Protocol of the Session on August 26, 2020

Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Kollege Remmel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang einer Debatte, die, glaube ich, für die Zukunft unserer Kommunen von entscheidender Bedeutung ist, muss ich – das tut mir leid – deutlich Verfahrenskritik in Richtung Koalitionsfraktionen äußern.

Es ist dem Thema nicht angemessen, wie Sie mit Ihrem Antrag umgegangen sind. Im November haben Sie einen Antrag gestellt und anschließend eine große Anhörung durchgeführt. Der Antrag ist bei allen, die angehört wurden, durchgefallen. Dann sind Sie zwei Tage – Sie schieben das auf Corona – vor der abschließenden Landtagsdebatte mit einem Änderungsantrag gekommen, der einen völlig anderen Kern als Ihr Ursprungsantrags hat, und haben im

Ausschuss nicht einmal eine Fachdebatte darüber geführt.

(Beifall von der SPD – Christian Dahm [SPD]: So ist es!)

Das ist dem Thema nicht angemessen. Das ist der Sache nicht angemessen. Und vor allem schadet das in der Perspektive, schnelle Handlungsoptionen für unsere Kommunen wiederzugewinnen.

(Christian Dahm [SPD]: Genau so ist das!)

Auch wenn wir das heute nicht mehr vorsehen, rate ich dringend dazu, dies erneut intensiv im Ausschuss zu diskutieren. Der Antrag der SPD ist ein guter Anlass, zumindest in der Problembeschreibung den richtigen Ansatz zu finden und daraus Maßnahmen zu entwickeln.

Ich habe mich gefragt: Warum agieren Sie so?

(Christian Dahm [SPD]: So ist das! Das ist ge- nau der Punkt!)

Ich glaube, dass die Grundkoordinaten Ihres Koalitionsvertrages und Ihres Verständnisses von Kommunal- und Stadtentwicklungspolitik falsch waren und Sie jetzt merken, dass Sie umsteuern müssen.

So, wie Sie das angelegt haben, kommen Sie nicht zurecht. Sie haben die Stadtentwicklung komplett aus dem Namen des Ministeriums gestrichen, stattdessen aber die Heimatförderung aufgenommen. Das ist ein Kümmern um die Girlande, aber nicht um die Hard- und Software.

(Beifall von den GRÜNEN und Sarah Philipp [SPD])

Sie merken jetzt plötzlich, dass die Wiederbelebung einer Stadtentwicklungspolitik, bei der die Bürgerinnen und Bürger, die Demokratie und demokratische Entscheidungen im Mittelpunkt stehen, nicht Grundlage Ihrer Politik war, und das ist der Grund für diese Manöver.

Die zweite Grundannahme, die nicht stimmt, betrifft das, was Herr Kehrl eben noch einmal vorgetragen hat, als er von einer symbiotischen Beziehung unserer Innenstädte und des Einzelhandels gesprochen hat.

Das Problem besteht doch darin, dass sich diese symbiotische Beziehung gerade auflöst. Das ist doch der Grund, warum wir hier miteinander diskutieren. Die Revolution frisst ihre Kinder. Das, was die europäische Stadt über lange Jahre, über Jahrzehnte und Jahrhunderte ausgemacht hat, nämlich Freiheit, Bürgersinn, Demokratie, Selbstbestimmung und Handel an einem Ort zusammenzubringen, löst sich auf.

Darauf findet man keine demokratische, bürgerschaftliche Antwort, indem man versucht, das Geschäftsmodell am Leben zu erhalten oder gar zu

verlängern. Vielmehr muss man neue Ideen entwickeln. Da springt Ihr Antrag in der Tat zu kurz.

Die dritte Fehlannahme hat Herr Kehrl auch vorgetragen. Die Städte müssen wieder in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden. Wenn man das will – wir wollen das auch –, muss man die Instrumente stärken, damit Städte entscheiden können.

Da bleibt eine große Leerstelle, denn das entscheidende Instrument der Stadtentwicklungspolitik ist es, eigene Bodenpolitik machen zu können. Dazu fehlt den Kommunen in Nordrhein-Westfalen jedenfalls an vielen Stellen jedoch die finanzielle Grundlage.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb ist die zwingende Voraussetzung – auch das sage ich in Richtung SPD-Antrag –: Förderprogramme sind gut und schön. Wir müssen die Kommunen aber wieder in die Lage versetzen, eigene Bodenpolitik jenseits von Spekulationen machen zu können. Das ist Vorsorgepolitik. Dafür braucht man Geld, um investieren zu können, aber dieses Geld haben unsere Kommunen nicht.

(Christian Dahm [SPD]: Absolut richtig!)

Deshalb gilt: Wenn man A sagt, muss man auch B sagen. Das heißt, die Frage der Altschulden ist dringend und grundlegend zu lösen, damit die Kommunen wieder investieren können und Gebäude vorsorgend möglicherweise über Bebauungspläne oder mit einem Vorkaufsrecht erwerben können, um Stadtentwicklungspolitik zu betreiben.

Inhaltlich haben Sie bereits einige Punkte angedeutet. Ja, die Idee von Stadt muss sich neu entwickeln, muss für jede Stadt möglicherweise neu diskutiert werden. Citymanager allerdings helfen dabei meiner Meinung nach nicht weiter. Hier muss man tiefer graben, wenn Sie so wollen.

Was ist die Idee einer mittleren Stadt? Was ist die Idee einer großen Stadt? – Vielleicht Handwerk, vielleicht Wohnen, vielleicht die Kombination aus Kunst und Kultur. Das aber wird jede Stadt für sich selbst diskutieren können.

Das tut sie aus verständlichen Gründen derzeit jedoch nicht, weil sie, wenn sie auf das Budget schaut, feststellt, dass die Möglichkeiten begrenzt sind, eigene Investitionen zu tätigen.

Ich weiß nicht, wie es in Ihrer Stadt aussieht, aber in meiner Stadt wurde Stadtentwicklungspolitik in den letzten 20 Jahren im Wesentlichen von der Sparkasse über Immobilienpolitik betrieben, also nicht demokratisch legitimiert und abgeleitet.

Natürlich sitzen im Verwaltungsrat auch der eine oder andere aus dem Rat sowie der Bürgermeister. Getrieben ist die Politik jedoch von Immobilieninteressen und nicht von der Stadtentwicklung. Das muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden,

und zwingende Voraussetzung dafür ist, dass die Kommunen über entsprechende finanzielle Spielräume verfügen.

Am Ende aber ist es das Grundverständnis von Demokratie und Staat als denjenigen, die die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten. Diese Interessen sind manchmal andere als die Interessen derjenigen, die die Immobilien besitzen. Deshalb braucht es entsprechende Instrumente, die Demokratie und Bürgersinn in der Stadtentwicklung wieder mehr Geltung verschaffen.

Beide Anträge enthalten allerdings nicht das, was notwendig ist. Zwingende Voraussetzung ist nämlich, dass sich unsere Kommunen an Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung orientieren; nur so hat Stadt eine Zukunft.

Grüne Infrastruktur sollte Ausdruck einer solchen Entwicklung sein. Bürgerinnen und Bürger wollen in Städten leben, aber sie brauchen Luft zum Atmen. Da wird der Sinn des Spruchs „Stadtluft macht frei“ neu definiert.

Das gelingt nur mit Klimaanpassung und grüner Infrastruktur. Das taucht jedoch in beiden Anträgen nicht auf. Dabei hat gerade die Coronakrise gezeigt, dass sich Bürgerinnen und Bürger in vielen Teilen ihre Städte selbst wieder zurückerobern, indem sie Raum nehmen. Das muss von Demokratie und Staat unterstützt werden. Solche Ansätze fehlen bei Ihnen jedoch völlig. Hier müssen wir dringend nacharbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler das Wort. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zalandogründer Oliver Samwer sagte vor einigen Jahren, Geschäfte seien Mittelalter und nur gegründet worden, weil es noch kein Internet gegeben habe.

Wir teilen diese offenbar einem übergroßen Selbstbewusstsein geschuldete Auffassung zwar nicht, aber sie zeigt doch ganz deutlich, mit welchen strukturellen Problemen der stationäre Einzelhandel heute zu kämpfen hat. Davon leiten sich dann eben die Verödungserscheinungen ab, die wir heute in vielen unserer Innenstädte erleben müssen.

Die planlose Lockdownpolitik der Regierung versetzt jetzt denjenigen, deren Geschäftsmodelle in den letzten Jahren ohnehin schon unter Druck standen, den Todesstoß. Kaufhof ist ein prominentes Beispiel, aber wahrscheinlich nicht das letzte.

Internetversandhändler haben eben eine Reihe von Vorteilen, die ein herkömmlicher Einzelhändler gar nicht wettmachen kann: Sie haben 24 Stunden am Tag geöffnet und quasi ein uneingeschränktes Sortiment. Man kann die Ware vom Sofa aus bestellen und quasi dorthin geliefert bekommen. Die Kostenstruktur der Versandriesen ermöglicht es auch häufig, sehr günstige Preise zu bieten.

Die Einzelhändler vor Ort können diese Vorteile gar nicht einholen. Sie können vielleicht Hybridlösungen anbieten und dem Kunden die Ware auf Wunsch nach Hause liefern – das machen viele inzwischen auch mit einigem Erfolg –, aber das alleine wird nicht ausreichen.

Das heißt aber auch nicht, dass man wie SPD und Grüne gerade den Einzelhandel jetzt schon aufgeben muss. Vielmehr müssen Innenstadt und Handel ein Einkaufserlebnis bieten, das das Internet eben nicht bieten kann: Der Kunde kann die Ware anfassen, er kann sie anprobieren, erleben und im Idealfall direkt mitnehmen, wenn er denn will. Er bekommt Beratung und hat einen Ansprechpartner aus Fleisch und Blut, wenn es Probleme gibt.

Viele auch jüngere Kunden möchten das auch heute noch. Das Ganze soll in ein sympathisches Ambiente eingebettet sein und Erlebnischarakter haben. Man will sich wohlfühlen, und – ganz wichtig – auch gut hinkommen.

Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen darüber, was die Innenstädte attraktiv macht und was nicht. Einige Punkte lassen sich fast überall lesen und kamen auch in der Anhörung zum Tragen:

Erstens: Sicherheit und Sauberkeit; das haben die Kollegen von CDU und SPD auch schon angesprochen. Das hat mich ein bisschen verwundert: Wir hören ja allenthalben, wie sicher es überall geworden sei, wie die Kriminalitätsstatistik von Jahr zu Jahr sinke, aber irgendwie scheint das bei den Bürgern nicht so richtig anzukommen.

Zweiter Faktor: das Ambiente. Historische Altstädte mit Sehenswürdigkeiten haben es da natürlich leichter. Gleichwohl kann man mit Veranstaltungen, verkaufsoffenen Sonntagen, Weihnachtsmärkten und Ähnlichem auch solche Innenstädte attraktiver machen, die vom Baustil her vielleicht nicht so eine Augenweide sind.

Dritter Faktor: das Warenangebot. Hier kann die öffentliche Hand wenig tun. Ein attraktiver Standort zieht auch weitere attraktive Anbieter an. Wo dagegen jetzt schon wenig los ist, wird es kaum ein neues Angebot geben.

Ein entscheidender Faktor ist jedoch der Komfort. Die Innenstadt wird natürlich nie so bequem sein wie der Einkauf von zu Hause. Das muss sie auch nicht, wenn sie ihre anderen Vorteile richtig ausspielt. Aber

einfach erreichbar muss die Stadt schon sein – auch und gerade mit dem Auto.

Das haben die Sachverständigen in der Anhörung in aller Deutlichkeit bestätigt. Das bestätigen auch zahlreiche Untersuchungen. Viele Kunden möchten mit dem Auto in die Stadt oder können gar nicht anders, zum Beispiel Familien oder Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Für die sind eben das Fahrrad und die Bahn keine Alternative.

Dafür muss es Parkplätze in der Innenstadt oder zumindest nah dran geben, und es muss staufreie Zufahrten geben: keine künstlichen Staus dank sogenannter Umweltspuren oder Expressbusspuren wie in Köln oder Düsseldorf.