Protocol of the Session on October 8, 2020

Es geht doch nicht nur darum, abstrakt den Staat vor Rassismus zu schützen, sondern darum, die Betroffenenperspektive einzubeziehen und aufzuzeigen, was es eigentlich mit Menschen macht, die Opfer von rassistischer Gewalt oder von rassistischer Diskriminierung werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass Sie diese Perspektive in Ihre Überlegungen nie einbeziehen, macht mich immer wieder fassungslos. – Ich versuche, auf die einzelnen Themen einzugehen:

Das Thema „Brennpunkte“ wurde angesprochen. Herr Lürbke, natürlich ist Polizeiarbeit belastend; dem widerspricht in der Diskussion auch niemand. Das ist aber doch noch lange kein Grund dafür, rassistisch zu werden. Ich finde, Sie müssen aufpassen, welche Schuldzuweisungen Sie machen und welche Erklärungsmuster Sie verwenden. Dieses Erklärungsmuster finde ich brandgefährlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: Das ist genau der Punkt!)

Zum Thema „Lagebild und Studie“. Beides möchte ich ein bisschen voneinander trennen; zunächst zum Lagebild.

Herr Lürbke, machen Sie Ihr Lagebild. Ein Lagebild zeigt aber doch in erster Linie Symptome auf; das ist eine Problembeschreibung.

Eine Studie hingegen untersucht Ursachen. Eine Studie ist die Grundlage zum Handeln. Ich verstehe nicht, warum CDU und FDP immer ein Problem damit haben, evidenzbasiert Politik zu betreiben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir brauchen doch Grundlagen. Es ist leider so, Herr Ministerpräsident: Hören Sie Ihrem eigenen Minister Reul einmal zu. Ich habe vorhin einige Zitate gebracht. Das kann man noch einmal nachlesen. Ich verstehe einfach nicht, wie man sich so dermaßen gegen unabhängige Wissenschaft wehren kann.

Zum Thema „Extremismusbeauftragte“. Herr Lürbke, ich finde es total gut, dass Sie sagen, wir brauchen Extremismusbeauftragte vielleicht auch in anderen Behörden, sodass sich jemand an einen Beauftragten in einer anderen Behörde wenden kann, um eine gewisse Unabhängigkeit sicherzustellen.

Ich finde es schön, dass Sie die Notwendigkeit von unabhängigen Stellen anerkennen, frage mich dann aber: Warum haben Sie unseren Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten, der unabhängig gewesen wäre, abgelehnt? Da hätten Sie eine unabhängige Stelle einrichten können. Das wollten Sie aber leider nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann noch einmal zu der Frage, worüber wir eigentlich reden: Reden wir über ein strukturelles Problem? Reden wir über Einzelfälle?

Ich habe gestern in der Haushaltsdebatte gezuckt, als Herr Löttgen sagte, wir müssten endlich eine Sprachregelung finden. Dazu muss ich Ihnen ganz klar sagen: Nein, wir müssen keine Sprachregelung finden, sondern wir müssen Probleme benennen. Darum geht es.

Es geht nicht um Kommunikation, sondern darum, dass wir seit Langem nicht mehr von Einzelfällen in der Polizei reden. Ja, der allergrößte Teil der Polizei ist natürlich demokratisch orientiert und steht auf dem Boden unserer Verfassung.

Ich habe eine sehr hohe Wertschätzung gegenüber unserer Polizei, die mit einem Topstudium wahrscheinlich die am besten ausgebildete Polizei ist, die wir derzeit haben. Wir haben supergute Leute, denen ich sehr vertraue. Nichtsdestotrotz muss man doch klar benennen, dass wir hier ein Problem haben, um es angehen zu können.

Wir werden – das haben Sie sich sicherlich schon gedacht – den Entschließungsantrag der CDU ablehnen. Es sind ein paar wichtige Punkte drin, über die ich auch froh bin, wie Supervision und Fortbildung. Dass Sie das aufgreifen, will ich ausdrücklich loben.

Es fehlen auch Sachen Dinge wie die Betroffenenperspektive, die Wissenschaft fehlt und der Verfassungsschutz als eine Sicherheitsbehörde sogar komplett.

Es tut mir leid: Eigentlich wollte ich mich in dieser Diskussion nicht so aufregen. Leider passiert es immer wieder.

Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir auch weiter eine konstruktive Diskussion führen würden. Die Probleme sind zu groß, um sich nur zu streiten, aber Ihrem Antrag können wir leider nicht folgen.

(Beifall von den GRÜNEN und Andreas Bialas [SPD])

Danke schön, Frau Schäffer. – Jetzt spricht für die FDP-Fraktion Herr Lürbke.

(Christian Dahm [SPD]: Enttäusch uns nicht, Marc!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schäffer, ja, wie sage ich es? Manchmal bringen Sie mich persönlich doch ein bisschen an den Rand der Verzweiflung;

(Beifall von der FDP)

denn ich habe den Punkt bezüglich der Studie hier eben lang und breit und ausführlich zu erklären versucht. Ich habe versucht, in aller Deutlichkeit zu erklären, dass diese Studien alle erst folgen, dass das eingebunden ist, dass wir das doch machen. Entweder haben Sie mir nicht zugehört oder Sie wollen es nicht verstehen oder Sie haben gerade den alten Redebaustein vorgelesen. Ich weiß es nicht. Aber ich gebe da nicht auf. Also wir werden uns gerne weiter bemühen, auch Ihnen zu erklären, was wir hier machen und dass natürlich die wissenschaftlich

unabhängige Expertise an der Stelle eingebunden ist. Das ist für uns jedenfalls klar, meine Damen und Herren.

Nochmals: Was die Frage betreffend Studie, Lagebild, Expertise – wie man das auch immer nennen mag – angeht, so ist mir wirklich daran gelegen, dass wir die Energie nicht damit verschwenden, uns darüber zu streiten, wie man das Kind denn nennt, sondern dass wir die Energie gemeinsam darauf verwenden, nach vorne gerichtet zu handeln und wirklich zu schauen, wie die Situation ist, und daraus abgeleitet dann die richtigen Schritte und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Das muss doch bitte das Anliegen sein.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Re- debaustein!)

Nein, gar nicht, Herr Kollege. Zu Ihnen, Herr Wolf, kann ich direkt rüberspringen. Denn was das angeht, was Sie gerade gesagt haben, so ist es ja schön, dass wir eine sachliche Debatte führen. Ich halte das für sehr wichtig. Aber wir müssen uns auch gegenseitig zuhören.

Im Zusammenhang mit der Unterrichtung der Landesregierung hatten Sie auch den Redebaustein verwandt, man müsse jetzt für die Beamtinnen und Beamten anonyme Wege schaffen.

Ich habe Ihnen damals schon gesagt, dass es die gibt. Die gibt es; die haben wir längst implementiert. Man kann sich anonym an die Extremismusbeauftragten wenden. Theoretisch ist es auch möglich, sich an den Polizeibeauftragten zu wenden. Da ist es ein bisschen schwierig mit der Rückmeldung, aber das geht. Diese Wege gibt es. Das konnten Sie wahrscheinlich im Protokoll nachlesen, weil ich das damals reingerufen habe.

Sie haben jetzt wieder den gleichen Baustein verwendet und das Gleiche erzählt, nämlich dass man dies schaffen müsse – schade. Also bleiben Sie bitte bei der Wahrheit, wenn Sie das besser wissen; vielleicht wissen Sie es auch nicht besser. – Wir haben das schon gemacht. Also lassen Sie uns bitte versuchen, hier fair miteinander umzugehen. Lassen Sie uns bei der Wahrheit bleiben. Lassen Sie uns sachlich bleiben.

Ich komme zum Entschließungsantrag der Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Christian Dahm [SPD]: Ist nicht schlecht, oder?)

Na, das würde ich anders beurteilen. Also ich habe ihn intensiv gelesen. Ich hatte nur ein wenig das Gefühl,

(Zuruf von der SPD: Komm, Marc, sei ehrlich, er gefällt dir!)

hören Sie mir doch bitte kurz zu –, dass mich dieser Entschließungsantrag fast anschreit; das muss man

auch einmal sagen. Ich habe im ersten Moment gedacht, er käme von einem Wutbürger. Haben Sie selbst einmal gelesen, was Sie dort aufgeschrieben haben? Auf den ersten anderthalb Seiten gibt es – ich habe durchgezählt – zwölf Ausrufezeichen. Jeder Satz in diesem Entschließungsantrag endet mit einem Ausrufezeichen.

(Jochen Ott [SPD]: Wahnsinn! – Sven Wolf [SPD]: Es sind aber manchmal fünf Ausrufe- zeichen hintereinander!)

Lassen Sie uns uns nicht gegenseitig anschreien, sondern lassen Sie uns bitte sachlich damit umgehen. Ich glaube, das würde der wichtigen Debatte guttun.

Herr Kollege Bialas, ich weiß, Sie haben es geschickt gemacht, indem Sie gesagt haben, man sollte nicht immer zurückschauen und Ähnliches. Aber wenn wir fair miteinander umgehen, dann frage ich mich natürlich, warum ich auch von der Kollegin Schäffer immer wieder hören muss, „endlich“ würde gehandelt bzw. warum erst jetzt etwas passiert. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit in diesen Fragen leider wenig bis nichts bewegt worden ist. Das gehört nun mal dazu.

(Beifall von der FDP und der CDU – Christian Dahm [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

In der gestrigen Fragestunde – ich weiß, wie das bei Fragestunden ist, da werden Fragen aufgeschrieben – habe ich mich bei der einen oder anderen Frage, bei der es darum ging, warum denn „erst jetzt“ im Ministerium reagiert wird, nur gefragt:

Herr Minister, vielleicht täusche ich mich, aber haben Sie denn die Liste gefunden, das Lagebild, das wir bei der Polizei schon haben, wo über rassistische oder rechtsextreme Fälle berichtet wird? Gab es da eine Liste, die wir einfach nur fortschreiben mussten, oder hat Rot-Grün das in den sieben Jahren ihrer Regierungszeit überhaupt nicht professionell begleitet, sodass wir hier von Neuem anfangen mussten?

(Beifall von der FDP)

Also auch das gehört zur Wahrheit dazu. – Es ist doch gut, dass wir jetzt nach vorne gehen, dass wir die richtigen Schritte machen.

(Christian Dahm [SPD]: Sehr billig!)

Ich glaube, dazu haben wir viel in die Wege geleitet. Wir sagen ja nicht, dass man da nichts besser machen kann. Wir müssen jetzt schauen: Was ist gut? Was kann man noch besser machen? Wie ich eingangs sagte: Wir müssen das Immunsystem des Rechtsstaats hier vielleicht noch optimieren, nein, nicht vielleicht, sondern wir müssen es optimieren. Sie können sich darauf verlassen, dass wir das auch tun werden. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)