Protocol of the Session on March 22, 2018

(Gregor Golland [CDU]: Wovon reden Sie?)

Nun aber zu dem Antrag der AfD. Dieser Antrag – und das ist ja leider nicht ungewöhnlich –arbeitet mal wieder mit Unterstellungen und Behauptungen. Sie unterstellen hier beispielsweise, dass aufgrund von – Zitat – „politisch-korrekten Gründen“ eine „Nichtthematisierung“ des Migrationshintergrundes von Tätern vorgenommen würde.

Das ist schlichtweg falsch. Schauen Sie sich doch die Studie an. Was Sie sagen, das stimmt nicht.

(Beifall von Dr. Werner Pfeil [FDP])

Es wird in der Studie thematisiert und abgefragt.

Es findet hier auch keine Ausblendung statt, die Sie jedoch vorwerfen. Das ist eine weitere Unterstellung.

(Markus Wagner [AfD]: Was war denn im Aus- schuss?)

Die Studie sagt aber auch, dass die befragten Einsatzkräfte allein aufgrund von äußerlichen Merkmalen eine Aussage zu einem möglichen Migrationshintergrund treffen sollten.

Ich möchte aus der Studie zitieren:

„Aussagen zur tatsächlichen Betroffenheit durch Täter mit Migrationshintergrund sind nicht möglich.“

Das heißt, der Aussagegehalt dieser Zahlen, die Sie als Grundlage für Ihren Antrag nehmen, ist sehr gering. Es ist vielmehr so – und auch das besagt die Studie –, dass andere Merkmale der Täterinnen und Täter, wie zum Beispiel das Alter, das Geschlecht oder auch Drogen- und Alkoholkonsum, einen deutlich höheren Einfluss darauf haben, ob diese Personen gewalttätig, gewaltbereit waren oder nicht.

Ich finde es wirklich bemerkenswert und außerdem erschreckend und besorgniserregend, dass die AfD ausgerechnet ein derart wichtiges Thema zum Anlass nimmt, um es für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Man kann hier schon sehr deutlich sagen, dass Sie versuchen, auf dem Rücken der Einsatz

kräfte, die jeden Tag für uns ihren Dienst am Gemeinwohl tun, dieses Thema zu instrumentalisieren. Ich bin mir ganz sicher, dass die Einsatzkräfte ganz sicherlich nicht vor Ihren Karren gespannt werden wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Werner Pfeil [FDP])

Vielen Dank, Frau Schäffer. – Als Nächster redet Herr Pretzell, fraktionslos.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! In der Debatte ist manches Richtige und manches Erstaunliche gesagt worden. Zunächst einmal ganz allgemein zum Antrag der AfD. Dass grundsätzlich die Ursachen von Gewalt untersucht werden müssen, kann eigentlich gar nicht infrage stehen.

Herr Golland hat zu Recht – so viel Wahrheit muss auch sein – darauf hingewiesen, dass die neue Landesregierung bereits manches getan hat im Verhältnis zu dem, was die letzte Landesregierung unternommen hat.

Herr Kollege Pfeil, ich muss Sie darauf noch einmal hinweisen: Sie haben gesagt, es gebe eigentlich gar kein Problem, das kulturell oder durch Migranten bedingt sei; vielmehr liege ein gesamtgesellschaftliches Problem vor. Ja, Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber in unterschiedlicher Ausprägung.

Insbesondere möchte ich auf bestimmte kulturelle Unterschiede hinweisen. Das können Sie im Übrigen an unserer eigenen Kulturhistorie ablesen: Kultur hat auch damit zu tun, wie Gewalt beurteilt wird. Wenn Sie in unserer eigenen Kultur nur einmal hundert Jahre zurückgehen, werden Sie feststellen, dass wir in Mitteleuropa eine kulturelle Evolution durchgemacht haben, die die Gewaltaffinität und Gewalttoleranz deutlich abgesenkt hat. Insofern hat Gewalt auch enorm mit kulturellen Hintergründen zu tun.

Das allerdings, was Herr Bialas hier abgeliefert hat, ist eine ganz andere Sache. Es fällt mir schwer, dass ausgerechnet ich jetzt anfangen muss, die AfD zu verteidigen. Wenn ich anfangen würde, Ihre Anhänger aus Facebook zu zitieren, könnte ich ganz ähnliche Zitate bringen,

(Roger Beckamp [AfD]: Was schreiben Sie denn den ganzen Tag?)

Du bist auch gleich dran, mein Freund. – Ich käme aber nicht auf die Idee, der SPD vorzuwerfen, was ihre Anhänger auf Facebook schreiben. Dann würde man es sich wirklich zu leicht machen.

(Beifall von der AfD)

Aber kommen wir doch mal zu dem, was die AfD tatsächlich macht. Was wir nämlich brauchen, ist zunächst eine statistische Grundlage, auf der man vernünftig evaluieren kann. Die Ruhr-Universität Bochum konnte nicht vernünftig evaluieren, weil es die statistischen Grundlagen nicht gibt.

Dazu darf ich – Entschuldigung! – aus dem gestern nicht debattierten Antrag etwas zitieren. Darin wird nämlich davon gesprochen, dass man den Migrationshintergrund der Täter – Zitat – „…, sofern dieser aufgrund äußerlich zu Tage tretender Persönlichkeitsmerkmale erfahrbar ist, …“ registrieren sollte.

Das ist genau das, was die Ruhr-Universität Bochum getan hat – tun musste –, weil es nichts gibt. Genau das darf nicht passieren, weil sonst Folgendes geschieht: Der Ungar wird unter Umständen nicht als Migrant erkannt, aber der in vierter Generation hier lebende Schwarze wird als Migrant identifiziert, obwohl er es definitionsgemäß nicht ist. Genau das darf eben nicht passieren, denn dann treffe ich eine ethnische Unterscheidung und keine kulturmigratorische. Das bitte ich im Ausschuss vielleicht noch zu korrigieren.

Dasselbe gilt für die kulturellen Hintergründe. Diese werden – anders als in dem gestrigen Antrag – im Wesentlichen nicht aus der Tat, sondern üblicherweise aus der persönlichen Historie hergeleitet. Man kann aus der Tat, daraus, wie das Messer geführt wird, ganz schlecht identifizieren, was der kulturelle Hintergrund ist. Denn wenn man einmal stinkesauer ist und das Messer schwingt, dann schwingt der Deutsche es ganz genauso wie jener mit einem ganz anderen kulturellen Hintergrund. Insofern: Versuchen wir vielleicht, diese Debatte ein wenig zu versachlichen. Es gibt genügend Kritikpunkte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Markus Wagner [AfD])

Vielen Dank, Herr Pretzell. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Reul das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mich hat in den paar Monaten, seitdem ich das Amt des Innenministers übernommen habe, keine Zahl so elektrisiert oder beunruhigt wie die Zahl der Angriffe, die im Jahr 2016 auf Helferinnen und Helfer, Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten stattgefunden haben, weil ich einfach nicht verstehen kann und auch nicht will, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der so etwas möglich ist und in der es keinen Riesenaufschrei gibt und keine Gegenwehr der Bevölkerung, die sagt: Das wollen wir nicht, das lassen wir nicht zu, das ist nicht akzeptabel.

Genau deshalb muss man sich um das Thema kümmern, und zwar intensiv und nachhaltig. Das ist ein riesengroßes Problem, auf das wir eine Antwort brauchen. Deshalb hat es auch Priorität. Das ist das eine.

Das andere ist allerdings, einen Antrag zu schreiben, in dem – ich sage es einmal etwas salopp – die meisten Textzeilen dafür benutzt werden, das Ganze für ein anderes Thema zu missbrauchen. Ich zitiere aus dem Antrag: „Schließlich ist die Gewalt gegen Einsatzkräfte zu einem erheblichen Teil oder gar mehrheitlich eine Gewalt durch Migranten“ und so weiter und so fort.

Das finden Sie an sehr vielen Stellen. Das ist der Teil, der mich stört, und man kann das nicht durchgehen lassen. Es tut mir sehr leid.

(Beifall von Andreas Bialas [SPD] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Man kann nicht ein berechtigtes Anliegen nutzen, die Unruhe in der Bevölkerung aufgreifen und sich als angebliche Unterstützer dieses Anliegens aufspielen, aber in Wirklichkeit damit etwas ganz anderes in den Mittelpunkt der politischen Debatte stellen wollen.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Das geht nicht, und dem muss widersprochen werden. Insofern finde ich, dass die Kollegen, die dies getan haben, es auch richtig getan haben; denn es werden Zahlen fehlinterpretiert und es wird ein Vorgang missbraucht, um etwas anderes in die Debatte zu bringen.

Ich habe im Januar den Abschlussbericht des Forschungsprojektes in Münster vorgestellt, und wir haben ihn auch im Ausschuss vorgestellt. Das Spannende und Interessante ist, dass daran mehrere beteiligt waren: zwei Ministerien, die komba-Gewerkschaft und die Unfallkasse. Es war ein Versuch, auch bei der Auftragsvergabe schon einen Schulterschluss zu organisieren, ein gemeinsames Thema proaktiv, umfassend und handlungsorientiert zu besetzen. Es geht um die Aufarbeitung und im Ziel um eine Verringerung und Vermeidung von Gewalt gegen Einsatzkräfte. Dies ist nicht einfach hinzubekommen – das ist wahr –, aber es ist zwingend notwendig.

Zurück zur Studie. Diese Studie klärt auf, mehr will sie gar nicht. Sie klärt auf, dass es Gewalt gegen Einsatzkräfte gibt, und versucht, dies mit wissenschaftlichen Methoden quantitativ und qualitativ näher zu erfassen. Bei der Vorstellung ist darauf hingewiesen worden, wie begrenzt das Potenzial ist und wie behutsam man damit umgehen muss. Aber eine differenzierte Betrachtung, zum Beispiel zwischen Opfer und Täterperspektive sowie zwischen nonverbaler, verbaler und körperlicher Gewalt, ist ein Ergebnis, und es ist gut.

Mit dieser Studie ist es gelungen – und das ist wertvoll –, Handlungsfelder zu identifizieren, aus denen man Maßnahmen entwickeln kann, und zwar zeitnah. Dazu kann man einen Aktionsplan aufstellen. Man muss ja erst einmal wissen, wo die Felder sind, um die man sich jetzt kümmern muss. Ich möchte nur einige nennen, die – zu Recht – benannt worden sind.

Aus- und Fortbildung: Sind Einsatzkräfte und Führungskräfte überhaupt auf die Situation vorbereitet? – Damit habe ich das Problem noch nicht gelöst, aber ich finde, es ist auch eine unserer Aufgaben, dafür zu sorgen, dass jene, die sich für uns einsetzen, angemessen reagieren können.

Oder Situationskennzeichen, Einsatzplanung, Fortbildung und Prävention, Meldung und Erfassung sowie Nachsorge bei Übergriffen: Allein, dass wir dafür sorgen, dass solche Angriffe auch gemeldet werden, ist relativ wichtig; denn ein Ergebnis ist zum Beispiel, dass die allermeisten dieser Angriffe überhaupt nicht gemeldet werden, da die meisten Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Sanitäter sagen „Das ist halt so, da komme ich durch“, gerade wenn es nicht ganz gravierende Gewaltanwendungen sind.

Wir brauchen diese Daten, damit wir das Problem erkennen und wissen, woran es liegt, um eine saubere Analyse zu haben, welches die Ursachen und wie vielfältig sie sind, um dann möglicherweise strafrechtliche und andere Konsequenzen zu ziehen. Übrigens ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass dort auch schon einiges passiert ist. Wir fangen ja nicht bei null an.

Der Fokus der weiteren Arbeiten ist speziell darauf zu richten, wie wir mit dem Problem „Umgang mit dem Gewaltphänomen“ konkret und effektiv umgehen, um den Betroffenen zu helfen, und zwar sowohl präventiv als auch situativ.

In der vergangenen Sitzung des Innenausschusses habe ich umfassend über diese Studie und den Ansatz, aber auch über weitere konkrete und praxisorientierte Schritte berichtet. Wir werden darüber im Ausschuss mit Sicherheit noch weiter diskutieren.

Deshalb: Das Anliegen ist wichtig. Der Antrag bringt nichts Neues. Er bringt uns nur zu dem Problem, dass manchmal berechtigte Anliegen missbraucht werden, um andere politische Debatten zu führen, und das ist nicht akzeptabel.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Reul. Bevor Sie sich setzen, möchte ich Sie ans Pult bitten. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Wagner, Fraktionsvorsitzender der AfD. – Bitte schön, Herr Wagner.

Herr Minister, nachdem uns jetzt wiederholt der Vorwurf der Vereinfachung und Monokausalität unseres Antrags gemacht worden ist, möchte ich daraus zitieren.

„Dieser Antrag begreift sich selbst nicht als fundamentalkritische Einengung auf einen Teilbereich des Phänomens, sondern möchte lediglich ergänzend und korrigierend eingreifen, um einer NichtThematisierung vorzubeugen. Ein multikausales Phänomen multiperspektivisch zu bearbeiten und entsprechend vielgestaltige Ansätze staatlichen und zivilgesellschaftlichen Handelns zu präferieren, steht dem mitnichten entgegen.

Selbstverständlich müssen weitere, maßgebliche Situationsmerkmale gleichrangig mitbetrachtet werden, da die Täter darüber hinaus sehr häufig jünger und männlich sind und z. B. eine Alkoholintoxikation ebenso eine wesentliche Rolle spielt.