Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Ich darf nun für die Landesregierung Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort erteilen. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bildungsgerechtigkeit, eine kluge Internationalisierungsstrategie und eine auskömmliche Finanzierung der Hochschulen sind entscheidende Erfolgsfaktoren für das Hochschulland NordrheinWestfalen. Das wird hier sicherlich niemand in Abrede stellen wollen. Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, die Position der Landesregierung kurz darzulegen.
Die Landesregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag klar dazu: Der Zugang zu Bildungschancen muss allen Kindern in Deutschland gleichermaßen offenstehen und darf nicht von der sozialen Herkunft abhängig sein. Deshalb verzichten die Regierungsfraktionen auf die Einführung von allgemeinen Studiengebühren. Auch das steht in aller Deutlichkeit in dem schon mehrfach zitierten Koalitionsvertrag.
Mit gleicher Deutlichkeit hat sich die Landesregierung einen Arbeitsauftrag in diesen Vertrag geschrieben: Wir wollen die Studienbedingungen an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen verbessern. Dafür sind zusätzliche Ressourcen unerlässlich. Deshalb wollen wir die Studienbeiträge für Studierende aus Drittstaaten einführen. Wie dies im Einzelnen aussehen wird und konkret ausgestaltet wird, ist zunächst Gegenstand von Gesprächen mit den beteiligten Hochschulen.
Gleichzeitig wollen wir nach Baden-Württemberg schauen und sehen, was wir von dem dortigen Prozess für Nordrhein-Westfalen mitnehmen können. So gibt es dort eine Reihe von Befreiungstatbeständen, mit denen wir uns beschäftigen werden, ebenso mit den entsprechenden Stipendienprogrammen, wie es im Übrigen auch der Passus im schon mehrfach zitierten Koalitionsvertrag vorsieht. Wir sind also wirklich am Anfang eines breiten Beratungsprozesses, an dessen Ende ein fundiertes und ausgewogenes Gesetz stehen wird.
Damit dies klar ist: Die Landesregierung steht dafür ein, dass Aufstieg durch Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein darf. Wir wissen aber auch: Nordrhein-Westfalen muss in puncto Qualität überzeugen und nicht nur mit dem Argument „kostenlos“. Alleine aufgrund der Tatsache, dass es in Nordrhein-Westfalen keine Studienbeiträge gibt, wird sich die Attraktivität des Standortes auf Dauer nicht begründen lassen. – Vielen Dank.
Erstens stimmen wir über die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/85 ab. Die antragstellende Fraktion der SPD hat die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Wissenschaftsausschuss – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss beantragt. Wer diesem Überweisungsvorschlag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Die AfD-Fraktion. Wer enthält sich? – Das ist niemand. Damit ist der Überweisung mit der festgestellten Mehrheit gefolgt.
Zweitens stimmen wir über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/67 ab. Die antragstellende Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Wer diesem Antrag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Die CDU, die FDP und die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit der festgestellten Mehrheit abgelehnt.
und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaat ist eine Querschnittsaufgabe der parlamentarischen Arbeit
Ich eröffne die Aussprache und erteile unserer Kollegin Sylvia Löhrmann zu ihrer letzten Rede hier im Plenum das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt heute viele erste Reden und auch eine letzte. Ich gratuliere allen Abgeordneten zu ihrer Wahl. Das ist ein tolles
Amt hier. Es ist eine tolle Aufgabe, Nordrhein-Westfalen mitgestalten zu können, unabhängig davon, in welcher Rolle man das tut.
Meine Damen und Herren, was haben Bölls Katharina Blum und Helmut Kohl gemein? Was machen Menschen mit Öffentlichkeit, und wie geht Öffentlichkeit mit Menschen um? Beide Fragen berühren zutiefst den Zustand unserer Demokratie.
Mir geht es heute um die res publica, die öffentliche Sache. Mich haben die Berichte über den Tod des Altkanzlers und die Debatten über seine Würdigung sehr nachdenklich gemacht. Wie wäre Helmut Kohls politische Karriere in der heutigen Zeit, in der Zeit von Facebook, Twitter und Co, verlaufen? Können wir ahnen, welcher Spott, welche Häme, welche Hetze über diesen Mann ausgeschüttet worden wäre, wegen seines etwas eigenwilligen Sprachstils, wegen seiner Statur, wegen des Parteispendenskandals, wegen seines Familienlebens? Wie wäre er diffamiert, verunglimpft, angefeindet, angepöbelt worden? Und hätte das womöglich den Lauf der Geschichte verändert?
Wir alle, die wir politisch aktiv sind, sei es kommunal, regional, im Land oder im Bund, kennen solche Angriffe und Feindseligkeiten nur zu gut. Und sie haben zugenommen. Wir erfahren dies individuell, aber auch qua Amt als Repräsentantinnen und Repräsentanten unserer Demokratie. Denken wir an Henriette Reker. Denken wir an Thomas Purwin, der als SPDChef in Bocholt wegen Hassmails und Todesdrohungen auch gegen seine Familie sein Amt aufgegeben hat.
Das treibt mich um. Das muss auch alle Demokratinnen und Demokraten umtreiben, meine Damen und Herren.
Wenn ich heute nach 22 Jahren als hauptberufliche Politikerin und sieben Jahren als Ministerin zum letzten Mal vor dem Landtag spreche, blicke ich auf eine Zeit zurück, in der unser demokratisches System schleichend in die Defensive geraten ist. Und, meine Damen und Herren, es fängt schleichend an, wenn von Demokraten das Parlament als „Palaverbude“ oder unsere Demokratie als „krankes System“ bezeichnet wird oder im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gar von einer „Herrschaft des Unrechts“ die Rede war.
Was sich breitmacht, ist eine diffuse Stimmung, dass der Politik die Orientierung am Gemeinwohl und die Fähigkeit zur Lösung von Problemen und Herausforderungen abhandengekommen sei,
als ginge es nicht um politische Ziele, sondern um den persönlichen Vorteil. Genau das ist der Punkt,
Hüten wir uns davor, solche Stimmungen mit Blick auf mögliche kurzfristige Geländegewinne zu bedienen! Es nutzt nämlich am Ende nicht wirklich, sondern schadet letztendlich allen demokratischen Kräften, meine Damen und Herren.
Viele Menschen in vielen Ländern der Welt gehen auf die Straßen, demonstrieren und kämpfen für Freiheit, Rechtsstaat und Mitsprache, also für die Demokratie.
„Wenn es morgens um 6 Uhr an meiner Tür läutet und ich sicher sein kann, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe“, hat Winston Churchill gesagt. Wie recht er hatte, können einem jede Frau und jeder Mann bestätigen, die vor Krieg, Verfolgung und Diktatur zu uns geflohen sind.
Wir haben also allen Grund, auf unsere Demokratie stolz zu sein und sie selbstbewusst gegen die zu verteidigen, die sie verächtlich machen, ihren Wert nicht anerkennen und sie sogar abschaffen wollen. Das lohnt jede Mühe.
Das bedeutet, Menschen täglich neu für die Demokratie zu gewinnen. Darauf zielt unser Antrag „Ideenwerkstatt Demokratie“. Er ist ein Angebot an Sie alle, und zwar ein bewusst offenes Angebot, uns gemeinsam um unsere Demokratie zu kümmern, sie zu leben, zu erhalten und insbesondere auch attraktiv zu gestalten.
Warum ist es so schwer, beides unter einen Hut zu kriegen, harte, leidenschaftliche Auseinandersetzungen in der Sache bei gleichzeitiger persönlicher Wertschätzung des politischen Gegners?
Ich bin überzeugt: Unsere Demokratie ist dann besonders stark und einladend, wenn für die Öffentlichkeit transparent wird, dass und wie wir für gemeinsame Ziele streiten und über die Grenzen von Fraktionen und Koalitionen hinweg arbeiten, statt nur altbekannten Ritualen und Inszenierungen zu folgen.
Beispielgebend war dafür die Zeit der Minderheitsregierung von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen. Für mich war dies eine wirklich besondere Zeit – auch wenn sich das nicht wiederholen lässt; das ist doch klar. Wir haben damals bewiesen – alle miteinander, die wir da mitgestaltet haben –, dass die parlamentarische Demokratie keinem starren und vorgegebenen Muster folgen muss, dass das übliche Spiel zwischen Fundamentalopposition gegen Mehrheitsregierung durchbrochen werden kann.
Liebe Hannelore, ich bin dir nach wie vor dankbar dafür, dass und wie wir das damals hinbekommen haben. Das hat mir viel Freude gemacht. Ich finde, dass Nordrhein-Westfalen dabei auch gewonnen hat.
Wir haben sehr fair und an der Sache orientiert diskutiert. Jede Fraktion im Parlament hatte die Chance, durch konstruktives Mitarbeiten eigene Ideen umzusetzen und damit unser Land aktiv mitzugestalten. Das war Werbung pur für die Demokratie. Und es war die Zeit eines sehr starken Parlaments. Das war das Tolle und Besondere daran.
Ich erinnere die Kolleginnen und Kollegen der FDP an den Stärkungspakt für unsere Kommunen. Natürlich erinnere ich auch – Herr Laumann ist gerade nicht im Saal; Herr Kaiser ist aber da – an die Arbeit am Schulkonsens. Das war eine Sternstunde demokratischer Kompromissfindung nach Jahrzehnten ideologischer Grabenkämpfe um das vermeintlich richtige Schulsystem.
Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren, dass Sie alle gemeinsam in diesem Geist den Impuls unseres Antrags aufgreifen und in der weiteren Beratung einen Rahmen schaffen, neue Wege demokratischer Beteiligung zu eröffnen.
Meine Damen und Herren, Demokratie und Bildung gehören für mich untrennbar zusammen. Neben der Vermittlung von fachlichen Kompetenzen und sozialem Miteinander hat unser Bildungssystem – die Kitas, die Schulen, die Hochschulen, die Weiterbildungseinrichtungen – auch einen demokratischen Bildungsauftrag.
Kinder und Jugendliche sind fasziniert von Demokratie. Sie sind zu begeistern, wenn wir sie ernst nehmen. Diese Faszination müssen wir am Leben halten. Dafür müssen wir systematisch Raum schaffen.
Hierfür braucht es Erwachsene, die optimistisch sind und an die Zukunft der Demokratie glauben. Kinder haben ein Recht auf zuversichtliche Erwachsene. Nur dann werden aus Kindern starke, selbstbewusste Persönlichkeiten, die unsere Demokratie täglich neu mit Leben füllen und eine Gestaltungskompetenz entwickeln.
„Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben“, hat Heinrich Böll gesagt, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.