Protocol of the Session on November 12, 2020

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Als nächsten Redner haben wir den Abgeordneten Paul für die FDP.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem europäischen Bauhaus

sollen unsere Städte renoviert werden. Das ist der hohe Anspruch, den das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und andere formulieren.

Man will innovative bautechnische Lösungen erproben. Unsere Häuser sollen jetzt noch lebenswerter werden, umweltfreundlicher, ästhetischer und digital. Man will dafür stärker natürliche Baustoffe nutzen, noch energieeffizienter werden, barrierefreier planen.

Ab 2021 soll dann zur Entwicklung von Ideen ein Netzwerk aus Architekten, Entwicklern, Stadtplanern, Studenten, Unternehmern, interessierten Bürgern gebildet werden. Ab 2022 soll die Praxisumsetzung erfolgen.

Das, aber auch nicht viel mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bereits angekündigt und bekannt. Ich habe gedacht, an all diesen Aspekten sind wir doch längst dran: die Baustoffindustrie, das Bauhandwerk, die Architekten und Planer, die Hochschulen, unsere Kommunen und nicht zuletzt wir, die Landespolitik. Inwieweit das sogenannte europäische Bauhaus wirklich noch ein Fortschritt sein kann, wirklich mehr als nur ein neues Renommierprojekt, muss in unseren Augen erst einmal belastbar geklärt werden. Denn erst einmal ist das europäische Bauhaus noch ein reichlich diffuses Vorhaben.

Sie schlagen jetzt vor, das nördliche Ruhrgebiet solle der Standort sein. Ja, auch wir denken, dass es sich vielleicht lohnen könnte, dass sich unser Bundesland bewirbt. Das muss in unseren Augen aber noch genauer geprüft werden, auch welcher Standort geeignet und vor allem selbst dazu bereit ist.

Uns ist es wichtig, dass hier keine Entscheidung vom Land vorgegeben wird. Wir arbeiten ja auch sonst partnerschaftlich mit den Städten und Gemeinden zusammen, gerade bei der Stadtentwicklung, die zuvorderst eine kommunale Aufgabe ist, eine Kernaufgabe der Städte und Gemeinden.

Wenn Sie das Ruhrgebiet ansprechen, so engagieren sich das Land mit der Städtebauförderung bereits stark. In mehr als 50 Städten und Gemeinden sind in den vergangenen Jahren auf der Grundlage kommunal erarbeiteter und beschlossener Handlungskonzepte mit Landesmitteln Stadtviertel erneuert worden. Es gibt noch weitere Konzepte vor Ort, die mit Städtebauförderungsmitteln unterstützt werden. Die KfW engagiert sich stark. Es gibt in, glaube ich, nahezu allen Kommunen des Ruhrgebiets bereits auch Klimaschutzkonzepte.

Großes Potenzial besteht im Ruhrgebiet bei der Modernisierung von Immobilienbeständen mit dem Ziel, preisgünstigen und damit für viele Menschen erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. So gelingt es uns, den Kommunen und den Bestandshaltern maßgeblich dabei zu helfen, zukunftsfähige Stadtviertel als attraktive und nachhaltige Lebensorte zu ent

wickeln. In den letzten Jahren sind dort mit mehr als 335 Millionen Euro 8.500 Bestandswohnungen modernisiert und damit zukunftsfest gemacht worden.

Unser Land engagiert sich also bereits seit Längerem bau- und wohnungspolitisch ganz stark im und für das Ruhrgebiet. Wir können im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen gerne noch darüber beraten, inwieweit das sogenannte europäische Bauhaus hier tatsächlich eine weitere Rolle spielen kann oder ob es doch nur eine blumige, schillernde Bezeichnung für viele Entwicklungen ist, die es bereits in unserem Lande gibt. – Herzlichen Dank. Wir stimmen der Ausschussüberweisung natürlich zu.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der AfD spricht der Abgeordnete Beckamp.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere in Auszügen:

„… das 1919 in Weimar von Walter Gropius und Freunden gegründete Staatliche Bauhaus avancierte schnell zur internationalen Bewegung für Architektur, Kunst und Design. Sie beeinflusst seit 100 Jahren kreatives Denken … in der ganzen Welt.“

Ja, stimmt.

„100 Jahre später stehen wir vor neuen globalen Herausforderungen: dem Klimawandel, der Digitalisierung und einem Anstieg der Erdbevölkerung auf bis zu zehn Milliarden Menschen bis 2050“

Ja, das stimmt auch.

„Unsere Gebäude verursachen 40 Prozent unserer Emissionen. Sie müssen weniger verschwenderisch, weniger teuer und nachhaltiger werden.“

Auch da gehen wir wohl alle mit.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Oh, Vorsicht!)

Jetzt kommt es. Ich zitiere weiter:

„Aber dies ist nicht nur ein Umwelt- oder Wirtschaftsprojekt: Es muss ein neues kulturelles Projekt für Europa sein. Jede Bewegung hat ihr eigenes Aussehen und ihre eigene Ausstrahlung. Und wir müssen unserem Systemwandel eine eigene Ästhetik geben – um Stil und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Aus diesem Grund werden wir ein neues Europäisches Bauhaus errichten – einen Raum der gemeinsamen Schöpfung, in dem Architekten, Künstler, Stu

denten, Ingenieure und Designer zusammenarbeiten, um dies zu verwirklichen.“

So EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 17. Oktober dieses Jahres in einer Ansprache an die Welt. Bla, bla, bla, viel heiße Luft! Es ist immer wieder erhellend, von einer Expertin auf allen Gebieten in bedeutungsschwangerer Gestik zu erfahren, was wir brauchen. Wer ist eigentlich „wir“? Das Gros der Leute hat momentan ganz andere Sorgen als die aus Steuermitteln alimentierten Brüsseler Funktionärsblasen, denen es massiv an Bodenhaftung fehlt.

Von der Leyens Geltungssucht scheint insofern unersättlich zu sein – jeden Tag eine neue Idee. Die wirklichen aktuellen Probleme bleiben dabei völlig außen vor. Das sind die wirtschaftlichen Sorgen der Bürger, die Arbeitslosigkeit, die ungelöste Migrationsproblematik, die Rentenproblematik, die finanziellen Verwerfungen durch den Euro, die Coronakrise – die Minijobber trifft es am Schlimmsten –, die Pflegekrise, die Bildungskrise, um nur ein paar Dinge zu nennen.

Aber auch die Grünen – nun kommen wir zu Ihrem Antrag ganz konkret – wollen ganz im Sinne der Ansprache von Frau von der Leyen das 21. Jahrhundert mit einer Mischung aus Sowjetunion und Waldorfschule schöner und humaner machen. Worum geht es den Grünen in ihrem Antrag? Es geht um – ich zitiere jetzt aus dem Antrag der Grünen – die „großen Herausforderungen unserer Zeit, Klimawandel und Digitalisierung“.

Das sind in der Tat große Herausforderungen. Der geneigte Zuhörer bemerkt, dass die Grünen auf eine Herausforderung verzichtet haben: auf den massiven Bevölkerungszuwachs. Aber keine Sorge, die Grünen haben etwas viel Wichtigeres in ihrem Antrag, wichtiger jedenfalls in den urbanen Rotweinvierteln unserer Städte: die gendergerechte Stadtplanung. Das kommt ganz besonders in dem Antrag vor. Das Bevölkerungswachstum wurde versehentlich vergessen.

Um diese Themen anzugehen, soll nun eins von fünf europaweiten Projekten der angekündigten neuen Bauhaus-Bewegung nach NRW geholt werden. Nicht dass ich etwas gegen neue Erkenntnisse hätte, aber hier werden nur die Etiketten „europäisch“ und „Bauhaus“ draufgepackt, und das braucht, ehrlich gesagt, keiner.

Damit droht diesem neuen europäischen Bauhaus genau das, was dem vergangenen Bauhaus auch schon widerfahren ist. Die Idee eines universellen Gestaltens wird zu einem hohen Stil und zu einem bloßen Marketinglabel, um Geld einzusammeln.

Vergessen zu erwähnen haben Sie, dass die Themenfelder schon längst fachkundig und mutmaßlich fachkundiger als das, was Sie dort vorhaben, be

ackert werden, zum Beispiel vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund, mitten im Ruhrgebiet also. Dann wäre noch das Wuppertal Institut zu nennen, mit 4,8 Millionen Euro Zuschuss aus dem Landeshaushalt.

Sie haben also recht, wenn Sie in Ihrem Antrag feststellen, dass in diesem Lande bereits eine Menge Kenntnisse und Fähigkeiten zu dem Thema „Klima und Stadtentwicklung“ zur Verfügung stehen. Warum dieses neue Projekt, warum dieses europäische Bauhaus? Sie wissen es wahrscheinlich selbst nicht. Vielleicht für die gendergerechte Stadtplanung, allein dafür? Wie viel Geld darf es denn kosten? Oder wäre das Geld nicht vielleicht besser bei den Instituten angelegt, die ohnehin schon die Themen beackern?

Wir haben heute und gestern und werden morgen viel über Corona und dessen Folgen hören. Da wurde ganz, ganz deutlich, dass wir derzeit und absehbar andere Sorgen als eine gendergerechte Stadtplanung haben. Im Übrigen: Was meinen Sie damit? Heizen Diverse einfach anders?

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Scharrenbach.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es hört sich so charmant an, das europäische Bauhaus, als ob wir alle noch nicht gewusst hätten, dass sich die Städte in Transformation befinden, dass insbesondere in Bestandsgebäuden – auch im Besonderen im Ruhrgebiet – hohe Potenziale von CO2-Einsparung stecken, als hätten wir alle auf diese Erkenntnis gewartet. Dem ist ja nicht so.

Wenn Sie im Besonderen in das Ruhrgebiet schauen, wenn Sie auch auf die Städte des Bergischen Städtedreiecks schauen, in andere Regionen von Nordrhein-Westfalen, dann stellen Sie fest: Die Transformation ist in vollem Gange. Nicht umsonst hat die Landesregierung gesagt: Wir wollen im Besonderen beispielsweise in großen kreisfreien Städten im Ruhrgebiet den Umbau von Bestandsgebäuden mit einer Verbesserung der Energetik in Kombination mit Barrierearmut bis hin zur -freiheit fördern. Wir haben ganz bewusst die Modernisierungsförderung des Landes im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung so attraktiv gemacht, damit diese Bestände angegangen werden.

Sie fordern die Gründung eines Reallabors. Offen gesagt, wir haben das schon längst gegründet, und zwar in diesem Jahr mit der Ruhr Academy on Smart Metropolitan Transformation, ein Projekt im Rahmen der Ruhr-Konferenz – interdisziplinär. Mehr als 40

Institutionen, Verbände, Vereine, Organisationen haben unterschrieben. Es sind vier Rooms von den Städten eingetragen worden. Dortmund ist drin mit der ehemaligen Hoesch-Spundwand-Fläche, Duisburg mit 6-Seen-Wedau, Bochum mit MARK 51°7, und Essen ist gleich mit mehreren Räumen vertreten.

In diesen Räumen soll gezeigt werden: Was heißt Transformation? Im Besonderen: Welche Lehren können daraus insgesamt für das Ruhrgebiet gezogen werden? Wo soll es hingehen? Wie bekomme ich auch das, was heute da ist, verknüpft und übersprungen mit den nächsten Jahren?

Das bezieht alles ein: Siedlungsentwicklung, Mobilitätsentwicklung, Umweltschutz, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Digitalisierung natürlich, Smart Transformation eben. Das haben wir, das läuft, das funktioniert so weit.

Der eigentliche Transformationsprozess ist das Entscheidende. Was bekomme ich aus dem einzelnen Raum – was an Herausforderung vorhanden ist – auf die gedanklich nächste Stufe gehoben, sodass ich im Ideal die 53 Städte und Gemeinden in der Entwicklung miteinander verknüpfen kann und es eben keine Solitärbetrachtungen bleiben? An der Stelle stecken wir gerade in diesem Ruhr-Konferenz-Projekt.

Beim europäischen Bauhaus – deswegen kann ich dem Abgeordneten Paul, der hier etwas zurückhaltend ausgeführt hat, beipflichten – ist nichts bekannt. Bis Ende des Jahres wird erst einmal ein internes Projektteam auf Ebene der Europäischen Kommission gegründet. Dann wird im weiteren Verlauf des Jahres 2021 identifiziert: Wohin, an welches Haus, soll das eigentlich gehen? Woraus will man was finanzieren?

Das alles ist derzeit noch nicht geklärt. Das ist nicht schlimm, das sage ich ausdrücklich. Aber so schnell wird es nichts werden mit dem europäischen Bauhaus. Ich bin immer eine Freundin davon, sich alles genau anzuschauen, bevor man sich auf einzelne Regionen konzentriert, in denen schon ganz viel stattfindet.

Beispielsweise gab es in dieser Woche einen größeren Artikel in der „WAZ“, dass im Dortmunder Norden ein Stadtviertel, eine Straße für einen entsprechenden Wettbewerb aufgerufen wurde.

Genauso will man in Gelsenkirchen zeigen: Was heißt denn Stadttransformation im Hinblick auf das Morgen? Gesellschaft, Mobilität, Siedlungsentwicklung, Klimaschutz, Nachhaltigkeit. Daran merken Sie, es ist ungeheuer viel unterwegs.

Deswegen lassen Sie uns gemeinsam abwarten, bis die Parameter des europäischen Bauhauses auf der Ebene der Europäischen Kommission geklärt sind. Dann können wir uns gern weiter damit auseinandersetzen.

Aber bitte berücksichtigen Sie, dass gerade ungeheuer viel Transformation in Nordrhein-Westfalen, im Ruhrgebiet passiert. Speziell für das Ruhrgebiet gibt es die bereits gegründete Ruhr Academy on Smart Metropolitan Transformation, die genau das zum Ziel hat, was die Idee des europäischen Bauhauses jetzt formuliert hat. Das haben wir schon längst. Die Umsetzung ist immer das entscheidende Problem.