Protocol of the Session on April 6, 2017

Immer dann, wenn wir zumindest rechtlich so ein bisschen an unseren Grenzen waren, haben wir uns gemeinsam öffentlich positioniert und haben zum Beispiel auf das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam Druck ausgeübt. Das hat dazu beigetragen, dass wir viele Aktenstücke beiziehen konnten.

Wir haben fast 4.800 Aktenstücke beigezogen. Wir haben einen Ermittlungsbeauftragten beauftragt, Akten zu sichten.

Wir haben insgesamt in zahlreichen Sitzungen, auch eingestuften Sitzungen, Zeugen vernommen und eingestufte Akten vorgehalten.

Wir hatten besondere Anforderungen an den Geheimschutz. Das sind bauliche Maßnahmen, die hier im Landtag getroffen worden sind. Wir haben uns intensiv mit den Fragen von Geheimhaltung, von Einstufung von Akten beschäftigt.

Wir haben auch manchmal darüber gestritten: Wie viel kann man dann in einen Abschlussbericht hineinschreiben? Aber dieser Öffentlichkeitsgrundsatz war uns, glaube ich, allen gemeinsam immer wichtig. Wir wollten Ihnen nie einen geheimen Abschlussbericht präsentieren, sondern wir haben gesagt: Wir müssen das, was wir ermittelt haben, auch an die Öffentlichkeit bringen und Ihnen präsentieren.

Wir haben uns darüber hinaus intensiv ausgetauscht, ausgetauscht mit den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag und auch in den anderen Parlamenten, die parallel in Untersuchungsausschüssen an diesem Thema arbeiten. Immer dann, wenn wir an einer Grenze waren, einer verfassungsrechtlichen Grenze der Fragen, haben wir unsere Fragen in den Deutschen Bundestag weitergegeben, und die Kolleginnen und Kollegen haben teilweise sehr unmittelbar die Fragen, die wir aus Nordrhein-Westfalen dorthin gegeben haben, den Zeuginnen und Zeugen gestellt.

Ich habe Ihnen schon ein bisschen was zum Auftrag erzählt. Wir haben diese drei schweren Verbrechen untersucht. Ich will in ganz kurzen Stichworten zu den einzelnen Taten unsere Ergebnisse zusammenfassen.

Zur Probsteigasse wissen wir auch heute noch nicht, wie die Täter dazu gekommen sind, diese kleine, unscheinbare Straße in Köln auszuwählen.

Wir haben uns intensiv mit der sogenannten Spur Johann Helfer beschäftigt. Die Frage, die im Raum stand, war: War es dieser Johann Helfer, der eventuell diese Keksdose dort abgelegt hat? – Wir waren gemeinsam der Überzeugung: Er war es nicht. – Die Frage, wer es war, kann ich Ihnen leider für den Ausschuss nicht beantworten.

Wir haben uns intensiv bei der Keupstraße mit den Ermittlungen beschäftigt. Wir haben gemerkt: Am Anfang wurde nur im Umfeld der Keupstraße ermittelt. Die Idee, dass gerade dieses interkulturelle Zentrum ein Tatort sein kann, den sich Rechtsradikale herausgesucht haben, ist der Polizei nicht gekommen.

Wir haben festgestellt, dass es aber damals schon Informationen gab, Informationen zur Art und Weise, wie Rechtsradikale Taten begehen. Wir haben Dokumente gefunden beim Verfassungsschutz, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, die teilweise nicht an die Kölner Polizei weitergegeben wurden.

Wir haben auch festgestellt, dass Scotland Yard zu ähnlichen Anschlägen, die der Täter David Copeland in London verübt hat, Informationen an die Kölner Polizei weitergab. Die Antwort der Kölner Polizei war erschütternd. Die Antwort war: David Copeland kann es ja nicht gewesen sein. Der sitzt ja im Gefängnis. Und Englisch können wir auch nicht.

Wir haben gerade bei der Tat an Herrn Kubaşık insbesondere die Ermittlungen im Umfeld des Opfers und seiner Familie kritisch begutachtet. Diese hatten zu einer unglaublichen Stigmatisierung der Familie geführt. Sie müssen sich das vorstellen: Da ist die Polizei durch die Dortmunder Nordstadt gegangen und hat gefragt: Hat Herr Kubaşık mal mit Drogen gehandelt? – Hinterher stellte sich heraus: Da war nichts dran. Aber dieser Eindruck, der vermittelt worden ist, ist geblieben.

Gut war an der Tataufarbeitung in Dortmund, dass man schnell den Zusammenhang zu der CeskaMordserie herstellen konnte.

Aber dann gab es noch einen weiteren Hinweis, nämlich einen Zusammenhang zwischen den Kölner Taten in der Keupstraße, Kassel und Dortmund. Diese Idee ist später von der Polizei leider wieder verworfen worden. Vielleicht hätte diese Idee dazu führen können, den NSU schneller zu finden.

Unsere weiteren Aufträge waren, uns mit dem Tod des ehemaligen V-Manns Corelli in Nordrhein-Westfalen zu beschäftigen. Herr Corelli war V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, war aufgeflogen und war dann in Nordrhein-Westfalen, in Paderborn, versteckt worden. Eines Morgens ist er dort tot aufgefunden worden, und die Frage stand im Raum: Ist er ermordet worden oder ist er an einer natürlichen Todesursache gestorben?

Wir haben uns sehr intensiv mit dem Todesermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Paderborn beschäftigt und haben aufgrund unserer Vernehmungen im Ausschuss dazu beigetragen, dass das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen worden ist und weitere medizinische, technische und chemische Untersuchungen durchgeführt wurden. Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft Paderborn nun festgestellt, dass es tatsächlich eine natürliche Todesursache bei Herrn Corelli war, ein sogenannter hyperglykämischer Schock, der dazu geführt hat, dass Herr Corelli verstarb.

Wir haben uns intensiv mit den Polizistenmorden des Michael Berger in Dortmund beschäftigt, dem schwärzesten Tag in der Geschichte der Dortmunder Polizei. Am 14. Juni 2000 erschoss dieser Rechtsextremist in Dortmund und Waltrop drei Polizeibeamte und verletzte eine Polizeibeamtin schwer. Die rechte Szene hat darauf menschenverachtend positiv reagiert. Wir haben uns intensiv mit dem Tatmotiv befasst.

Wir haben uns auch mit der Tat beschäftigt, die am 27. Juli 2000 Düsseldorf erschüttert und erschrocken hat. Gegen 15:03 Uhr explodierte am S-Bahnhof Wehrhahn ein Sprengsatz, nachdem eine Gruppe von zwölf Personen aus dem überdachten Eingang am Zugang des Bahnhofs getreten war. Durch diese Explosion wurden zehn Menschen verletzt, zum Teil lebensbedrohlich. Eine Frau, die im fünften Monat

schwanger war, verlor ihren ungeborenen Sohn. Alle Opfer stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs von ihnen waren jüdischen Glaubens.

Wir haben uns intensiv mit der Frage befasst, wie die Motivlage damals war, wie die Ermittlungen waren. Wir haben aber auch festgestellt, dass Informationen des Verfassungsschutzes erst 2004 und dann 2012 weitergegeben wurden. Das war für die Ermittler mit Sicherheit nicht leicht, aber im Ergebnis waren das auch Informationen und Spuren, die nicht dazu geführt haben, dass der Tatverdächtige vor einigen Wochen verhaftet werden konnte.

Wir haben uns intensiv mit der rechten Szene in Nordrhein-Westfalen beschäftigt; wir haben sie seit 1990 genau in den Blick genommen. Und wir haben insbesondere festgestellt, wie gefährlich diese rechte Szene auch heute noch ist und wie einfach es Rechtsradikalen gelingt – insbesondere durch die Instrumente der rechten Musik –, junge Menschen in ihren Bann zu ziehen.

Deswegen mein leidenschaftlicher Appell an Sie: Wir müssen alle gemeinsam wachsam bleiben, denn diese rechte Szene in Nordrhein-Westfalen ist und bleibt gefährlich. Wir müssen unsere Demokratie dagegen wachsam verteidigen.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den Vermittlungen und Beweisaufnahmen Licht und Schatten erlebt. Wir haben empathische Staatsanwälte, aber auch unempathische Polizeibeamte erlebt. Wir haben Erinnerungslücken erlebt. Wir haben engagierte Beamte erlebt. Wir haben aber auch Polizisten erlebt, die nur Dienst nach Vorschrift gemacht haben. Wir sind daher der Überzeugung, dass gerade der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden deutlich verbessert werden

muss. Wir müssen in anderer Art und Weise mit den Opfern umgehen. Wir müssen gerade auch die Opfer in die Ermittlungen im Umfeld einbinden.

Wir wissen heute, dass der wissenschaftliche Austausch auch beim Verfassungsschutz in NordrheinWestfalen verbessert werden muss. Ich will einmal ein Beispiel nennen: Wenn ein neues Phänomen entsteht und Extremisten dieses Phänomen wahrnehmen, dann muss diese Information aus unserer Zivilgesellschaft in die Sicherheitsbehörden getragen werden und umgekehrt. Der Verfassungsschutz muss also mehr denn je zu einem Dienstleister für eine wehrhafte Demokratie werden und nicht nur derjenige sein, der die Informationen einsammelt und in seinen Stahlschränken aufhebt.

Wir müssen diese Informationen dann so aufarbeiten, dass der einfache Polizeibeamte auf der Straße mit diesen Phänomenen, mit diesen Informationen arbeiten kann und bei seinen Tatermittlungen darauf Bezug nehmen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen werden, wenn Sie die 1.200 Seiten und die Anlagen lesen, wahrscheinlich noch viele andere Aspekte einfallen, die ich mangels Zeit jetzt nicht vortragen konnte.

Bevor nun die Kolleginnen und Kolleginnen die Möglichkeit haben – das wissen sie; so habe ich das im Ausschuss auch immer gemacht –, nicht Fragen zu stellen, sondern ihre Anmerkungen zum Bericht vorzutragen, will ich mich ganz herzlich für die kollegiale und sehr leidenschaftliche Arbeit im Untersuchungsausschuss bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben, bei den Ausschussmitgliedern und insbesondere bei den Referentinnen und Referenten. Vielen herzlichen Dank dafür!

(Allgemeiner Beifall)

Namentlich will ich mich natürlich bei den Sprecherinnen und Sprechern bedanken, bei Andreas Kossiski, bei Heiko Hendriks, bei Verena Schäffer, bei Joachim Stamp und Yvonne Gebauer, bei Birgit Rydlewski, der ich – und ich hoffe, wir alle gemeinsam – gute Besserung wünsche, und bei Dirk Schatz, der eingesprungen ist. Ich danke aber auch den Fraktionen für die gute Auswahl und Referentinnen und Referenten und für die Benennung so engagierter und leidenschaftlicher Kolleginnen und Kollegen für diesen Ausschuss. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Wolf, für den Bericht. Nachdem Sie sich gerade bei den Kolleginnen und Kollegen, bei der Verwaltung und bei allen bedankt haben, die an diesem Untersuchungsausschuss mitgewirkt haben, möchte ich mich im Namen des Landtags bei Ihnen persönlich für Ihren Einsatz, für den Vorsitz, den Sie mit hoher Qualität wahrgenommen haben, bedanken. Vielen Dank für Ihre Arbeit als Vorsitzender dieses Untersuchungsausschusses!

(Allgemeiner Beifall)

Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erster spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Kossiski.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor elf Jahren ist in Kassel Halit Yozgat ermordet worden. Gestern vor 29 Monaten haben wir einstimmig die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror in NordrheinWestfalen beschlossen.

Über diesen Beschluss hinaus gab es damals auch noch eine weitere Übereinstimmung, denn die Rednerinnen und Redner aller Fraktionen formulierten ih

ren gemeinsamen Wunsch: den Willen zur gemeinsamen Aufklärungsarbeit auf der Basis guter und vertrauensvoller Zusammenarbeit. Auch in der Begründung dieses Wunsches waren sich alle einig: Wir sind dies nicht nur den Opfern der NSU-Taten und ihren Angehörigen schuldig, wir sind dies auch unserer demokratischen Gesellschaft schuldig.

Nun, 29 Monate später, kann ich hoffentlich unter Zustimmung aller Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses feststellen, dass uns diese vertrauensvolle, an der Sache orientierte Zusammenarbeit tatsächlich gelungen ist. Als SPD-Obmann möchte ich mich deshalb bei den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen ganz persönlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich habe in dieser Zeit nicht nur eine fraktionsübergreifende Form des gegenseitigen Respekts kennengelernt, sondern vor allem auch ein gemeinsames Bemühen auf der Suche nach Antworten auf all die vielen Fragen, die uns der Einsetzungsbeschluss mit auf den Weg gegeben hat.

Einen ganz besonderen Dank möchte ich selbstverständlich den beiden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses aussprechen, der Kollegin Nadja Lüders und dem Kollegen Sven Wolf. Erstere hatte zunächst die schwierige Phase der Einarbeitung in die Materie zu leisten – also insbesondere die Frage, wie wir als Untersuchungsausschuss mit dem von Beginn an durchaus unübersichtlichen Berg an Aufgaben strukturiert umgehen. Der Kollege Wolf – das hat er eben in eindrucksvoller Weise bestätigt – hatte im Frühjahr 2015 die sicherlich nicht beneidenswerte Aufgabe, sich in extremer Kürze in die neue Aufgabe einzuarbeiten, und – Herr Präsident, Sie haben es erwähnt – er hat es aus unserer Sicht hervorragend gemacht.

(Allgemeiner Beifall)

Beide haben – das möchte ich vor allem auch gegenüber der interessierten Öffentlichkeit verdeutlichen – mit großer Bravour die vielen Klippen gemeistert, die gerade bei einem Untersuchungsausschuss zu beachten sind, der sich in einem erheblichen Maße mit Geheimschutzsachen, mit streng vertraulichen Dokumenten und vor allem auch mit Menschen – vornehmlich Menschen aus Verfassungsschutzbehörden – zu beschäftigen hatte.

In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem einen Extradank an Sven Wolf richten, der mit seiner ihm eigenen Beharrlichkeit in sehr vielen Fällen dafür gesorgt hat, dass wir öffentliche Sitzungen mit Zeugenvernehmungen durchführen konnten, auch wenn mitunter verantwortliche Stellen zunächst der Auffassung waren, dass sie für einzelne Zeugen nur dann eine Aussagegenehmigung erteilen können, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen würde. Auch darin waren wir uns im Untersuchungsausschuss immer alle einig: So viel Öffentlichkeit wie möglich, so wenig

Nichtöffentlichkeit wie aus rechtlichen Gründen unbedingt nötig.

Mein größter Dank gilt aber denjenigen, die sozusagen hinter den Kulissen in wirklich unermüdlicher Arbeit dafür gesorgt haben, dass heute dieser Abschlussbericht vorgelegt werden kann: die Referentinnen und Referenten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Seite der Ausschussmitglieder und natürlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung. Ohne diesen hervorragenden Einsatz wäre unser Arbeitsauftrag nicht leistbar gewesen. – Vielen Dank dafür.

(Allgemeiner Beifall)

Bevor ich auf einige Aspekte unserer Arbeit aus dem Untersuchungsausschuss näher eingehe, ist es mir ein ganz persönliches Anliegen, auch heute nochmals an die vielen Opfer der von uns untersuchten Gewalttaten zu erinnern – und nicht nur an die Opfer, sondern auch an ihre Angehörigen. Ich glaube sagen zu dürfen: Unsere Arbeit war getragen vom Andenken an diese Opfer.

Meinen tiefen Dank möchte ich den Menschen ausdrücken, die selbst Opfer oder Angehörige von Opfern wurden und die sich bereit erklärt haben, ihr Leid, ihre Erlebnisse und ihre Empfindungen vor dem Untersuchungsausschuss darzulegen. Ich empfand das nicht als selbstverständlich, und ich hoffe, dass diese Menschen gespürt haben, mit welcher Ernsthaftigkeit wir uns um Aufklärung bemüht haben.

Das gilt insbesondere für die Sachverhalte, bei denen die Betroffenen nicht etwa eine Opferhilfe seitens staatlicher Stellen erfahren haben, sondern vielmehr selbst in den Strudel von Verdächtigungen geraten sind, weil die Ermittlungsbehörden immer wieder sehr schnell glaubten, von der Herkunft der Opfer auf vermeintlich damit in Verbindung zu bringende Straftaten oder Tätermilieus schließen zu müssen.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen mit den Opfern und Angehörigen und vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die der Untersuchungsausschuss dazu gewonnen hat, haben wir ein Kapitel unserer Handlungsempfehlungen dem Thema Opferschutz gewidmet – verbunden mit anderen Handlungsempfehlungen, die sich mit einer offenkundig erforderlichen Sensibilisierung der Ermittlungsbehörden im Umgang mit Opfern befassen.