Gemäß § 100 unserer Geschäftsordnung soll der Petitionsausschuss mindestens jährlich dem Landtag mündlich berichten. Entsprechend der bisher geübten Praxis erteile ich der stellvertretenden Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Frau Howe, zum Halbjahresbericht das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Howe.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tue Gutes, aber rede nicht darüber – ein solch bescheidenes Motto findet sich in einem Parlament sicher selten. Die Arbeit weitgehend ohne große Öffentlichkeit ist aber ein wichtiger Grundsatz des Petitionsausschusses. Unser Ausschuss ist einer der wenigen in diesem Parlament, der nichtöffentlich tagt. Ein Relikt aus alter Zeit, könnte man denken, als Transparenz noch nicht so wichtig war – aber dem ist nicht so: Die Entscheidung, nichtöffentlich zu tagen, dient dem Schutz der Menschen, die sich an uns wenden; denn die Anliegen sind oft sehr persönlich und sensibel. Alle Petentinnen und Petenten können sich auf unser Stillschweigen verlassen.
Im ersten Halbjahr 2014 haben den Ausschuss 1.683 Eingaben erreicht. Erledigt wurden in dieser Zeit 1.643 Petitionen. Davon hat der Ausschuss 216 Eingaben im Verfahren nach Art. 41 a der Landesverfassung durch Erörterungstermine behandelt.
In 20 % der Eingaben erreichten wir ein positives Ergebnis für die Bürgerinnen und Bürger. In 60 % der Fälle konnten wir nichts für die Petentinnen und Petenten tun. 20 % endeten auf sonstige Weise, etwa durch den Hinweis auf alternative Verfahren oder durch Rücknahme der Petitionen.
folgsbilanz. Dort gab es in 45 % der Fälle einen positiven Ausgang, in 22 % keinen Erfolg, und 33 % endeten auf andere Weise.
Die meisten Petitionen erreichten uns aus dem Bereich „Soziales“, nämlich 23,5 %. Mit einem Anteil von 17 % folgt der Themenschwerpunkt „Öffentlicher Dienst“. Etwa konstant geblieben mit 8,8 % ist der Anteil der Eingaben aus dem Bereich „Rechtspflege und Betreuung“. Rund 8,3 % der Eingaben kommen aus dem Bereich „Bauen, Wohnen und Verkehr“. Deutlich gestiegen ist die Zahl der Eingänge zum Thema „Rundfunk und Fernsehen“; sie machten einen Gesamtanteil von 7,8 % aus. Das Ausländerrecht ist einigermaßen konstant mit 5,6 % der Eingaben vertreten, ebenso das Steuerrecht. Mit Fragen des Strafvollzugs beschäftigen sich 4,6 % der Petitionen. Wieder gesunken sind die Eingaben aus dem Bereich „Schule und Hochschule“, nämlich auf 2 %. 17 % der Eingaben betrafen andere Rechtsgebiete. Die ausführliche Statistik können Sie als Anlage dieses Berichts finden.
Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch wahrnehmen. – Das ist ein zweiter Kernsatz des Petitionsausschusses. Und damit immer mehr Menschen wissen, dass sie sich mit ihren Sorgen und Nöten unmittelbar an das Parlament wenden können, sind wir im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit in ganz NRW unterwegs.
Im Jahr 2014 haben wir Bürgersprechstunden in Düsseldorf und einen Sprechtag im Rathaus in Bottrop durchgeführt. Im Rahmen des NRW-Tages in Bielefeld stand der Ausschuss den Besucherinnen und Besuchern an zwei Tagen für alle Fragen zur Verfügung. Ferner gab es eine Telefonsprechstunde bei der „Westdeutschen Zeitung“.
Alle unsere Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass man einen kurzen und schnellen Weg zu uns findet, unbürokratisch und ohne große Hürden.
Sehr geehrte Damen und Herren, seit einiger Zeit stellen wir fest, dass den Landtag in der Masse weniger Petitionen erreichen als früher. Nach wie vor kümmern wir uns um die vielen Einzelanliegen der Menschen, die sich an uns wenden. Aber insbesondere die Petitionen, in denen sich die Anliegen Einzelner zu einem großen gesellschaftlichen Anliegen verdichten, werden seltener. Fragen, von denen man ahnt, dass sie die Menschen beschäftigen, kommen nur noch vereinzelt an. Die zunächst kleinen und dann immer größer werdenden Wellen an Zuschriften bleiben aus. Wo sind sie geblieben?
Sogenannte private Petitionsplattformen sind in Mode gekommen. Sie bieten den Menschen anscheinend ein Portal für ihre Anliegen an. Dort kann man sich mit einem kleinen Klick und einer E-MailAdresse einer sogenannten Petition eines anderen anschließen. Am Ende einer gesetzten Zeitspanne
Auf diese Weise entstehen augenscheinlich beeindruckende Unterstützerzahlen. Aber was passiert dann? Viele Nutzerinnen und Nutzer dieser Internetportale verkennen, dass sie mit ihrem Beitrag dort zwar in die Statistik eingehen. Ihr Anliegen aber bleibt nur eine statistische Größe, es erreicht nicht den Gesetzgeber.
Wir verkennen nicht die Wichtigkeit und den Nutzen solcher Portale, die Meinungen sammeln und kanalisieren. Das Anliegen muss aber auch den Landtag erreichen, denn sonst geht das Problem verloren, ohne dass das Parlament davon erfährt. Eine Prüfung und Bearbeitung in den Portalen erfolgt nicht. Deshalb rufe ich die Menschen dazu auf, es nicht bei einem Klick in einem Internetportal zu belassen. Wir bieten ihnen mit einer Petition an das Landesparlament einen kurzen, direkten Weg zum Gesetzgeber.
Dass eine einzelne E-Mail an den Petitionsausschuss zu einer positiven Veränderung der Situation vieler Menschen in Nordrhein-Westfalen führen kann, zeigt folgender Fall, den ich Ihnen gerne vorstellen möchte:
Beim Petitionsausschuss meldete sich Frau S. und berichtete von ihrer schwierigen Situation. Sie ist Beschäftigte in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Als Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung mit einer technischen bzw. handwerklichen Ausbildung und einer sonderpädagogischen Zusatzqualifikation lernt sie die gehandicapten Menschen dort an und unterstützt sie in ihrer Arbeit. Allerdings wurde sie in der Vergangenheit auch dazu verpflichtet, den dort beschäftigten Menschen Medikamente zu verabreichen. Dazu hatte sie aber nur eine kurze, halbtägige Einweisung erhalten. Frau S. lehnte ab, da sie sich nicht ausreichend ausgebildet sah, eine so spezifische Aufgabe zu übernehmen. Gerade bei besonders schweren Erkrankungen wie Epilepsie oder bei psychischen Beeinträchtigungen sei eine korrekte Gabe der Arznei doch besonders wichtig. Auch sei völlig unklar, wer die Haftung übernehme, wenn Medizin nicht richtig gegeben würde, bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen.
Der Ausschuss holte zunächst eine schriftliche Stellungnahme der Landesregierung ein. Dem folgte ein §-41a-Termin. Frau S. berichtete uns, sie habe inzwischen ihre Angelegenheit selbst geklärt und sei von der Medikamentengabe befreit. Sie erhalte aber ihre Petition aufrecht, da sie befürchte, dass viele Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor Nachteilen oder gar Jobverlust keine Beschwerde einreichen würden.
Dem Ministerium war dies bislang nicht als generelle Problemlage bekannt. Der Ausschuss erteilte der Landesregierung daher einen erneuten Prüfauftrag
und bat um intensive Recherchen in den Werkstätten – mit einem wichtigen Ergebnis: Es wurde festgestellt, dass die einschlägige Rechtsnorm – § 10 der Werkstättenverordnung – nur so interpretiert werden kann, dass nur medizinische Fachkräfte die Medikamentengabe vornehmen dürfen. Wenn diese nicht vor Ort sind, muss ein ambulanter Pflegedienst bestellt werden, der die Medikamente verabreicht.
Das Ministerium hat nun die zuständigen Landschaftsverbände aufgefordert, dies in allen Werkstätten bekannt zu geben und die entsprechende Einhaltung sicherzustellen. Der Ausschuss wird sich weiter über die Fortschritte berichten lassen.
Eine einzelne E-Mail an den Petitionsausschuss führt damit zu einer Änderung in ganz NordrheinWestfalen. Ich finde, das ist ein toller Erfolg.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Zahl der Petitionen zu den Rundfunkgebühren hat deutlich zugenommen. Mit dem Inkrafttreten des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages in 2013 sind deutliche Änderungen eingetreten. Die Einführung einer personenunabhängigen Haushaltsabgabe ohne Berücksichtigung, ob man einen Fernseher oder ein Radio besitzt, wurde schon damals von vielen als Bevormundung oder Entmündigung kritisiert. Dieses führte auch zu Petitionen, die die grundsätzliche Frage aufwarfen, das Beitragsmodell komplett abzuschaffen und durch ein steuerfinanziertes Modell zu ersetzen. Diese Petitionen hatten keinen Erfolg.
Doch zunächst zu den positiven Veränderungen: Der monatliche Beitrag wird zum 1. April 2015 um 48 Cents auf 17,50 € gesenkt. Eine rückwirkende Befreiung bzw. Ermäßigung des Beitrages ist bis zu zwei Monaten jetzt ebenfalls möglich. Der Rundfunkbeitrag ist im privaten Bereich nur noch von einem Beitragspflichtigen, in der Regel dem Wohnungsinhaber, zu zahlen. Reformiert wurde ferner die Härtefallregelung. Menschen, die in Pflegeheimen leben, wurden von der Beitragspflicht befreit. Gleiches gilt auch für Demenzkranke.
Als negative Veränderung bleibt festzuhalten, dass behinderte Menschen, die in der Vergangenheit ganz befreit waren, nunmehr ein Drittel Beitrag zahlen müssen. Das ist durch Rechtsprechung endgültig entschieden worden. Allerdings gibt es auch eine vollständige Befreiung für Menschen mit Behinderungen aus sozialen oder finanziellen Gründen.
Besonders bei der Anwendung der Härtefallklausel gibt es erhebliche Schwierigkeiten. Der einschlägige § 4 Abs. 6 des Staatsvertrages wird vom Petitionsausschuss einerseits und dem Beitragsservice des WDR andererseits unterschiedlich ausgelegt.
Wir sind der Auffassung, dass es spezifische Einzelfälle gibt, in denen die Heranziehung zur Beitragspflicht für die Betroffenen zu einer besonderen Härte führt. Das sind zum Beispiel Menschen der Pfle
gestufe 3. Diese Menschen können anders als Demenzkranke Rundfunk und Fernsehen bewusst wahrnehmen. Tatsächlich bieten Rundfunk und Fernsehen im Regelfall für sie die einzige Möglichkeit, die Teilhabe am öffentlichen Leben zu gewährleisten. Der Besuch von Theatern, öffentlichen Einrichtungen, Veranstaltungen und Sonstigem scheidet wegen diverser Erkrankungen für diese Menschen oft aus.
Deshalb ist aus meiner Sicht eine Gleichstellung von Heimbewohnern und Menschen der Pflegestufe 3, die zu Hause gepflegt werden, durchaus gerechtfertigt. Dafür ist allerdings eine Änderung des Staatsvertrages erforderlich, die eventuell zulasten der übrigen Beitragszahler geht. Insofern sollte diese Diskussion auch in den zuständigen Fachausschüssen des Landtages und auf Ebene der Länder intensiv geführt werden.
Das Gleiche gilt auch für Studierende, die aus Staaten zu uns kommen, die nicht der Europäischen Union angehören. Aufgrund des EU-Diskriminierungsverbotes können Studierende aus der EU, die BAföG oder eine vergleichbare staatliche Leistung erhalten, befreit werden. Das gilt jedoch nicht für Studierende, die aus Nicht-EU-Ländern kommen. Das ist weder besonders gastfreundlich noch gerecht.
Zweifelsohne muss eine vergleichbare Bedürftigkeit vorliegen. Ich denke aber, dass es richtig und wichtig ist, sich derartigen Fragen, die uns von Studierendenausschüssen angetragen werden, zu stellen. Darüber werden wir also noch weiter reden.
Meine Damen und Herren, vielfältige Petitionen gab es auch zu dem Bereich Soziales und Schule. Das Themenspektrum reichte vom Umgang mit Schulverweigerern über Schülerfahrtkosten und schulische Angebote im Rahmen der Nachmittagsbetreuung bis hin zur Bewältigung von Mobbingfällen.
Gehäuft waren Eingaben zu beabsichtigten Schließungen und Zusammenlegungen von Grundschulstandorten zu bearbeiten. Auch die Großthemen „G8“, „G9“, „Schulische Sozialarbeit“ und „Inklusion“ spiegeln sich in der Tätigkeit des Petitionsausschusses wider.
In Bezug auf die Inklusion ging es zumeist darum, in konkreten Fällen nach Möglichkeiten zu suchen, dem Elternwillen möglichst zur Geltung zu verhelfen. Dieses gelang dann im Gespräch mit den Betroffenen, mit den Schulen und der Schulaufsicht. Wenn es um die Bewilligung von Inklusionshelfern oder sonstigen begleitenden Maßnahmen der Jugendhilfe ging, wurden auch die Jugendämter beteiligt. Gerade im Bereich der Ausbildung von Inklusionshelfern gibt es noch deutlichen Nachholbedarf.
Der politische Streit um die Finanzierung der Inklusion, der sich in vielen Petitionsfällen ebenfalls schmerzlich bemerkbar machte und Lösungen erschwerte, konnte zwischenzeitlich entschärft werden. Parallel hat der Petitionsausschuss auch weiterhin geprüft, ob er in konkreten Einzelfällen pragmatische Lösungen vermitteln konnte.
So weit zu den Schwerpunkten in diesem Halbjahr. Nun komme ich zu den Einzelpetitionen. Der Petitionsausschuss ist sicherlich der Ausschuss, der die vielfältigste Arbeit bietet. Denn uns erreichen Zuschriften aus wirklich allen Bereichen des Lebens.
Zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Krankenhausaufsicht hat sich der Ausschuss zunehmend mit Fällen zu beschäftigen, in denen sich Menschen über die Mängel bei der Behandlung in der Notfallambulanz, über schwere hygienische Mängel und schlechte Kommunikation in einzelnen Krankenhäusern beschwert haben.
In diesen Fällen – teils direkt vor Ort – wurden Gespräche mit den Verantwortlichen der Kliniken und allen Ebenen der Krankenhausaufsicht geführt, bei denen den Vorwürfen detailliert nachgegangen wurde. Hierbei galt es, jeweils zu klären, ob den geschilderten Vorfällen strukturelle Probleme, Unterfinanzierung und Personalmangel, systematische Vernachlässigung von Hygienestandards oder
mangelhafte Strukturierung der Abläufe zugrunde lagen und wie diesen Mängeln gegebenenfalls zu begegnen wäre oder ob es sich um einen Einzelfall und/oder eine unglückliche Verkettung von Ereignissen handelte.
Der Petitionsausschuss hat sich die geplanten oder bereits ergriffenen Gegenmaßnahmen im Einzelnen erläutern lassen, zum Teil kritisch hinterfragt. Dabei war es auch von Vorteil, dass mehrere Mitglieder des Ausschusses selbst beruflich in diesem Bereich tätig waren und entsprechenden Sachverstand einbringen konnten. Überhaupt ist es ein großer Gewinn, dass die 25 Abgeordneten jeweils ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung einbringen können und diese auch zu einer Messlatte der Beurteilung machen.
Wir schauen uns die Petitionen nicht nur vor einem juristischen Hintergrund an, sondern sehen auch die Menschen dahinter, sowohl aufseiten der Petenten, als auch aufseiten der Behörden.
Nun noch eine beeindruckende Einzeleingabe. Wie schnell Menschen in einer hoch technisierten und funktionalen Arbeitswelt auf das Abstiegsgleis geraten und dabei nicht einmal vor dem öffentlichen Dienst haltgemacht wird, zeigt folgender Fall, in dem der Ausschuss mit einem langen Atem eine gute Lösung gefunden hat.
Der Petent Herr E. war Lehrer an einer Förderschule. Nach einem Schlaganfall im Februar 2009 hat er sich im Oktober 2010 wieder dienstfähig gemeldet. Jedoch konnte er als Lehrer leider nicht mehr vor
einer Klasse unterrichten. Zu allen anderen Tätigkeiten innerhalb und außerhalb der Schule sei er aber bereit und in der Lage. Der Amtsarzt bestätigte diese Einschätzung. Ohne Rücksprache mit dem Petenten erklärte die Bezirksregierung jedoch, dass eine Arbeitsstelle im schulischen Umfeld nicht zur Verfügung stehe. Auch das dann eingeschaltete Landesamt für Personaleinsatzmanagement kümmerte sich nicht weiter.
Da Herr E. befürchtete, in den Ruhestand versetzt zu werden, wandte er sich an den Petitionsausschuss. Inzwischen lag der Schlaganfall fast drei Jahre zurück. In dieser Zeit hat sich der Petent eigenständig weitergebildet und sogar ein mathematisches Fachbuch geschrieben. Der Petitionsausschuss konnte nicht nachvollziehen, weshalb weiterhin auf die Arbeitskraft und die Kenntnisse des Petenten als Förderschullehrer unter Fortzahlung der Bezüge verzichtet wurde, obwohl dringender Bedarf an entsprechenden Fachkräften besteht.