Protocol of the Session on October 30, 2018

Schließlich haben wir das Problem, dass Frauen ohne ein Anrecht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch ihren Frauenhausaufenthalt selbst finanzieren müssen. Das ist gerade bei Studentinnen und bei Opfern aus Flüchtlingsfamilien ein sehr großes Problem.

Die SPD-Fraktion wird bei diesem Thema nicht warten, bis die Landesregierung in die Gänge kommt. Wir werden zur dritten Lesung des Haushalts 2019 einen Änderungsantrag einbringen, der weitere 8,5 Millionen Euro für die Infrastruktur der Frauenhaushilfe einfordert. Damit wollen wir die Zahl an Frauenhausplätzen schaffen, die die Istanbul-Konvention für richtig erachtet.

Ich komme zum Schluss. – Ich bin gespannt, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ob Sie das Rückgrat haben, um diese Änderung zu unterstützen und umzusetzen. Tausende Frauen in diesem Land warten auf diese Unterstützung. Enttäuschen Sie sie bitte nicht. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr die Abgeordnete Paul das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gewalt ge

gen Frauen und Mädchen sollte jeden Tag ein aktuelles Thema sein. Wir sollten auch in diesem Haus viel häufiger über dieses Thema sprechen.

Die Zahlen sind zwar schon genannt worden; man kann aber nicht oft genug darauf hinweisen, wie erschreckend diese Zahlen tatsächlich sind. Jede vierte Frau in Deutschland – und laut den Studien der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte sogar jede dritte Frau in Europa – wird im Laufe ihres Lebens Opfer irgendeiner Form von Gewalt. Es ist schon die erschreckende Zahl genannt worden, dass 147 Frauen im vergangenen Jahr von einem Partner oder Ex-Partner getötet worden sind. Das bedeutet, dass alle zwei oder drei Tage eine Frau in Deutschland an den Folgen von Partnerschaftsgewalt stirbt.

Und das ist nur das Dunkelfeld; das ist auch schon sehr deutlich geworden. Man kann es aber nicht häufig genug sagen. Das Dunkelfeld in diesem Bereich ist groß. Deswegen ist es gut, dass Sie jetzt tatsächlich eine Dunkelfeldstudie auf den Weg bringen. Wir wissen auch aus der gemeinsamen Arbeit im PUA „Silvesternacht“, dass die Dunkelfeldstudie, die das LKA in Niedersachsen in diesem Bereich durchgeführt hat, ganz wichtige Erkenntnisse geliefert hat.

Danach werden die Zahlen nämlich noch erschreckender. Schaut man sich die Anzeigenquote bei Sexualdelikten an, stellt man mit Erschrecken fest, dass sie bei nur 6,4 % liegt. Das heißt: Mehr als 90 % der Frauen, die Opfer eines Sexualdelikts werden, zeigen dies nicht an.

Das hat unterschiedlichste Gründe. Zum einen ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen weiterhin ein gesellschaftliches Tabuthema. Häufig – viel zu häufig – wird auch die Verantwortung für das Erleiden von Gewalt den Frauen zugeschrieben. Die Anzeigenquote hat außerdem etwas damit zu tun – das haben wir auch schon gehört –, dass Frauen aus Scham nicht anzeigen und vielleicht aus Angst nicht anzeigen, auch aus Angst, nicht ernst genommen zu werden.

Frau Ministerin, wir haben in unserer gemeinsamen Arbeit im PUA herausfinden können, dass Frauen sich bei der Polizei nicht zwingend gut aufgehoben fühlen und dass dort noch Fortbildungsbedarfe bestehen. Man muss Frauen mit ihren Erfahrungen ernst nehmen.

Dinge wie „Warum hatten Sie auch so einen kurzen Rock an?“ oder „Wie haben Sie sich denn in der Kneipe benommen?“ müssen endlich der Vergangenheit angehören. Es ist unglaublich, dass wir 2018 immer noch über so etwas diskutieren müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Oft genug haben Frauen leider das Gefühl, dass sie selbst die Verantwortung für das tragen, was ihnen zugestoßen ist, und weisen sich selbst die Schuld dafür zu, dass sie Opfer von Gewalt geworden sind.

Wir wollen noch einmal deutlich festhalten und von hier ein gemeinsames Signal aussenden: Frauen sind niemals selbst schuld daran, wenn sie Opfer von Gewalt werden, sondern die Täter sind schuld.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Hinzu kommt, dass geschlechterbezogene Gewalt oftmals ein Delikt im sozialen Nahfeld ist. Das macht es noch einmal schwieriger, den Täter anzuzeigen.

Da möchte ich Ihnen mit Blick auf das Polizeigesetz sagen: Die Frage, ob die Ingewahrsamnahme von zehn Tagen wirklich eine qualitative Verbesserung im Sinne des Gewaltschutzes ist, würde ich gerne noch einmal fachlich ausdiskutieren. Entscheidend ist, dass in § 34a Polizeigesetz die Wegweisung steht.

Das Ende von Gewalt ist für Frauen wichtig. Die Schwellen für dieses Ende von Gewalt dürfen wir auf keinen Fall wieder hochsetzen. Wenn Frauen sich Sorgen darum machen, was in diesen zehn Tagen mit ihrem gewalttätigen Partner passiert, weil er dann in Gewahrsam genommen wird, besteht die Gefahr, dass Frauen doch wieder nicht die Polizei rufen und die Gewalt vielleicht doch nicht beendet werden kann.

Darüber müssen wir fachlich diskutieren. Es geht um das Ende der Gewalt, und es geht darum, die Frauen zu schützen und zu unterstützen. Das muss im Fokus stehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch ins Stammbuch schreiben, dass es eine andere Maßnahme gibt, die wir endlich wirksam umsetzen müssen. Nach § 34a Polizeigesetz ist nicht nur die Wegweisung ein entscheidender Bestandteil, sondern auch, dass die Frauen im Nachgang Unterstützung bekommen. Diese Unterstützung müssen wir allerdings noch stark verbessern.

Deshalb brauchen wir Interventionsstellen, die den Frauen im Nachgang einer Wegweisung Unterstützungsangebote an die Hand geben und ihnen auch weitere Möglichkeiten aufzeigen können. Ich halte es im Sinne einer gemeinsamen gesellschaftlichen, aber auch gesamtpolitischen Verantwortung für notwendig, dass wir Interventionsstellen über das Innenministerium flächendeckend in Nordrhein-Westfalen finanzieren, sodass es nicht mehr dem – in Anführungszeichen – „Zufall“ der bestehenden Frauenhilfeinfrastruktur on top überlassen ist, sondern wir verlässliche Strukturen haben, damit Frauen bei Gewalt Unterstützung erfahren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Frauenhilfeinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen ist sehr gut aufgestellt. Ich möchte hier den Frauen in den Frauenhäu

sern, bei den Frauennotrufen und in den Frauenberatungsstellen noch einmal für ihre engagierte Arbeit danken. Sie unterstützen Frauen, die von Gewalt betroffen sind, jeden Tag und arbeiten daran, dass diese eine neue Perspektive jenseits von Gewalt für sich herausfinden können.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Trotzdem – das ist hier auch schon angeklungen – genügt das nicht. Unsere Frauenhilfeinfrastruktur leistet jeden Tag viel; aber es ist nicht ausreichend. Wir haben gestern in den Haushaltsberatungen schon darüber gesprochen. Eine auskömmliche Finanzierung für die Frauenhilfeinfrastruktur ist nach wie vor nicht sichergestellt.

Es hat mich einigermaßen überrascht, von der SPD zu hören, dass in Oppositionszeiten offensichtlich die Millionen lockerer sitzen, sodass man jetzt mal schnell einen Haushaltsantrag aus der Tasche zieht. Nichtsdestotrotz teilen wir sicherlich das Ziel.

(Anja Butschkau [SPD]: Es ist ja auch mehr Geld da! – Stefan Kämmerling [SPD]: Den Haushalt kennen Sie doch! Haben Sie den vo- rigen gelesen?)

Ich glaube, wir sollten uns jetzt nicht darüber streiten, sondern im Ziel einig sein, dass wir eine auskömmliche Finanzierung für die Frauenhilfeinfrastruktur brauchen. Da müssen wir aber auch den Bund mit ins Boot holen. Es reicht nicht – das habe ich gestern schon gesagt –, wenn die Bundesministerin ein Programm ankündigt. Vielmehr müssen wir gemeinsam mit dem Bund Wege finden, wie wir eine dauerhafte und verlässliche Finanzierung für die Frauenhäuser erreichen können. Der Bund ist an dieser Stelle mit in der Verantwortung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber auch das Land ist hier natürlich in der Verantwortung. Ich habe gestern auch gesagt: Ja, mehr Mittel im System sind gut und richtig. Aber das ist nicht ausreichend.

Ein Punkt sind die Interventionsstellen, die vom Land dringend weiter ausgebaut und finanziert werden müssen. Es geht aber auch um den Landesaktionsplan. Frau Schneider, Sie haben ihn angesprochen und gesagt, das sei bislang mehr oder weniger ein Sammelsurium; Sie wollten es weiterentwickeln.

Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, den Landesaktionsplan so weiterzuentwickeln, dass der Schutz von Frauen vor Gewalt und die Unterstützung von Frauen, die von Gewalt betroffen sind, verbessert werden. Ich hoffe, dass Sie das auch weiterhin im Gespräch machen, also runde Tische reaktivieren und das Ganze mit der Frauenhilfeinfrastruktur gemeinsam machen. Denn das sind die Expertin

nen. Sie können Ihnen auch wichtige Hinweise geben, wo die Frauenhilfeinfrastruktur noch Verbesserungsbedarfe hat.

Lassen Sie mich einen letzten Hinweis aufgreifen, der aus der Anhörung gekommen ist, und zwar zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Ich möchte darauf hinweisen, dass ein Land von der Größe Nordrhein-Westfalens aus meiner Sicht dringend eine Monitoringstelle für die Umsetzung der Istanbul-Konvention braucht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sind das größte Bundesland. Es wäre wichtig, neben der Koordinierungsstelle eine solche unabhängige Monitoringstelle zu haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die AfD erteile ich der Abgeordneten Frau Dworeck-Danielowski das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Mädchen, Gewalt innerhalb der Familie und Gewalt gegen Frauen durch ihren Mann bzw. ihren Ex-Partner sind ein trauriger Fakt in einer vermeintlich fortschrittlichen Gegenwart.

Trotz staatlich verordnetem Feminismus und unzähligen gleichstellungspolitischen Maßnahmen scheint im Verborgenen, im privaten Raum, in der Intimität zwischen Mann und Frau dieser Fortschritt nicht anzukommen. Es gibt immer noch gewalttätige Männer, und es gibt nach wie vor Frauen, die Gewalt erdulden, aushalten und es nicht schaffen, sich aus der lebensbedrohlichen Beziehung zu lösen. Manche schaffen es. Manche schaffen es nie und leben ein dauerhaftes Martyrium. 147 Frauen haben es nicht geschafft und das mit ihrem Leben bezahlt.

Wir sind froh darüber, dass heute diese Gewalt mit all ihren Ausprägungen Thema ist. Zu häufig wird der Begriff „Gewalt“ im öffentlichen Diskurs verwässert, indem alles Mögliche zur Gewalt gegen Frauen stilisiert wird: Werbeplakate, Sprache, ein anrüchiger Witz. Das mag alles gegebenenfalls ehrabschneidend sein. Aber Gewalt ist etwas ganz anderes.

Wie häufig Gewalt zu Hause stattfindet, können wir nur ahnen. In den seltensten Fällen wird die Gewalt öffentlich gemacht, zur Anzeige gebracht und rechtlich geahndet. Wir reden meist über Möglichkeiten, wie wir Frauen helfen können, die sich auf den Weg machen, sich aus der gewaltsamen Beziehung zu lösen, zum Beispiel über den Ausbau von Frauenhäusern – auch ein Thema, das unserer Fraktion von Beginn an sehr am Herzen lag.

Aber wie viel hat eine Frau schon erlitten, bis sie sich an das Frauenhaus wendet und aus ihrer eigenen Wohnung flieht? Gerade wenn eine Frau gebildet und emanzipiert ist und ein bürgerliches Leben führt, fällt ihr das Offenlegen ihrer Not besonders schwer. Die Scham vor den anderen, aber auch das Eingestehen vor sich selbst wiegen sehr schwer.

Wie kann es sein, dass mir als selbstbewusste Frau so etwas passiert? Mit dem Wissen darum, dass dann, wenn sie im Vertrauen vom Erlebten erzählt, in der Regel die Rückmeldung folgt: „Du musst dich auf jeden Fall trennen“, wird das Geheimnis lieber weiter gehütet. Einmal offengelegt, gibt es kein Zurück. Und Geheimnisse machen einsam, schaffen Distanz und isolieren.

Das ist nur ein kleiner Einblick in die komplexen emotionalen Verstrickungen, die zum Tragen kommen, wenn Gewalt in Beziehungen stattfindet.

Doch wie sieht die Situation aus, wenn Frauen sich Hilfe suchen? Die Zahl der Opfer nimmt stetig zu. Beispielsweise wurden in der Stadt Essen 820 Gewalttaten zur Anzeige gebracht. In 457 Fällen wurde der Mann der Wohnung verwiesen.

Die Frauenhäuser sind schon seit Jahren überlastet. Allein in Köln mussten die Frauenhäuser im letzten Jahr 700 Frauen abweisen. Und wir wissen ja: Nur die wenigsten wenden sich überhaupt an ein Frauenhaus.