Protocol of the Session on January 26, 2017

begründet. Auch Vertreter der Politik bezeugen ja regelmäßig, dass sie die Urteile und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts respektieren.

Umso erstaunlicher ist es für uns, dass sich vier Fraktionen dieses Landtags – die SPD-Fraktion, die CDUFraktion, die Grünen-Fraktion und die FDP-Fraktion – eben nicht an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 halten, und das, obwohl der Landesrechnungshof von Nordrhein-Westfalen ausdrücklich und mehrfach darauf hingewiesen hat, dass das bitte Beachtung finden soll.

Das Verhalten der anderen Fraktionen wird aber schnell erklärbar, wenn man das Urteil selbst betrachtet. Da heißt es nämlich – ich zitiere –:

„… ergänzende Entschädigungen für die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, für die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen und für die Ausschussvorsitzenden sind … mit dem Verfassungsrecht unvereinbar. Sie verstoßen gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten.“

Alle vier gerade genannten Fraktionen zahlen im Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts erhebliche Entschädigungen für die dort genannten Funktionen: die SPD etwa 490.000 € im Jahr, die CDU etwa 450.000 € im Jahr und die FDP-Fraktion sogar den größten Batzen, wenn man das einmal auf die SPD-Fraktion hochrechnet, nämlich 192.000 €. Wenn ich das addiere, ist das fast 1 Million € an Sonderzulagen. Nur die Grünen stechen ein bisschen heraus – nach unten, fast schon löblich – mit 62.400 € Zulagen im Jahr. Und dann gibt es noch eine fünfte Fraktion, das sind diese Piraten. Die zahlen keine Zulagen und halten sich an das Urteil.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ihr seid solche Hel- den!)

Warum tun wir das? Weil wir die Nichtbeachtung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts für skandalös halten.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit wird wieder einmal die Arroganz der Macht ausgedrückt, und man nährt damit einfach weiterhin den Topos der finanziellen Selbstbedienung von Abgeordneten. Gelesen habe ich, das sei eine „strukturelle Maßlosigkeit“!

Aber noch skandalöser sind dann die Rechtfertigungsversuche – verbal-juristisch. Da heißt es: Für den Landtag in NRW sind ja keine gesetzlichen Entschädigungen vorgesehen, und deswegen ist das alles völlig in Ordnung; denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf gesetzlich festgelegte generelle Entschädigungen. Vermutlich werden das gleich auch einige Juristen sagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist aber eindeutig. Die genannten Entschädigungen sind verfassungswidrig. Damit wäre nämlich – ich zitiere noch einmal –

„… das Tor geöffnet zu einem differenzierten, Abhängigkeiten erzeugenden oder verstärkenden Entschädigungssystem, das … als unvereinbar mit dem Grundsatz der Abgeordnetengleichheit …“

Es kommt also überhaupt nicht darauf an, welche Quelle die verfassungswidrigen Entschädigungen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen sofort diese Sonderzahlungen … Sie müssen sofort diese Sonderzahlungen einstellen. Sie müssen unserem Antrag zustimmen. Sie müssen so das Vertrauen der Bürger in Sie, aber auch in die Durchführung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts wiederherstellen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Bovermann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Art. 30 Abs. 5 der Landesverfassung in der aktuellen Fassung, Herr Marsching, heißt es – ich zitiere –:

„Abgeordnete können sich zu Fraktionen zusammenschließen. Die Fraktionen wirken mit eigenen Rechten und Pflichten an der Erfüllung der Aufgaben des Landtags mit. Zu Ihren Aufgaben gehören die Koordination der parlamentarischen Tätigkeit und die Information der Öffentlichkeit. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben ist den Fraktionen eine angemessene Ausstattung zu gewährleisten. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung des Landtags oder ein Gesetz.“

Auf Vorschlag der Verfassungskommission, deren Vorsitzender ich war, hat der Landtag in der Sitzung am 5. Oktober 2016 diesen Absatz in die Verfassung aufgenommen. Weder haben die Piraten seinerzeit zugestimmt noch scheint die Bedeutung dieser verfassungsrechtlichen Verankerung im Bewusstsein aller Piraten angekommen zu sein.

Fraktionen sind ein tragendes Element der parlamentarischen Willensbildung, und zwar sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch aus der Sicht der Politikwissenschaft, die von Fraktionsparlamenten spricht.

Zur besonderen Rolle der Fraktionen gehört auch ihr Recht zur Selbstorganisation. Sie erhalten nach dem

Fraktionsgesetz Geldleistungen zur eigenen Bewirtschaftung, und nach dem Abgeordnetengesetz dürfen sie besondere parlamentarische Aufgaben, die Abgeordnete für ihre Fraktion wahrnehmen, vergüten.

Ich komme jetzt zum Antrag der Piraten. Die Piraten berufen sich – Herr Marsching hat das gerade auch getan – in der Begründung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 und leiten daraus die Forderung ab, zukünftig keine Funktionszulagen mehr an Mitglieder des Landtags zu zahlen.

Hier hätte ein Blick auf die Verfahrensbeteiligten und auf das Streitobjekt weitergeholfen. Das Verfahren bezog sich nämlich auf das Thüringer Abgeordnetengesetz, das Zulagen aus Mitteln des Landtagshaushaltes vorsah. Das Bundesverfassungsgericht war hierbei als Ersatz für das noch nicht existente Landesverfassungsgericht tätig. Das Urteil hat mithin weder Bindungskraft für den Bund noch für andere Länder. Diese Rechtsposition wird auch von der Kommission des Deutschen Bundestages vertreten, der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts.

Eine Übertragbarkeit auf NRW ist auch deshalb nicht gegeben, weil es sich im Unterschied zu Thüringen bei uns um Funktionszulagen aus eigenen Mitteln der Fraktionen handelt.

Kommen wir nun zu dem Beschlussvorschlag des Antrags: Die Piraten wollen alle Fraktionen verpflichten, in der Februarsitzung einen gemeinsamen Gesetzentwurf einzubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre mir völlig neu, dass eine Fraktion die anderen Fraktionen verpflichten kann, einen Gesetzentwurf einzubringen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das kann der Landtag, wenn er dem zustimmt!)

Es besteht zwar das Recht der Fraktionen, aber keine Verpflichtung, so etwas zu tun.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Ein solcher Gesetzentwurf hätte auch kaum Aussicht auf Erfolg. Die Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP haben bereits in der Stellungnahme gegenüber dem Landesrechnungshof erklärt, dass sie keinen Ergänzungs- oder Änderungsbedarf sehen – mit einer Ausnahme. Wir sollten in der nächsten Legislaturperiode noch einmal über das Thema „Transparenz und Offenlegung der Zulagen“ sprechen. Am besten tun wir das im Rahmen der Überarbeitung von Fraktions- und Abgeordnetengesetz.

Kurz zusammengefasst: Der Antrag der Piraten ist abzulehnen, weil er erstens die Fraktionsautonomie verletzt, zweitens ein nichtbindendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrunde legt und drittens in seinem Beschlussteil ein zumindest fragwürdiges

Verständnis von den parlamentarischen Abläufen enthüllt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Bovermann. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

(Lachen und Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN]: Großartig! Es gibt nicht einmal mehr eine Wortmeldung!)

Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/14005. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind einige wenige Piraten. Wer lehnt den Antrag ab? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14005 mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und FDP bei Enthaltung der Abgeordneten Schulz und Schwerd und bei Zustimmung der Fraktion der Piraten abgelehnt.

Ich rufe auf:

6 Abschlussbericht

der Enquetekommission zu Finanzierungsoptionen des Öffentlichen Personenverkehrs in Nordrhein-Westfalen im Kontext des gesellschaftlichen und technischen Wandels

(FINÖPV) (Enquetekommission IV)

Abschlussbericht der Enquetekommission IV gemäß § 61 Absatz 3 der Geschäftsordnung Drucksache 16/13950

Zu dem Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/5959 – 2. Neudruck

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/14077

Ich erteile zuerst dem Vorsitzenden der Enquetekommission IV, dem Abgeordneten Herrn Bayer, das Wort zu einer mündlichen Berichterstattung. Herr Kollege Bayer, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Herr Präsident, Sie waren ja auch bei der konstituierenden Sitzung dabei und waren sozusagen Geburtshelfer dieser Enquetekommission.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrtes Fachpublikum! Liebe Fahrgäste in Nordrhein-Westfalen! Ich freue mich, Ihnen heute als Vorsitzender der Enquetekommission „Finanzierungsoptionen des Öffentlichen Personenverkehrs in NordrheinWestfalen im Kontext des gesellschaftlichen und technischen Wandels“ über deren Arbeit und Ergebnisse berichten zu dürfen.

Sie konnten im Vorfeld der Plenardebatte bereits lesen, dass wir den Tarifdschungel lichten wollen und dass wir die Sanierung uralter Stadtbahnsysteme getrennt von sonstigen Finanzierungsfragen angehen müssen.

Aber diese Enquetekommission hat weit mehr erarbeitet, analysiert und zusammengetragen. Viele der Probleme des Nahverkehrs kannten wir natürlich bereits vorher. Wir kannten auch die ganzen Aufgaben, die Busse und Bahnen in NRW leisten sollen. Dazwischen klafft eine riesige Lücke, die mit allen vorhandenen Ressourcen nicht zu füllen ist. Dabei ist der öffentliche Personenverkehr unverzichtbar. Er gehört zum Gesamtverkehrssystem und zur Daseinsvorsorge.

Ein attraktiver ÖPNV ist auch ein Standortvorteil – ein Vorteil, den beispielsweise das Silicon Valley nicht hat. Dort versuchen ansässige Firmen mit riesigem Aufwand, den fehlenden ÖPNV irgendwie zu kompensieren.

Nebenbei sollen Busse und Bahnen eine ganze Reihe politischer Ziele erfüllen. Das sind zum Beispiel Klima- und Umweltschutz und der Schutz der Gesundheit durch weniger Luftbelastung. Busse und Bahnen sollen für lebenswerte Städte durch gute Erreichbarkeit und weniger zugeparkte Lebensräume sorgen. Sie sollen die Mobilität der Menschen und die Vernetzung von immer mehr Orten des Lebensalltags stärken und schlussendlich soziale Gerechtigkeit gewährleisten.

Gleichzeitig kommt nach Jahrzehnten einer eher gemächlichen Entwicklung nun durch vielfältige gesetzliche, gesellschaftliche und technische Veränderungen sowie neue Marktteilnehmer extrem viel Bewegung ins Spiel. Es wird auf jeden Fall Veränderungen in der Verkehrspolitik geben. Die Frage ist nur: Welche? Wer nimmt auf die Entwicklung Einfluss? Welche Rolle spielen dabei der ÖPNV oder die eben genannten Ziele? Denn den politischen und gesellschaftlichen Zielen und Herausforderungen steht das fortdauernde Problem der nicht ausreichenden Finanzierung des ÖPNV gegenüber.