Protocol of the Session on May 11, 2000

schuss überwiesen. Es kann natürlich nicht angehen, dass über einen bereits durchgeführten Modellversuch berichtet werden s"oll und gleichzeitig die Umsetzung auf alle Kommunen in Rheinland-Pfalz in die Wege zu leiten ist. Im Ausschuss müssen wir zunächst den Bericht hören-und darüber diskutieren, bevor wir das an alle Kommunen weiterleiten, weil es noch nicht klar ist, dass das der Weisheit letzter Schluss ist.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Pahler das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! De-r europäische Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen wies auf einen wesentlichen Punkt hin:.Recht haben heißt noch lange

nicht, Recht zu bekommen. Politik für Menschen mit Behin

derungen in die Verfassung aufzunehmen, ist ein wichtiger und notwendiger Schritt, den wir gegangen sind. ·

Wie sieht aber die Verfassung in unseren Köpfen gegenüber diesen Menschen aus? - Ich könnte heute auch sagen: ·Über Menschen mit Behinderungen reden ist eines, mit ihnen zusammen Tag für Tag Schritte zu gehen auf dem Weg zur gleichberechtigten Teilhabe, ist etWas anderes und gleichzeitig etwas eminent Wichtiges.

Meine Damen und Herren, das beginnt mit vielen kleinen Dingen des Alltags, die oft weniger aus bösem Willen, son

dern aus Unüberlegtheit und aus Unkenntnis nicht ins -Blickfeld von Menschen ohne Behinderungen rücken. Die von uns aufgebauten Barrieren, die wir unbedacht in allen Bereichen unseres Lebens weiterentwickeln, sind zahlreich. Schon allein deshalb ist Behindertenpolitik Querschnittsaufgabe, eine Al!fgabe, die sich an alle Teilnehmer der Gesellschaft richtet.

Meine Damen und Herren, damit schließe ich wieder an den Ausspruch im Aufruf der Behinderten zum Protesttag an: Politik kann Rahmen setzen. Das heißt noch lange nicht. dass.er von der Gesellschaft ausgefüllt wird. - Ausfüllen heißt für mich, auch stärker darauf zu achten, dass unterschiedliche Arten der Behinderung auch unterschiedliche Maßnahmen erfordern.

in unseren. Köpfen verbindet sich mit dem BehindertenBegriff viel zu sehr der Rollstuhlfahrer, wohl verstärkt durch die Tatsache, dass immer nur der Rollstuhl als Piktogramm für den Hinweis auf B.ehinderteneinrichtungen auftaucht.

Meine Damen und Herren, die politischen Konzepte zur Inte

gration Behinderter in den allgemeinen Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Gestaltung von Hilfen, die zur Arbeitsaufnahme reizen, ist dabei insgesamt schwieriger als für andere Zielgruppen. Einem europäischen Vergleich ist zu entnehmen, dass Beschäftigungswachstum für diesen Personenkreis eine große Chance ist. Auch für diesen Personenkreis hat man nun den Weg, weg I(On ·passi

ver hin zu aktiver Arbeitsmarktpolitik, beschritten, indem Zugangsmöglichkeiten zu Hilfen bei der Arbeitsplatzsuche, zu Ausbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten, zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und zu Hilfen am Arbeitsplatz erweitert wurden.

Oft fanden hierzu im Landtag bereits Aussprachen statt, zum Beispiel über lntegrationsfachdienste, Arbeitsassistenzen, ln

tegrationsbetriebe und vieles mehr. Niemand behauptet.

dass alle diese Maßnahmen, auch die neuen Maßnahmen, die der Bund durch lnitii~rung von Rheinland-Pfalz aus angeht, nicht dazu geführt haben und nicht dazu führen werden, dass wir uns zufrieden zurücklehnen können. Alles Geleistete niederreden zu wollen, wie im Antrag der CDU-Fraktion, ist. nicht redlich; denn es ist Vieles geleistet worden.

(Beifall der F.D.P. und der SPD)

Ob der Ansatz der neuen Überlegungen zur Ausgleichsabgabe und zum Quotensatz richtig ist und voll greift, muss abgewartet werden. Die Befürchtungen der Behindertenwerkstät· ten um ihre Arbeit müssen ernst genommen werden und müssen im Sinne der Behinderten in ausgewog_enerWeise angegangen werden.

Meine Damen und Herren, ein gutes Ineinandergreifen von Arbeitsamt und Hauptfürsorgestelle, eine gute Beratung hinsichtlich der Fähigkeiten und Möglichkeiten des Behinderten, das Liefern eines Rundumpakets aller Fördermöglichkeiten für den Arbeitgeber, die Verminderung bürokratischer Hür· den und die Begleitung am Arbeitsplatz und wenn nötig die Unterstützung des Arbeitgebers. im Falle von Problemen wer

den in Rheinland-Pfalz angegangen. Dies alles ist natürlich immer noch zu optimieren und bleibt auch künftig unsere Aufgabe." Gleiches gilt für das ständige Überprüfen, ob Maßnahmen und Mitteleinsatz zielgerichtet laufen und ob die gewünschten Ergebnisse erreicht werden, wodurch gegebenenfalls eine entsprechende Veränderung oder gar Aufgabe von Maßnahmen notwendig wird.

'-...

Meine Damen und Herren, gesetzliche Instrumentarien betonen seit vielen Jahren in erster Linie die fürsorgliche Betreuung. Sie sind nicht darauf zugeschnitten, die Selbstbestimmung der behinderten Menschen zu föl-dern. Normalisierung, Partizipierung und Integration als Ziele der Behinder

tenpolitik zeigen die seit den 70er Jahren laufenden Veränderungen gegenüber dieser alten Auffassung. Das ist auch die Grundlage, auf deren Basis das persönliche Budget erwuchs. Grundsätzlich knüpft sich daran eine Menge Hoffnungen, dass sich die Selbstbestimmung der behinderten Menschen ausweitet, sich die Wahlmöglichkeiten bei Pflegediensten vergrößern, sich der behinderte Mensch selbst als Arbeit

gebermodell betätigen kann, sich die Zufriedenheit der Betroffenen bei Behinderten und Anbietern'von Hilfen steigert, sich gezielt" der Einsatz von Assistenz erhöht und sich die finanziellen Spielräume-in dieser Hinsicht müssen wir ehrlich sein · für Behindert;e, Leistungsanbieter und Kostenträger vergrößern.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat sich die

ser Idee des persönlichen Budgets angeschlossen. Sie, Herr Staatsminister Gerster, und Sie, Herr Staatssekretär Dr. Auernheimer, w~rden die. vollste Unterstützung der F.D.P.-Fraktion haben.

(Beifall der F.D.P. und der ~PD)

Es erweckt natürlich Skepsis, dass geradezu eine gegenläufige Richtung eingeschlagen wird als die, die mit der fürsorglichen Betreuung bisher gegangen wurde. Es ist aber ein weiteres Angebot für Menschen mit Behinderungen, ein Ange

bot, das andere Angebote nicht abschaffen will. Das ist ein Angebot, das aber auch infrage stellt, ob stationäre Einrichtungen immer das Richtige und immer für jeden das Richtige sind.

Meine Damen und Herren, seit langem laufen ähnliche Mo

delle in anderen europäischen Ländern, und die positive Grundhaltung der Menschen dort und das Schlangestehen in den Niederlanden, um in dieses Modell hineinzukommen, re

_den eine beredte Sprache. Es ist nicht so, dass diese Program

me in Schweden, in Großbritannien oder in den Niederlanden ohne jegliche Schwierigkeiten und Verbesserungswünsche laufen. Gute Informationen, klare Zugangsvoraussetzungen, einfache Formalitäten und eine an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierte und unter ihrer ständigen Mitentscheidung stehende Planung sind und bleiben wichtige Maßgaben bei der Umsetzung derartiger Modelle. Das wird in Rheinland-Pfalz nicht anders sein. Auf alle Fälle beschreiten wir damit den einzig richtigen Weg.

Herr Gerster, es ist das Thema "barrie'refreies Bauen und Wohnen" arigesrochen worden. Gestatten Sie mir, weil ich für konkrete Dinge zu· haben bin, folgende Bemerkung: Im deutschen Gaststättengesetz steht. in § 2: "Wer ein Gaststättengewerbe betreiben will, benötigteine Erlaubnis." Nun beginnt die Verordnung. 30% der Gaststättenverordnung umschreibt nun genau die Anforderungen, die erfüllt werden müssen.

Jetzt gibt es - ein hohes Lob der deutschen Gründlichkeit 39 Zeilen zum Tatbestand, wo eine Toilette- Abortregelung heißt es in der Überschrift- sein darf. 39 Zeilen darüber, wie ein Abort anzulegen ist und welche Unterscheidung zwischen Spültoiletten und Urinalen zu treffen ist. Ich weiß,_ man braucht 60 Zentimeter Standbreite für die Herren der Schöp

fung.lch habe auch gelesen, wie viele Meter Rinne man dafür braucht. Dann kommen noch einmal 13 Zeilen, we!che Ausnahm.en möglich sind;

Wenn der gute Mensch, der eine Gaststätte erworben hat, genau das alles gemacht hat und jetzt auf die Idee kommt, da nirgendwo das Wort "Behindertentoilette" erwähnt ist, zwei Toiletten zusammenzulegen und eine Behindertentoilette daraus zu machen, kann er Gefahr laufen, die Konzession zu verlieren. Dann greift möglicherweise die Härteregelung. Sind aber Menschen mit Behinderungen Härtefälle in unserem Leben? Das kann doch wohl nicht wahr sein.

Ich gehe mit dieser Sache positiv um. In der nächsten Woche tagt der Bund-Länder-Ausschuss Gewerberecht. Er wird sich mit den anstehenden Vorschriften beschäftigen. Ich gehe davon aus, dass Herr Mfnister Bauckhage seinem Vertreter das mit auf die Reise gibt, damit man dieses Thema aufgreift. Ich gehe weiter davon aus, dass mein Vorgänger im Amt als sozialpolitischer Sprecher der F.D.P.~Landtagsfraktion, Herr Bauckhage, dafür S~rge trägt- so wie er das bei den Behin

dertenparkplätzen gemacht hat -, dass auch in diesem Be

reich Abhilfe geschaffen wird.

Sie sehen, es handelt sich oft um sehr kleine Dinge, die wir gar nicht sehen, bei denen Veränderungen notwendig sind.

Politik setzt Rahmen. sie und ich müssen aber im tagtäglichen Leben diese Rahmen ausfüllen.

Vielen Dank.

(Beifall der F.D.P. und der SPD)

Ich erteile Herrn Staatssekretär Dr. Auernheimer das Wort.