Protocol of the Session on February 19, 2014

Lassen Sie mich nun zu dem Thema an sich kommen. In der Bevölkerung herrscht eine hohe Sensibilität für das Thema „Datenschutz und Datensicherheit“ vor, und das ist auch gut so. Das bedeutet für uns als ihre Vertreter: Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns in den verschiedenen und vielfältigen politischen Arbeitsfeldern um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern kümmern – ohne Ausnahmen.

Dies gilt insbesondere für moderne Technologien und ihre Anwendungen, so auch im Falle des automatisierten Kennzeichenscans und des Anhaltens von Fahrzeugen per Fernbedienung. In der Sache müssen wir über diese Themen diskutieren und den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte mit möglichen Vorteilen in der Kriminalitätsbekämpfung abwägen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Das Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Daten gewichtet schwer und darf nur in besonderen Fällen eingeschränkt werden. Hierüber müssen wir diskutieren.

Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. „Datenschutz und Datensicherheit“ ist ein wichtiges Thema. Das werden wir bei unseren Entscheidungen noch stärker in den Fokus rücken müssen. Es darf aber nicht dazu führen, dass wir uns komplett vor neuen Technologien verschließen. Gerade neue Errungenschaften wie das automatische Absenden von Notrufen im Anschluss an einen Unfall kann Leben retten. Daher muss bei allen Entscheidungen immer wieder abgewogen werden.

Bei diesem Antrag gibt es aber auch rein gar nichts, das abzuwägen wäre, da es sich nicht lohnt, gegen ungelegte Eier zu handeln. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Landtags, sich mit Spekulationen über

mögliche zukünftige Rechtsetzungsverfahren in der EU zu beschäftigen. – Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Geyer. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Abgeordneter Sieveke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, dass mich der Ductus des vorliegenden FDP-Antrages an der einen oder anderen Stelle wirklich sehr irritiert hat. Das gilt bereits für die Überschrift, in der von – Zitat – „Auswüchsen einer um sich greifenden technischen Überwachungsdoktrin“ die Rede ist, die es zu verhindern gelte. Auf Seite 2 wird dann der bloße Erfahrungsaustausch zwischen EU-Mitgliedstaaten, die zum Zwecke der Kriminalprävention eine automatisierte Kfz-Kennzeichenerfassung betreiben, als Maßnahme beschrieben, die – Zitat – „in bürger- und menschenrechtlicher Hinsicht unbedingt abzulehnen“ sei.

Ich freue mich ja darüber, dass die FDP offenbar ihr liberales Profil ein wenig schärfen möchte und die Europawahl als Ziel erkannt hat. Aber geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner?

(Beifall von der CDU)

Auch die in dem FDP-Antrag enthaltene Feststellung, dass eine automatisierte Kennzeichenerfassung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts – eben ist es ja erwähnt worden – unzulässig sei, hat mich überrascht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat das Instrument der automatisierten Kfz-Kennzeichenerfassung in dieser Entscheidung gerade nicht pauschal für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich die konkrete Ausgestaltung im damaligen hessischen und schleswig-holsteinischen Landesrecht beanstandet. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an eine verfassungsgemäße Form der automatisierten Kennzeichenerfassung in seiner Entscheidung präzisiert. Ich erlaube mir, diesbezüglich aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren, in der es heißt:

„Den Landesgesetzgebern stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um eine im Rahmen ihrer Zuständigkeit verbleibende und sowohl hinreichend bestimmte als auch angemessene Eingriffsermächtigung zu schaffen. Für eine die Verhältnismäßigkeit wahrende Regelung der Voraussetzungen der automatisierten Kennzeichenerfassung scheidet ein weit gefasster Verwendungszweck beispielsweise dann nicht aus, wenn er mit engen Begrenzungen der Eingriffsvoraussetzungen kombiniert ist, wie es die derzeitige brandenburgische Regelung vorsieht. Möglich sind ferner Kombinationen von enger gefassten Zweckbestimmungen, die die Kennzeichenerfassung auf nicht eingriffsintensive

Verwendungszwecke begrenzen, mit entsprechend geringeren Voraussetzungen für die Aufnahme in den Fahndungsbestand und die Voraussetzungen für den Erhebungsanlass.“

Eine automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen ist und bleibt in Deutschland damit weiterhin zulässig. Mehrere Bundesländer setzen deshalb entsprechende Kennzeichenerfassungssysteme ein, die diesen Vorgaben genügen. Das Verwaltungsgericht München und zuletzt auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof haben den Betrieb der Anlagen in Bayern übrigens für zulässig erklärt.

Die CDU-Fraktion ist davon überzeugt, dass die Polizei für die Abwehr schwerwiegender Gefahren, beispielsweise im Bereich organisierter Kriminalität, moderne Fahndungsmittel wie die automatisierte Kennzeichenerfassung benötigt. Dass auf europäischer Ebene eine Arbeitsgruppe eingerichtet wurde, in der die Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2020 ihre Erfahrungen mit diesen und weiteren Instrumenten austauschen, begrüßen wir daher. Die Ergebnisse werden dann zu bewerten sein, wenn sie vorliegen.

Eine Handlungsnotwendigkeit im Sinne des FDPAntrags können wir derzeit allerdings nicht erkennen, stehen einer vertieften Diskussion in den Fachausschüssen jedoch offen gegenüber. Der Überweisungsempfehlung stimmen wir daher

selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Herr Kollege Bolte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir gerade, ehrlich gesagt, nicht ganz leicht, anhand dieses Beispiels eine grundsätzliche Debatte über Freiheit und über Bürgerrechte in Europa zu führen, während wir parallel zu unseren Beratungen mitten in Europa eine massive Auseinandersetzung über die Öffnung eines Landes zur europäischen Wertegemeinschaft erleben. Viele mutige Menschen in Kiew, in der Ukraine versuchen, ihr Land für die europäische Wertegemeinschaft, für Demokratie, für bürgerliche Freiheitsrechte zu öffnen. Ich denke, viele von Ihnen sind in Gedanken mit mir bei diesen Menschen und auch bei den Familien derer, die in dem Kampf in den vergangenen Tagen und Nächten bereits ihr Leben verloren haben.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Vorbemerkung war mir ein Anliegen, weil sie zeigt, dass Freiheitsrechte auch daraus erwachsen, dass mutige Menschen für Bürgerrechte einstehen. Freiheitsrechte müssen immer wieder verteidigt und er

kämpft werden. Insofern wird mit dem Antrag natürlich ein relevantes und wichtiges Thema aufgegriffen. Ich kann direkt am Anfang sagen, dass die Beratungen im Ausschuss sicherlich interessant sein werden.

Ich bin sicher, viele Menschen haben durch die Berichterstattung in den vergangenen Wochen erstmalig von der Arbeitseinheit ENLETS gehört. Der eigentliche Auftrag der Arbeitsgruppe ist auch nicht grundsätzlich falsch. ENLETS soll eine gesamteuropäische Entwicklung von Sicherheitstechnologien ermöglichen. Best Practice soll ausgetauscht und gesamteuropäische Polizeiarbeit koordiniert werden. Aus meiner Sicht spricht eigentlich nichts dagegen, dass sich die europäische Polizei austauscht – in dem Punkt fand ich die Entschließung der Piratenfraktion sehr differenziert und vernünftig –, gerade weil es neue Kriminalitätsphänomene gibt, auf die reagiert werden muss. Dass die Sicherheitsbehörden dabei auch darüber reden, wie sie mit dem technologischen Wandel umgehen, wie sie Technologien nutzen können, dagegen ist im Rahmen dessen, was bürgerrechtlich, grundrechtlich verhältnismäßig ist, sicherlich nichts einzuwenden.

In ihrem vorliegenden Antrag stellt die FDP nur einen Teilbereich der öffentlich verlautbarten Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe dar, der für viele allerdings ein Stück weit nach einer Science-FictionDystopie klingt. Viele Bürgerinnen und Bürger durchdringt das Gefühl, dass Freiheit und Sicherheit aus der Balance zu geraten drohen. Insofern ist es nicht verkehrt, sich darüber auszutauschen.

Es ist vor allem notwendig, meine Damen und Herren, Klarheit darüber zu schaffen, was es mit den Vorschlägen genau auf sich hat, ob das tatsächlich konkret weiterverfolgt werden soll oder ob man da einfach die polizeilichen Daniel Düsentriebs hingesetzt hat,

(Heiterkeit von Minister Ralf Jäger)

die sich Gedanken darüber gemacht haben, was gehen könnte. Ich finde, darüber brauchen wir zuvorderst Transparenz.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir brauchen konkrete Informationen darüber, welche Probleme gelöst werden sollen, und vor allem, wie die Fragen verhältnismäßig und im Einklang mit den Grundrechten, mit den bürgerlichen Freiheitsrechten gelöst werden können. Ich gebe ehrlich zu, dass ich gewisse Zweifel daran habe, ob es das drängendste Problem der europäischen Innenpolitik ist, wie man nicht kooperationsbereite Autofahrer stoppt. Solche Fragen lassen sich sicherlich in der Ausschussberatung klären, wenn wir die notwendigen Hintergrundinformationen bekommen.

Meine Damen und Herren, rein vom Verfahrensstand – das ist schon von meinen Vorrednern gesagt worden – ist eines klar: Wir sprechen zurzeit

noch über ungelegte Eier. Wenn es akut wird, dann ist es doch selbstverständlich, dass wir keine verfassungswidrigen Initiativen zulassen werden. Ich bin mir sicher, die Landesregierung wird sich, sofern es überhaupt zu einem Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union mit diesen Vorzeichen kommen sollte, für die Beachtung hoher Standards zum Grundrechtsschutz einsetzen. Dafür gibt es ja das Verfahren im Bundesrat. Dafür gibt es die verschiedenen Möglichkeiten, sich damit zu befassen, wenn es konkret wird. Damit können genau solche Fragen angegangen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, dass wir eine interessante Debatte im Ausschuss haben werden. Im Europaausschuss haben wir ja in der letzten Zeit mehrfach versucht, uns zu verständigen, wenn es um Themen ging, bei denen wir in eine ähnliche Richtung gedacht haben. Möglicherweise sieht es am Ende der Beratung zu diesem Punkt genauso aus. Insofern freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Kern.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Zunächst einmal möchte ich den Rednern von CDU und SPD entgegentreten, die versuchen, die ganze Problematik etwas zu bagatellisieren, und von ungelegten Eiern sprechen. Da bin ich eher auf der Linie der FDP und von meinem Vorredner Dr. Wolf. Es ist ein sehr ernstes Thema, wobei ich mich insofern von Herrn Dr. Wolf unterscheide, als er sich nicht auf „Cobra 11“ kaprizieren, sondern den Zuschauern eher den Film „Staatsfeind Nr. 1“ ans Herz legen sollte. Dort wird dargestellt, was die ausufernde Überwachung und Kontrolle einer ganzen Gesellschaft bedeuten kann, auch für den einzelnen Normalbürger, der kein Terrorist ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Wieso diskutieren wir jetzt hier? – Vor einigen Wochen wurde das geheime Arbeitsdokument einer Arbeitsgruppe des EU-Ministerrats, also das EUOrgan der Mitgliedstaaten, geleakt. Es war eine britische Nichtregierungsorganisation – ich wiederhole: Nichtregierungsorganisation –, die die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe mit dem Namen European Network of Law Enforcement Technology Services – kurz: ENLETS – veröffentlicht und zumindest in einigen EU-Ländern eine rege Debatte ausgelöst hat. Das Papier von ENLETS enthält einigen Sprengstoff, denn es fordert unter anderem den eu

ropaweiten Einsatz der automatisierten Kennzeichenerkennung sowie die Fernabschaltung von Autos durch die Polizei.

Wir Piraten lehnen diese Vorschläge strikt ab. Sie schränken die Grund- und Menschenrechte massiv ein und stellen die Menschen unter Generalverdacht.

Wer angesichts solcher, durch einige sicherheitsbesessene Mitgliedstaaten forcierten Maßnahmen immer noch nicht die Tendenz zum Auf- und Ausbau der Überwachungs- und Kontrollinfrastruktur in der EU erkennen kann, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

(Beifall von den PIRATEN)

Für die Ausarbeitung dieser grundrechts- und menschenrechtswidrigen Vorschläge schießt die Kommission jedes Jahr auch noch über eine halbe Million Euro Steuergelder zu. Und dann wundert man sich, wenn die Menschen den Glauben an die Sinnhaftigkeit des europäischen Projekts gänzlich verlieren.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch das Problem ist noch viel tiefgreifender. Was wir hier sehen, sind die Auswüchse eines intransparenten, vom Bürger abgekapselten Politiksystems, in dem im Grunde ohne echte Rückkopplung mit den Menschen die wichtigsten Entscheidungen in den quasi geheimen Arbeitsgruppen des Ministerrats ausgeklüngelt werden. Hier krankt das Politiksystem, und zwar gewaltig.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Perfide dabei ist, dass insbesondere im sensiblen Bereich Justiz und Inneres, zum Beispiel bei der Kriminalprävention, auf Ministerratsebene die Weichen für schwerste Grundrechtseingriffe gestellt werden. Aber genau hier, in diesem Politikbereich, bedarf es der öffentlichen Debatte, gerade weil die vollumfängliche Wahrnehmung der Grundrechte aller Menschen in der EU betroffen ist. Doch eine Debatte findet nicht statt, im Gegenteil, sie wird so gut es geht verhindert.

Genau hier ist auch die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer betroffen. Sie sollten also ein eigenes Interesse an solchen vorausgehenden Debatten haben. Genau diese strukturellen Probleme wollen wir mit unserem Entschließungsantrag adressieren. Denn auch die Landesregierung ist hier in der Pflicht, zur Schaffung transparenter Arbeits- und Entscheidungsstrukturen auf EU-Ebene beizutragen. Ihre Landeskompetenz ist ja berührt. Zum Beispiel könnte sie sagen, welche Positionen den deutschen Beamten in den Arbeitsgruppen des Rates im Rahmen der Innenminister- und Justizministerkonferenz mit auf den Weg gegeben werden. Das wäre doch einmal ein Anfang.

Wir Piraten bleiben dabei: Wir bekämpfen den konstanten Ausbau der europäischen Überwachungs- und Kontrollinfrastruktur mit allen politischen Mitteln, und die politischen Strukturen, die die Grundrechte aushöhlen, bekämpfen wir gleich mit.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir freuen uns allerdings auf eine konstruktive Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.