Protocol of the Session on October 1, 2014

(Beifall von der CDU)

Anlass der heutigen Debatte ist allerdings das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. September. Darin steht letztlich eine Banalität, nämlich dass der Landtag NRW nicht über den polnischen Mindestlohn entscheiden kann.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Minister Duin, es ist schon hart, dass Sie für diese simple Einsicht die Nachhilfe des Europäischen Gerichtshofs benötigen.

(Beifall von den PIRATEN)

Eines vorweg: An unserer Haltung zum Tariftreue- und Vergabegesetz hat sich nichts geändert. Die Intention des Gesetzes, Lohn- und Sozialdumping bei öffentlichen Aufträgen zu unterbinden, unterstützen wir ausdrücklich. Sozialdumping darf kein Wettbewerbsvorteil sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Liebe CDU, liebe FDP, das Gesetz abschaffen zu wollen ist deswegen grundsätzlich falsch.

Wie sich aber Rot-Grün in dieser Debatte aufspielt, ist schon bemerkenswert, denn auf die europarechtlichen Bedenken wurde sowohl im Gesetzgebungsprozess als auch in der letztjährigen Debatte hingewiesen, auch von uns Piraten. Es war aus unserer Sicht daher nur eine Frage der Zeit, bis der Europäische Gerichtshof zu einem solchen oder zu einem ähnlichen Urteil kommen würde.

Ich will an die letztjährige Debatte vom 29. November erinnern. Da stellten sich die Grünen in Person von Frau Kollegin Schneckenburger und vor allem die Landesregierung in Person des Ministers Duin in der Plenardebatte hin und behaupteten allen Ernstes, dass das Gesetz auf jeden Fall europafest sei und man keinerlei unionsrechtliche Bedenken habe.

(Zurufe von den PIRATEN: Hört, hört!)

Für solche – widerlegten – Behauptungen und für die Irreführungen der Bürger aus diesem Hause heraus wäre eigentlich mal eine Entschuldigung fällig;

(Beifall von den PIRATEN)

denn hier drängt sich doch folgender Verdacht auf: Sie verschaukeln die Menschen in NRW mit Ihrer Politik. Sie halten ihnen Ihr Lieblingsspielzeug, die soziale Gerechtigkeit, vor die Nase, wissen aber genau, dass es Ihnen höchstrichterlich wieder aus der Hand geschlagen werden wird, und dann heißt es: Ätschibätsch, die Richter haben es verboten. – So war es bei der Beamtenbesoldung, und so ist es jetzt auch beim Tariftreue- und Vergabegesetz. Ich sage es einmal so: Statt echter Politik bekommen die Menschen von Ihnen nur Ätschibätsch-Politik.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Aber, liebe SPD, mit etwas so Wichtigem wie der sozialen Gerechtigkeit spielt man nicht. Das sollten Sie wissen.

Ich komme zum Schluss. Das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW ist in seiner Ausrichtung sinnvoll, aber in seiner Umsetzung mangelhaft. Es gehört nicht abgeschafft, sondern europarechtskonform ausgestaltet. Für die kürzlich erfolgte Schlappe der Landesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof habe ich nur zwei Erklärungen parat: Entweder hat die Landesregierung keinen europapolitischen Sachverstand, oder sie ruft ihn nicht ab. Beides ist schlecht für unser Land. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um diesem Antrag, der inhaltlich nicht neu ist, worauf Herr Bombis hingewiesen hat, und den wir sicherlich auch in der nächsten, in der übernächsten und in der überübernächsten Plenarwoche – dann in leicht veränderter Form – wiedersehen werden,

(Zuruf von der FDP: So schlecht ist er nicht!)

und all seinen Vorgängern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es besteht kein Anlass, das Tariftreue- und Vergabegesetz aufzuheben. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – das hat auch Herr Kern nicht ausreichend analysiert – betrifft weder das Gesetz noch die Regelung zum Mindestlohn in Gänze. Das ist einfach eine unwahre Behauptung, die Sie hier aufgestellt haben.

(Beifall von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Der Europäische Gerichtshof hat nämlich zunächst einmal klargestellt, dass Mindestlohnregelungen grundsätzlich im Sinne des Arbeitnehmerschutzes den Eingriff in die sonst geltende Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen. Auch die Verankerung von Mindestlohnregelungen durch Verpflichtungserklärungen als ergänzende Ausführungsbedingung

(Zuruf von den PIRATEN: Aber doch nicht in Polen!)

stößt laut EuGH ausdrücklich nicht auf Bedenken. Der Europäische Gerichtshof hat im Übrigen nicht festgestellt, dass Mindestlohnvorgaben bei einer Dienstleistungserbringung im EU-Ausland grundsätzlich nicht unionsrechtlich zulässig seien.

Er hat allerdings festgestellt – das ist eben die feine Differenzierung, die man dabei vornehmen muss –, dass die Vorgabe eines vergabespezifischen Mindeststundenlohns von 8,62 € ohne Bezug auf die jeweiligen Lebensverhältnisse – im konkreten Fall also der Lebensverhältnisse der Beschäftigten in Polen – einen unverhältnismäßigen Eingriff in die sogenannte Dienstleistungsfreiheit darstellt.

Diese Entscheidung betrifft insoweit unmittelbar nur solche Dienstleistungsaufträge, bei denen durch einen Bieter oder einen Subunternehmer die Dienstleistungen nicht hier bei uns, sondern im EUAusland erbracht werden sollen.

Dabei vertritt der EuGH die Position, dass die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestlohns von 8,62 € geeignet ist – und jetzt ein Zitat aus dem EuGH-Urteil; das muss man sich ja nicht zu eigen machen –, „die Erbringung von Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedsstaat zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“. – Zitat Ende.

Die Mindestlohnvorgabe stellt also in diesen Fällen eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung dar, die

nach Meinung des EuGH gegen Vorgaben des europäischen Primärrechts verstößt. Diese Rechtsauffassung, diese rechtliche Auslegung des EuGH nehmen wir an.

Entscheidend ist aber, welche praktische Bedeutung die aktuelle EuGH-Entscheidung auf die Anwendung des im TVgG NRW verankerten vergabespezifischen Mindestlohns eigentlich hat. EU-weite Vergaben – und darauf hat Herr Schmeltzer schon hingewiesen – machen oberhalb der EU

Schwellenwerte weniger als 3 % der öffentlichen Aufträge aus. Der Anteil der Dienstleistungen, die im EU-Ausland abgewickelt werden, liegt sogar noch darunter.

Im Übrigen – und das wissen wir ja alle – ist das Tariftreue- und Vergabegesetz zudem ein Gesetz, das sich nicht nur auf die Mindestlohnregelung beschränkt. Es regelt weitere Themenbereiche, wie zum Beispiel die Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen. Diese Bereiche sind ebenfalls nicht von der Entscheidung des EuGH tangiert; und somit besteht eben kein Anlass, auf dieser Grundlage das TVgG in Gänze aufzugeben.

Wenn nach dem letzten FDP-Gesetzesantrag zur Abschaffung nun erneut so ein Aufhebungsantrag kommt, dann kommen diese Anträge meines Erachtens zur völlig falschen Zeit; denn es liegen überhaupt noch nicht alle Fakten auf dem Tisch, um im Sinne einer verantwortlichen Politik eine Entscheidung zu einer Novelle des Tariftreue- und Vergabegesetzes zu treffen.

Gerade zu diesem Zweck habe ich eine Evaluierung der Wirkung des Gesetzes in Auftrag gegeben und diese weit vor die ursprüngliche zeitliche Planung vorgezogen. Mit der Evaluierung soll eine dann für dieses Haus belastbare Entscheidungsgrundlage zum weiteren Umgang mit dem Gesetz geschaffen werden. Ich möchte, dass wir mit dem Novellierungsvorschlag im Frühjahr 2015 das Kabinett und dann unmittelbar auch Sie erreichen.

Es ist übrigens interessant – Herr Bombis hat es ja noch einmal betont –, dass sich alle den allgemeinen politischen Zielsetzungen – wie die Nachhaltigkeitsziele oder die Mindestlohnregelung – durchaus zugewandt zeigen. Insofern, glaube ich, ist es wirklich viel klüger, sich nicht jetzt mit der Antragstellung von CDU und FDP zu befassen, sondern die angestoßene Evaluierung abzuwarten und dann dieses Gesetz so zu novellieren, dass es in der Tat entschlackt und entbürokratisiert ist, dass aber die politischen Zielsetzungen dabei nicht aufgegeben werden.

Meine Damen und Herren, der Staat – und das ist in Zeiten wie diesen immer wieder deutlich geworden – muss ein anständiger Kunde, ein anständiger Käufer und ein anständiger Besteller sein. An diesen Zielsetzungen werden wir nicht rütteln lassen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/6860. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/6860 abgelehnt mit Stimmen von SPD, Grünen und Piraten gegen die Stimmen der CDU, der Fraktion der FDP und des fraktionslosen Abgeordneten Stein.

Wir kommen zu:

3 Freies WLAN für ganz NRW – Freifunk unter

stützen!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/6850

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten dem Herrn Kollegen Lamla das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause, …

(Unruhe im Plenarsaal)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Lamla, ich bitte noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit. Ich bitte Sie, falls Sie andere Termine haben oder sich für diesen Tagesordnungspunkt nicht interessieren, den Plenarsaal möglichst geräuschlos zu verlassen und die Gespräche einzustellen.

Herr Kollege, Sie haben das Wort. –

(Nach wie vor Unruhe im Plenarsaal.)