Protocol of the Session on January 26, 2017

Alle 17 Mitglieder der Kommission sind tief in die Themenbereiche eingestiegen und haben sehr konstruktiv am Fortschritt der Enquetekommission gearbeitet. Die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission sollen weit über den Bericht hinaus Wirkung entfalten. Wir freuen uns daher auf das Feedback und das Engagement der Ministerien, der Verkehrsunternehmen, der Aufgabenträger, der Politik insgesamt und aller Interessierten. Sorgen Sie mit Mut und Beharrlichkeit dafür, dass wir in NRW die Mobilität aller Menschen auf Dauer gewährleisten können! Das sage ich nicht nur einfach so, das meine ich ernst.

In der nächsten Legislaturperiode werden entscheidende Weichen gestellt. Daher wende ich mich zum Schluss persönlich an alle Abgeordneten im Plenum: Es kommt nun darauf an, wie und mit welchem Ehrgeiz die Erkenntnisse und Empfehlungen in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden. Bitte unterstützen Sie Ihre Verkehrspolitiker! – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. Auch ich möchte mich bei Ihnen für den Vorsitz in dieser Enquetekommission herzlich bedanken. Sie haben sich bei den Abgeordneten, den Sachverständigen, bei vielen, die erfolgreich daran mitgewirkt haben, bei den Mitarbeiterinnen der Landtagsverwaltung bedankt. Auch Ihnen herzlichen Dank für die vielen Sitzungen und die verantwortliche Arbeit!

(Allgemeiner Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Löcker von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Worterteilung. Mit dem durch die Enquetekommission IV vorgelegten 330-seitigen Bericht über die Zukunft des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen werden zahlreiche Handlungsempfehlungen vorgelegt. Nach ausgiebigen Diskussionen in der Kommission kann nun ein in großen Teilen konsensual abgestimmter Bericht durch den Landtag zur Kenntnis genommen werden.

Mein Dank gilt allen Beteiligten – das ist eine Selbstverständlichkeit –, den Sachverständigen, die bereits namentlich erwähnt worden sind, den Assistentinnen und Assistenten und natürlich auch den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen. Die zwei Jahre waren eine intensive Zeit, aber es war auch eine gute Zeit.

Meine Damen und Herren! Die Handlungsfelder waren relativ schnell formuliert. Angebot, Digitalisierung, Finanzierung sowie Struktur und Organisation waren die vier Überschriften. Diese spiegeln im Wesentlichen die Herausforderungen, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, wider, was die Weiterentwicklung des ÖPNV angeht, und zwar – das muss betont werden – sowohl in den Ballungsgebieten wie auch im ländlichen Raum. Es gibt eine Reihe von wichtigen Herausforderungen. Diese zu bewältigen, heißt eben auch, große Einigkeit in den grundsätzlichen Zielen zu haben, aber auch Prioritäten bezüglich Geschwindigkeiten und Zielsetzungen zu haben.

Ein leistungsfähiges ÖPNV-Angebot ist ein zentraler Baustein, die Mobilität und die Lebensqualität in der Stadt und auf dem Land zukünftig weiter zu erhöhen und zugleich das Klima zu schützen. Der ÖPNV gewährleistet die Mobilität aller Bürgerinnen und Bürger und ermöglicht auf diese Weise soziale Teilhabe. Auch die Wirtschaft profitiert von einem leistungsfähigen Nahverkehr, Beschäftigte, ortsansässige Betriebe, damit die Menschen zuverlässig zur Arbeit kommen können, ohne dass die Unternehmen hohe Kosten für zusätzlichen Parkplatzbau haben, Handel und Gewerbe – die Kunden direkt vor der Tür –, Stationen, Haltestellen. Alles wird gleichzeitig zuverläs

sig und mit großer Sicherheit vermittelt und angeboten. Das ist eine Leistung, die für unser Land besonders wichtig ist.

Meine Damen und Herren, das Mobilitätsverhalten wandelt sich. Ich füge hinzu: Die autogerechte Stadt kommt nicht. Insbesondere in den Großstädten und Ballungsräumen lässt sich nämlich ein Trend feststellen: Gerade junge Menschen kombinieren immer öfter verschiedene Verkehrsmittel und besitzen oftmals überhaupt kein Auto mehr. Mehr Menschen fahren Fahrrad, Bus und Bahn. Auf das eigene Auto wird verzichtet. Lieber wird ein Auto gemietet, um eine Mobilitätskette zu bilden. Dieses Angebot trifft insbesondere in Großstädten auf große Resonanz. Die Fahrgastzahlen steigen ständig. Das ist in diesen Tagen öffentlich geworden.

Ein echter Mangel – das gehört ausdrücklich zur Analyse dazu –: Der Stadtbahnverkehr in den großen Metropolen fährt an vielen Stellen in unserem Land bereits auf der letzten Felge. Das darf man sicher so formulieren. Die Verkehrsunternehmen insbesondere im Ballungsraum werden täglich an ihre Leistungsgrenzen geführt.

Zur gleichen Zeit – das ist der zweite Teil der Entwicklung – schrumpft der ÖPNV in der Fläche. In vielen ländlichen Räumen verschärfen der Bevölkerungsrückgang und die Konzentration von Schulen, Verwaltung und Einkaufsmöglichkeiten ungünstige Ausgangsbedingungen. Oft besteht der Nahverkehr im ländlichen Raum nur noch aus einem Rumpfangebot sogenannter Schülerverkehre – ein unattraktives Restangebot.

Die Analyse ist also gemacht.

Was tun? – Das war in den zwei Jahren eine wichtige Frage, die im Mittelpunkt stand. Wir von der Regierungskoalition sagen deutlich: Mobilitätsgarantie muss in Zukunft durch ein Angebot aus einem Guss beantwortet werden. Die Betonung liegt auf „aus einem Guss“. Nur durch ein gutes Angebot für Stadt und Land können wir leistungsfähige Strukturen aufrechterhalten.

Dies bedeutet für die Städte folgende Herausford: Wir brauchen natürlich ein Gutachten für die Stadtbahnen und auch eine ganz klare Ansage, dass die Erneuerungsinvestitionen valide finanziert werden müssen. Da sehen wir die Verantwortung ganz klar bei Bund und Land, einen entsprechenden Finanzierungsplan aufzulegen. Beide müssen hier helfen, weil es auch um Milliardeninvestitionen in den nächsten Jahren gehen wird. Dafür brauchen wir ein spezielles Förderprogramm, um auch die Barrierefreiheit zu gewährleisten. Das ist keine finanzielle Kleinigkeit, meine Damen und Herren.

Wer die Klimaschutzziele des Landes erreichen will, der muss auch die Anschaffung von Elektrobussen durch ein gesondertes Programm fördern. Das will

das Land tun. Wer meint, man könnte mit Diesel die Busflotten der Zukunft betreiben, der irrt aus meiner Sicht, insbesondere was die Ballungsräume angeht. Da muss etwas passieren.

Wenn man die Herausforderungen für die Ballungsräume beschreibt, dann muss man natürlich auch eine Antwort finden, wie eine gute Mobilitätskette für den ländlichen Raum aussehen kann. Dort gibt es Fehlentwicklungen. Bislang fehlt eine Definition für das Mindestangebot im ländlichen Raum. Was sind die Standards?

Es soll ja auch um gleichwertige Lebensverhältnisse im ländlichen Raum und in der Stadt gehen. Wenn das die wichtigste Aufgabe ist, ist dies sicher auch in der nächsten Legislaturperiode näher zu beleuchten. Wir brauchen unkonventionelle Wege, um im ländlichen Raum entsprechende Angebote zu ermöglichen.

Ein erster Schritt ist bereits im ÖPNVG gemacht worden. Das Land erkennt an, wenn man Mobilitätsketten über Land machen will, muss man selbst bereit sein, eine entsprechende Finanzierung auszuloben. Das ist gemacht worden. Wir reden über Regiobuslinien. Es gilt noch darüber zu sprechen, was das im Detail bedeutet. Aber klar muss sein, dass der ländliche Raum auch eine entsprechende Anbindung braucht.

Und es geht auch darum, die Bürgerbusinitiativen stärker zu unterstützen, nicht nur finanziell. Rechtliche Probleme, die es hier und da gibt, müssen gelöst werden, damit wir die Bürgerbusinitiativen besser fördern können.

Der Dreiklang besteht darin, dass der schienengebundene Ausbau da, wo es sich lohnt und wo es die Strukturen hergeben, stattfindet. Da es im ländlichen Raum unterschiedliche Strukturen gibt, ist das keine Blaupause für alles, sondern eher die Frage: Wo ist es sinnvoll?

Wir glauben auch, dass sich das Land in Zukunft, wenn es um die Sicherung von Standards geht, nicht nur als Durchlauferhitzer für die Weitergabe von Bundesmitteln hergeben darf, sondern auch einen Beitrag leisten und die Initiative ergreifen muss, wie die flächendeckende Versorgung im ländlichen Raum laufen soll. Da gibt es eine Verantwortung auf Landesebene, die wir auch teilen.

Meine Damen und Herren, wer Mobilität aus einem Guss will – wir wollen das –, der muss natürlich auch der Entflechtung des landesweiten Tarifdschungels Priorität einräumen – ein Paradethema für viele, die jeden Tag unterwegs sind. Nur so kann der städtische und ländliche Raum zukünftig erfolgreich vernetzt werden. Das hört sich ein bisschen sperrig an.

Wenn ich über die Tariflandschaft schaue, fällt mir ein Gedicht ein: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,

dass ich so begriffsstutzig bin. Ich studiere die Ticketauswahl der Verkehrsverbünde und sehe selten einen Sinn darin. – Ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten? Sicher nicht – es ist eher das Tarifchinesisch, was uns nicht aus dem Sinn geht. Neben dem Studium des Fahrplans muss man sich immer noch durch den dichten Tarifdschungel schlagen.

Wir sagen ganz klar: Wir müssen für die Zukunft mehr Digitalisierung wagen. Das heißt nichts anderes als: Wir sehen das Land in der besonderen Verantwortung, sich in diesem Zusammenhang als Koordinator zu verwenden und die Aktivitäten der Zweckverbände ein Stück weiter zusammenzuführen.

Deshalb meine ich auch, das Beispiel des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg in der letzten Woche im Zusammenhang mit dem Kurzstreckenticket war ein Beweis dafür, dass es nicht gut läuft und dass wir weitere Anstrengungen brauchen, damit am Ende klar ist: Wir wollen mit einem klaren Standardtarif Bus und Bahn vereinfachen. Jeder muss entscheiden können: Eine Karte für alles, ob Ballungsraum, ob ländlicher Raum, für das ganze Land, ob Zugfahren, Räder ausleihen, ob Bus oder Taxi bezahlen – mit einfachen und preislich attraktiven Angeboten lassen sich mehr Menschen in die Busse und Bahnen locken.

(Beifall von der SPD und Rolf Beu [GRÜNE)

Das zu kombinieren und Reiseketten zu bilden, ist an vielen Stellen schon gelebte Praxis. Wir müssen diesen Trend beschleunigen.

Im Kern bedeutet dies: Selbst wenn regionale Tarifsysteme zunächst weiterbestehen bleiben, wofür man sicher hier und da gute Gründe findet, muss klar sein, dass die Hemmnisse abgebaut werden. Die Zukunft liegt in der Einführung kilometerbasierter Tarife – davon bin ich fest überzeugt – für das ganze Land. Durch die zunehmende Digitalisierung gibt es die Gelegenheit, mit dem Smartphone und mit Apps entsprechende Entwicklungen einzuleiten. Das Smartphone ist der Treiber für dieses Thema.

Wir glauben auch, dass der normale Ticketerwerb – wegen mir auch rabattierte Ticketarten wie Azubi-Tickets, über die wir jetzt diskutieren – über das elektronische Ticketverfahren überhaupt kein Problem ist. Wir müssen das Tarifwirrwarr auflösen. Potenzielle Kunden müssen einen barrierefreien Zugang haben. Ich füge hinzu: Es wird auch Zeit, da Geschwindigkeit aufzunehmen. Sonst verschlafen wir die Entwicklung, blickt man auf andere Länder.

Was für die Kunden gut ist – Stichwort: Digitalisierung –, ist auch für die Unternehmen gut; davon bin ich fest überzeugt. Denn mit der fortschreitenden Digitalisierung kann auch eine neue Antwort auf eine transparentere Finanzierung im ÖPNV gefunden werden.

Neben unseren Vorschlägen, über neue eigene Finanzierungsquellen für die Kommunen nachzudenken – hierzu hat die Kommission entsprechende Vorschläge eingebracht, auf die Herr Bayer gerade hingewiesen hat –, muss die heutige sogenannte Spaghettifinanzierung, wie Sie sie genannt haben, durch ein besseres, bedarfsgerechteres und transparenteres Finanzierungssystem ersetzt werden. Selbst Fachleute blicken oftmals bei den Finanzierungsströmen nicht mehr durch.

Bund und Länder sowie Städte und Landkreise, die sogenannten Aufgabenträger, die den Nahverkehr bestellen, speisen sich unübersichtlich aus einer Vielzahl von Quellen. Gut, dass wir sie haben; der ÖPNV ist eh schlecht ausfinanziert. Wir brauchen aber eine Idee, wie wir zukünftig mit entsprechenden Innovationen eine bessere Transparenz und eine Verstetigung der Mittel für diese wichtige Aufgabe für ein gutes Leben in der Stadt und auf dem Land hinbekommen.

Es gilt, darüber noch zu diskutieren und Überlegungen anzustellen. Wir meinen, dass in Stadt und Land eine Debatte über Nutznießerfinanzierung aufgenommen werden muss: Wer muss sich in Zukunft an der Mobilität in der Stadt und auf dem Land, von der viele profitieren, beteiligen? Wir müssen darüber sprechen, wie wir es gemeinsam mit den Kommunen hinbekommen, dass die Mittel für den zukünftigen Ausbau auch zur Verfügung gestellt werden können.

Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung zum Thema „Organisationsstruktur im ÖPNV“. Sie hat zumindest – so hat es einmal ein Kollege in einer Debatte ausgedrückt – helfenden Charakter, so viel darf man sicher sagen, auch für die Angebotsausweitung.

Wir wollen mit unserem Exkurs, den wir in dieser Gruppe eingebracht haben, mehr anlassbezogene Zusammenarbeit organisieren. Wir verstehen unseren Exkurs als Einladung, sicher besser zu vernetzen, die Akteure besser zusammenzubringen. Manche wollen diesen Vorstoß – das sage ich hier ganz klar und exponiert – als Abkehr von dem jetzigen Zweckverbandsystem werten. Wir nicht, meine Damen und Herren, damit das klar ist.

Dennoch ist es völlig selbstverständlich, dass wir Veränderungen brauchen. Wir werden darauf bestehen, sie umzusetzen – gerne auch im System. Wir sehen zusätzlichen Anpassungsbedarf für eine stärkere Abstimmung der jeweiligen Standards mit den Zweckverbänden. Wir sehen zusätzlichen Verbesserungsbedarf für mehr Beteiligungsrechte des Verkehrsausschusses im Landtag, der zu diesem Thema nicht nur das Geld zur Verfügung stellen sollte, sondern auch wichtige eigene Beiträge leisten kann.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Es liegt doch auf der Hand, meine Damen und Herren: Im ÖPNVG sind neue Fördertatbestände dazugekommen. Diese zielgenau zu steuern und eine Investitionsoffensive einzuleiten, ist ursächliche Aufgabe derjenigen, die hier im Verkehrsausschuss und im Landtag tätig sind. Diese Verantwortung wollen wir übernehmen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Abschließend möchte ich eine persönliche Bemerkung hinzufügen, wenn mir das gestattet ist. Wer glaubt, dass wir in Nordrhein-Westfalen auf Dauer mit der heutigen Anzahl von Verkehrsunternehmen – das betrifft vor allen Dingen das Rhein-Ruhr-Gebiet – die großen Herausforderungen im Zusammenhang mit mehr ÖPNV bewerkstelligen können, der muss schon verdammt gute Argumente haben. Wenn wir die „Spaghetti-Finanzierung“ auflösen können, dann – davon bin ich dann überzeugt – gibt es auch mehr Platz für effizientere Unternehmensstrukturen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Rehbaum.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir uns heute die Zeit nehmen, über dieses wichtige Thema ÖPNV und über die Arbeit der Enquetekommission zu sprechen.

Wir als ÖPNVler neigen schnell dazu, in eine gewisse Fachsprache zu verfallen und uns mit Details zu beschäftigen, und dann reiben sich Außenstehende verwundert die Augen. Ich werde versuchen, in meiner hoffentlich nur zehnminütigen Rede dieses Thema in möglichst einfacher Sprache darzustellen, und bin gespannt, ob mir das gelingt.

Zunächst einmal meinen herzlichen Dank an vor allem Herrn Bayer für die Leitung des Ausschusses, aber auch an – die Namen wurden genannt – Frau Kowol, Frau Baur, Frau Dr. Maus, an die Sachverständigen, die angehörten Experten, die Referenten und natürlich an die Kollegen der anderen Fraktionen.

Wir haben gute fachliche und tiefschürfende Diskussionen geführt. Das zeichnet eine Enquetekommission aus. Das Wesen einer Enquetekommission ist letztlich das Konsensuale. Die Gemeinsamkeiten stehen im Vordergrund. Das war auch diesmal so. Allerdings gibt es auch ein paar Themen, bei denen wir nicht immer einer Meinung waren; auch das gehört dazu. Wir haben unsere Sondervoten eingebracht; sie sind im Bericht vernünftig dargestellt.