Protocol of the Session on October 16, 2013

In der Petition sah der Mann, wie er schrieb, die letzte Möglichkeit, noch etwas zu erreichen. Er wolle seinen Lebensunterhalt selbst sicherstellen und nicht – wie derzeit – vom Arbeitslosengeld II und einer stundenweisen Aushilfstätigkeit leben.

Welche Bedeutung diese aushilfsweise Tätigkeit tatsächlich hatte, wurde erst im Verlauf des Erörterungstermins deutlich. Der Vertreter des Rentenversicherungsträgers schilderte, aus arbeitsmedizinischer Sicht bestünden Bedenken, ob der Mann den Anforderungen des Berufs – beispielsweise Außendiensttätigkeit, Lärmbelastung, Arbeiten auf einer Leiter – gesundheitlich gewachsen sei. Der Mann konnte das nicht nachvollziehen. Er habe sich intensiv über das Berufsbild informiert. Zudem arbeite er seit fast einem Jahr vier Stunden wöchentlich bei einer Brandschutzfirma in diesem Bereich. Bei Brandschutzüberprüfungen außer Haus – beispielsweise in einem Kino – habe er als Helfer mit

gewirkt. Auch Über-Kopf-Arbeit auf einer Leiter sei überhaupt kein Problem. Die Brandschutzfirma habe ihm auch bereits jetzt einen Arbeitsplatz nach erfolgreichem Abschluss der Umschulung in Aussicht gestellt.

Der Arbeitgeber bestätigte die Angaben noch am selben Tag und sicherte schriftlich die Einstellung nach bestandener Prüfung zu. Zwei Tage später erhielt der Mann die Kostenzusage und konnte sechs Wochen später mit der Ausbildung beginnen.

Dieser Fall zeigt, wie wichtig das persönliche Petitionsgespräch mit dem Bürger und der Behörde war. Obwohl allen die Aushilfstätigkeit aus der Papierlage bekannt war, wurde erst im Erörterungstermin deutlich, dass sie auch im Zusammenhang mit dem angestrebten Beruf steht. Bleibt zu hoffen, dass der Mann die Ausbildung erfolgreich abschließen wird und sodann die zugesagte Stelle antreten kann!

Nun komme ich zum Schluss. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie haben nun eine Vielzahl von unterschiedlichen Fällen gehört, die den Petitionsausschuss erreicht haben. Das eine oder andere werden wir auch bei unserer künftigen Arbeit in den anderen Fachausschüssen berücksichtigen müssen. Nach wie vor ist der Petitionsausschuss der Seismograph in unserem Parlament. Daher sind die Fachausschüsse aufgerufen, sich dem überwiesenen Material intensiv zu widmen und es in der gesetzgeberischen Arbeit zu berücksichtigen.

Diese Aufforderung äußere ich im Namen aller meiner 25 Kolleginnen und Kollegen aus den fünf Fraktionen. Unser Ausschuss ist nach wie vor vom Gedanken der partei- und fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit für die Bürgerinnen und Bürger getragen. Wir wünschen uns, dass unsere Anregungen auch in den Gesetzgebungsverfahren des Parlaments Berücksichtigung finden.

Die Zusammenarbeit und Arbeit im Ausschuss ist durch gegenseitiges Vertrauen geprägt. Bei unserer Arbeit werden wir ganz hervorragend von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsreferates unterstützt.

(Allgemeiner Beifall)

Im Namen aller Ausschussmitglieder möchte ich mich herzlich dafür bedanken. Ich bitte, diesen Dank auch auszurichten. – Allen Zuhörerinnen und Zuhörern danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank für diesen Bericht, Frau Kollegin Howe. – Ich will die Gelegenheit gerne nutzen, Ihnen als der stellvertretenden Vorsitzenden und Frau Klöpper als der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, allen Mitgliedern des Petitionsausschusses, auch den stellvertretenden Mitgliedern, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsreferates in unser aller Na

men noch einmal ganz herzlich zu danken. Auch wenn nicht jede Petition erfolgreich im Sinne des Petenten ausgeht, wissen wir, dass Sie alle Ihre Arbeitskraft zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Das macht uns alle miteinander sicher, dass der Petitionsausschuss gut arbeitet.

Es wäre schön gewesen – wir alle hätten uns das gewünscht –, wenn ein paar Kolleginnen und Kollegen mehr Ihren Bericht heute auch live und im Original gehört hätten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Petitionsberichte werden aber ins Internet eingestellt. Man kann sie noch einmal nachlesen.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Arbeit im vergangenen halben Jahr!

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir bei Tagesordnungspunkt

7 Breites Bündnis gegen Analphabetismus in

Nordrhein-Westfalen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/4152

Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/4226

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellenden Fraktionen Frau Kollegin Stotz von der SPD das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am letzten Wochenende ging die Frankfurter Buchmesse, die weltweit größte Messe ihrer Art, zu Ende. Auch in diesem Jahr konnten sich die Veranstalter über eine gewaltige Besucherzahl freuen. Die Besucherinnen und Besucher gehörten nicht nur dem Fachpublikum an, sondern es fanden sich darunter auch viele private Lesebegeisterte. Rund 270.000 Besucher und Besucherinnen aus aller Welt, darunter Zigtausende aus Deutschland, haben dieses Mega

Literaturereignis besucht. Das Interesse an guter Literatur in unserem Land ist groß.

Man könnte unter dem Eindruck dieser guten Bilanz zu dem Schluss kommen: Lesen ist in.

Im krassen Gegensatz zu dieser Einschätzung steht die Zahl der rund 7,5 Millionen Deutschen zwischen 18 und 64 Jahren, die man als sogenannte funktionale Analphabeten bezeichnet. Von funktionalem Analphabetismus spricht man, wenn der Betroffene zwar aufgrund der bestehenden Schulpflicht mit der

Schriftsprache in Kontakt gekommen ist, er oder sie aber erhebliche Defizite in der Anwendung von Schriftsprache als Kommunikationsmittel aufweist.

Für Nordrhein-Westfalen heruntergebrochen bedeutet dies, dass wir rund 1 bis 1,5 Millionen Frauen und Männer in unserem Land haben, die nicht ausreichend schreiben und lesen können. Das ist beileibe kein Nischenproblem. Das ist ein gesellschaftlich ernst zu nehmendes Problem und stellt sich damit auch als besondere bildungspolitische Herausforderung dar.

Bis in die 60er-Jahre ging man davon aus, dass Analphabetismus in unserem Land eigentlich kein Thema mehr sei – und wenn doch, dann allenfalls beschränkt auf Einzelschicksale, begründet im individuellen Unvermögen.

Heute wissen wir, dass funktionaler Analphabetismus nicht allein ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftlichen und strukturelles Problem darstellt, von dem immerhin rund 14,5 % der erwerbstätigen Bevölkerung betroffen sind.

Wie zeichnet sich diese Betroffenheit aus? – Funktionale Analphabeten führen oft ein Leben im Abseits, immer darauf bedacht, mit ihren Schwächen nicht aufzufallen, sich in einer zunehmend wissensbasierten Welt nicht zu blamieren und sich irgendwie durchzumogeln. Ihr Leben ist geprägt von Ängsten und von Unsicherheiten, von Perspektivlosigkeit. Sie sind oft weitgehend vom gesellschaftlichen Leben und auch von der politischen Teilhabe ausgeschlossen.

Sie sind zudem überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. In Zeiten, in denen am Arbeitsplatz der Umgang mit Computerbildschirmen und Digitaldisplays zu den Grundvoraussetzungen zählt, haben funktionale Analphabeten kaum mehr eine Chance. Wenn selbst bei der Arbeit als Gabelstaplerfahrer nicht der Gabelstapler, sondern der Computer das wichtigste Werkzeug ist, wird die Dimension der rasanten technischen Entwicklung unserer Welt, insbesondere der Arbeitswelt, überdeutlich, und es wird klar, welche Kompetenzen die Menschen heute schon und künftig noch verstärkt benötigen, um beruflich wie auch privat mithalten zu können.

Vor allem die Volkshochschulen, aber auch andere Bildungsträger engagieren sich seit Langem in verschiedenen Projekten und Angeboten für die Alphabetisierung und die Grundbildung von Erwachsenen. Auch das auf nationaler Ebene geschlossene „Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung“ unterstützt diese Anstrengungen bereits seit 2003.

Gleichwohl wissen wir – die Zahlen zeigen es –, dass die Angebote bei Weitem nicht ausreichen. Deshalb gilt es, in einem breiten Bündnis aller Beteiligten die bereits bestehenden Angebote konsequent auszubauen und zu stärken sowie darüber hinaus neue Strategien zu entwickeln – das scheint

mir ganz besonders wesentlich –, um die Betroffenen überhaupt erst einmal zu erreichen, um ihnen den Zugang zur Weiterbildung zu ermöglichen.

Denn es ist nicht damit getan, beispielsweise Annoncen zu schalten in der Erwartung, man erreiche die Betroffenen schon, und schwupps kämen sie in einen Alphabetisierungskurs der Volkshochschule. Nein, so einfach ist das nicht. Man muss die Betroffenen quasi aufbrechen, sie ermuntern und auf ganz andere Weise motivieren, sich auf den Weg zu machen, ihre Defizite zuzugeben und dann auch den Mut zu finden, sich auf einen Alphabetisierungskurs einzulassen.

Denn nicht ein unerheblicher Teil dieser Menschen hat einen Schulabschluss. Sie haben das Schulsystem durchlaufen, und dennoch sind sie nicht in der Lage, einfache Texte zu lesen oder gar zu verstehen. Das wissen die Betroffenen meist am besten. Dies aber zuzugeben, erfordert Mut, der den Betroffenen auf ihrem erfolglosen Bildungsweg oft längst verloren gegangen ist.

Deshalb ist es höchste Zeit, diese Menschen aus ihrer Isolation herauszuholen. Denn es ist nie zu spät, richtig lesen und schreiben zu lernen. Das ist oft der richtige Schritt in ein ganz anderes, oft auch viel besseres Leben. Das ist dann ein unverzichtbarer Beitrag zur individuellen und sozialen Gerechtigkeit in unserem Land. Deswegen müssen wir diese Angebote nach Kräften stärken. – Ich freue mich auf eine vertiefende Diskussion in den Fachausschüssen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Zentis.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, das sich quer durch die Gesellschaft zieht und zahlreiche Menschen im erwerbsfähigen Alter betrifft.

Wir wissen alle: Vor dem Hintergrund des Geburtenrückgangs und des zunehmenden Mangels an qualifiziertem Personal können wir kein Kind und keinen Jugendlichen zurücklassen. Wenn wir das aber konsequent weiterdenken, dann können wir es uns zudem nicht leisten, auch nur einen Erwachsenen zurückzulassen, der über eine Nachqualifizierung in Grundkenntnissen bessere Chancen am Arbeitsmarkt hätte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre haben uns das Ausmaß des Analphabetismus erst vor Augen geführt. Vielleicht haben wir es auch einfach nicht

wahrnehmen wollen oder auch nicht für möglich gehalten, dass wir so viele Analphabeten in unserer Gesellschaft haben.

Auch deshalb lautet die Verabredung im Koalitionsvertrag, gezielte Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung zu erhöhen, und zwar insbesondere für Menschen, die wir als Bildungsbenachteiligte bezeichnen.

Wer ist betroffen? Welche Ursachen hat die Benachteiligung? Und was können und müssen wir gemeinsam tun, um die Teilhabemöglichkeiten dieser Menschen an unserem Leben, an unserer Gesellschaft zu verbessern?

Bei der Beantwortung solcher Fragen kann uns die Lektüre der PIAAC-Studie „Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich“ helfen.

In Deutschland – so die Studie – haben Personen ohne Schulabschluss oder Personen, die einen schlechteren Hauptschulabschluss haben, im

Durchschnitt sehr niedrige Lese- und alltagsmathematische Kompetenzen. Mit anderen Worten: Sie haben die Schule verlassen und kommen in einen Teufelskreis aus einerseits schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, andererseits geringen Möglichkeiten, sich nachzuqualifizieren.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Sie bedeuten aber für uns: Wir müssen auch in die Schulen schauen, unsere Lehrkräfte besser für das Problem des Analphabetismus sensibilisieren und ihnen geeignete Instrumente an die Hand geben.