Nicht dass wir uns falsch verstehen, meine Damen und Herren Kollegen: Was ich sage, ist kein billiger Populismus auf dem Rücken der Opfer. Es ist die Realität und größtenteils Ihrem Antrag entlehnt.
Genau vor diesen Realitäten verschließt sich Ihr Schaufensterantrag, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, dem sich die Grünen jetzt auch angeschlossen haben. Sie versuchen, ein Gesetz zu retten, das gut gemeint, aber nicht gut gemacht ist.
Anstatt über kostenintensive Aufklärungsblättchen oder die Umbenennung der psychosozialen Prozessbegleitung nachzudenken, hätten Sie doch Nägel mit Köpfen machen sollen. Das ist gar nicht einmal so schwer.
Richtigerweise müssten Sie darauf hinweisen, dass die Antragserfordernis zum Beispiel aus § 406g Abs. 3 Satz 1 abgeschafft wird. Nicht die Opfer müssten in die Lage versetzt werden, einen Antrag richtig zu stellen. Stattdessen müsste es umgekehrt sein: Bei den genannten schweren Katalogstraftaten müsste die Beiordnung von Amts wegen erfolgen – mit der Möglichkeit der Opfer, die Beiordnung mittels Antrags zurückzuweisen.
Dann wird ein Schuh daraus. Dann können die Praktiker vor Ort, nämlich Polizei und Staatsanwaltschaften, mit den Verfahrensbegleitern zusammenarbeiten. Dann würden Opferschutz und Täterverfolgung großgeschrieben. Das wäre ein großer Wurf.
Aber dazu fehlt Ihnen nicht nur der Mumm. Dazu fehlen Ihnen bei der tatsächlichen Masse an Katalogdelikten die Kapazitäten und auch das Geld.
Trotzdem werden wir die Beratung im Ausschuss natürlich kritisch begleiten und stimmen der Überweisung zu. – Schönen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Röckemann. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Biesenbach das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem 1. Januar 2017 ist der Opferschutz im Strafverfahren mit der sogenannten psychosozialen Prozessbegleitung um ein wichtiges Element bereichert worden. Hinter dieser zunächst recht sperrigen Bezeichnung verbirgt sich ein ganz einfacher und einleuchtender Gedanke: Schwer belastete Opfer sollen, wenn sie das wünschen, im gesamten Strafverfahren von besonders qualifizierten Fachkräften an die Hand genommen und begleitet werden.
Dass Opfer nicht alleine gelassen werden dürfen, ist eine viel bemühte Aussage, die natürlich deshalb nicht weniger richtig ist. Mit der psychosozialen Prozessbegleitung wird dieser Gedanke ganz konkret in die Tat umgesetzt. Opfer erhalten eine speziell ausgebildete Begleitung, die ihnen durch das Strafverfahren hilft, sie stabilisiert und stützt. Davon profitieren – und das ist das Wichtigste – die Opfer.
Aber auch für die Strafjustiz ist es ein unschätzbarer Gewinn, wenn die Opfer, deren Aussage häufig das wesentliche Beweismittel darstellt, professionell aufgefangen werden. Dabei nehmen die gut ausgebildeten und spezialisierten Begleiterinnen und Begleiter auf die Zeugenaussage selbst natürlich keinen Einfluss.
Der Landesregierung ist es ein besonders Anliegen, dass dieses wertvolle Instrument auch tatsächlich bei den Opfern ankommt. In Nordrhein-Westfalen gibt es dafür sehr gute Rahmenbedingungen. Insbesondere steht eine auch im bundesweiten Vergleich einzigartig hohe Anzahl anerkannter Begleiterinnen und Begleiter für die Opfer bereit.
Dass wir solche Rahmenbedingungen haben, ist das Resultat gemeinsamer Anstrengungen vieler gesellschaftlicher Kräfte unter Federführung des Justizressorts. Nicht zuletzt verdanken wir die gute Ausgangslage aber auch der Tatsache, dass alle noch heute im Landtag vertretenen demokratischen Fraktionen an einem Strang gezogen haben, als es im Jahre 2016 um die Umsetzung der bundesgesetzlichen Regelung in unserem Land ging.
Wir müssen nach nunmehr fast drei Jahren allerdings auch feststellen: Bislang ist psychosoziale Prozessbegleitung noch nicht überall gelebter Standard. Die Beiordnungszahlen steigen zwar stetig. Sie stellen uns aber insgesamt noch nicht zufrieden. Das entspricht der Entwicklung, die uns auch aus fast allen anderen Ländern berichtet wird, in denen die Zahlen teilweise sogar rückläufig sind.
Auch wenn die psychosoziale Prozessbegleitung nach den Maßstäben der Strafprozessordnung weiterhin ein recht junges Instrument ist, möchten wir erreichen, dass diese wertvolle Unterstützung möglichst schnell in weiterem Umfang auch tatsächlich bei den Opfern ankommt.
Erstens. Um die Bekanntheit und Akzeptanz der psychosozialen Prozessbegleitung weiter zu erhöhen, betreibt mein Ministerium kontinuierlich Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Diese werden wir noch weiter verstärken. Die Planungen für eine konzertierte landesweite Aktion und Kampagne laufen.
Zweitens. In der Praxis hat sich gezeigt, dass wir das Verfahren zur Beiordnung und Abrechnung der psychosozialen Prozessbegleitung an einigen Stellen vereinfachen und, soweit möglich, beschleunigen müssen. Auch hieran arbeitet das Ministerium. Unter anderem haben wir bereits den Entwurf eines einfachen Antragsformulars für die Opfer erstellt.
Drittens. Sämtliche Maßnahmen stimmen wir eng mit der Praxis, insbesondere den Fachleuten aus der eigens eingerichteten Koordinierungsstelle Psychosoziale Prozessbegleitung, ab.
Schließlich hat sich gezeigt, dass die bestehenden bundesgesetzlichen Regelungen an einigen Stellen der Klarstellung bzw. Ergänzung bedürfen. Das betrifft beispielsweise die Frage, ob Angehörige von Getöteten einen Beiordnungsanspruch haben, und die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Begleiterinnen und Begleiter die gesetzlich vorgesehene dritte Stufe der Pauschalvergütung abrechnen können.
Auf der jüngst vergangenen Herbstkonferenz haben die Justizministerinnen und Justizminister der Länder daher einhellig die Bedeutung der psychosozialen Prozessbegleitung betont und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gebeten, die Notwendigkeit zur Klarstellung und Ergänzung der gesetzlichen Regelungen zu prüfen.
Sie sehen: Wir sind auf vielen Ebenen dabei, dem noch jungen Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung weiter zum Durchbruch zu verhelfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag wirft zu Recht eine Reihe von Fragen auf: Sind Opfer häuslicher Gewalt nicht ebenso schutzbedürftig wie die bis
her für die Beiordnung vorgesehenen Opfergruppen? Sollten wir es den Gerichten nicht ermöglichen, minderjährigen Opfern von Amts wegen eine psychosoziale Prozessbegleitung beizuordnen? Müssen wir es erwachsenen Opfern von Sexualdelikten tatsächlich zumuten, dass ihre Schutzbedürftigkeit im Rahmen der Beiordnung noch einmal gesondert geprüft wird? – All das wird man sich genau ansehen müssen.
Ich kann Ihnen versichern: In Nordrhein-Westfalen hat der Opferschutz herausragende Bedeutung. Ihn stetig zu verbessern, ist ein besonderes Anliegen der Landesregierung.
Wenn uns der Landtag mit dem vorliegenden Antrag Rückenwind gibt, ist das umso besser. Diesen Rückenwind nehmen wir gerne mit.
Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor, sodass wir am Schluss der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 4 angelangt sind.
Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/7761 – Neudruck – an den Rechtsausschuss zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenom
Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen, nicht allzu arbeitsreichen Nachmittag und ein ebenso schönes und auch nicht allzu arbeitsreiches Wochenende.