Protocol of the Session on January 21, 2000

(Rösch, SPD: Da~ ist auch richtig!)

Wenn wir den Sozialhaushalt allein an seinem Zahlenwerk im Vergleich zu anderen Einzelhaushalten betrachten, hat sich

Minister Gerster am Kabinettstisch beachtlich geschlagen. Bei manchen Konzepte·n jedoch sowie am theoretischen Überbä~ Gerster'scher Sozialpolitik, Ober die er auch gern Aufsätze odergar Bücher schreibt,

(Rösch, SPD: Nur kein Neid!)

halten wir vieles für kritikwürdig.

Natürlich begrüßen wir auch viele Ansätze im sozialpoliti

schen Haushalt im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, der Be

hindertenpolitik und der Gesundheitspolitik.. Aber was uns fehlt, ist Innovatives in diesem Bereich. Herr Minister, Sie ha

ben es schon gemerkt und können damit leben, als. Sozialminister sind Sie einfach nicht unserWunschkandidat. ·

(Frau·Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört, hört! - Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Ich werde den Verdacht nicht los, dass dieser Bereich auch nicht unbedingt Ihre Herzensangelegenheit ist. Deshalb sind Ihre Innovationen oder das, was Sie als solche bezt;!ichnen,

auch eher Kopfgeburten. ·.

Ich meine, Sie machen sich wirklich jede Menge Gedanken um. Konzeptionen, aber Sie denken -·so sehe ich es zumin

c;lest- nicht im Sinne der von Sozialpolitik Abhängigen.

Meine Damen und Herren, Sie verstehen vielleicht, was_ ich meine, wenn Sie an eine Sozialdemokratin wie Regine Hildebrand zurückdenken, qie als Sozialministerin Oberall mit Leidenschaft und Engagement für die Interessen von arbeitslosen, armen Uf!d benachteiligten Menschen gestritten hat und so nicht nur ein Ministerium verwaltet und. repräsentiert hat, sondern mit Nachdruck in aer Öffentlichkeitfürdie Probleme

all der Menschen, die nur wenig Ansehen in dieser Gesell

schaft genießen, üm Verständnis und Unterstützung gewor

ben hat.·

Es ist nicht ~as oft etwas Oberschäumende Temperament einer Regine Hildebrand, das wir bei unserem. Sozialminister vermissen, nein, er steht einfach nicht in Augenhöhe zu den Menschen, die arm und arbeitslos sind. Die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Fakten und Zusammenhänge unseres

Sozialmini~ters irritiert uns GRÜNE immer wieder, und es verstört eine Sozialpolitikerin wie' mich regelrecht, von welcher Seite der Gesellschaft Sie Sozialpolitik angehen, Herr Gerster.

Das macht es auch so schwer, siCh für Ihre Vorschläge_ zu erwärmen. ich möchte dies an Beispielen aufzeigen.

Die Kinderge.lderhöhung der neuen Bundesregierung sollte auch Sozialhilfeberechtigten zugute kommen, an sich eine Selbstverständlichkeit. Kein nennenswerter Politiker hat sich bundesweit in der Diskussion gegen diese auf Initiative der· GRÜNEN.in das.Sparpaket eingefügte Verbesserung auch für diesen Personenkreis gewandt, außer· dreimal dürfen Sie raten- Florian Gerster aus Rhe·i~land-Pfalz.

Seiner Meinung nach ist das zu viel für diesen Personenkreis. Herr Gerster, Sie hätten vielleicht einmat. bei der Aktion der Kirchen.,Leben von Sozialhilfe" teilnehmen sollen. Da wären Ihnen die Augen aufgegangen. Er verliert kein Wort darüber, dass die Sozialhilfesätze seit X Jahren nicht mehr an die 'Le

bensha[tungskostenentwii;klung angepasst wurden oder dass

Besserverdienende durch diE:! Erhöhung von Steuerfreibeträgen für Kinder durch die neue Bundesregierung ein Mehrfaches profitieren können.

Sie-sollten einmal im Sozialgesetzbuch ganz vorn in § 1 nach

lesen, wasdort als Aufgabe von Sozialpolitik beschrieben ist, nämlich.,gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung.

der Persönli5=hkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen". Meine Damen und Herren, gleiche Voraussetzungen- dieser Gedanke der Chancengleichheit ist es leider nicht, der Sie und Ihre politischen Konzepte de facto pragt, Herr ·Minister.

Natürlich ist das Kindergeld nicht bedarfsgerecht und bringt

für einkommensschwäche Familien verstärkt Ungerechtigkeiten mit sich. Dann erhöhen Sie doch das Kindergeld bedarfs- · gerecht, anstatt mit Steuerfreibeträgen die besser Gestellten weiter zu unterstützen. Sie hätten die Macht mit Ihrer Partei,

· · dies so zu tun.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie zäumen das Pferd von hinten auf, Herr Gerster. Sie müs

sen jedoch.zunächst einmal die Schere zwischen Arm und Reich zusammenbringen, also die Verteilung von oben nach unten angehen, also für die vertikale Gerechtigkeit sorgen. Dann haben Sie auch das Geld,.um die horizontalen Ungerechtigkeiten, die wirklich bestehen, auch auszugleichen,

(Rösch, SPD: Was machen eigentlich Ihre politischen Freunde in Berlin?)

. ohne die Billig lohn- und Ar~utsspirale noch ~eiter n~ch ·un

ten zu drehen; denn dort liegt das Problem, meine Damen und Herren.

(Schweifzer, SPD: Wo leben wir eigentlich?·

Rösch, SPD: Was machen eigentlich Ihre-Parteifreunde in Berlin?)

Ich habe Ihnen doch soeben gesagt, Sie haben die Macht, in diesem Bereich sehr viel mehr durchzusetzen, aber Sie gehen das nicht an.

Meine Damen und Herren, es ist keine Frage, dass möglichst viele Menschen, die heute durch Arbeitslosigkeit auf Sozialhilfe angewiesen sind, wieder Arbeit finden sollen. Das unter

stützen wir doch alle in diesem Hause. Gott sei Darik ist es in der Regel so, da~s Menschen, die einmal von Sozialhilfe abhängig waren, wieder Arbeit finden. Das· ist deswegen so, weil der weitaus Oberwiegende Anteil der Menschen aHes Erdenkliche tut, um den Lebensu,nterhalt durch Arbeit bestreiten zu können.

Aber.es gibt natürlich auch _Iangzeitarbeitslose Menschen, die· sich zigfach erfolglos bewer~en und trotz hoher Qualifikation und Moti'Jation keine Arbeit.finder'l, oft allein nur ihres

Alters wegen. Heute wird es ab 50 schon sehr schwierig, Ar- , oeit zu finden, wenn jemand einmal arbeitslos geworden ist.

1 Genau diese Menschen sind es, die genau hinhören, die di~

Zwischentöne wahrnehmen und zwischen den Zeilen lesen, die zum Beispiel erkennen, dass der schöne Titel ,.Arbeit muss sich lohnen'' für ein Programm, ,das Arbeitsplätze fördern will, von denen man kaum existieren kann, die falsche Überschrift ist. ,.Arbeit muss sich lohnen" ist die falsche Überschriftfür Arbeitsplätze im Billiglohnbereich.

Durch die Herstellung eines derart falschen Zusammenhangs entsteht- zumindest unterschwellig - leicht der Eindruck; als sei es dere': eigene Schuld, 9ass sie keine Arbeit finden oder dass sie die Abhängigkeit von Sozialhilfe als ganz gemütlich empfinden.

Rösch, SPD: Das ist doch Quatsch! Das

, interpretieren Sie hinein! Qas ist ein starkes Stück! Sh~ lesen daraus,

was Sie wollen! Das istwirklich eine Unterstellung!

,Zuruf der Abg. Frau Pepper, SPDZurufdesAbg. Kt.Jhn, F.D.P.)