Protocol of the Session on October 8, 2020

Seit Monaten müssen die Bürger unseres Landes, wo sie gehen und stehen, wo sie ein Bier trinken, eine Bockwurst essen oder bald auch einen Glühwein zu sich nehmen, eine Datenspur hinterlassen. Sie müssen Namen, Adresse, Telefonnummer in eine Liste eintragen oder gleich digital übermitteln.

Wie man das so kennt, wurde erst einmal großspurig versprochen, dass das alles dem Datenschutz unterliege und ausschließlich wirklich nur zum Zwecke des Infektionsschutzes verwendet werde. – Das Versprechen wurde kaum gegeben, da war es auch schon gebrochen. Alle möglichen Sicherheitsbehörden greifen inzwischen auf diese Daten zu.

Dann hieß es: aber wirklich nur ausschließlich bei schweren und ganz schlimmen Straftaten. – Aber auch das stellte sich ganz schnell als ein Märchen heraus. Selbst bei Bagatelledelikten wird davon inzwischen in einigen Bundesländern Gebrauch gemacht.

Damit nicht genug: Als in Hamm die Infektionszahlen aufgrund einer Hochzeitsfeier, die nach bereits geltendem Recht so nicht hätte stattfinden dürfen, vermehrt Infektionen auftraten, träumte Gesundheitsminister Laumann öffentlich davon, dass die Gästelisten privater Feiern gleich präventiv bei den Ordnungsbehörden eingereicht werden sollten – ganz wie im Polizeistaat.

So geht das jeden Tag; allein in den letzten drei Tagen: Beherbergungsverbot, Präventivquarantäne, Sperrstunde, Alkoholverbot und, und, und. Solche Sachen werden inzwischen in irgendwelchen in der Verfassung nicht vorgesehenen Kungelrunden ausgekaspert – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und auch unter Ausschluss der Parlamente.

Eine besonders zynische Rolle spielt dabei wieder einmal die FDP, die ach so große Bürgerrechts- und Freiheitspartei. Im Bundestag wird mit großen

Worten vor dem Angriff auf die Privatsphäre gewarnt – genauso in Bayern und in allen anderen Ländern, in denen Sie im Landtag, aber in der Opposition sind.

Was passiert in NRW, wo Sie regieren, wo Sie das verhindern könnten? – Da passiert überhaupt nichts. Da nicken Sie brav alles ab, was Ihnen Herr Laschet und Herr Söder in ihrem Überbietungswettbewerb so vorlegen. Da brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, wenn keiner mehr so genau weiß, wofür es Sie eigentlich noch braucht, meine Damen und Herren.

Es ist an der Zeit, dass wir alle hier in dieser Volksvertretung einmal gemeinsam darüber nachdenken und streiten, wie wir mit dieser Krankheit weiter umgehen. Sie können die Debatte nicht ewig unterdrücken, indem Sie auf irgendwelche Virologen verweisen. Es gibt immer mehr kritische und auch sachkundige Stimmen wie zum Beispiel Professor Streeck, die sich nicht mundtot machen lassen.

Es hilft auch nichts, allabendlich wie in der Kriegsberichterstattung die neuesten Infektionszahlen zu verkünden, wenn immer klarer wird, dass diese nichts oder nur sehr wenig aussagen, wenn immer mehr getestet wird, wenn immer weniger Menschen ins Krankenhaus kommen, wenn es kaum noch Todesfälle gibt. Es hilft auch nicht, wenn Minister Laumann gleich mit ernster Miene an dieses Pult tritt – Sie können es sich vielleicht bildlich vorstellen – und erklärt, dass er die Verantwortung habe und Menschenleben retten wolle.

Herr Minister, ich glaube Ihnen das. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie wir uns im März in meiner Familie um unsere Großmutter gesorgt haben, die mit fast 90 Jahren noch jeden Tag aus dem Haus und einkaufen geht. Ich kenne niemanden, der sich nicht um einen Verwandten oder einen Freund sorgt.

Aber Verantwortung heißt eben auch, dass man Mut haben muss, dass man aus dieser Kollektivangst, die man womöglich selbst mit erzeugt hat, einmal ausbrechen und den Leuten sagen muss: Habt keine Angst, seid vorsichtig, aber habt keine Angst! – Wir alle, Regierung, Landtag, sind dafür verantwortlich, das Recht und die Freiheit der Bürger zu bewahren, und nicht dazu berufen, den Menschen das ewige Leben zu versprechen. Dafür sind andere zuständig.

Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht. Stimmen Sie gegen den Corona-Überwachungsstaat und für unseren Antrag! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Tritschler. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Fuchs-Dreisbach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der derzeitigen dynamischen Infektionslage zwingend notwendig, Infektionsketten möglichst schnell zu unterbrechen.

Dazu muss man die Kontakte lückenlos zurückverfolgen können. Die Kontaktdatenerfassung ermöglicht uns, die Beschränkungen im Alltag zu verringern. Das oberste Ziel, die Ausbreitung von Corona in den Griff zu bekommen, kann nur erreicht werden, indem man Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig macht und diese isoliert werden können.

Zum Umgang mit den Daten heißt es in der Coronaschutzverordnung, dass die Daten nach den geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften zu verarbeiten, insbesondere vor dem Zugriff Unbefugter zu sichern und nach Ablauf von vier Wochen vollständig datenschutzkonform zu vernichten sind.

Die Coronaschutzverordnung beachtet damit die für den Umgang mit personenbezogenen Daten maßgeblichen Rechtsvorschriften, insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung. Diese schreibt vor, dass die Daten nur für festgelegte eindeutige und legitime Zwecke erhoben und verarbeitet werden dürfen. Das bedeutet, dass die Daten im Bedarfsfall für die Nachverfolgung von Infektionsketten an die Gesundheits- und Ordnungsämter weitergegeben werden, aber nicht für Werbung oder Newsletterdienste genutzt werden dürfen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Gott sei Dank!)

Nur in absoluten Ausnahmefällen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit sind die Listen für Zwecke der Nachverfolgung nutzbar. Die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ist demnach nicht in Gefahr, und eine zentrale Datensammelstelle gibt es nicht.

Bei dieser Sachlage sehen wir keinen Grund, Ihren Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Weng.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Freiheitsrechte sind nicht verhandelbar. Unsere Daten sind hochsensibel und stehen zu Recht unter besonderem Schutz. Das gilt unbedingt für unsere Privatsphäre und gleichermaßen für Orte der Kommunikation und der Freizeitgestaltung.

Die Gastgeber, ob privat oder kommerziell, müssen nachhalten können, ob sie Betroffene oder Ursache eines Ausbruchs sind. Auch bezüglich der Coronakontaktlisten gilt also der Grundsatz: keine Datenverarbeitung ohne Rechtsgrundlage.

Die Coronaschutzverordnung sieht – übrigens nicht erst seit September – zur Rückverfolgung möglicher Infektionsketten in § 2a Abs. 1 eine papiergebundene Erfassung der Kontaktdaten – Name, Adresse; wir haben es gehört – sowie des Zeitpunkts von An- und Abreise vor. Diese aufgestellten Regeln dienen dem Schutz eines jeden von uns.

Für Micky Maus oder Batman, wenn als Kontaktpersonen identifiziert, aber nicht gefunden, kann es echt gefährlich werden. Die Option der Nachverfolgung dürfte also unkritisch sein, weil ihre Zweckbestimmung, die Unterbrechung von Infektionsketten, Leben schützen kann.

Eine andere Zweckbindung wird durch die §§ 23 und 24 des Bundesdatenschutzgesetzes sowie § 9 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen ermöglicht. Eine Zweckänderung wäre dann begründet, wenn sie zur Gefahrenabwehr oder zur Ermittlung in Bezug auf Kapitalverbrechen – nicht Bagatellen – notwendig erscheint. Aber es gilt: Freiheitsrechte der betroffenen Gäste und die Strafverfolgung sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen, und eine rechtssichere Balance ist herzustellen. Es stellt sich in jedem Fall die Frage nach der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit derartiger Datenabfragen.

Wenn alle die Regeln einhalten würden, dann stünde ich wohl nicht hier. Aber dabei hilft Ihr Antrag nicht. Deshalb lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Weng. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Brockmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat uns mit diesem Antrag wieder einmal dargestellt, dass sie eigentlich gar nicht in der wirklichen Welt unterwegs ist und sich auch nicht mit den Problemen der Menschen auseinandersetzt. Sie spricht in dem Antrag vom Überwachungsstaat und davon, dass die Landesregierung die Pandemie ausnutzt, um Machtmissbrauch zu betreiben.

Da Sie so wenig in der Realität leben – Herr Tritschler hat das mit seinen Äußerungen gerade deutlich gemacht –, will ich es gerne noch einmal für Sie ausführen.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ich bin hochin- teressiert!)

Dann hören Sie mal gut zu. – Wir befinden uns in einer wirklich schwierigen Lage. Es herrscht eine Pandemie, wie wir sie lange, lange, lange Zeit nicht erlebt haben. Jede Woche ist eine schwierige Abwägung einzelner Güter, die im Raume stehen, zu treffen. Sie haben gerade so getan, als ob wir die Freiheit der Bürger um jeden Preis einschränken wollten. Aber so einfach ist es nicht. Es geht darum, die einzelnen Güter – dazu gehört auch die Gesundheit der Bevölkerung – gegeneinander abzuwägen. Natürlich ist auch die Freiheit des Einzelnen ein maßgebender Faktor für uns.

Sie haben gerade so getan, als ob wir an der Spitze der Überbietungsorgien – so haben Sie es genannt – ständen. Das ist mitnichten der Fall. Hätten Sie die Diskussionen richtig verfolgt, dann wüssten Sie, dass Nordrhein-Westfalen dabei an der Spitze ist, die Verhältnismäßigkeit zu beachten, die Einzelinteressen in den Blick zu nehmen und gerade auch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger immer wieder abzuwägen.

(Beifall von der FDP)

Kommen wir zum Datenschutz: Darüber haben Sie gerade kaum einen Satz verloren. Sie haben gar nicht über Ihren Antrag gesprochen, sondern über ganz viele andere Obskuritäten.

Die FDP-Landtagsfraktion hat zum Beispiel ein Positionspapier erarbeitet, wie wir uns die Corona-WarnApp vorstellen. Vielleicht haben Sie diese Debatte in Ihrer Bubble auch nicht mitbekommen. Es wurde intensiv darüber gesprochen, wie diese Warn-App ausgestaltet werden soll. Denn die Bürgerinnen und Bürger sind sehr wohl sehr empfindlich beim Thema „Datenschutz“ und würden die App nicht nutzen – diese Diskussion haben wir ja fortwährend –, wenn es eine solche Datenkrake wäre.

(Beifall von der FDP)

Natürlich gibt es momentan kein Allheilmittel gegen das Virus. Eine Strategie mit vielen kleinen Bausteinen ist es, dezentral gegen die Pandemie, gegen das Virus vorzugehen. Die Kontaktlisten und die Nachverfolgung sind ein Element. Sie sind sogar der zentrale Schlüssel, um wieder mehr Normalität zu ermöglichen, um mehr Bars und mehr Restaurants …

Entschuldigung, Herr Kollege Brockmeier, dass ich Sie jetzt unterbreche. Herr Kollege Tritschler würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?

Nein, er kann eine Kurzintervention machen.

Okay.

Gerade mit den Kontaktlisten ermöglichen wir mehr Freiheit oder mehr Normalität. So kann die Gastronomie wieder öffnen.

Meine Vorredner haben es gerade schon angesprochen: In der Coronaschutzverordnung steht ganz klar, wie mit den Daten umzugehen ist. Dort heißt es:

„Die … Daten sind nach den geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften zu verarbeiten, insbesondere vor dem Zugriff Unbefugter zu sichern und nach Ablauf von vier Wochen vollständig … zu vernichten.“

Es gibt also klare Regeln dafür, wie damit umgegangen werden muss.

Sie haben gerade so getan, als ob täglich und überall seitens der staatlichen Behörden Missbrauch mit den Daten betrieben würde. Aber das ist nicht der Fall. Was sagt denn die LDI dazu, also die oberste Datenschützerin in Nordrhein-Westfalen? Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

„Vor dem Hintergrund, dass der LDI NRW für ganz Nordrhein-Westfalen erst ein Fall eines polizeilichen Zugriffes auf Corona-Kontaktlisten bekannt geworden ist, gehen wir derzeit davon aus, dass die Strafverfolgungsbehörden hier mit dem erforderlichen Augenmaß vorgehen.“