Protocol of the Session on December 2, 2015

Mit diesen Vorbemerkungen eröffne ich die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat Herr Kollege Preuß das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Die Inklusion ist eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen in Nordrhein-Westfalen. Inklusion muss im Bewusstsein der Menschen stattfinden. Sie muss zur Selbstverständlichkeit in unserer Gesellschaft werden. Politik muss mit gutem Beispiel vorangehen. Sie muss dort, wo es notwendig ist, die Rahmenbedingungen für ganz unterschiedlich betroffene Personengruppen schaffen.

So müssen sich beispielsweise Gehörlose verständigen können. Dazu bedarf es Gebärdensprachdolmetschern. Wir haben sicher alle schon erlebt, dass auf diversen Veranstaltungen, insbesondere auf Veranstaltungen der Sozialverbände, selbstverständlich ein Gebärdensprachdolmetscher anwesend war, um es gehörlosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu ermöglichen, der Veranstaltung und vor allem dem, was dort gesprochen wurde, zu folgen.

Leider haben wir in der vorletzten Woche hier im Landtag ein schlechtes Beispiel erleben müssen. Zur Anhörung zum Inklusionsstärkungsgesetz fehlte ein Gebärdensprachdolmetscher, der das gesprochene Wort für die anwesenden Gehörlosen hätte übersetzen können. Die Anhörung wurde zu Recht abgebrochen. Da wird aus Inklusion gerade bei dem Thema „Inklusionsstärkung“ das Gegenteil. Bittere Realität wurde sichtbar, und das darf nicht wieder passieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Marc Olejak [PIRATEN] drückt sich in Gebärden- sprache aus.)

Es ist nicht hinnehmbar und realitätsfern, wenn gehörlose Menschen langfristig planen müssen, um die Unterstützung eines Gebärdensprachdolmetschers in Anspruch nehmen zu können. Deswegen müssen wir das Problem im Sinne dieser Menschen jetzt anpacken und lösen. Genau darauf zielt unter Antrag. Wir brauchen mehr Gebärdensprachdolmetscher.

(Beifall von der CDU)

Es gibt ein erschreckendes Missverhältnis zwischen der Zahl der Gehörlosen und der Zahl der Gebärdensprachdolmetscher. Es gibt hier im Land keine anerkannte Berufsausbildung zum Gebärden

sprachdolmetscher. Auch die nötigen Gebärden

sprachdolmetscher und Gebärdensprachdozenten werden bei uns nicht ausgebildet. Auch das muss sich selbstverständlich in unserem Land ändern.

(Beifall von der CDU)

Im Rahmen eines Konzepts, das wir fordern, müssen Ausbildungsgänge auf unterschiedlichen Niveaus unter Einbeziehung der Verbände entwickelt werden. Zudem muss auch die Anerkennung und die Einstufung von Gebärdensprachdolmetschern geregelt werden, die bereits tätig sind.

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich sehr um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.

Ich möchte noch ganz kurz etwas zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sagen. Im ersten Augenblick habe ich mich gefragt: Worin besteht eigentlich der Unterschied zu unserem Antrag? Ich hatte die Befürchtung, dass es allein um eine parteipolitische Position geht. Aber wenn man genau hinsieht, gibt es tatsächlich Unterschiede, denen wir nicht zustimmen können.

Zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Gebärdensprache eine eigenständige Sprache ist und keine Kommunikationshilfe. Gerade darauf haben die Verbände im Rahmen der schriftlichen Anhörung zum Inklusionsstärkungsgesetz hingewiesen.

Zum Zweiten nehmen Sie eine Erweiterung auf Schwerhörige und Taubblinde vor. Das ist im Zusammenhang mit unserem Antrag nicht sachgerecht, weil es auch um spezielle Bedarfe einer bestimmten Gruppe geht, die eigene Forderungen hat. So gibt es zum Beispiel ganz unterschiedliche Unterstützungsbedarfe. Taubblinde haben andere Unterstützungsbedarfe als andere gehörlose Menschen. In dem Bereich gibt es zum Beispiel seit 2008 ein Projekt, das inzwischen 80 ausgebildete Assistenten erbracht hat.

Ich bitte Sie, das nicht alles miteinander zu vermischen, sondern auf die unterschiedlichen Unterstützungsbedarfe einzugehen. – Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Neumann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Weg hin zur inklusiven Gesellschaft ist ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess im Namen der Menschenrechte. Er ist auf Dauer angelegt und unumkehrbar. Inklusion – das heißt in diesem Falle die gleichbe

rechtigte und wirksame konkrete Teilhabe sinnesbeeinträchtigter Menschen – bedarf der Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen, vor allem im Lebensalltag. Aktionismus hilft da nicht weiter.

Wir in Nordrhein-Westfalen haben mit der Entwicklung des Aktionsplans „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ die Vorreiterrolle eingenommen. Wir haben kürzlich mit der Einbringung des Inklusionsstärkungsgesetzes wiederum bundesweit Akzente gesetzt und den nächsten Schritt hin zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention konsequent vollzogen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Fragen der Menschen, die auf Gebärdensprache und Kommunikation angewiesen sind.

Diese sind gesetzgeberisch erstmalig in Gestalt des Inklusionsstärkungsgesetzes aufgenommen, so etwa durch die Schaffung einer Regelung zur Unterstützung gehörloser Eltern bei Wahrnehmung ihrer Elternrechte. Dies ist zudem haushalterisch mit einem Förderbeitrag von 400.000 € unterlegt. – Herr Preuß, die CDU hat bis jetzt in den Haushaltsberatungen dagegen gestimmt.

Der Einsatz von Gebärdensprache und Kommunikationshilfen dient zur Überwindung von Barrieren, betrifft sämtliche Bereiche des unmittelbaren Lebens und gilt in allen Lebenslagen. Unter Einbeziehung der Selbstorganisation der Menschen mit Behinderung befindet sich daher die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für sinneseingeschränkte Menschen in Nordrhein-Westfalen in Vorbereitung und wird im nächsten Jahr an den Start gehen. Wir wollen Verlässlichkeit, Kontinuität und personenzentrierte Strukturen. Weil dem so ist und weil der Prozess der Inklusion fundiert angegangen werden muss, brauchen wir verlässliche Grundlagen.

Die Studie von Frau Prof. Dr. Mathilde Niehaus und Herrn Prof. Dr. Thomas Kaul im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen zu „Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Hörschädigung in unterschiedlichen Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen“ ist hier eine der wesentlichsten Grundlagen gewesen. Die Studie bescheinigt uns deutlich, dass die Ausgangsbedingungen in Nordrhein-Westfalen für diesen Prozess vorhanden sind. Deshalb gilt es, in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Menschen mit Behinderung und mit allen anderen, die in diesem Bereich aktiv sind, bedarfsgerechte, der Qualität und Quantität entsprechende Strukturen zu schaffen. – Herr Preuß, ich bin anderer Auffassung als Sie: Auch die taubblinden Assistentinnen und Assistenten gehören dazu.

(Beifall von Inge Howe [SPD] und Martin- Sebastian Abel [GRÜNE])

Ebenso wird die Landesregierung auf das Instrument der Bündelung hinweisen und die Ansprüche von Kommunikation sowie die Ansprüche von Vermittlung auf Kommunikation prüfen und gegebenenfalls sicherstellen.

Ganz wichtig ist, dass in unserem Antrag, Herr Preuß, ausdrücklich der Prüfauftrag enthalten ist, die Einrichtung eines Studiengangs Gebärdensprachdolmetscher an einer der Hochschulen Nordrhein-Westfalens zu schaffen, den wir aktuell nicht anbieten.

(Peter Preuß [CDU]: Dann machen Sie es doch! Statt zu prüfen, machen Sie es doch!)

Die taubblinden Menschen, deren Teilhabebedingungen gegenwärtig die schwierigsten sind, müssen auf diesem Weg besonders in unserem Blickpunkt stehen. Teilhabe heißt in dem Fall das Betreten von völlig neuem, unbekanntem Terrain mit spezifischen Hilfsmitteln, die wir heute nicht haben.

Ich bedauere, Herr Preuß, dass der bisherige Weg, den insbesondere der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Thematik der Politik für Menschen mit Behinderung gemeinsam gegangen ist, an dieser Stelle von Ihnen unterbrochen wird. Es ist schade, dass dieser Antrag hier heute in eine direkte Abstimmung kommt. Ich glaube, es wäre im Interesse aller Beteiligten, insbesondere im Interesse eines vernünftigen Lösungsansatzes für eine hoch komplizierte Materie, gut gewesen, wenn wir dies noch einmal gemeinsam im Ausschuss beraten hätten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Peter Preuß [CDU]: Farbe bekennen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin GrochowiakSchmieding.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) :

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sehen möchte, wie ein Schnellschuss aussieht, der muss sich diesen Antrag der CDU anschauen. Dabei – das unterstelle ich Ihnen gern, liebe Kollegen von der CDU – meinen Sie es wahrscheinlich wirklich gut. Aber in Ihrem Bemühen, sich selbst möglichst gut darzustellen und Rot-Grün möglichst schlecht aussehen zu lassen, unterschlagen Sie einige Fakten.

Auch in dieser Diskussion ziehen Sie einmal mehr Ihren Antrag aus dem Jahr 2012 heran und unterschlagen dabei, dass dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt wurde, unter anderem deshalb, weil er längst überholt war. In Nordrhein-Westfalen gab es damals schon die Möglichkeit für hörgeschädigte Eltern, die Finanzierung von Kommunikationshilfen und Gebärdensprachdolmetschung in Kita und Schule über das Verwaltungsverfahren hinaus zu beantragen. Die Ministerien für Schule und Weiterbildung sowie für Familie, Kinder und Jugend sind hierfür zuständig.

Der Tatsache, dass die Umsetzung im Alltag mitunter an mangelnder Information und Beratung der Betroffenen scheitert, tragen wir mit der Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Sinnesgeschädigte Rechnung. Das ist im Übrigen ein Ergebnis unserer rot-grünen Initiative.

Zur Verstätigung der Unterstützung durch geeignete Kommunikationshilfen über das Verwaltungsverfahren hinaus bedarf es allerdings einer gesetzlichen Grundlage, und diese werden wir mit dem Inklusionsstärkungsgesetz auch schaffen. Die Basis hierfür ist ganz gewiss nicht Ihr Antrag, sondern sind vielmehr das Ergebnis aus vielen Gesprächen mit Betroffenen und natürlich die Erkenntnisse aus der Studie für lebenslang hörgeschädigte und taubblinde Menschen in NRW von Herrn Prof. Dr. Kaul und Frau Prof. Dr. Niehaus, die im Auftrag der Landesregierung erstellt wurde.

Wer die Studie kennt, weiß, dass Kommunikationshilfen nicht nur von gehörlosen Menschen gebraucht werden, sondern darüber hinaus auch von Schwerhörigen und Taubblinden. Jede Gruppe braucht ihre spezielle, mitunter auch sehr individuelle Unterstützung. Daher beschränken wir uns in unserem Antrag nicht auf die Ausbildung von Gebärdensprachdolmetscherinnen und deren Dozentinnen. Denn Kommunikationsunterstützung wird auch von Schriftdolmetscherinnen und Taubblinden

Assistentinnen erbracht, und auch die müssen ausgebildet werden.

Darüber hinaus meinen wir, dass die verfügbaren Dienstleistungsangebote gebündelt werden sollten, da wir damit auch als eine Art zentrale Plattform die Nachfrage und Vermittlung erleichtern können.

Meine Damen und Herren, wir von den regierungstragenden Fraktionen werden den Antrag der CDU ablehnen. Denn er behandelt lediglich einen Teil der Problemstellung und grenzt Schwerhörige und Taubblinde aus. Wir von SPD und Grünen haben alle, die auf kommunikationsunterstützende Hilfen und Maßnahmen angewiesen sind, im Blick. Daher legen wir mit unserem Entschließungsantrag eine umfassendere Lösung vor und werben natürlich auch um Ihre Zustimmung.

Aber auf ein Wort, meine liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Gebärdensprachdolmetschung dieses Tagesordnungspunktes ist richtig. Sie ist eine nette Geste. Von Gewährleistung umfassender Teilhabe können wir reden, wenn die gesamte Plenarsitzung übersetzt wird.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir diesen Weg finden werden. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Alda das Wort.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Dem letzten Wort kann ich natürlich nur zustimmen. Ich hoffe, dass wir dahin kommen. Aber ansonsten sollten wir wieder ein bisschen auf den Boden der Tatsachen zurückkommen, und das kann am besten die Opposition und dabei am besten die FDP.

(Lachen von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir Freien Demokraten stehen dafür, dass Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen können und dass gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen möglich wird. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Inklusion ist somit für uns ein Menschen- und Bürgerrecht. Gehörlose Menschen und solche mit hochgradiger Schwerhörigkeit benötigen zur Teilhabe Hilfen zur – so nenne ich es einmal – barrierefreien Kommunikation. Insbesondere der Einsatz der Gebärdensprache durch entsprechende Dolmetscher ist für sie eine unverzichtbare Unterstützung.