In den Sonderabteilungen der Staatsanwaltschaften, ebenso wie in den Staatsschutzabteilungen der Polizeidienststellen, herrscht zusätzlich eine hohe Personalfluktuation, sodass erworbenes Spezialwissen in diesen Abteilungen langfristig nicht vorgehalten werden kann. Sonderwissen auf dem Gebiet des Rechtsextremismus muss ferner schnell und zuverlässig von ansonsten sachfern tätigen Beamten im Bereitschaftsdienst bei besonderen Vorkommnissen wie etwa Demonstrationen oder Gewalttätigkeiten in Fußballstadien abgerufen werden können.
Wir fordern die Einrichtung einer zentralen elektronischen Bibliothek. Die Einrichtung einer zentralen Wissensdatenbank als elektronische Bibliothek, auf die alle mit einer besonderen Zugriffsberechtigung ausgestatteten Ermittler zugreifen können, würde
zahlreiche von uns im Ausschuss festgestellte Mängel beseitigen können. Neben juristischen und historischen Schlagworten und Ausarbeitungen zu speziellen Phänomenen sollte sie auch polizeiliche und nachrichtendienstliche Erkenntnisse zur Verfügung halten, ohne das Trennungsgebot zu verletzen.
Als zentrale Einrichtung des Landes NRW und Schnittstelle auf höherer Ebene zwischen staatsanwaltlicher, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit dürfte das Landeskriminalamt NRW unserer Einschätzung nach mit seiner bereits vorhandenen Kommunikationstechnik der kompetente Dienstleister für diese politisch wichtige Aufgabe sein.
Zwei Dinge dürfen bei meiner heutigen Rede selbstverständlich nicht fehlen. Zum einen sind wir eine lückenlose Aufklärung nicht nur, aber insbesondere den Opfern und den Angehörigen der Rechtsterroristen schuldig.
Ich darf allen Opfern und deren Angehörigen versichern, dass das Schicksal, das ihnen widerfahren ist, unvergessen bleibt und eine nachhaltige Mahnung darstellt. Zum anderen müssen wir alles uns Mögliche möglichst gemeinsam unternehmen, um unseren Rechtsstaat so wehrhaft aufzustellen, dass er auch dem Rechtsterrorismus die Stirn bieten kann. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Hendriks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorgestern jährte sich zum elften Mal der Tag, an dem eine junge Frau in meinem Alter ihren Vater verlor. Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubaşik grausam ermordet. Er war das achte Mordopfer des rechtsterroristischen NSU.
Heute jährt sich der Todestag von Halit Yozgat. Wir werden Mehmet Kubaşik und Halit Yozgat und auch die anderen Mordopfer des NSU niemals vergessen.
Bereits 2001 und 2004 wurden insgesamt 23 Menschen bei Bombenanschlägen in Köln verletzt, einige von ihnen schwer. Mehmet Kubaşik und die anderen Opfer wurden deshalb ermordet und verletzt, weil sie nicht in das rassistische Weltbild der Neonazis passten. Doch erst mit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU wurde klar, wer hinter diesen Verbrechen steckte.
Es macht mich ehrlich gesagt nach wie vor fassungslos, dass eine solche Gruppierung über 13 Jahre im
Untergrund agieren und morden konnte, ohne dass sie von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt und gestoppt wurde. Den Behörden ist nicht nur die Nichtermittlung des NSU vorzuwerfen, sondern vor allem auch, dass sie die Opfer jahrelang verdächtigten. Das Verhalten der Polizei führte zu einer erneuten Viktimisierung der Opfer, und deshalb spreche ich auch ganz bewusst von einem staatlichen Versagen, das beispiellos ist.
Unser Untersuchungsausschuss war der erste bundesweit, der auch den Opfern eine Stimme gegeben hat. Ich will hier auch noch einmal den Opfern aus der Keupstraße und aus Dortmund danken, dass sie vor unserem Untersuchungsausschuss ausgesagt haben. Gamze Kubaşik hat sehr eindrücklich von den Folgen der polizeilichen Ermittlungen für ihre Familie berichtet, und ich möchte sie gern zitieren.
Ich muss sagen, es ist ja schon schlimm, wenn man den Vater verliert. Aber dass man uns dann auch noch den Stolz wegnimmt, das war das Schlimmste für mich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte mich hier noch einmal für die gute Zusammenarbeit bedanken. Dieser Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, aber besonders den Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, die mich vor allem in der Mutterschutzzeit, aber auch darüber hinaus sehr unterstützt haben. Außerdem möchte ich mich bei den Referentinnen und Referenten bedanken. Vielen Dank für die großartige Arbeit.
Das gemeinsame Aufklärungsinteresse aller Fraktionen im Untersuchungsausschuss ist von enormer Bedeutung. Wir konnten gemeinsam die zahlreichen Fehler der Behörden sowohl bei den Ermittlungen vor der Selbstenttarnung als auch bei den Nachermittlungen herausarbeiten.
Bei dem Anschlag in der Probsteigasse bestehen erhebliche Zweifel daran, dass Mundlos und Böhnhardt die Täter waren. Es gibt zahlreiche Aspekte, die auf eine weitere Person als Mitglied oder als Unterstützer des NSU hindeuten, und dem sind die Behörden aus meiner Sicht bisher nicht ausreichend nachgegangen.
Die Ermittlungen zum Anschlag in der Keupstraße waren faktisch von einer großen Einseitigkeit geprägt. Anhaltspunkte und Hinweise, die auf einen rassistischen Tathintergrund deuteten, wurden kaum verfolgt. Die Hinweise auf Parallelen zum Anschlag in Köln mit der Anschlagserie des David Copeland in London wurden schlicht ignoriert, und auch Zeugenaussagen, die eine Verbindung zur Ceska-Mordserie herstellten, wurde nicht ausreichend nachgegangen.
Auch bei den Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubaşik in Dortmund müssen wir leider feststellen, dass
es keine konkreten Ermittlungsmaßnahmen in Richtung Rechtsextremismus gab. Die Aussage einer Zeugin, die Junkies oder Nazis gesehen hatte, wurde in puncto Nazis ignoriert.
Ich finde, wir konnten ein wichtiges Ergebnis in Bezug auf Dortmund herausarbeiten. Die zeitliche und räumliche Nähe der Morde an Mehmet Kubaşik in Dortmund und Halit Yozgat in Kassel ist bemerkenswert. Wir haben hier auch die sehr enge Vernetzung und die Militanz der Neonazi-Szene in Dortmund und Kassel Mitte der 2000er-Jahre nachgewiesen. Das nährt aus grüner Sicht die These, dass es sehr wohl ein lokales Unterstützernetzwerk gegeben hat.
Am haarsträubendsten – das will ich hier noch einmal sagen – waren aus meiner Sicht die Untersuchungen zum Tod des V-Mannes Corelli. Die Verwaltungshaltung des Bundesamts für Verfassungsschutz trägt alles andere als zur Vertrauensbildung bei.
Noch schlimmer aber waren die Aussagen der Zeugen. Man wollte Corelli anonym und ohne Nachricht an die Angehörigen bestatten – ganz offenbar, um den unbequemen Fragen aus der Öffentlichkeit auszuweichen. Dazu will ich noch mal sagen, dass ich das Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz wirklich unglaublich finde.
Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es – und auch das ist schon deutlich geworden – bei der Bewertung der Ermittlungen eben auch Differenzen unter den Fraktionen. Dass die Ermittlungen in jedem Fall immer nach demselben Muster geführt wurden, dass trotz der verschiedenen Hinweise nicht – oder zumindest nicht ernst zu nehmend – in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde, dass man immer die Opfer als Mitglieder der organisierten Kriminalität oder verstrickt in Drogenmilieu und Schutzgelderpressung sah – und das, obwohl jegliche Ermittlungen in diese Richtung keine Ergebnisse brachten –, kann ich nicht als eine Aneinanderreihung von Fehlern, Pech, Pleiten und Pannen abtun.
Aus meiner Sicht lässt sich das eben auch nicht dadurch erklären, dass es ein mangelndes Wissen bei den Behörden über rechtsterroristische Konzepte und Organisationen gab. Nach der Definition der britischen Macpherson-Kommission kann ein institutioneller Rassismus in Einstellungen und Verhaltensweisen gesehen und aufgedeckt werden, die durch unwissentliche Vorurteile, Ignoranz und Gedankenlosigkeit zur Diskriminierung führen.
Genau dieser institutionelle Rassismus kommt aus grüner Sicht bei den Ermittlungen zu den NSUVerbrechen zum Ausdruck. Ich bin der Meinung, dass wir dieses strukturelle Problem thematisieren
müssen, damit es nie wieder zu solchen fatalen Fehleinschätzungen im Hinblick auf die Motive der Täter kommen kann.
Die Tatsache, dass Konsequenzen aus dem Versagen der Behörden gezogen werden müssen, eint uns. Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, 30 gemeinsame Handlungsempfehlungen zu erarbeiten – und das sehe ich wirklich als großen Wert dieses Untersuchungsausschusses. Die Handlungsempfehlungen reichen von der Unterstützung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei der Kontrolle des Verfassungsschutzes bis hin zur Finanzierung der Beratungsstruktur gegen Rechtsextremismus und Rassismus.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode, genau diese Handlungsempfehlungen auch umzusetzen. Denn das Problem des Rechtsextremismus, des Rassismus, ist in den letzten zweieinhalb Jahren ja nicht kleiner geworden – im Gegenteil, es ist größer geworden. Ich hoffe und erwarte von uns allen hier, dass die gute Zusammenarbeit, die wir im Untersuchungsausschuss hatten, Bestand hat, und zwar über den Wahltermin hinaus, und dass wir gemeinsam daran arbeiten, diese Handlungsempfehlungen umzusetzen, um gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus auch hier in Nordrhein-Westfalen vorzugehen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn meine Vorredner schon darauf eingegangen sind, erlauben Sie auch mir, an dieser Stelle das Wort an die Opfer und Angehörigen der NSU-Terrorserie zu richten.
Wer selber nicht das erlebt hat, was ihnen, den Opfern und Angehörigen, geschehen ist, der wird nur erahnen können, welches Leid diesen Menschen widerfahren ist: jahrelange Ermittlungen in eine völlig falsche Richtung. Sie wurden teilweise behandelt wie Täter und nicht wie Opfer. Mancher von ihnen musste erfahren, dass sich Familie und Freunde von ihnen abwendeten, weil diese Verdächtigungen gegen sie im Raum standen.
Wir als Politiker können diese schlechten Erfahrungen, die diese Menschen mit unserem Rechtsstaat machen mussten, leider nicht ungeschehen machen. Doch wir alle – und da darf ich sicher im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Untersuchungsausschusses sprechen – waren fest entschlossen, her
auszufinden, was zu diesen zum Teil ungeheuerlichen Fehlleistungen geführt hat. Wie konnte es dazu kommen, dass Opfer und Angehörige plötzlich zu Tatverdächtigen wurden? Warum wurde jahrelang – zum Teil stoisch – in falsche Richtungen ermittelt?
Die Antworten, die wir Ihnen heute mit dem Untersuchungsbericht präsentieren, sind nicht wirklich in Gänze befriedigend; denn sie richten den Scheinwerfer auf grundlegende Probleme, die wir in der nordrhein-westfälischen Sicherheitsarchitektur ausgemacht haben.
Herr Kossiski hat es schon angesprochen: Es gab drei Aussagen, die wir im Ausschuss von den befragten Zeugen am häufigsten gehört haben. Zum einen: Wir hatten keine Hinweise. Zum andern: Ich kann mich nicht erinnern. Und das Dritte war: Das war nicht meine Aufgabe.
Diese Aussagen kamen von Mitarbeitern von Polizei, von Staatsanwaltschaften und vom Verfassungsschutz gleichermaßen. Wir waren im Ausschuss oft genug fassungslos, wenn sich einige Zeugen völlig desinteressiert, unmotiviert und vor allen Dingen mitunter auch völlig ahnungslos gezeigt haben.
Die wenigsten konnten beispielsweise etwas über die theoretischen Konzepte des Rechtsterrorismus aussagen. Stattdessen – so unser Eindruck – wurde und wird in Nordrhein-Westfalen immer noch an einem veralteten Terrorismusbegriff festgehalten, einem Terrorismusbegriff, der in den 70er- und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom Linksterrorismus der RAF geprägt worden ist: eine kleine Gruppe von Terroristen, die Anschlagsziele so auswählt, dass sie ihren Unterstützern vermittelbar sind. Ein weiteres wesentliches Merkmal: Zur Tat wurde sich dann immer mit einem Bekennerschreiben bekannt.
Oft genug wurde uns im Ausschuss entgegengehalten, dass es bei den Morden und Anschlägen des NSU keine Bekennerschreiben gegeben habe. Leider muss man konstatieren, dass bis heute, lange nach der Selbstenttarnung des NSU, an diesen Zeugen offenbar – zwar nicht an allen, aber an manchen – spurlos vorübergegangen ist, dass der Rechtsterrorismus eben nicht mit einem Bekennerschreiben arbeitet, sondern dass die Tat allein Bekennung genug ist.
Dieses Wissen muss bei allen Mitarbeitern von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz vollständig ankommen. In diesem Zusammenhang lautet das Stichwort: Fortbildung, Fortbildung und nochmals Fortbildung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne noch einen weiteren Punkt ausführen. Nachdem Ende 2011 klar war, dass die Morde und Anschläge auf