Bei der Gesamtabwägung kommt die Landesregierung zur Auffassung, dass der Gesetzentwurf nicht unsere Zustimmung findet.
Eine allerletzte Anmerkung – auch das ist schon vortragen worden: Der Hinweis, dass wir uns gerade in diesen Zeiten Gedanken machen müssen, wie wir Demokratie stärken können, ist sehr berechtigt. Ich bezweifle allerdings, dass man mit dieser vorschnellen Antwort – Hauptsache, mehr Leute wählen zu lassen – das Problem löst.
Ich glaube, das ist ein viel tiefer gehendes Problem. Nun mal eben das Wahlrecht zu ändern, indem man sagt „Jüngere Leute können wählen, und damit haben wir mehr zur Stärkung der Demokratie getan“, ist meiner Meinung nach verdammt oberflächlich oder nur eine Scheinlösung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 17/8603, den Gesetzentwurf Drucksache 17/5619 abzulehnen. Wir kommen also damit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst, nicht über die Beschlussempfehlung.
Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Neppe. Ganz herzlichen Dank. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Gesetzentwurf Drucksache 17/5619 in zweiter Lesung abgelehnt.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der Grünen Herr Kollege Klocke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit einer Frage bzw. einem Quiz an Sie beginnen: Was haben die Staaten Burundi, Haiti, Nordkorea, Somalia, Nepal, Afghanistan und die Bundesrepublik gemeinsam?
Sie werden es ahnen: Es sind die zehn Staaten weltweit, in denen es kein allgemeines Tempolimit gibt. Die Bundesrepublik ist einer davon.
2018 gab es auf deutschen Autobahnen 424 Verkehrstote, davon 196 aufgrund zu hoher Geschwindigkeit, also 46 %, in denen eben die Geschwindigkeit mit verantwortlich für die Schwere des Unfalls war. 71 % der Todesopfer auf Autobahnen sind auf Strecken ohne Tempolimit zu beklagen gewesen; das sind eindeutig 424 Verkehrstote zu viel.
In Nordrhein-Westfalen gibt es auf 61 % der Autobahnen kein Tempolimit. Ich vermute, wie die Debatte gleich verlaufen wird. Die Kolleginnen von CDU und FDP werden sagen: Wir haben auf einem Großteil der Autobahnabschnitte eh schon ein Tempolimit, und mit Digitalisierung und Streckensteuerung können wir das entsprechend ausweiten. – 61 % haben also kein Tempolimit.
Was spricht für ein Tempolimit? – Das sind eindeutig zwei entscheidende Gesichtspunkte, nämlich zum einen die Unfallzahlen und die Verkehrssicherheit, zum anderen der Klimaschutz.
Aus dem Handbuch des Umweltbundesamtes ergibt sich ganz klar: Bei einem Tempolimit von 130 km/h für Pkws haben wir ein CO2-Einsparpotenzial von bis zu 2 Millionen Tonnen, bei einem Tempolimit von 120 km/h wären es sogar 3 Millionen Tonnen.
Es gibt bei einem hohen Tempo sehr lange Anhaltewege. Bei einer Geschwindigkeit von 180 km/h auf der Autobahn betragen die Reaktions- und Bremswege insgesamt 250 m. Bei Tempo 130 kommt das Auto bereits nach 118 m zum Stehen; auch das sind ein wichtiger Hinweis und ein wichtiges Argument für ein Tempolimit.
Jetzt stellen wir fest: In der Landesregierung gibt es durchaus unterschiedliche Argumente, was die Frage des Tempolimits angeht. Das war auch für uns ein Anlass, dieses Thema noch einmal auf die heutige Tagesordnung zu setzen.
Verkehrsminister Wüst reist weiter durch die Lande und ist klar gegen ein Tempolimit. Ich habe ihn noch vor Kurzem in Köln bei einer Veranstaltung gehört, wo er gesagt hat, es gebe schon Argumente für ein
Tempolimit, aber wenn er abends ins Münsterland nach Hause fährt bzw. nach Hause gebracht wird, würde er nicht verstehen, warum man da nicht auch einmal 160 oder 180 fahren kann.
Lieber Hendrik Wüst, es gibt viele Argumente für ein Tempolimit; die entscheidenden sind die Verkehrssicherheit, aber auch die Staus. Das ist ja auch ein Thema, das uns sehr intensiv bewegt. Der Verkehrsfluss harmonisiert sich mit einem Tempolimit, die Kapazitäten werden auf den Autobahnen durchaus ausgeweitet, und es gibt weniger Staus.
Der ADAC – nicht der ADFC, sondern der ADAC –, bisher die heilige Glaubenskongregation gegen ein Tempolimit, hat in einer Veröffentlichung Mitte Januar festgestellt: Sie positionieren sich nicht mehr bei der Frage des Tempolimits, denn bei einer Umfrage unter allen ADAC-Mitgliedern – das sind bundesweit immer noch sehr viele – ist herausgekommen, dass sich fast genauso viele für wie gegen ein Tempolimit aussprechen.
Eine Umfrage von infratest dimap Anfang Februar hat ergeben: 65 % der Bundesbürger sind heutzutage für ein Tempolimit von 130 km/h, nur noch 33 % dagegen.
All das sind gute und klare Argumente. Wer sich heute für ein Tempolimit ausspricht, wird den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger entsprechen. Was früher eine Minderheitenmeinung war, ist längst zur Mehrheitsmeinung geworden.
Wir Grüne haben Erfahrung damit: ob es der Atomausstieg, die Ehe für alle und andere Themen waren. Ein Thema, das zunächst Minderheitenthema war, wird heutzutage von einer breiten Bevölkerung getragen; deswegen ist die Zeit reif für ein Tempolimit – nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auf allen deutschen Autobahnen.
Wir haben ja ein gutes Beispiel für ein Tempolimit – man muss gar nicht weit gucken –, nämlich die Niederlande. Es gibt immer Verkehrsminister, die in die Niederlande reisen und bei ihren Terminen die niederländische Verkehrspolitik begutachten und preisen – ob es der gute Verkehrsfluss oder das Baustellenmanagement ist. Die Niederlande haben im letzten Jahr auf Autobahnen tagsüber ein Tempolimit von Tempo 100 km/h und nachts von Tempo 120 km/h eingeführt.
Es gibt viele Menschen – das wird Ihnen wahrscheinlich auch mal so gegangen sein, wenn Sie in den Niederlanden unterwegs waren –, die gesehen haben, wie entspannt man dort auf den Autobahnen fährt, wie gut der Verkehrsfluss ist, wie wenige Staus es dort gibt.
Lieber Hendrik Wüst, Sie sind auch als Verkehrsminister schon in den Niederlanden gewesen und haben sich die Situation angesehen. Von den Niederlanden lernen, heißt in diesem Fall, siegen lernen. Was in den Niederlanden gut funktioniert, würde auch in Nordrhein-Westfalen gut funktionieren.
Mein Stand ist: Tempo 100 km/h tagsüber und Tempo 120 km/h in der Nacht in den Niederlanden. Das ist ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann.
Wir schlagen der Landesregierung vor, einen weiteren Modellversuch durchzuführen, auch wenn es hier schon einige Modellversuche gab, beispielsweise in Brandenburg und in Sachsen, die zu sehr klaren Ergebnissen geführt haben.