Protocol of the Session on August 16, 2000

bereitschaft von jungen Menschen in der glücklichen Lage,

dass wir auf funktionierende und bereits tragfähige gesellschaftliche Bündnisse bauen können. Die Schulsozialarbeit ist in den letzten Jahren_ auf- und ausgebaut worden. Polizei, Schulen, Vereine, Politik, Institutionen, Eltern und Schüler selbst haben sich vielerorts zu kriminalpräventiven Bündnissen zusammengeschlossen und versuchen, gemeinsam im gesellschaftlichen Konsens Gewalt und Kriminalität vorzubeu

gen. Das sind meiner Meinu.ng nach Gruppierungen, mit de-. nen wir gemeinsam nicht nur in der nächsten Zeit, sondern nachhaltig ein besonderes Augenmerk auf das Thema Extremismus lenken müssen.

Die Schule als sozialer Lernort und als Ort, wo Jugendliche gemeinsam mit ihren ausländischen Mitsc!lülerinnen und Mit

schülern le.men, Konflikte miteinander Zü lösen ünd Derno

kratie zu üben, hat auch die besondere Aufgabe, dieses Thema verstärkt und offensiv zu behandeln. Wenn Sie mit Schülern sprechen, können Sie erfahren, dass das derzeit bereits in einer großen Anzahl von rheinland-pfälzischen Schulen geschieht. Die Schüler diskutieren dieses Thema derzeit sehr breit. Sie diskutieren ihre eigenen Standpunkte und erarbei

ten auch eigene Aktionsmöglichkeiten ~u diesem Thema. Meiner Meinung nach sind schon sehr positive Ansätze an der Basis und bei der Bevölkerung vor Ort zu verzeichnen.

Es ist wichtig und richtig, dass rheinland-pfälzische Politik in den letzten Jahren verstärkt Jugendlichen und Kindern de

mokratische Spielräume und konkrete rvlitwirkungsmöglichkeiten eröffnet hat; denn selbst zu spüren, was Demokratie und Verantwortung für andere übernehmen bedeutet, istdie beste· politische Bildung, die ein Kind oder ein Jugendlicher erfahren kann.

(Beifall der F.D.P. und derSPD)

Natürlich kommen zu all dem, was ich beispielhaft genannt habe, außerschulische politische Bildungsmaßnahmen und Aktionsbündnisse konkret gegen rechts hinzu, die von Staats

minister Zuber zuvor angeführt wurden. Aber auch Maßnahmen wie die Ausdifferenzierung der Maßnahmen in den Hil

fen zur Erziehung sind Bausteine, die es sicherlich ermöglichen, auch mit gewaltbereiten und mit extremistischen Kin-· dern und Jugendlichen viel konkreter am Einzelfall orientiert umzugehen und mit ihnen adäquat zu arbeiten. Insofern sind schon sehr gute Grundsteine vorhanden.

Im Strafrecht hilft uns auch der ewige Ruf nach der Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters und nach Abschaffung der Anwendung des Jugendstrafrechts bei· Heranwachsenden nicht weiter. Zu dem juristischen Bereich wird mein Kollege Matthias Frey noch einige Ausführungen machen.

Lassen Sie uns· einen weiteren Anstoß für ein Bündnis für Toleranz,. Demokratie und Miteinander, gegen Gewalt, gegen Fremdenhass und gegen Extremismus mit den Bürgerinnen und Bürgern, die schon aktiv in Rheinland-Pfalz sind, gemein

sam geben.

Vielen Dank.

(Beifall der F.D.P. und der SPD)

Ich erteile Herrn Ministerpräsident Beck das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 53 Jahren haben wir in diesem Land

Rheiniand-Pfaiz, seit gut 50 jahren in Deutschland West und seit gut zehn Jahren in Deutschland insgesamt eine freiheitliche Grundordnung, die jedem einzelnen Menschen so viele Chancen und so viele Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung und unserer Gesellschaft insgesamt eine Chance zur positiven Zukunftsentscheidung und -ent\tvicklung gibt, wie dies nie zuvor in den Grenzen Deutschlands, sicher auch in den Grenzen Europas und darüber hinaus, der Fall gewesen ist.

Wir müssen hin und wieder daran erinnern, welche Bedeutung diese Freiheitsrechte, welche Bedeutung diese Mitwir•

kungsrechte in einer Gesellschaftsordnung haben. Wir müssen auch immer wieder in Gesprächen mit jungen Menschen, aber nicht nur mit jungen Menschen, herausstellen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dies alles für alle Zeit zu behalten, weil man es einmal von den eigenen Eltern oder Großeltern erworben, übertragen bekommen und übernommen hat.

Demokratie muss immer wieder neu erworben werden. Das mag wie eine allgemeine Weisheit klingen, aber gerade die Herausforderung, über die wir derzeit reden, hat mit dieser Grundwahrheit eine ganze Menge zu tun.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Aus diesem Grund kommt es in erster Linie darauf an, dass wir uns unser eigenes Verhalten und das Verhalten, das wir als Eltern, Nachbarn, Arb~itskolleginnen und Arbeitskollegen an den Tag legen, bewusst machen, auch wenn es im Alltag die eine oder andere Verirrung hinsichtlich des Nichtbeach

L~ndtag Rheinland-Pfalz- 13. Wahlperiode -113. Sitzung, 16. August 2000 8517

tens der notwendigen Solidarität und des notwendigen Respekts geben mag. Das respektvolle Umgehen llliteinander

und das Tolerieren der Freiheit der anderen ist die entscheidende Grundlage dafür, dass wir das richtige Beispiel geben und nicht den Eindruck erwecken, als könnten sich diejeni

. gen, die diese Verirrungen zur Regel machen wollen, auf eine

Basis in der Gesellschaft stützen.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich scheue mich nicht, auch an die

ser Stelle noch einmal deutlich zu sagen, dass es gut ist, dass in dieser Debatte und bei anderen Gelegenheiten die Werte

frage immer wieder gestellt und in die gemeinschaftliche Erinnerung in unserer Gesellschaft gerufen wird. Es zeigt sich, dass sich dort, wo Menschen in neue Herausforderungssituationen hineingeworfen werden und darauf nicht vorbereitet · sind, Vakuen bilden. ln diese Vakuen strömen Entwicklungen hinein, die nicht von allen als vernünftig aufgenommen und verarbeitet werden und durchaus zu solchen Tendenzen, wie wir sie derzeit im Rechtsex-tremismus erleben müssen, führen können.

Was in den neuen Ländern in besonderer Weise, aber auch bei uns - wenn auch nicht so ausgeprägt- geschieht, hat et

was mitWerteverlusten, Orientierungslosigkeit und damit zu tun, dass es uns nicht gelungen ist, nach dem Druck, der gera

de auf die Menschen in den neuen Ländern über Jahrzehnte hinweg ausgeübt worden ist, neue Orientierung zu setzen,

die sich an den demokratischen Entwicklungen festmachen kann.

Diese muss natürlich immer gegenüber den Bevölkerungskreisen untermauert sein, die sich ausgegrenzt fühlen. Ob sie es wirklich sind, spielt dabei nicht die entscheidende Rolle. Wir müssen diesen Menschen immer wieder eine Perspektive anbieten, damit sie ihr Leben meistern können und sich nicht zurückziehen und sagen: Wir sind ohnehin die Ausgestoßenen. Des\vegen können wir uns auch so benehmen und schließen uns im Zweifelsfall denjenigen an, die in dieser Ge~ sellschaft scheinbar die Rechte dieser Außenstehenden vertreten.

Das fordert der Gesellschaft natürlich vieles ab. Es fordert ihr zum Beispiel ab, dass wir allen Menschen eine Perspektive im Arbeits- und Wirtschaftsleben bieten können. Es fordert uns auch ab, dass wir das Gefühl der Solidarität und der Mit

menschlichkeit möglichst für alle praktisch erlebbar machen. Deshalb dürfen \vir uns in unserer Gesellschaft nicht auf die Funktionalität, gute Sprachkenntnisse, den Umgang mit der Technik und den Naturwissenschaften reduzieren lassen. ln

Zukunft muss genauso.dazukommen, dass wir miteinander umgehen können und wissen, was Freiheit und Menschlichkeit bedeuten.

(Beifall der SPD und der F:.D.P.)

Ich sage dies ausdrücklich in erster Linie nicht nur an die Adresse der Schulen- das wäre zu wohlfeil-, sondern auch an

unser aller Adresse, ob wir Eltern oder Großeltern, Tante oder Orikel sind und ob wir uns in politischer oder gesellschaftlicher Veranüvortung befinden. Wir können alle einen Beitrag dazu leisten, damit dieses Gefühl des FüreinanderVerantwortung-Tragens in einer Gesellschaft nicht völlig an den Rand gedrängt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Politik der Landesregierung entwickelt, die Herr Kollege Zuber in ihrer Gänze und in ihrem Zusammenhang dargestellt hat. Ich möchte mich darauf ausdrücklich beziehen.

Es muss natürlich dabei bleiben, dass wir Prävention in einem sehr weiten Sinn verstehen. Wir müssen Prävention so verste

hen, dass wir den Menschen·Perspektiven geben und denjeni

gen, die besonders benachteiligt sind, besondere Hilfen an

bieten, um aus ihrer Situation herauskommen zu können. Die hohe Langzeitarbeitslosigkeit hat einen Beitrag dazu gelei

stet, dass sich bestimmte Wohnbereiche in unseren Städten· und Gemeinden, in denen soziale Probleme vorherrschend sind, vergrößert haben. Wenn dies so ist, muss den Menschen, die dort leben, insbesondere den Kindern und den Jugendlichen, die dort heranwachsen, ein besonderes Angebot gemacht werden.