Verbindungen zwischen den Missbrauchskomplexen „Lügde“ und „Münster“? – Erweiterung des Untersuchungsauftrages des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV (Kindesmissbrauch)
Ich eröffne hierzu die Aussprache und erteile für die Fraktion der AfD Herrn Abgeordneten Wagner das Wort.
Pädokriminelle Täter und Netzwerke, die Kindern sexuelle Gewalt antun, diese missbrauchen und quälen, müssen endlich unseren vollen Verfolgungsdruck spüren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen erleben in den letzten Monaten eine unfassbare Welle von sexueller Gewalt gegen Kinder: Besser gesagt: Es kommt immer mehr ans Licht.
Ans Licht kommt dabei aber leider auch, dass die staatliche Sphäre, also insbesondere Polizei und Jugendamt, aber auch Schulen, Kitas und Justiz, noch immer nicht richtig aufgestellt ist. Ob in Lügde, Bergisch Gladbach oder Münster: Mal gehen Jugendämter Hinweisen nicht oder nicht mit dem gebotenen Nachdruck nach. Mal verschwinden bei der Polizei Asservate und tauchen nicht wieder auf. Mal werden Anzeigen nicht bearbeitet. Auch die Gerichte sprechen viel zu selten ein Umgangsverbot für verurteilte Pädophile aus, das es ihnen verbietet, sich Kindern körperlich zu nähern.
Vor allem aber müssen wir als Politik alles in den Blick nehmen und daraufhin untersuchen, was wir strukturell verbessern können, seien es Arbeitsprozesse in den Ämtern, seien es Anzeige- und Meldepflichten, klare Definitionen von Zuständigkeiten; Minister Reul hat bei der Polizei bereits damit begonnen. Außerdem müssen endlich Aufsichts- und Sanktionsmechanismen eingeführt werden, die dann auch eingehalten werden.
Wir sollten die Täter, die noch im Verborgenen auch und gerade jetzt in dieser Sekunde agieren, spüren lassen, dass es uns ernst damit ist. Dazu gehört auch, dass wir den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall „Lügde“, den ich hier drei Mal gegen Ihre Stimmen beantragen musste, um die Tatkomplexe in Bergisch Gladbach und Münster erweitern.
Ich wundere mich ohnehin – und mit „sich wundern“ ist das schon nett umschrieben –, dass von keiner Ihrer vier Fraktionen dazu etwas gekommen ist. Es gab keinen Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes – nicht von der SPD, nicht von der FDP, nicht von der CDU, nicht von den Grünen. Dabei sind die pädokriminellen Taten in Münster doch ebenso widerwärtig und pervers, wie sie auch Hinweise darauf geben, was bei der Verhinderung, Verfolgung und Aburteilung nicht stimmt.
Schon von 2010 bis 2013 verbreitet der Haupttäter Adrian V. kinderpornografisches Material. Dafür gibt es die erste Bewährungsstrafe. Zu dieser Zeit kommt
er mit seiner Freundin zusammen, die ein kleines Kind mit in die Beziehung bringt. Weiterhin verbreitet er Kinderpornos im Netz.
Im ersten Strafverfahren, Ende 2015, ist die Sache ein Fall für die Clearingstelle, was aber keine familienrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht. 2016 wird die Mutter in ihrer Elternverantwortung belassen. Es gäbe keine Gefährdung – so das Jugendamt.
Im Juni 2017 wird Adrian V. dann wieder wegen Kinderpornos verurteilt, wieder nur auf Bewährung. Bis Mai 2020 vergewaltigt er das zehnjährige Kind immer wieder und nimmt dies auch per Video auf, um die Clips ins Darknet zu stellen. Mit weiteren – ich weiß, dass ich mir dafür eine Rüge einhandele – asozialen Dreckskerlen vergewaltigt er den Zehnjährigen und einen fünfjährigen Jungen stundenlang zu viert in der Gartenlaube seiner Mutter.
Ich will hier eines für unsere Fraktion ganz klar machen – und ich glaube, ich spreche da für alle Fraktionen –: Dieses widerliche und kaum zu begreifende asoziale Verhalten muss in uns jeden rechtsstaatlich möglichen Verfolgungsdruck auslösen. Diese Täter dürfen sich nicht mehr eine Sekunde sicher sein, nicht doch entdeckt zu werden und nicht doch hart und eindeutig verurteilt zu werden.
Das Beste ist es aber, wenn wir diese Taten schon im Vorwege verhindern, sodass Opfer gar nicht erst entstehen. Ich weiß, dass das nicht in jedem Falle möglich ist. Aber trotzdem müssen wir deshalb ran an die Strukturen, ran an die Jugendämter. Da darf es auch kein parteipolitisches Klein-Klein geben. Kommen wir also weg von diesen parteipolitischen Spielchen! Dafür ist die Sache zu ernst. Ich frage mich wirklich, warum man bestimmte Themen – und Kindesmissbrauch gehört ganz sicher dazu – nicht völlig von parteipolitischen Ränkespielen entfernt.
Wir haben bei der Erweiterung des von uns geforderten Untersuchungsausschusses „Lügde“ um den Komplex „Bergisch Gladbach“ ihre letztmalige Kritik aufgenommen und das Ganze für Sie sachlich zustimmungsfähig gemacht.
Und Münster, meine Damen und Herren, ist doch nun wirklich völlig unstrittig. Je schneller wir hier als Politik reagieren, desto eher können wir etwas gegen potenzielle Täter tun, desto eher können wir strukturelles und individuelles Behördenversagen abstellen, und desto eher, schneller und besser können wir potenziellen Opfern helfen, gar nicht erst zu Opfern zu werden.
Dafür stehen wir mit unserem Antrag, und dafür bitte ich Sie herzlich um Ihre Zustimmung. – Ich danke Ihnen.
Sie haben natürlich den Hinweis, den ich jetzt gebe, schon vorweggenommen. Ich will Ihnen zwar, was die inhaltliche Beschreibung angeht, nicht widersprechen. Gleichwohl würde ich Sie herzlich bitten, doch die parlamentarischen Umgangsformen an der Stelle zu bewahren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufarbeitung schlimmster Taten wie des massenhaften brutalen Missbrauchs von Kindern ist aus Sicht der CDU-Fraktion alles andere als dafür geeignet, sich mit parteipolitischen Überbietungsanträgen zu profilieren – insbesondere dann, wenn es den Betroffenen überhaupt nicht hilft.
Schlimmer noch: Noch mehr große Tatkomplexe gleichzeitig abzuarbeiten, führt genau zum Gegenteil dessen, was wir eigentlich mit dem Untersuchungsausschuss erreichen wollen, nämlich, notwendige Veränderungen – Sie haben es angesprochen, Herr Wagner – schnell und tiefgründig zu erkennen und dann auch politisch solche Veränderungen auf den Weg zu bringen.
Opferschutz – gerade was die Prävention, das Verhindern künftiger Taten und das schnellere Aufklären angeht – darf kein parteipolitisches Spielchen werden. Doch genau das, muss ich sagen, macht die AfD erneut, Herr Wagner, mit ihren beiden Anträgen, den Untersuchungsauftrag für Lügde um die Tatkomplexe von Bergisch Gladbach und Münster zu erweitern.
Das ist ja nicht das erste Mal. Schon vor wenigen Monaten – ich glaube, im Februar – kam reflexartig diese Forderung. Doch so, wie die Begründung schon im Februar war, ist sie heute auch. Es gibt nahezu keinen nachvollziehbaren Grund dafür: weder politisch noch strafrechtlich, nicht sachlich und erst recht nicht, was die besonderen Umstände – und das wissen Sie aus dem Untersuchungsausschuss zum Fall“ Lügde“ – des Falls „Lügde“ angeht.
Wenn man sich Ihre beiden Anträge inhaltlich anschaut, muss man doch feststellen, dass Sie offenbar bis heute noch nicht vollständig erfasst haben, wie man in dem Untersuchungsausschuss in der Ausschussarbeit wirklich vorankommt.
Der Untersuchungsausschuss „Lügde“ soll doch mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und Fehlverhalten von Behörden und Institutionen untersuchen. Er soll feststellen, wo es Defizite in den Strukturen, in den Arbeitsweisen und in den Kompetenzen von Behörden und Institutionen gibt, damit solche Fälle wie in Lügde, in Münster oder
in Bergisch Gladbach zukünftig schneller erkannt werden können, Täter schneller hinter Schloss und Riegel gebracht werden können und am besten die Tatmuster, die es ja gibt, viel schneller erkannt werden können, damit die Taten möglichst gar nicht erst passieren.
Es geht eben nicht – und das geht aus Ihren Anträgen hervor – um kriminalistische Fallbearbeitung. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:
„Durch den eingesetzten Untersuchungsausschuss IV ist daher notwendigerweise ebenso aufzuklären, ob auch strafrechtlich relevante Verbindungen zwischen den Missbrauchskomplexen von Lügde und Bergisch Gladbach vorhanden sind, …“
Wenn man sich Ihre Anträge anschaut, sieht man, dass mehr oder weniger alle Ihre Fragen in dieser Richtung eine grundsätzliche Fehleinschätzung dessen sind, was der Untersuchungsausschuss leisten soll. Denn wir sind keine Strafermittlungsbehörde. Wir sind weder Polizei noch Staatsanwaltschaft. Wir sind auch kein Gericht. Wir sind ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und eben nicht die „Soko Landtag“.
Den Kindern, den Opfern von brutalem Missbrauch und unendlicher Gewalt, helfen diese Anträge hier im Plenum überhaupt nicht weiter – im Gegenteil.
Würden wir diesen Anträgen von Ihnen stattgeben und sie unterstützen, würden wir uns heillos zwischen den unterschiedlichen Ermittlungsverfahren verzetteln.
Ich gebe dem Kollegen Börschel von der SPD in seiner Funktion als Ausschussvorsitzender recht. Er hat kürzlich in einem Interview im „SPIEGEL“ gesagt – ich zitiere –:
Recht hat der Kollege Börschel. Absolut in Ordnung! Genau das dürfen wir nicht, und genau das müssen wir verhindern – wobei ich mich an dieser Stelle frage, wie die SPD heute mit den Anträgen der AfD umgehen wird. Denn der SPD-Fraktionsvize Wolf – er ist im Moment leider nicht hier – hat schon Ende Juni über die dpa angekündigt, dass die SPD auch an einer solchen Erweiterung arbeite. Deswegen bin ich einmal gespannt. Nicht, dass die SPD heute Ihre Anträge ablehnt, um sie in vier Wochen möglicherweise selbst ins Plenum einzubringen!
Das ist aber egal. Viel wichtiger ist es doch, am Beispiel des großen, in seiner Dimension des Schreckens besonderen Tatkomplexes „Lügde“ Verfehlungen und Unzulänglichkeiten zu erkennen sowie daraus politische und gesetzgeberische Konsequenzen
zu ziehen. Denn im Fall „Lügde“ gibt es eine unvergleichliche Häufung von Fehlern, Unzulänglichkeiten, Fehlverhalten und Naivität. Genau dieses Bild zeichnet sich seit Monaten im Untersuchungsausschuss in den Sitzungen ab.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, weshalb die Konzentration dieses Ausschusses auf den beispiellosen Tatkomplex von Lügde beschränkt werden soll. Das ist dieses unsägliche Mauern von beteiligten Behörden und Ämtern, wenn es darum geht, redlich und ernsthaft aufzuklären.
Insofern bin ich froh über die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das mit seinem Urteil zur vollumfänglichen Aussageverweigerung der Jugendamtsmitarbeiter aus Niedersachsen der Arbeit im Ausschuss den Rücken gestärkt hat. Die Richter haben damit klar zum Ausdruck gebracht, dass man sich seiner Verantwortung nicht so einfach entziehen kann.
Verantwortung gegenüber den Opfern zeigen und durch eigenes Handeln versuchen, dass es zukünftig möglichst keine Opfer mehr gibt: So verstehen wir als CDU-Fraktion die Arbeit im Untersuchungsausschuss. Das ist Leitlinie dessen, was wir dort tun.
Übrigens: In demselben Interview im „SPIEGEL“, aus dem ich gerade den Kollegen Börschel zitiert habe, fordert die SPD bereits jetzt, dass der Untersuchungsausschuss „Lügde“ über die Landtagswahl 2022 hinaus arbeiten soll – heute schon für die Zeit nach 2022. Ich will mir gar nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn wir den Auftrag für Lügde auch noch um Bergisch Gladbach und um Münster erweitern würden. Aber das klären dann diejenigen, die das beantragen, bitte untereinander.
Wer wirklich aufklären will, wer wirklich die richtigen und notwendigen Schritte aus den Versäumnissen im Fall „Lügde“ ziehen will, wer will, dass Tatmuster bereits erkannt werden, bevor Taten passieren, und wer die Arbeit im Ausschuss nicht lahmlegen will, stimmt heute gegen die Anträge der AfD und wird sich nicht selbst auf den Weg machen, möglicherweise eigene Anträge zu stellen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Panske. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Berghahn das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In gewisser Hinsicht ist mir durchaus klar, wieso diese Anträge von der AfD hier heute eingebracht worden sind. Es gibt viele Hinweise, dass die verschiedenen Missbrauchskomplexe zusammenhängen. Die beiden vorliegenden Anträge sind dementsprechend
umfassend formuliert und sollen erläutern, wo es Verbindungen zwischen den Taten in Lügde und denen in Bergisch Gladbach und Münster geben könnte. Dazu kommt die grundsätzlich richtige Forderung, den Untersuchungsauftrag des PUA IV so zu erweitern, dass eine Kontrolle der Behörden auch zu den beiden anderen Komplexen möglich sein soll.
Sie von der AfD-Fraktion wissen ja selbst, dass diese Forderung grundsätzlich richtig ist. Denn Sie haben eine Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 30. Juni dieses Jahres aufgegriffen. Wir freuen uns natürlich, wenn Sie unsere Pressemitteilungen lesen, auch wenn Sie daraus diesen untauglichen Versuch machen, daraus heute einen Antrag ins Plenum einzubringen.