Protocol of the Session on January 18, 2018

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 19. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen oben auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien und den Zuschauern im Stream oder bei den TVs.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Im Nachgang zu Tagesordnungspunkt 2 der gestrigen Sitzung möchte ich noch eine nichtförmliche Rüge aussprechen, die Herrn Abgeordneten Markus Wagner von der AfD-Fraktion betrifft. Herr Wagner hat sich während seiner Rede zu Tagesordnungspunkt 2 „Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Fraktionsgesetzes“ unparlamentarisch verhalten, indem er einen Begriff aus der Fäkalsprache verwendet hat.

(Zuruf: Ui!)

Das ist der Würde des Parlaments nicht angemessen, und ich werde die Äußerung auch nicht wiederholen. – Herr Kollege, ich ermahne Sie und bitte Sie, derartige Äußerungen zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen Sie mit einer förmlichen Rüge rechnen.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Negative Entwicklung bei den Organspender

zahlen in Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/1722

Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit Schreiben vom 15. Januar 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der CDU dem Kollegen Klenner das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Menschen in Deutschland werden heute sterben; sie ha

ben vergeblich auf ein lebensrettendes Organ gewartet. Das passiert jeden Tag: heute, gestern, morgen, übermorgen, wenn wir nicht handeln. 10.000 Patienten warten aktuell auf eine Organspende – oft jahrelang. Und die Zahl der Spender ist auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten gesunken: 797 – minus 60 – und in Nordrhein-Westfalen 146 – minus 16 Organspender im Vergleich zu Vorjahr.

Deshalb bin ich für diese Aktuelle Stunde dankbar. Denn sie will ein fraktionsübergreifendes Zeichen setzen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Monika Dü- ker [GRÜNE])

Auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation – DSO – hat heute im Landtag einen Informationsstand aufgebaut. Sie werden es gesehen haben.

Ja, es ist in den vergangenen Jahren zu ruhig um das Thema „Organspende“ geworden. Dazu finden Sie auch im Landtagsarchiv nicht viel Konkretes. Deshalb müssen wir uns alle wieder stärker kümmern. Es gibt nicht die eine Patentlösung, die auf Knopfdruck die Zahl der Organspenden steigert, sondern verschiedene Stellschrauben:

Erstens. Die Zahl der möglichen Organspender: Die DSO hat viele Studien ausgewertet. Drei Viertel der Deutschen können sich sogar eine Organspende vorstellen. Aber deutlich weniger haben das auch mit einem Spenderausweis dokumentiert. Gründe: zu wenig Wissen, Unsicherheit, zu wenig Zeit – auch mangelndes Vertrauen?

Wie können wir dem entgegenwirken? – Druck? Da sind wir sehr skeptisch. Sie kennen die Vorschläge zum sogenannten Widerspruchsverfahren. Wer nicht spenden will, muss vorher Nein sagen.

Aber gegen Angst und Unwissenheit hilft kein Zwang. Zu einer bewussten Entscheidung dürfen wir nicht drängen. Es gibt in dieser Frage keine einfache, aber auch keine richtige oder falsche Antwort. Niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn ihm persönlich die Entscheidung schwerfällt. Eine Spende ist immer freiwillig. Und es heißt doch „Organspende“ und nicht „Organumlage“ oder „Organsoli“.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Wir sollten deshalb ein Umfeld schaffen, in dem über Organspende gesprochen, nachgedacht und dann aus freien Stücken entschieden wird.

Das ist nicht einfach, denn Verdrängen ist menschlich, und über den Tod spricht niemand von uns gern. Das gilt selbst in der eigenen Familie: In neun von zehn Fällen müssen die Angehörigen über eine Organentnahme entscheiden, weil es vorher keine eindeutige Festlegung gab.

Deshalb können in der Schule, beim Erste-Hilfe-Kurs vor der Führerscheinprüfung, in den Gesprächen zur Patientenverfügung, vielleicht auch in der Geburtsklinik weitere Situationen sein, um über Organspende zu sprechen – immer dann, wenn es um Verantwortung für die Mitmenschen geht.

Die Aufklärung muss besser werden. Manche Menschen haben immer noch Angst, dass bei potenziellen Organspendern der Kampf ums Überleben schneller aufgegeben wird, obwohl es strengste Auflagen in der Hirndiagnostik gibt. Aber Vertrauen kann in Sekunden zerstört werden, und es dauert Jahre, es mühsam wieder aufzubauen.

Deshalb ist es gut, dass die Regeln für die Patientenregister nach dem Betrug bei Wartelisten 2012 verbessert worden sind. Wir brauchen positive Informationskampagnen – regelmäßig und nicht nur ein- oder zweimal im Jahr. Dabei können auch prominente Vorbilder helfen.

Aber das alles ist zu wenig; denn nicht allein mangelnde Spendenbereitschaft ist schuld, sondern auch die Krankenhäuser stehen in der Verantwortung. Sie spielen eine zentrale Rolle. Rund 1.200 Kliniken in Deutschland gehören zum System der Organspende. Mit dem damaligen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann haben wir 2007 in NRW für diese Häuser einen Beauftragten für Transplantation verankert. Das war ein wichtiger und richtiger Schritt.

Nun geht es aber darum, diese Rolle der Beauftragten weiter zu stärken, denn eine DSO-Studie zeigt auch: In weniger als 15 % der Hirntodfälle werden die Beauftragten wirklich eingebunden, und potenzielle Spender, für die wir vorher so gekämpft haben, werden dann nicht erkannt. Im Klinikalltag steht die Organspende nicht an vorderster Stelle.

Deshalb sollten wir uns zum Beispiel auch die Zahlen aus Bayern anschauen. Dort wurde im Jahr 2007 eine bessere Freistellung der Beauftragten veranlasst. Gegen den Bundestrend gab es dort einen Anstieg der Spenden um 18 %.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Entlastung, Freistellung, ja auch Wertschätzung und Anerkennung von der Klinikleitung schaffen Raum und Unterstützung für die zeitintensiven und auch schwierigen Gespräche mit Angehörigen und Kollegen.

Dazu gehört auch eine deutlichere Beschreibung der Aufgaben der Transplantationsbeauftragten. Wir werden uns sehr genau anschauen, wo die Arbeit der Beauftragten gut funktioniert, denn das gibt es. Wir werden aber auch sehr kritisch nachhaken, wenn diese Aufgaben vor Ort nicht ernst genommen werden, und dann auch sehr entschlossen handeln.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn die Krankenhäuser haben den gesetzlichen Auftrag, Organspenden umzusetzen. Auch hier gilt der Wille des Patienten, der sich bewusst für eine Spende entschieden hat. Bei dem hohen Anspruch in Deutschland an unser Gesundheitssystem können wir es uns einfach auf Dauer nicht leisten, dass 10.000 Menschen die Hilfe nicht bekommen, die medizinisch möglich wäre.

Meine Damen und Herren, Organspender sind Lebensretter. Ja, drei Menschen in Deutschland werden heute sterben, weil sie vergeblich auf die lebensrettende Organspende gewartet haben. Aber mindestens drei Menschen in Deutschland werden heute auch ein neues Leben geschenkt bekommen, denn sie haben rechtzeitig ihre lebensrettende Organspende erhalten. Diese Zahlen wollen wir steigern. Für diese Hoffnung, für jeden Einzelnen, lassen Sie uns gemeinsam kämpfen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Klenner. – Für die FDP hat die Kollegin Schneider das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Haben Sie schon einmal überlegt, Ihr Herz zu verschenken mit allem, was dazugehört? Das geht ganz einfach: Besorgen Sie sich bei Ihrem Hausarzt, bei Ihrer Krankenkasse oder bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation – DSO – einen Ausweis, füllen Sie ihn aus, und tragen Sie ihn immer bei sich, denn jeder Organspender kann mit seinen Organen vielfach helfen.

Zwei Nieren, Herz, Lunge, Leber und die Bauchspeicheldrüse können übertragen werden und so unterschiedliche Krankheiten heilen wie die chronische Niereninsuffizienz, angeborene Fehlbildungen des Herzens, Schädigungen des Herzmuskels, die COPD, die Lungenfibrose, Leberzirrhose und vieles mehr. Ein Organspender, von dem alle Organe transplantiert werden, schenkt durchschnittlich 56 neue Lebensjahre.

Doch die Zahlen der Unterversorgung mit Organen sind ernüchternd: 10.000 Patienten warten. Viele warten vergebens.

Dabei ist NRW Schlusslicht bei der Organspende; wir haben es gerade gehört. Die Zahl der Spender ist rückläufig. Wir profitieren vor allem von anderen Ländern im Verbund von Eurotransplant. Während bei uns in Nordrhein-Westfalen auf eine Million Menschen nur rund acht Organspender kommen, sind es zum Beispiel im Nachbarland Belgien immerhin 28, außerhalb von Eurotransplant in Spanien sogar rund 43.

Wir müssen also nach den Gründen für den Rückgang bei der Organspende fragen. Neben der Angst vor Missbrauch kann Unsicherheit die Bereitschaft zur Organspende verhindern. Viele Menschen fragen sich: Bin ich denn wirklich tot, wenn die Organe entnommen werden? Wiederholt wird zudem die Definition des Hirntodes angezweifelt, wie zum Beispiel aktuell in dem Buch eines Düsseldorfer Werbers.

Ich möchte Ihnen deshalb hier und heute ganz eindeutig sagen: Eine Organspende setzt den irreversiblen Ausfall der gesamten Hirnfunktion voraus. Sowohl das Großhirn und das Kleinhirn wie auch der Hirnstamm sind unwiederbringlich und unumkehrbar zu Aktivitäten und Reaktionen unfähig. Das Gehirn als unser übergeordnetes Steuerungsorgan ist erloschen und eine Rückkehr ins Leben damit ausgeschlossen. Dies stellt nicht nur ein Arzt fest; das müssen mehrere Ärzte feststellen, die unabhängig voneinander arbeiten.

Zwar kann das Herz-Kreislauf-System einer hirntoten Person durch intensivmedizinische Maßnahmen für eine begrenzte Zeit künstlich aufrechterhalten werden, aber zum Beispiel eine Wiederaufnahme der Atmung ist nicht möglich. Ein hirntoter Mensch kann nicht auf seine Umwelt reagieren. Er kann auch keine Schmerzen empfinden.

Zweifel an der Hirntoddefinition sind deshalb unter Berücksichtigung dieser Tatsachen kaum nachvollziehbar. So war auch 2015 der Deutsche Ethikrat einstimmig der Auffassung, dass der Hirntod als Voraussetzung für eine postmortale Organspende zulässig ist.

Manche Menschen denken aber, dass sie als Organspender nicht infrage kommen, weil sie zum Beispiel zu alt oder krank seien. Entscheidend für die Organspende ist aber nicht, wie alt eine Person ist, sondern der allgemeine Gesundheitszustand und der Zustand der Organe. Eine Organentnahme ist nur bei bestimmten Infektionen oder bei Krebserkrankungen ausgeschlossen. So kann auch die funktionstüchtige Niere eines mit über 70 Jahren verstorbenen Menschen einem anderen Menschen ein wieder fast normales Leben schenken.

Oft kann eine Organentnahme aber auch nicht erfolgen, weil die Zustimmung nicht rechtzeitig geklärt werden kann. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wären zwar rund 80 % der Deutschen grundsätzlich zu einer Organ- und Gewebeentnahme nach dem Tod bereit. Allerdings besitzen nur etwa 32 % einen Organspendeausweis.

Die Entscheidung über eine Organspende liegt deshalb in der Regel bei den Angehörigen, wenn nicht der Verstorbene seine Bereitschaft vorab dokumentiert hat. Dies ist für viele Angehörige ausgesprochen belastend. Denn diese haben in dieser Situation, glauben Sie mir, ganz andere Sorgen.

Wir wollen deshalb, dass mehr Menschen selbst eine Entscheidung für die Organspende treffen und einen Spenderausweis bei sich tragen. Dazu brauchen wir eine umfangreiche Aufklärung über den Ablauf der Organspende und die möglicherweise bestehenden Bedenken. Hier sind alle Akteure gefordert: die Ärzteschaft, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, Krankenhäuser, Krankenkassen, Medien und auch die Politik.

Aber was kann die Politik nun dazu beitragen, dass die Zahl der Organspenden wieder ansteigt? Das Land hat in seinem Krankenhausgestaltungsgesetz – wir haben es gehört – einen Transplantationsbeauftragten verpflichtend vorgeschrieben. Es gilt aber auch die strukturellen Abläufe so zu verbessern, dass mehr potenzielle Spender bereits vor einem Abbruch der intensivmedizinischen Maßnahmen erkannt werden.