Protocol of the Session on August 27, 2020

Haben die Kommunen die zeitliche Gestaltung in der Hand? Wie lange dauern Enteignungsverfahren für erforderliche und abrechnungsfähige Grundstücke? Wie lange dauern Mängelbeseitigungsverfahren? Muss ich Vorausleistungsbescheide bei Verfristung der Maßnahme aufheben und die vereinnahmte Leistung zurückzahlen? Wer übernimmt den Schaden?

Was mache ich mit unfertigen Altanlagen? – In meiner Kommune gibt es Erschließungsstraßen, die 40 Jahre alt sind. Die tatsächliche Bebauung der Grundstücke erfolgt schleppend, da sie von Ortsansässigen für ihre Kinder und Enkelkinder vorgehalten werden. Ein rascher Vollausbau zöge einen für die Lebensdauer der Anlage nicht zuträglichen Flickenteppich nach sich. Auch sind die Bauherrn und -damen oftmals froh, wenn die Zahlung der Erschließungsbeiträge erst mit zeitlicher Verzögerung erfolgen muss.

Auf den Listen zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge haben bei uns viele unterschrieben, die hoffen, an den Kosten für diese Erschließungsmaßnahmen vorbeizukommen. Zahlt dann derjenige, der beim Vorhaben- und Erschließungsplan dem Investor seinen Erschließungsbeitrag sofort bezahlen muss, später als Steuerzahler für diese Anwohner mit? Ist das den Mietern gegenüber gerecht? Was mache ich mit den Fällen, in denen Anwohner die Erschließungsstraße bezahlt und mit der Verwaltung eine spätere Fertigstellung vereinbart haben?

Hohen individuellen Belastungen können wir mit dem geänderten KAG über Ratenzahlung und Stundung begegnen. Es bleibt aber auch in Ihrem Antrag ein wesentlicher Punkt offen. „Hätte nicht schon vor Jahrzehnten einmal auf weitere Kosten hingewiesen werden müssen, die bei Veräußerungen von Immobilien

hätten berücksichtigt werden können?“, frug ein Petent.

Natürlich kann ich im Einzelfall auf die in der Örtlichkeit erkennbar höher liegenden Grundstückseinfahrten und provisorischen Wassereinläufe verweisen. Ich kann auf Anliegerbescheinigungen im Bauamt, auf die in der Praxis nur zum Teil vorhandenen und im Ratsinformationssystem hinterlegten Beobachtungslisten abheben und sagen: Eigenverantwortung. – Es müssen aber weder Notare noch BORIS.NRW auf ausstehende Erschließungsbeiträge hinweisen. Welche Kommune schreibt alle fünf Jahre die Grundstückseigentümer an? Wie weist sie auf den Umstand künftiger Beitragserhebungen hin?

Über solche Dinge, über Best Practice, sollten wir diskutieren, solange das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch aussteht.

(Christian Dahm [SPD]: Finde ich gut!)

Eine Verjährungsregelung werden wir dann beschließen – vielleicht auch eine der bayerischen Regelung sehr nahekommende. Für heute lehnen wir jedoch ab.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Dahm [SPD]: Nichtstun ist keine Alternative!)

Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD hat die Abgeordnete Frau Stock das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erschließungsbeiträge haben im Gegensatz zu Straßenausbaugebühren durchaus ihre Berechtigung. Wenn Sie ein Haus in einem Neubaugebiet bauen wollen, dann machen Sie vorher eine Kalkulation. Darin sind allerhand Posten enthalten, ganz sicher unter anderem auch die Kosten für die Erschließung des Baugrundstücks – zahlbar an die Kommunen. Sie planen das ein und wissen: Es kommt auf Sie zu. Das hat so absolut seine Richtigkeit, denn schließlich möchten Sie eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur rund um ihr Haus nutzen. Die Anlieger tragen rund 90 % der Erschließungskosten.

Wenn Sie aber ein Haus mit einem Grundstück kaufen, das zum Beispiel 1970 gebaut wurde, und es für Ihre Familie aufwendig sanieren und modernisieren, dann haben Sie mit ziemlich hoher Sicherheit in Ihrer Kalkulation keine Erschließungskosten eingeplant. Warum auch? – Die Wohnumgebungslage ist lange gewachsen und ausgiebig genutzt. Dennoch kann es Ihnen passieren, dass die Kommune für Ihr Grundstück plötzlich hohe Erschließungskosten verlangt. Dann stehen Sie womöglich finanziell vor dem Abgrund.

Immer wieder kommt es vor, dass Kommunen Jahrzehnte nach der eigentlichen Erschließung noch Beiträge verlangen. Genau hier setzt unser Antrag an. Denn in Nordrhein-Westfalen gibt es keine zeitliche Begrenzung für die Erhebung dieser Kosten, obwohl die Länder seit November 1994 die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Erschließungsbeitragsrechts besitzen. So gelten die Regelungen des Baugesetzbuchs in Nordrhein-Westfalen weiterhin, und das Baugesetzbuch beinhaltet keine Verjährungsregeln.

Wir fordern deshalb das Land Nordrhein-Westfalen dazu auf, seine Gesetzgebungskompetenz zu nutzen und zeitnah eine Verjährungsregelung vorzulegen, nach der Erschließungsbeiträge nur noch innerhalb von höchstens 20 Jahren nach dem Eintritt der Vorteilslage erhoben werden dürfen.

(Beifall von der SPD)

Zudem fordern wir einen Ausschluss von Erschließungsbeiträgen für vorhandene Erschließungsanlagen, die für eine Beitragspflicht noch nicht entstanden sind – und zwar dann, wenn seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Sachverständigen in der Anhörung war zu dem Thema klar, dass wir in Nordrhein-Westfalen dringend Rechtssicherheit auf diesem Gebiet benötigen. Denn selbst wenn es nach dem kommunalen Abgaberecht für die Erschließungsbeiträge eine Verjährung von vier Jahren gibt, so kommt diese häufig genug nicht zum Tragen, da die Voraussetzungen für die Festsetzung des Erschließungsbeitrages fehlen.

Auch das oft erwähnte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster von 2017, dass eine Frist von mehr als 30 Jahren gegen Treu und Glauben verstoße, wenn es die Vorteilslage durch technische Fertigstellung der Straße bereits verwirklicht hat, bietet keine Lösung.

(Beifall von der SPD – Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

Auch noch ausstehende Urteile anderer Instanzen sind in dieser Frage kein Grund zur Untätigkeit. Wir von der SPD-Fraktion sind der Ansicht, dass es durchaus eine Frage der Haltung ist, dieses Thema jetzt endlich aufzugreifen und es analog zu anderen Ländern auf Landesebene zu regeln.

Herr Dr. Nolten, Sie haben einiges zu unserem Antrag gesagt, aber ich habe bis jetzt von Ihnen nur Fragen und keine zupackenden Antworten gehört, was Sie jetzt tun wollen. Anders gesagt: Hier ist die Landesregierung gefordert, Ungerechtigkeiten und Missstände zu erkennen und das zu ändern. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank. – Für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Herr Haupt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der SPD greift ein in der Tat wichtiges Thema auf, das auch uns sehr am Herzen liegt. Ein verlässlicher und überschaubarer zeitlicher Rahmen bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen würde viel Ärger vor Ort vermeiden und zu einer größeren Planbarkeit und Akzeptanz führen.

Die Fälle, die uns in den Kommunen begegnen, bei denen Anwohner seit Jahrzehnten faktisch bestehender Straßen mit Ersterschließungsbeiträgen konfrontiert werden, führen oftmals zu großem Ärger und Frust. Das Anliegen und die Intention des Antrags werden von daher auch absolut von uns geteilt. Wir brauchen hier neue, berechenbare und auch sattelfeste sowie rechtssichere Regelungen.

Derzeit sieht die Rechtsprechung so aus, dass die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen ausgeschlossen ist, wenn mehr als 30 Jahre seit Entstehen der tatsächlichen Vorteilslage vergangen sind. Die tatsächliche Vorteilslage gilt dabei als eingetreten, sobald sie allen technischen Anforderungen entspricht. In der Praxis führt das dazu, dass die Fertigstellung und damit die Abrechnung oftmals zeitlich sehr, sehr verzögert erfolgen.

Das Erschließungsrecht ist zunächst Bundesrecht und verzichtet im Baugesetzbuch auf eine Verjährungsfrist. Seit 1994 haben die Bundesländer die Möglichkeit, selbst gesetzgeberisch tätig zu werden. Fairerweise sollte man dazu sagen, dass in den vergangenen 26 Jahren keine der Vorgängerregierungen eine zufriedenstellende Lösung geschaffen hat.

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist aber eine gesetzliche Regelung erforderlich, um eine – zumindest landesweite – Verjährungsfrist festzulegen. In einem Klageverfahren zur betroffenen Regelung in Rheinland-Pfalz hat das Gericht hierzu das Bundesverfassungsgericht angerufen und das laufende Verfahren in dieser Frage bis zu einer Entscheidung ausgesetzt. Leider steht diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immer noch aus.

Es macht unserer Überzeugung nach keinen Sinn, jetzt hier vorzupreschen. Wir sollten diese höchstrichterliche Entscheidung abwarten, damit diese auch Klarheit über den Gestaltungsrahmen bringt, den wir Länder haben, um hier Rechtssicherheit zu schaffen.

Wir wollen eine Neuregelung unter Berücksichtigung dieser Rechtsfindung. Ich denke, dieses kleine

Zeitfenster bis zu einer Entscheidung in dieser Frage können und sollten wir uns nehmen, damit die Bürgerinnen und Bürger auch Verlässlichkeit und Rechtssicherheit haben. Hier gilt für uns: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Wir wollten schie- ben, haben wir angeboten!)

Herr Kollege, für uns als FDP ist klar: Wir wollen Anlieger vor zeitlich unbegrenzten Beitragsforderungen schützen – genau wie Sie.

(Zuruf von der SPD)

Der Grundsatz der Belastungsklarheit und der Belastungsvorhersehbarkeit muss künftig auch für Erschließungsbeiträge gelten. Das ist für uns gar keine Frage. Dazu brauchen wir eine angemessene Frist. Da gibt es überhaupt keinen Dissens hier im Hause.

Bei einer zeitlichen Begrenzung der Erhebung von Erschließungsbeiträgen mit einer Höchstfrist von 20 Jahren – wie von Ihnen vorgeschlagen – ist es fraglich, ob wir dann Rechtsfrieden hätten. Denn der Gestaltungsspielraum, den wir haben, scheint irgendwo zwischen zehn und zwanzig Jahren zu liegen. Wir wissen es aber nicht genau. Auch zehn Jahre sind nicht rechtssicher; auch diese stehen zurzeit rechtlich in der Diskussion.

Deshalb lassen Sie uns, so unbefriedigend es im Moment auch sein mag, uns noch die Zeit bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts nehmen. Ich bin mir sicher, dass wir dann eine Regelung finden, die sowohl den Kommunen als auch den Anliegern gerecht wird und insbesondere auch die Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung berücksichtigen kann.

Aus diesen Gründen lehnen wir Ihren Antrag zum jetzigen Zeitpunkt ab, weil es wirklich niemandem hilft, wenn wir heute einen Beschluss fassen, der dann in wenigen Wochen wieder vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Damit hätten wir – Kommunalwahl hin oder her – für den Bürger nichts erreicht.

Ich bin mir aber sicher, dass wir nach der Herstellung der Rechtssicherheit durch das Bundesverfassungsgericht hier eine gemeinsame, verlässliche und bürgernahe Lösung finden werden. – Danke.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Haupt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Remmel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da die Vorredner*innen den Beratungsgegenstand schon ausreichend vom Sachverhalt her dargestellt haben, brauche ich das nicht zu wiederholen; denn

es scheint eine große Einigkeit zu geben, dass solche bisher fehlenden Fristen zur Verjährung der Erschließungsbeiträge dringend notwendig sind und landesgesetzlich eingeführt werden sollten.

Deshalb habe ich die große Freude, die Debatte ein wenig zu kommentieren und zu beschreiben, was hier gerade passiert ist.

Sie kennen doch „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“. Da gibt es den Scheinriesen Tur Tur: Je näher man kommt, desto kleiner wird er. – Das habe ich hier gerade erlebt.

Sonst hört man die NRW-Koalition immer sagen: Wir verkünden; wir machen; wir tun dieses.

(Heiterkeit von der SPD)

Und was war heute? Da kommt Herr Haupt und stellt den Sachstand dar – ein Sachstandsberichterstatter. Aber nicht handeln, sondern irgendwann einmal gucken, vielleicht!

Noch schöner ist Herr Nolten. Der Wenn-und-aberMann stellt Fragen über Fragen,

(Zuruf von der CDU)