Protocol of the Session on November 30, 2016

Aber so etwas muss sich auch im Haushalt widerspiegeln. Ja, generelle Schwerpunkte und Prioritäten will ich auch im Haushalt sehen, und zwar nicht nur als Placebo. Und wenn Rot-Grün ein Gesetz durchbringt, dann will ich auch, dass es funktioniert und nicht am Geld scheitert.

Ein Beispiel ist die „Wohnungspolizei“, das Wohnungsaufsichtsgesetz, das ohne Landesmittel nicht funktioniert. Es bleibt zahnlos.

(Jochen Ott [SPD]: Quatsch! Ist doch Quatsch!)

Diese „Wohnungspolizei“ reduziert sich in der Praxis, Herr Ott,

(Ibrahim Yetim [SPD]: Dann fahr mal nach Duisburg!)

auf einzelne spektakuläre Aktionen, wenn sowieso an den Rand gedrängte Menschen aus ihren Häusern vertrieben werden. Von einer Lösung des Problems der Raubrittermentalität einzelner Immobilienbesitzer kann da überhaupt keine Rede sein.

Aus anderen Ländern und Städten wissen wir – und zwar spätestens, seit wir eine Anhörung zu diesem Gesetz durchgeführt haben –, dass Planstellen geschaffen werden müssen. In Frankfurt am Main waren es zum Beispiel sechs. Wie sollen NRWKommunen alleine diese Kosten stemmen? Wir werden einen Haushaltsänderungsantrag dazu stellen.

Die Mietpreisbremse verfehlt ihr Ziel,

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

weil Geld unter anderem für hochwertige Mietspiegel fehlt. Es ist klar: Die Mietpreisbremse ist derzeit kontraproduktiv; das muss man festhalten. Nun soll auch hier nachgebessert werden. Das ist gut, aber Mieterverbände und auch wir Piraten sagen das schon von Anfang an.

Überall – und das ist klar bei diesem Gesetz – beim Bauen müsste es mehr Personal geben, um die Ziele von Rot-Grün auch wirklich umzusetzen und auch, um bürokratisch bedingte Verzögerungen beim Wohnungsbau und damit gestiegene Kosten aufzulösen.

Ja, Frau Philipp, die Landesbauordnung mag für Sie nicht haushaltsrelevant sein, aber zumindest einiges daraus muss durch zusätzliches Personal flankiert werden. Das wird weiterhin meist den Kommunen überlassen, die nicht alles alleine umsetzen können, was sich das Land hier vermeintlich kostenneutral ausdenkt.

In Zeiten geringer Zinsen sollte sinnvoll in preiswertes Wohnen investiert werden. Aber wo finde ich die Unterstützung der draußen breit diskutierten neuen Gemeinnützigkeit? Wo begegne ich der Renaissance der Wohnungsgemeinnützigkeit, die Herr Ellerbrock eben zitiert hat? Wo ist denn die Förderung infrastrukturell benachteiligter Räume? Wo ist das Programm zur Erhaltung und Entwicklung ländlicher Regionen?

Der SPD, die ich vor allem anspreche, fehlt der Mut, die Dinge wirklich zu ändern. Lieber klammert man sich an traditionelle, aber leider auch traditionell wirkungslose Rezepte.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich habe von Ihnen bis jetzt ganz viele gehört!)

Das kommt jetzt.

(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Gibt es Hoffnung für die SPD? Ja, vielleicht irgendwann. Sie keimt bei den Jusos, und sie hat etwas mit Alkohol und einer ungewollten Vermischung von Politik und Realität zu tun.

Sie kennen das: Sie haben ein bisschen zu viel getrunken und – schwups! – befinden Sie sich 500 km entfernt auf einem Bundeskongress der Jusos. Einer jungen Mainzerin ist genau das passiert. Nach einer Party am Donnerstag wartete die Studentin nachts um 3:45 Uhr am Mainzer Hauptbahnhof auf die Straßenbahn. Ziel: das Bett zu Hause in Mainz. Noch vor der Straßenbahn kam aber ein Reisebus der Jusos aus dem Saarland auf der Weiterfahrt nach Dresden zum Juso-Bundeskongress.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Was haben die Jusos damit zu tun? – Gegenruf von Michele Mar- sching [PIRATEN]: Geduld ist auch eine Tu- gend!)

Die Mainzerin stieg ein, schlief auf einem der Sitze ein und bemerkte ihren Irrtum dann irgendwo bei Erfurt.

„Man muss die jungen Leute da abholen, wo sie sind: besoffen auf dem Mainzer Busbahnhof“, war der erste Kommentar, der auf der Facebook-Seite der Jusos gepostet wurde, und es folgte der Vorschlag: Beitrittsformular rausholen und als Gast akkreditieren. – Antwort: Bin dran.

(Jochen Ott [SPD]: Soll das lustig sein?)

Schanghaien nennt man das, glaube ich.

(Jochen Ott [SPD]: Ganz hohes Potenzial heute!)

Und der Skandal, die Pointe, Herr Ott, ist nicht, dass man anscheinend den jungen Leuten nicht mal mehr betrunken einen Juso-Mitgliedsantrag andrehen kann. Die Story ist, dass es am Mainzer Hauptbahnhof anscheinend Sinn macht, werktags mitten in der Nacht um viertel vor vier auf eine Straßenbahn zu warten.

Oberhausen ist etwas größer als Mainz. Dort warten Sie aber zeitgleich vergeblich, Herr Groschek, wie auch irgendwo anders in NRW.

(Jochen Ott [SPD]: Da gehen die Leute um elf ins Bett, oder, Mike?)

Dabei wäre der Bedarf da.

Übrigens, die Jusos bedauern auf Facebook auch, dass man die betrunkene Studentin in den Medien mehr beachtet als das schöne Antragsbuch. Ich beachte es aber. Ich habe es gelesen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Jetzt noch mal zur Geschichte zurück! – Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wollen Sie wissen, wie es weitergeht?)

Im Antrag A1 – das gehört mit zur Geschichte – heißt es:

Wir wollen den ÖPNV massiv ausbauen. Wir brauchen mehr Anbindungen und häufigere Fahrzeiten – zur Entlastung der Städte, insbesondere aber in ländlichen Regionen. Wir wollen überall kostengünstigen und in Zukunft auch fahrscheinlosen Nahverkehr durchsetzen.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Wollen Sie SPD- Mitglied werden?)

Ja, höchstens Juso-Mitglied, aber dafür bin ich zu alt.

Antrag O1 führt dann aus, dass die Mobilität der Zukunft politisch forciert werden soll und dass ein aktives Umdenken einsetzen muss. Die Entscheidungsfaktoren für Mobilität, Zeit- und Kostenaufwand könne der Staat beeinflussen mit einem Ausbau des ÖPNV, Fahrradstraßen, Car- und Bikesharing.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Negative Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs wie Luftverschmutzung, Lärm und Flächenverbrauch müssten drastisch reduziert werden mit Temporeduktion, Umweltzonen, Mautbereichen und Parkraumbewirtschaftung. Ich ergänze an dieser Stelle: Eine solche neue Priorisierung und eine Aufholjagd der zum Auto alternativen Verkehrsmittel müssen sich auch im Haushalt widerspiegeln; denn sonst hecheln Sie nur hinterher, ebenso dieser Einzelplan 09.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Minister Groschek stellt beim Güterschienenverkehr gerne fest: Alle wollten Güter auf die Schiene bringen, aber niemand hat es getan, weil die Straße immer Priorität hatte.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Lieber be- trunken in Mainz an der Bushaltestelle war- ten!)

Ich weiß nicht, ob Herr Groschek in Mainz betrunken an der Bushaltestelle … Aber mein Appell ist: Dann kultivieren Sie diese historischen Fehler doch nicht auch noch! Setzen Sie die Versäumnisse vergangener Jahrzehnte doch nicht noch fort! Wollen Sie wirklich, dass wir in ein oder zwei Jahrzehnten auch über Versäumnisse der Vergangenheit in 2017 sprechen müssen, über vertane Chancen, ein verlorenes Jahrzehnt, in dem man hätte umsteuern können, wo aber nur mit markigen Worten gearbeitet wurde, nicht mit markigen Taten?

Apropos „markige Worte“: Sie haben ja das Jahrzehnt der Baustellen ausgerufen. Ich sage dazu: Das sind die falschen Baustellen. Ja, die Verkehrspolitik

in NRW ist auch so eine ewige Baustelle, auf der nie jemand arbeitet, die aber für lange Staus sorgt. Denn die Landesregierung will hier nicht investieren. Wohnen und Infrastruktur sind keine Schwerpunkte bei Frau Kraft.

Der Einzelplan 09 des Bau- und Verkehrsministeriums liegt – das stelle ich fest – bei den Einnahmen an zweiter Stelle aller Ministerien; das heißt: Viele Mittel kommen vom Bund. Bei den Ausgaben allerdings liegt Groscheks Ministerium an siebter Stelle – an letzter Stelle aller Ministerien, die stark investieren und nicht nur steuern müssen, an allerletzter Stelle! Und das merkt man.

(Beifall von den PIRATEN)

Man merkt, dass der Landesregierung Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr eben nicht wichtig sind.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist einfach Quatsch! – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Das ist einfach so. Man kann zwar schön dagegen reden, aber ich will das auch im Haushalt sehen. Andere Minister stellen sich hin und sagen: Unser Haushalt wurde wieder erhöht. Herr Minister Groschek kann das nur behaupten, wenn wieder mehr Mittel vom Bund kommen. Man merkt, dass das Ministerium hier tote Pferde reitet und keine neuen Prioritäten setzen will, von einem Paradigmenwechsel ganz zu schweigen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Placebos lasse ich einmal außen vor. Klar, Minister Dobrindt im Bund ist auch ein ewig Gestriger, aber das darf kein Vorbild sein. Bei Radschnellwegen ist der NRW-Haushalt tatsächlich eine nicht ganz so große Luftnummer wie der Bundeshaushalt, der hier nicht vorhandene 25 Millionen € als Durchbruch feiert. Da wundere ich mich über Herrn Klockes positive Worte. Aber ansonsten: Auch NRW investiert nur einige wenige Planungskosten in Radschnellwege. Das sind weder Riesenschritte noch klare Kante, Herr Klocke. Von einem Programm für ein Radschnellwegenetz oder gar von einem Aufbruch in niederländische oder Kopenhagener Verhältnisse darf man hier nicht sprechen.