Protocol of the Session on May 24, 2019

Jetzt das Wahlverfahren zu ändern – da haben wir unsere Zweifel. Das wird nicht der richtige Weg sein, erstens weil wir bei der Kommunalwahl in den Landkreisen jetzt schon mindestens vier Stimmzettel haben: Wahlgang für den Stadt- oder Gemeinderat, Wahlgang für den Kreistag, die Wahl der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters, die Wahl der Landräte.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Das sind vier Stimmzettel, wenn die Kommunalwahl alleine steht und nicht noch mit einer anderen Wahl – wie wir es auch schon hatten, zum Beispiel Europawahl – kombiniert wird. Dann werden es noch mehr Stimmzettel und Wahlgänge.

Zweitens ist das Kommunalwahlgesetz gerade reformiert worden – nach wochen- und monatelanger Debatte. Es schließen sich Gerichtsverfahren an. Jetzt mit einem neuen, ganz anderen Vorschlag zum Wahlverfahren der Hauptverwaltungsbeamten zu kommen, ist objektiv wirklich der falsche, der zu späte Zeitpunkt.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Wir können unseren Mitbürgerinnen und Mitbürger nur zurufen: Wählen gehen – bei der Europawahl, jetzt am Sonntag, aber auch bei der Kommunalwahl kommendes Jahr. Machen wir es für die Bürgerinnen und Bürgern nicht zu mühsam.

(Michael Hübner [SPD]: Genau, die verstehen ja nicht, warum die Stichwahl abgeschafft wurde!)

Machen wir die Kommunalwahlen attraktiv und stärken wir damit die bürgerschaftliche Selbstverwaltung vor Ort. Vor diesem Hintergrund möchten wir dem Antrag der AfD-Fraktion nicht beitreten. – Ein schönes Wochenende. Danke.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun der Kollege Mostofizadeh.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Tritschler, Sie schaffen es immer wieder, sich selbst zu widersprechen bei Ihren Argumentationen.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Auf der einen Seite erklären Sie, die Grünen würden die SPD mittlerweile einholen, um hinterher zu sagen, wir wären ein Anhängsel der SPD. Was das mit Logik zu tun hat, bleibt AfD-Geheimnis.

Dann sagen Sie, es gäbe zwei Machtblöcke, einmal rot-grün und einmal schwarz-gelb. In vielen Bundesländern können Sie sich mal anschauen, dass das nicht nur arithmetischer Unsinn ist.

(Zustimmung von der AfD)

Und – das nehme ich für alle Parteien in Anspruch; sonst würden wir ja fusionieren –: Wir haben alle eigene Ansprüche an politische Schwerpunktsetzung; auch deswegen ist diese Analyse schon einmal falsch.

Der zweite Punkt, der mir in Bezug auf den vorgelegten Antrag wichtig ist: Warum haben Sie diesen Antrag nicht früher eingebracht? Warum haben Sie das nicht ins Verfahren eingebracht?

Sie müssen sich doch eines selbst vorhalten lassen – das ist ein schwerwiegender Punkt bei der Frage der Stichwahl; der wird auch in der Klage eine wichtige Rolle spielen –: Wahlrechtsverfahren ändert man nicht im Hopplahopp-Verfahren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den das Verfassungsgericht selbst ins Stammbuch geschrieben hat. Das ist auch Hauptteil des vierten Leitsatzes, den das Verfassungsgericht im Jahr 2008 entschieden hat.

Deswegen wäre es geradezu widersinnig, wenn wir vor das Verfassungsgericht gingen und sagten: „Passen Sie mal auf, diese Landesregierung bzw. die Koalitionsfraktionen haben das Wahlrecht nicht nur stümperhaft, sondern auch auf eine Art und Weise, die dem ganzen Verfahren nicht angemessen ist, geändert“, um dann selbst Änderungen im Verfahren vorzunehmen. Das ist schon aus Verfahrensgründen völlig unsinnig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will hinzufügen: Wir sind auch inhaltlich nicht dieser Meinung.

Herr Präsident, eines muss ich Ihnen – als Abgeordnetem, nicht in Ihrer Funktion als Präsident – schon sagen: Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Ih

rem Kollegen Hoppe-Biermeyer darüber, welche Position die CDU in den letzten fünf Jahren zur Zustimmungswahl mit integrierter Stichwahl eingenommen hat.

Das war deutlich weniger skeptisch als das, was Herr Hoppe-Biermeyer hier vorgetragen hat. Auch das Lesen des Protokolls könnte dabei weiterhelfen, Herr Kollege; da hat die CDU sich noch ganz anders positioniert.

Warum sage ich das? – Der Grund ist: Sie haben es nicht einmal für notwendig gehalten, diese beiden Punkte, die ich zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen würde – ich werde Ihnen gleich sagen, warum –, überhaupt zu prüfen. Das macht deutlich, dass CDU und FDP überhaupt nicht geprüft haben, welche Hauptvarianten, welche Mindervarianten es gibt und warum man das überhaupt prüfen sollte.

Bei Ihrem Parteitagsbeschluss lautete das Motto „Stichwahl abschaffen“, und deswegen wurde es gemacht. Mit politischer Prüfung hatte das überhaupt nichts zu tun; das wurde in Ihrem heutigen Redebeitrag nur allzu deutlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will einige Zahlen zitieren, um nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, in welch dramatischer Weise unsere Argumentation richtig ist: Die Stichwahlen 2015 zu den Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen haben gezeigt, dass in 45 von 49 Fällen die Zustimmung für den gewählten Kandidaten höher war als im ersten Wahlgang.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Ihre Unterstellung, die Stichwahl würde nicht wirken, ist also schlicht falsch.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In den vier übrig gebliebenen Fällen sind für zwei Fälle die Zahlen nahezu gleich. Es gibt einen einzigen Fall – das scheint ein Trauma der CDU zu sein –, nämlich in Lippe, wo der Kandidat im ersten Wahlgang noch fulminant vorne lag und im zweiten Wahlgang unterlegen ist, weil er deutlich weniger Stimmen als der SPD-Kandidat bekommen hat.

Ich will Ihnen mal Kandidaten zitieren – auch von der CDU:

Thomas Kufen in Essen steigerte die Stimmenzahl von 65.069 im ersten Wahlgang um immerhin fast 20 %, Herr Verfassungsminister, auf über 77.000 Stimmen im zweiten Wahlgang.

In Lünen ist es zu einem Zuwachs von fast 82 % der Stimmen gekommen, wenn man den zweiten mit dem ersten Wahlgang vergleicht.

In Krefeld gab es gegenüber dem ersten Wahlgang im zweiten Wahlgang ein Plus von 35 %, in Geilenkirchen plus 52 %, in Witten plus 18 %. Interessanterweise war bei den Letztgenannten die CDU meistens nicht dabei.

Deswegen sage ich Ihnen: Dieser Gesetzentwurf von der AfD kommt nicht nur zur Unzeit, sondern er ist auch unangemessen, weil es richtig ist, die Stichwahl beizubehalten.

Das werden wir mit aller Vehemenz vor dem Verfassungsgericht vortragen. Deswegen bin ich guten Mutes, dass wir damit durchkommen. Wir brauchen diesen Gesetzentwurf daher nicht. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung hat Minister Reul das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Sicht der Landesregierung gibt es viele Gründe, die gegen diesen Gesetzentwurf der AfD-Fraktion sprechen.

Die von der AfD vorgeschlagene Zustimmungswahl, bei der Wahlberechtigte so viele Stimmen hätten, wie es zugelassene Wahlvorschläge bei einer Bürgermeister- oder Landratswahl gibt, ist ein bisher in Deutschland nicht gebräuchliches Wahlverfahren. Auch die Wählerinnen und Wähler in NRW sind damit nicht vertraut.

In der Praxis würde die Ausübung des Stimmrechts im Vergleich zum bisherigen Erststimmenwahlrecht komplizierter und folgerichtig auch fehleranfälliger. Dies gilt umso mehr für die Auszählung der Stimmen und deren Dokumentation in den Wahlniederschriften. Alle Wahlvorstände müssten vorab entsprechend neu geschult werden.

Dennoch würde die Gefahr von Verwechslungen, Zählfehlern oder sonstigen Irrtümern wachsen. Der Aufwand bei der Auszählung würde größer und das vorläufige Ergebnis später feststehen.

Insgesamt nähme die ohnehin erhebliche Belastung der Wahlvorstände weiter zu. Bekanntlich sind bei verbundenen Kommunalwahlen bis zu fünf Wahlen auszuzählen, wenn eine kreisangehörige Kommune im Gebiet des Regionalverbandes Ruhr liegt. Die Gewinnung einer ausreichenden Anzahl von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern würde wahrscheinlich noch schwieriger, als sie es heute schon ist.

Wichtig erscheint mir auch, dass eine Zustimmungswahl kein stärkeres Votum für einen Bewerber garantiert als eine reine Mehrheitswahl mit nur einer Stimme. So könnten viele Wählerinnen und Wähler dazu tendieren, wie gewohnt oder einfach taktisch zu

wählen. Das heißt, Sie geben auch nur einem Bewerber, nämlich ihrem Wunschkandidaten, eine Stimme und sonst niemandem. Auf Parteitagen soll so etwas schon mal vorgekommen sein.

(Christian Dahm [SPD]: Bei uns nicht!)

Demnach schließt auch die Zustimmungswahl nicht aus, dass sich die Stimmen gleichmäßig auf alle oder mehrere Bewerber verteilen, sodass keiner in der Nähe der absoluten Mehrheit ist.

Im Ergebnis ist damit die Zustimmungswahl im Vergleich zur relativen Mehrheitswahl, die vom Wähler eine klare Präferenzentscheidung wie bei der Listenwahl verlangt, nicht vorzugswürdig; vielmehr würden mit der Einführung der Zustimmungswahl zusätzliche Probleme geschaffen. Das kann doch nicht unser Interesse sein.

Die derzeit erforderliche Präferenzentscheidung ist auch keine widerwillige Wahl des kleineren Übels in Gestalt eines mehrheitsfähigen Kompromisskandidaten, damit nicht ein noch unbeliebterer Kandidat siegt, wie es manchmal von Befürwortern der Zustimmungswahl behauptet wird.