kollegin hat bereits angesprochen, was alles fehlt, nämlich die Geschlechterfrage, das Stadt-Land-Gefälle, die Migrationsfragen usw. All diese Themen haben wir nicht bearbeitet. Wir wollten gern auch Aussteiger und arbeitslose Jugendliche befragen und uns mit ihnen auseinander setzen. Auch das ist nicht gelungen. Zu einer guten Arbeitsweise gehört meiner Meinung nach aber auch, dass wir so etwas gewagt haben wie eine Kritik und einen Ausblick, was normalerweise zu einer gelungenen wissenschaftlichen Arbeit gehört. Auch das sollten sich weitere Landtage regelmäßig zu Gemüte führen; denn darin findet man einen guten Fundus, was

man noch tun kann, falls die 200 Seiten einmal abgearbeitet sind.

(Glocke der Präsidentin)

Deshalb nun mein Aufruf: Aufarbeiten, verbreiten, anpacken! Ich hoffe, dass uns in den nächsten Jahren einiges von dem, was wir zusammengetragen haben, gelingen wird.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP und der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Wiechmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es freut mich, dass ich schon häufiger in dieser Debatte erwähnt worden bin. Zunächst einmal möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, mich zu bedanken. Zuallererst bedanke ich mich bei allen Kindern und Jugendlichen sowie bei allen Expertinnen und Experten, die unsere Arbeit in den vergangenen anderthalb Jahren so kreativ, so konstruktiv und auch kritisch – das habe ich gerade vorhin in einem Gespräch mit jungen Menschen noch einmal mitbekommen – begleitet haben. Gleichzeitig bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, vor allem bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen sowie auch bei allen Kolleginnen und Kollegen und bei allen Sachverständigen, insbesondere bei unserer Vorsitzenden, Frau Brede-Hoffmann.

Liebe Ulla,

(Schweitzer, SPD: Ihr seid ganz schön per Du!)

dir einen ganz herzlichen Dank für die größtenteils wirklich gute Zusammenarbeit und für die sehr unkonventionelle Art und Weise der Arbeit, auf die wir uns alle gemeinsam eingelassen haben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

Meine Damen und Herren, wir hatten uns der Aufgabe gestellt, Empfehlungen und Leitlinien zu erarbeiten, die Wege und Möglichkeiten aufzeigen sollten, um die wachsende Distanz junger Menschen gegenüber politischen Institutionen, Organisationen und Akteurinnen und Akteuren abzubauen. Ich glaube, es ist uns in den vergangenen Wochen und Monaten gelungen, einen ernsthaften und ernst gemeinten Dialog mit Kindern und Jugendlichen zu führen. Dieser Dialog hat zu vielen Empfehlungen geführt, die notwendige Schritte hin auf einem Weg zur Überwindung der Distanz zwischen jungen Menschen und der Politik sind. Meine Vorredner haben bereits viele Gemeinsamkeiten erwähnt. Ich halte es für wichtig, dass ich auch noch einmal betone, dass

wir in diesem Bericht viele Gemeinsamkeiten niedergeschrieben haben.

An einigen Stellen hätten wir GRÜNEN uns aber mutigere und weiter gehende Schritte und Empfehlungen gewünscht. Frau Mangold-Wegner und Frau Morsblech, ich danke Ihnen herzlich. Sie haben bereits einige politische und inhaltliche Unterschiede erwähnt. Ich halte das auch für richtig so; denn es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass man Unterschiede nicht unter den Teppich kehrt. Ich meine aber, dass es falsch ist, sie in einer meiner Meinung nach unangemessenen Polemik in diese Parlamentsdebatte einzubringen. Sie werden sicherlich nicht überrascht sein, dass ich die Gelegenheit nutze, einige unserer Vorschläge aufzugreifen und richtig zu stellen, die wir als Fraktion unterbreitet haben.

Die Arbeit der vergangenen Monate hat uns allen gemeinsam gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir nicht über Kinder und Jugendliche sprechen, sondern dass wir mit ihnen gemeinsam reden, damit wir Politik transparenter, glaubwürdiger, verständlicher und interessanter gestalten. Deshalb müssen wir auf Kinder und Jugendliche zugehen. Dafür gibt es natürlich kein Patentrezept, sondern es bedarf einer bunten Palette von Mitwirkung, von Mitbestimmung und von Selbstverwaltung, am Besten im unmittelbaren Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen.

Meine Damen und Herren, eine entscheidende Ursache für mangelndes Vertrauen von Kindern und Jugendlichen in Politik und in Politikerinnen und Politiker ist oftmals die Erfahrung, dass man eh nichts ändern könne und man von den Politikerinnen und Politikern nicht ernst genommen werde.

Um mit Saint-Exupéry zu sprechen: Die Kinder müssen mit uns großen Leuten viel Nachsicht haben. – Kinder und Jugendliche haben der Demokratie dennoch nicht den Rücken gekehrt. Das haben die zahlreichen Gespräche in den vergangenen 18 Monaten gezeigt. Kinder und Jugendliche wollen schnelle und kurzfristige Lösungen für ihre Wünsche, Anliegen und Probleme. Sie wünschen sich lebendige Formen der Zusammenarbeit, die auch Spaß machen und bei denen etwas herauskommt.

Partizipation, so wie ich sie verstehe, muss in überschaubaren Zeitabläufen passieren. Es muss klar definierte Rahmenbedingungen geben, es muss altersgerechte Informationen geben, und es müssen altersgerechte Methoden zur Anwendung kommen. Natürlich muss es so etwas wie eine Identifikation und eine Nähe zum Partizipationsobjekt geben.

Kinder und Jugendliche brauchen eine starke Stimme. Die stärkste Stimme, die es gibt, ist die eigene. Bisher sind junge Menschen im politischen Geschehen wenig vertreten. Gleichzeitig werden ihnen aber immer mehr – auch ungefragt – Lasten für die Zukunft aufgebürdet. Genau das ist der Punkt, den wir ändern müssen.

Meine Damen und Herren, junge Menschen möchten mehr direkten Einfluss. Demokratie lebt vom Mitmachen und Mitgestalten. Dies muss auch vermehrt für Kinder und Jugendliche gelten. Es greift nämlich zu kurz, die Ideen, Bedürfnisse und Forderungen der Kinder und

Jugendlichen immer nur anzuhören. Wir müssen viel Vertrauen in sie, in ihre Entscheidungen und in ihre sehr realistische Sichtweise haben, damit wir ihnen in allen Bereichen ihres Lebens nicht nur Mitsprache, sondern echte Mitbestimmung ermöglichen können.

Kinder und Jugendliche wollen und können ihre Interessen am besten durchsetzen, wenn sie mehr Rechte haben. Ich will versuchen, anhand von vier ganz konkreten Punkten, die teilweise schon angesprochen worden sind, deutlich zu machen, wo wir GRÜNEN uns andere und weiter gehender Forderungen der EnqueteKommission und mehr Rechte für Kinder und Jugendliche gewünscht hätten.

Der erste Punkt, der bereits angesprochen worden ist, ist die Demokratisierung von Schulen. Wir müssen dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, demokratische Regeln von Anfang an in ihrem Schulalltag zu erleben und auch einzuüben. Leider führt die heutige Schulrealität noch häufig zu der Erfahrung, dass trotz intensiven Bemühens nichts von den Schülerinnen und Schülern geändert werden kann.

Zum Beispiel können heute die Schülerinnen- und Schülervertretungen gerade einmal darüber entscheiden, welche Farbe das Plakat für das Schulfest haben soll, aber sie können nicht über Dinge entscheiden, die den Schulalltag tatsächlich betreffen. Für eine wirkliche Mitbestimmung und für eine Politik auf Augenhöhe wollen wir die Schülerinnen- und Schülervertretungen stärken, und wir wollen an allen rheinland-pfälzischen Schulen – das ist bereits erwähnt worden – eine Schulkonferenz als oberstes beschlussfassendes Gremium einführen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen eine Schulkonferenz einführen, die sich jeweils aus der gleichen Anzahl von Schülerinnen und Schülern, von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Eltern zusammensetzt und über alle wichtigen Dinge des Schulalltags entscheidet. So bekommen wir es hin, tatsächlich Schülerinnen und Schüler an ihrem konkreten Lebensumfeld, nämlich der Schule, besser zu beteiligen.

Der zweite Punkt ist der der Stärkung der Studierendenvertretungen. Darüber wurde auch in der EnqueteKommission diskutiert. Wir haben zum Beispiel mit Vertretern des AStA der Universität Mainz diskutiert. Viele Studierende sind gesellschaftlich und politisch engagiert, obwohl sie – das füge ich hinzu – einen Großteil ihrer vorlesungsfreien Zeit darauf verwenden müssen, Geld zu verdienen. Sowohl das rheinland-pfälzische Modell der Studienkonten als auch grundsätzliche Diskussionen um Studiengebühren erschweren tatsächlich das ehrenamtliche Engagement zusätzlich.

(Schweitzer, SPD: Das ist aber jetzt weit hergeholt! – Zuruf der Abg. Frau Spurzem, SPD)

Herr Kollege, jetzt hören Sie einmal zu.

Damit das Engagement gerade in dem, was wir wollen, nämlich zum Beispiel in der verfassten Studierenden

schaft, wieder attraktiver wird, haben wir als eine von vielen Möglichkeiten und als eine von vielen Forderungen zum Beispiel die Ausweitung der Mitbestimmungsmöglichkeiten auf ein allgemeinpolitisches Mandat vorgesehen und auch in unserem Minderheitenvotum dokumentiert.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch der dritte Punkt ist schon erwähnt worden. Das ist die Senkung des Wahlalters. Meine Damen und Herren, es gibt keine verfassungsrechtlich zwingenden Gründe, das Wahlrecht auf ein bestimmtes Alter, zum Beispiel auf 18 Jahre, festzuschreiben. Wir wollen – ich betone, das haben wir offensiv von Anfang an vertreten –, dass Jugendliche schon mit 16 Jahren wählen dürfen. Bei Kommunalwahlen wurden damit in vielen anderen Bundesländern sehr gute Erfahrungen gemacht. In einer Demokratie sollte grundsätzlich gelten, dass alle Menschen, die von Entscheidungen betroffen sind, tatsächlich auch an deren Zustandekommen beteiligt werden. Um die Einflussmöglichkeiten gerade von Jugendlichen unter 18 Jahren zu stärken, wäre eine Senkung des Wahlalters bei Kommunalwahlen, ähnlich wie in vielen anderen Bundesländern, eine wichtige Empfehlung gewesen. Ich sage ganz ehrlich: Ich bedaure es sehr, dass es dafür in der Kommission keine Mehrheit gab.