Protocol of the Session on August 16, 2000

stet, dass sich bestimmte Wohnbereiche in unseren Städten· und Gemeinden, in denen soziale Probleme vorherrschend sind, vergrößert haben. Wenn dies so ist, muss den Menschen, die dort leben, insbesondere den Kindern und den Jugendlichen, die dort heranwachsen, ein besonderes Angebot gemacht werden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Angebote im Bereich der aufsuchenden, begleitenden und beratenden Jugendarbeit hinweisen. Vielleicht müssen wir unser Angebot noch ein bisschen deutlicher herausstellen, damit es auch angen.ommen wird. Es gibt ein sehr breites Angebot. Ich bin den Kommunen dankbar, dass sie ihrerseits solche Bemühungen unterstützen und damit ihrer Verantwor

tung auch diesbe_züglich gerecht werden.

Diese Anstrengungen werden wir fortsetzen und natürlich immerwiederautihre Zielgenauigkeit hin zu überprüfen haben; denn das, was wir an gesellschaftlichen Entwicklungen vorfinden, ist kein statischer Sachverhalt, sondern ein Prozess, der sich verändert und dem wir auch· mit unseren Maßnahmen entsprechend zu folgen haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Prävention ist auch in dem Sinn zu begreifen, dass wir versuchen, ausländischen Menschen, Menschen anderer Rasse urid Hautfarbe, anderer Religion, behinderten Menschen und Leuten, die anders auf

treten oder aussehen wie wir, zu begegnen.

Ich glaube, dass dem Gedanken, den Herr Kollege Zuber bereits vor Jahren in die Diskussion und in die Umsetzung eingebracht hat, nämlich die Einführung der Präventionsräte auf kommunaler Ebene.und.jetrtauf Landesebene, eine ganz hohe Bedeutung zukommt, weil wir uns einfach mit Entwicklungen befassen müssen, die möglich und augenscheinlich sind. An beides muss gedacht werden, an das eine vorweg und an das andere g_anz konkret, um uns für solche Enhvicklungen zu wappnen und nicht von solchen überholt u.nd dann als hilflos eingestuft zu werden. Diese Hilflosigkeit wird nämlich dann als Schwäche ausgelegt mit der Folge, ~ass man sich be

sonders stark fühlt und auch so verhält.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben diesen präventiven Bemühungen müssen wir als Gesellschaft auch die Offenheit haben, den Personen, die sich einmal verirrt haben und jemandem hinterherlaufen, der Kameradschaft verspricht und in Wirklichkeit Menschen zu Gewalt anhält und ins Unglück hineinführen will, zu sagen: Ihr könnt euch umdrehen. Ihr könnt den anderen Weg in die Gesellschaft zurückgehen.

Deshalb muss unsere Gesprächsbereitschaft vorhanden sein. Ich möchte heute in diesem Parlament ausdrücklich betonen, dass ich jederzeit für junge Menschen ansprechbar bin, die sich lösen und einen anderen Weg gehen wollen. Ich bin bereit, alles zu tun. Ich bitte Sie alle, mitzuhelfen, dass wir diesen jungen Leuten sagen: Wenn ihr euch wirklich besinnt, - könnt ihr in diese Gesellschaft zurückkehren. Dann wollen

wir euch auch. Ihr seid mit der Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe nicht markiert. Diese Gesellschaft ist nicht gnadenlos, sondern eine solidarische Gesellschaft. Das kam) an guten Beispielen bewiesen werden.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Dies muss allerdings immer die klare Aussage gegenüber denjenigen folgen lassen, die sich nicht besinnen, diesen Rechtsstaat herausfordern wollen und die meinen, sie könnten ihre Provokation auf die Spitze treiben. Deshalb war und ist es notwendig - ich bin sehr froh darüber, dass in diesem Sommer 2000 diese Diskussion so breit geführt wird-, die Illusion wegzunehmen, sie könnten sich irgendirJo ganz hinten im Hinterstübchen auf eine Rechtfertigungssituation berufen, weil viele in der Gesellschaft so denken würden.

Lassen Sie uns in diesem Sommer beweisen: Es sind nur ganz wenige in unserer Gesellschaft, die so denken.

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

Diese Herausforderungslage anzunehmen und aufzunehmen, heißt natürlich auch, den Gedanken derWehrhaftigkeit unserer Demokratie unter Beweis zu stellen. Es geht dabei in erster Linie nicht darum, Gesetze zu ändern. Ich glaube nicht, dass wir in weiten Feldern wirklich Gesetzesdefizite haben. Wir müssen entschlossen und konsequent, auch was das dauerhafte Angehen dieses Herausforderungsphänomens angeht, handeln.

Deshalb haben wir uns vorgenommen- ich bin sehr froh darüber -, dass wir das Polizeirecht, dass wir die bestehenden Möglichkeiten unserer Gesetze auch so nutzen, dass in der Tat gegenüber diesen Herausforderern der Freiheitsrechte, gegenüber diesen Herausforderern unserer Gesellschaft gezeigt wird: Wirsind nicht wehrlos, man kann uns nicht an der Nase herumführen.- Wenn rechtsradikale Skinheadgruppen, wie dies immer wieder der Fall ist und wje mir konkrete Fälle geschildert worden sind, auf jedem Wochenmarkt in einer

Kleinstadt Terror, eine bestimmte subtile Art von Terror, dadurch, dass man anwesend ist, dass man bissige Hunde an der

Leine führt, dass man ein bestimmtes Outfit hat, trauen sich · Menschen nicht mehr zum Einkaufen dorthin, verbreiten -das ist nichts anderes-, werden sie mit dem Polizeirecht Bekanntschaft machen müssen.

Dann muss es und wird es in Zukunft so sein, dass Personendaten festgestellt werden. Dann wird es so sein, dass man nachschaut, ob Waffen mitgeführt werden. Dann wird im Zweifelsfall, wenn eine Bedrohung vorhanden ist, auch Platzverbot mit allen Konsequenzen, bis zum Gewahrsam, ausgesprochen. Diese Dinge müssen so ·sein. Sie müssen deshalb so sein und so gehandhabt werden, meine Damen und Herren, um diesem Herausforderungsphänomen des Rechtsradikalismus zu begegnen, wenn wir das Entscheidende erreichen

·wollen, nämlich Entschlossenheit in der Gesellschaft, Zivilcou

rage, etwas zu unternehmen. Dann muss der Staat über seine.

Organe zunächst einmal beweisen, dass er sich nicht an der Nase herumführen lässt.

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

. Ich habe es- es wird Ihnen kaum anders gegangen sein- geradezu als unerträglich empfunden, als dieser Marsch der Rechtsradikalen durch das Brandenburger Tor stattgefunden hat und die Polizei diese noch schützen musste. So ebtvas ist unerträglich.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das hat mich auch zu meiner Überlegung gebracht, nicht, wie geschrieben worden ist oder in einer Anfrage steht, das Demonstrationsrecht als Grundrecht zu ändern- das habe ich nie gesagt und würde das auch nie tun -, sondern zu schauen, ob es nicht unterhalb dieser Stufe Möglichkeiten gibt, die es dann den Ordnungsbehörden und den Gericilten, die ietzten Endes zu entscheiden haben, erleichtern, eine solche Provokation zu unterbinden.

Wir arbeiten daran. Es gibt eine Arbeitsgruppe, die ein erstes Ergebnis vorgelegt hat. Aber ich halte es nicht für das Entscheidende, was den gesetzlichen Bereich angeht. Entscheidend ist, und ich bin froh darüber, und sicherlich haben sich viele mit mir gefreut, dass auch aus meiner Sicht die Rechtsprechung in diesen Fragen konsequenter auf diese Herausforderungen dieser Demonstrationen, die Provokationen sind, reagiert- nicht das Wahrnehmen eines demokratischen Rechts steht im Vordergrund, sondern das Herausfordern der Demokratie und des Rechtsstaats -, dass die Verbote solcher Demonstrationen, die immer auch mit der Gefahr der Gewaltinitiierung verbunden sind, als konsequenter empfunden werden können und insoweit auf diese Bemühungen unterstützender wirken.

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Wir wollen unseren Beitrag leisten, um zu signalisieren, dass der Staat nicht sozusagen in einer neutralen Rolle verharrt und nurdie Menschen zur Zivilcourage herausgefordert werden. - Aber wir wollen natürlich diesen zentralen Ansatz nicht aus dem Auge

verlieren. Das war auch die Begründung dafür, warum wir mit dem Mainzer Appell gerade zum Rheinland-Pfalz-Tag in diesem Jahr 2000 versucht haben, viele zu gewinnen - dies. läuft weiter-, die sich klar bekennen und für dieses Bekennen in der Gesellschaftauch werbend auftreten.

Es sind zwischenzeitlich Tausende, die den Mainzer Appell unterschrieben haben. Es sind herausragende Persönlichkei

ten der Kirchen, der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Es sind herausragende Persönlichkeiten aus dem sportlichen und dem kulturellen Bereich, aus vielen gesellschaftlichen Feldern, aus allen demokratischen Parteien.

Ich hoffe, dass ein solches Sich-gemeinschaftlich-Besinnen, auch eine gemeinsame Handlungsbasis gegen diese Herausforderung, die Wirkung in vielfältiger Weise in die Gesell·schaft hinein gegenüber dieser Herausforderung nicht ver

fehlen wird. Insoweit bin ich allen dankbar, die diesen Mainzer Appell mitgetragen haben. Ich möchte diejenigen, die sich dies noch überlegen, bitten, dieser gemeinschaftlichen Aktion auch beizutreten.

Ich hoffe, dass dabei auch nicht die eine oder andere Formulierung, die man immer aus einer Sicht dessen, der nicht formuliert hat, so oder so wählen kann, zum Hemmschuh einer gemeinschaftlichen Anstrengung wird. Bischof Lehmann hat mir beispielsweise in einem Brief dargelegt, dass er die eine oder andere Formulierung anders wählen würde. Er hat aber auch sehr deutlich gesagt: Die Sache ist so wichtig, dass ich mit zu den Erstunterzeichnern gehöre. -Ich denke, wir sollten in diesem Sinn als Demokrationen und Demokraten versuchen, gemeinsame Positionen zu formulieren, um zu signali

sieren, dass wir auch gemeinsam dazu stehen.

Wenn Sie das, was ich jetzt entlang des Mainzer Appells formuliert habe, als einen Appell an dieses hohe Haus verstehen, noch einmal zu überlegen, ob wir nicht doch zusammenkommen können, sozusagen in letzter Minute, ohne dass jemand seine pointiert anders dargestellte Auffassung, die aber dem Grunde nach nicht anders ist, deswegen über Bord wirft, dann möchte ich Sie herzlich darum bitten, meine Damen und Herren von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu überlegen, ob wir nicht doch in einem solchen Sinn- ich sage einmal im Sinne dieses Lehmann'schen Briefes: Ich würde manches anders formulieren, aber niir geht es um die Sache und um die gemeinsame Aussage, und diese trage ich - zusammen

kommen können. Ich glaube, dass es noch eindrucksvoller wäre, als es ohnehin schon ist, wenn drei große Fraktionen in diesem Hause heute eine solche Entscheidung fällen.

Ich bin dankbar für diese Diskussion. Sie. können davon ausgehen, dass die Landesregierung auf der Grundlage dieser Debatte, auf der Grundlage der Entscheidung, die getroffen wird, ihre Bemühungen konsequent fortsetzt..,Konsequent"

heißt auch.,nachhaltig". Wir werden nicht nachlassen. Das wird kein Sommerthema sein. Das wird in Rheinland-Pfalzein Thema bleiben, bis wir diesen Spuk in den Griff bekommen haben. Davon können Sie ausgehen.

Ich bitte die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, wie bisher aktiv mitzumachen. Dann werden wir das in den Griff bekommen. (Beifall der SPD und der F.D.P.)

Bisher liegen mir ~eine weiteren Wortmeldungen vor.

(Zuruf von der CDU: Doch!)

Bitte schön, Herr Kollege Bische I.

Abg. Bische!, CDU:

Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren! Herr lnnenminister Zuber hat einen ganz persönlichen Einstieg gewählt, um in diese Debatte einzuführen. Er hat Erlebnisse aus seiner Verwandtschaft erzählt.

Das hat mich dazu veranlasst, auch darauf hinzuweisen, das ich auch einen Einstieg ganz persönlicher Natur wählen will; denn ich muss Ihnen ehrlich sagen: Meine Familie- das ist ei

ne ganz große Familie- und ich hätten niemals geglaubt, dass unser Land 50 Jahre nach Beendigung des braunen Terrors wieder in eine solche Situation kommen kann, in der wir im Augenblick sind. - Ich sage das auch vor dem Hintergrund dessen, dass die Nazis einen Großonkel von mir, nur weil er Reichstagsabgeordneter des Zentrums war, Vorsitzender der Hessischen Zentrumspartei, und zu den damaligen demokra

tischen Führungskräften in unserem Land gehörte, umge

-bracht haben.

Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, wenn ein solches Ereignis in einer Familie passiert, dass alle, die zu dieser Familie stehen, in Bezug auf die Fragen, die uns jetzt bewegen, sensibilisiert sind.