Protocol of the Session on August 16, 2000

Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, wenn ein solches Ereignis in einer Familie passiert, dass alle, die zu dieser Familie stehen, in Bezug auf die Fragen, die uns jetzt bewegen, sensibilisiert sind.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich halte auch wenig davon, wenn es in diesem Fall und bei dieser wichtigen Debatte wfeder so verlaufen sollte wie bei anderem Debatten, die in unserem Land zum Teil geführt wurden, die aufgrund einer Ak

tualität eine sehr große Rolle in unserer Gesellschaft und in den Medien spielen und kurze Zeit später alles wieder seinen üblichen Gang geht und die Sache in Vergessenheit geraten ist. Das darf uns nicht passieren.

(Beifall im Hause)

Was meine Fraktion und mich am meisten bewegt, ist die Tatsache, dass Kräfte am Werk sind, die unsere freiheitlichdemokratische Grun_pordnung in Frage stellen, und in derTat durch das verwerfliche Tun der NPD und ihrer Hilfsorganis.ationen eine zweifellos vorhandene Gefahr für den Rechtsstaat ausgeht. Auch der Ministerpräsident hat mit anderen Worten darauf hingewiesen.

Meine Damen und Herren, es ist unsere große Aufgabe, gemeinsam den Anfängen zu wehren. Der Innenminister hatte auch Recht, zu sagen, so fing es damals mit der Gewalt an,

und wenn man es genau beobachtet, können wir uns in dieser Situation jetzt wieder befinden.

Meine verehrten Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Es genügt nicht, nur darüber zu reden, den Missstand zu beklagen und auf Dinge hinzuweisen, wenn keine Konsequenzen erfolgen.- Ich unterstütze ausdrücklich das, was der Innenminister an Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Prävention, aber auch der Repression, dargestellt hat. Dies ist alles ungeheuer wichtig. Aber es erhebt sich für den unbefangenen Beobachter die Frage, warum es trotzdem. soweit kommen konnte, dass wir nun diese Zustände beklagen. Es muss Situationen und Verhältnisse geben, die Menscheil veranlassen, sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten. Wir werden es heute sicherlich in vfelen Facetten darstellen können, was auch geschehen ist. Aber alles können wir heute nicht aufarbeiten.

Meine Damen und Herren, mein persönliches Empfinden ist, dass wir noch zu wenig für d!e Bildung und Ausbildung unse

rer Kinder und Jugendliche_n, speziell in der Richtung der politischen Bildung, tun._Wie sollen die Jugendlichen all das re

flektieren und wahrnehmen, was an Bösem und unwahrscheinlich Schlechtem, an Perversem in zwölf Jahren brauner Diktatur geschehen ist, wenn sie es nicht von den Älteren er

fahren, wenn sie nicht in der Schule, in der Familie, im Verein oder in der Jugendgruppe auf diese große Problematik hingewiesen werden und wenn sie es nicht aus Überlieferung erfahren und anerkennen, dass das Schlechte in unserer Gesell~ schaftindieser Form nicht mehr passieren darf?

Meine Damen und Herren, die Erkenntnisse, die jeder Einzelne für sich gewinnt, sind in der Regei eigenes, aussagenge

stütztes Erleben oder eigene Erfahrungen, wahrgenommen aufgrund von Aussagen von Autoritäten. Autoritäten sehe ich in Eltern, Lehrern oder Vorgesetzten, also in all denen, die ein gutes Beispiel geben und die bereit sind, zu überliefern. Ich meine, wir-müssen in unserem Land, in unseren Kommunen, in unseren Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden überlegen, ob wir in diesem Bereich nicht noch einen Nachholbedarf haben.

-Vorhin ist das Stichwort gefallen, Geld sei dafür nicht maßge

bend. Das ist zwar dem Grunde nach richtig, da es in der Verantwortung eines jeden Einzelnen liegt, sich so zu verhalten, wie es geboten erscheint. Aber das Verantwortungsgefühl mussauch vermittelt werden, und dazu braucht der Einzelne u-nd insbesondere der Jugendliche Hilfe und Unterstützung. Dafür braucht man teilweise auch Geld. Ich möchte dies le

diglich einmal ansprechen, ohne konkrete Vorschläge machen zu wollen. Ich wollte dies einmal aus persÖnlicher Sicht sagen.

Ich meine, unser Credo und unsere Botschaft müssen sein - dies sage ich auch für unsere Fraktion-, alles daranzusetzen,

dass der falsche Geist, der zum Teil noch in den Köpfen einiger Mitbürger in unserem Lande weht, aus ihren Köpfen her

-ausgeholt wird und dieser falsche Geist nicht in die Köpfe der jungen Generation hineinkommt. Meine Damen und Herren, damit haben wir die entscheidende Voraussetzung dafür geschaffen, dass alle Menschen in unserem Lande die Demokratie als die Staatsform anerkennen, würdigen und leben, die für uns die richtige ist.

(Beifall im Hause)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Thomas das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren im Parlament! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich möchte noch einmal auf das ein

gehen, was Sie zum Schluss Ihrer Einlassung und Ihres Debattenbeitrags gesagt haben.

Sie wissen, dass auch unsere Fraktion den Mainzer Appell unterschrieben hat und wir mit dieser Unterschrift keinerlei Pro

bleme hatten, sondern vielmehr d_ie Aufforderung unterstützen, dass alle im Land entschieden entgegentreten, wenn es

- um Übergriffe auf Menschen geht, wenn es um Gewalt oder um Fremdenfeindlichkeit geht. Wir haben uns nicht ver

schlossen, einen gemeinsamen Appell an die Gesellscha-ft zu richten.

Dabei würde ich mich auch auf keine Formulierungsdiskussion einlassen, es sei denn, wir hätten den Appell, beispielsweise im Vorfeld des Rheinland-Pfalz-Tages, gemeinsam for

muliert, was ebenfalls eine Möglichkeit gewesen wäre. Ich meine dies unter Einbeziehung des Parlaments und der Frak

tionen.

Aber die Entstehungsgeschichte der Anträge, die heute zur Diskussion stehen, ist eine andere. Es gab einen Versuch, gemeinsame Forderungen und gemeinsame Feststellungen zu treffen, und dabei wurde schon gefeilt.

Wenn man gemeinsam eine politische Botschaft formuliert, die im aktueHen Moment über die Ablehnung von Gewalt hinausgeht, sondern vielmehr aufgreift,_ was der Anlass für

diese Debatte, für diese Auseinandersetzung über Rechtsextremismus iri der Öffentlichkeit ist, die in diesem Sommer aufgegriffen wurde, dann muss man eine gemeinsame analytische Basis haben.

Mein Kollege Dr. Braun hat die neue Qualität, die diese Art von Gewalttaten bekommen hat, sowie die Verbreitung von rechtsexi:remen Gesinnungen, von der Akzeptanz für Frem

denfeindlichkeit sowie von Gewalttätigkeiten als Ausdruck dieser Fremdenfeindlichkeit deutlich gemacht.

(Zuruf der Abg. Frau Bill, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bisehel hat dies soeben auch noch einmal aufgegriffen.

Ich bin sicher, wenn es um diese Formulierungen geht, hätten wir uns mit vielen getroffen. Aber wenn ich Herrn Böhr vorhin in seinen Äußerungen gehört habe, muss ich sagen, für einen gemeinsamen Appell, für einen gemeinsamen Antrag, für eine gemeinsame Aktion braucht man eine gemeinsame Basis. Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese gemeinsame Basis haben.

H_err Böhr, in Ihren Äußerungen haben Sie den Konsens auf die Ablehnung von Gewalt reduziert. All das~ was vorgeschaltet ist, was es an Formen von Diskriminierung, an politischer Meinungsbildung sowie an politischer Meinungsmache gibt, war in Ihrem Beitrag ausgeklammert. Ich glaube, das können wir uns in dieser Debatte nicht erlauben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen haben wir in unseren Vorschlägen anhand des aktuellen Anlasses versucht, das Nein gegen Rechtsextremismus und Rassismus in Rheinland-Pfalz und anderswo zu formulieren. Dies ist die aktuelle Debatte. Ich brauche sie nicht zu verbreitern; denn mit ihrer Verbreiterung verliert sie die Schärfe und auch die Treffsicherheit von Maßnahmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das war der Punkt, an dem wir uns nicht einigen konnten, und dies war der Grund, weshalb wir einen anderen Antrag formulieren wollten.

Es fing damit an, was man plakativ übereinen solchen Antrag schreibt. Anschließend wollten wir konkrete politische Maßnahmen und Grundvoraussetzungen formulieren und mit einbringen. Das ist die Alternative, oder es muss ein ergänzender Antrag gestellt i!'Jerden. Ich denke, es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Sie auch unserem Antrag zustimmen. Es ist kein alternativformulierter Antrag, sondern es ist ein Antrag mit einer klaren politischen Zielsetzung und mit Maßnahmen, die wir brauchen.

Natürlich brauchen wir Courage, und wir brauchen die Aufforderung aller, sich an dieser Zivilcourage zu beteiligen. Wir

brauchen auch den Rückhalt. Da kann ich mich auch dem an-

schließen, was Herr Bisehel gesagt hat. Wir brauchen den Rückhalt, dass dieses Thema politisch auch weiter bearbeitet wird, dass dieses Thema politisch nicht nach dem Sommerloch verschwindet. Das brauchen all die Menschen, die sich jetzt für couragiertes Handeln entschlossen haben. Deswegen brauchen wir auch mehr als Courage. Das hat die Entscheidung des Bundeskabinetts heute gezeigt. Es hat Maßnahmen

beschlossen, die_ den Bereich der politischen Bildung angehen, die Kooperation von Bund, Ländern und Gel)leinden in diesem Bereich bedtreffen und vieles mehr. Dafür werdenwir auch Geld brauchen, nicht nur, aber auch Geld und eine Konzentration aufdiese Maßnahmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben einen Teil dieser Maßnahmen in unserem Antrag beschrieben. Wir haben auch noch einmal deutlich gemacht, dass zu der Entgegnung und Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus in Rheiriland-Pfalz unverzichtbar ein zweiter Bestandteil dazugehört, nämlich all das, was den Schutz von potenziellen Opfern betrifft, und all das, was die Unterstützung für bereits betroffene Opfer angeht. Auch dasdarf man dort nicht ausklammern.