Protocol of the Session on July 8, 2016

„des Brexit [sitzen] nicht in Deutschland, … Sie leben in Großbritannien. Europa kann, wirtschaftlich betrachtet, gelassen bleiben.“

Herr Lindner, Sie haben vorhin Bezug auf der Sozialdemokratie nahestehende Wirtschaftsforschungsinstitute genommen, die dieses und jenes gesagt hätten. Heute lautete in der „NRZ“ die Überschrift zu einem Interview mit RWI-Präsident Schmidt – den Sie wahrscheinlich nicht als Vorfeldinstitut der Sozialdemokratie bezeichnen würden –:

„Ich rate zur Besonnenheit“

Nichts anderes haben wir auch in den letzten Tagen zum Ausdruck gebracht.

(Zuruf von der FDP)

Nein, das heißt nicht, flapsig zu sein, das heißt nicht, zu schlafen, sondern das heißt, entlang dieser gerade von mir ganz konkret genannten Punkte zu agieren, Kontakte zu halten und Gespräche zu führen. Nichts wird von heute auf morgen geschehen. Vodafone wird möglicherweise am Ende diese Entscheidung treffen. Das wird aber nicht in 14 Tagen, sondern zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt der Fall sein. Das gilt auch für andere Unternehmen. Deswegen muss man sich da nicht verrückt machen, sondern man muss jetzt mit ihnen ins Gespräch kommen.

Herr Laschet, abschließend noch ein Wort zu Ihnen – gerade aufgrund unserer Vergangenheit als Europaabgeordneter ist meine Erwartung da eine etwas andere –: Brexit ist meines Erachtens nicht als Bühne für gegenseitige Vorhaltungen geeignet: Wer malt nach dieser Entscheidung das größere Katastrophenbild? Wer ist der noch größere Proeuropäer?

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Vielmehr zeigt unsere Erfahrung als Europa-Abgeordnete eines: Gerade in Deutschland überzeugt man die Bürgerinnen und Bürger insbesondere dadurch, dass man politische Unterschiede deutlich macht, aber eben gemeinsam nicht infrage stellt, was die Grundwerte der Europäischen Union sind. Und da steht das Friedensprojekt an allererster Stelle. Erst danach kommt die wirtschaftliche Zusammenarbeit. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herzlichen

Dank, Herr Minister Duin. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Laschet gemeldet.

Lieber Herr Minister Duin, beim Letzteren stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.

Ich will, da die Debatte dem Ende zugeht und es jetzt auch nicht um einen parteipolitischen Schlagaustausch geht, einige Argumente der Debatte noch einmal aufgreifen, die das Problem, in dem Europa steht, deutlich machen.

Jeder hat seine parteipolitischen Schwerpunkte und seine Lieblingsthemen, nennt sie dann und sagt, Europa scheitere daran. Jetzt kommen gleich aus allen Fraktionen Beispiele. Kollege Neumann hat hier etwas zur Jugendarbeitslosigkeit vorgetragen. Indem man sagt, dieses Europa scheitere, weil es nicht die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Portugal und Griechenland anpacke, tut man so, als könnte Europa das. Das ist genau die Falle, in die man nicht

tappen darf. Es ist nicht die Zuständigkeit von Herrn Juncker, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien zu lösen.

(Beifall von der CDU)

Dieses Beispiel darf man nicht bringen, weil es nicht europäisch ist.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: So wird das nichts!)

Auf der anderen Seite heißt es: Was ist das für ein Europa? Die können nicht einmal die EUAußengrenze schützen. – Das sagen manche in meiner Fraktion mit Blick auf die Flüchtlingskrise. Der Grund ist, dass die Mitgliedstaaten Europa nie das Recht gegeben haben, eine EU-Außengrenze zu schützen. Jetzt sind wir gerade in dem Prozess. Aber jeder sagt das, was ihm national nicht passt, und gibt Europa die Schuld daran.

Ich nenne Ihnen noch ein anderes Beispiel. Der Kollege Paul hat das Freihandelsabkommen mit Kanada angesprochen. Wir haben 40 Freihandelsabkommen mit der Welt gemacht – europäische Abkommen, bei denen europäische Institutionen entscheiden müssen, nämlich Europäischer Rat und Europäisches Parlament.

Indem jetzt jemand sagt, das Thema „Freihandel“ sei so wichtig, dass auch der Bundestag darüber abstimmen müsse, sagt er: Dieser Bundestag ist bürgernäher als das Europäische Parlament. – Diese Grundthese ist aber schon falsch. Das Europäische Parlament ist ein gewähltes Parlament, das genauso bürgernah ist wie der Deutsche Bundestag, der das in 80 % der Fälle auch noch abstimmt.

(Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Jetzt gehen Sie in die Fachfrage. Herr Kollege, man kann darüber streiten, ob es gemischt oder nicht gemischt ist. Aber die Tonlage, dass es, weil der Bundestag es entscheidend, bürgernäher ist, als wenn das Europäische Parlament es entscheidet, ist genau das Ressentiment, mit dem Sie das spiegeln. Das ist das Grundproblem.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dirk Schatz [PIRATEN]: Das ist eine Frage der di- rekten Demokratie!)

Auch der Satz von Frau Kraft „Europa muss sozialer werden“ ist ein Satz, der falsch ist. Was soll „Europa muss sozialer werden“ denn heißen? Dann müssen Sie die Teile der Sozialpolitik nach Europa übertragen und den Mitgliedstaaten wegnehmen. Einfach zu sagen: „Europa muss sozialer werden“, wird der Fragestellung nicht gerecht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Gabriel spricht den europäischen Haushalt an – Kollege Duin weiß das noch – und sagt: 40 % ist Agrarpolitik. Das ist unangemessen. – Warum ist das

denn so? Weil die Agrarpolitik vergemeinschaftet ist. Der große Konsens zwischen Deutschland und Frankreich in der Nachkriegsgeschichte war, dass wir über den großen Binnenmarkt und die Franzosen über ihre Agrarpolitik gewonnen haben. Das war der Konsens. Es gibt nur wenige nationale Gelder für Agrarpolitik. Deshalb sind es 40 %.

Wenn man das aber einfach so in die Luft wirft, 40 % für Agrarpolitik, ohne dass man dies dazu erklärt, sagt jeder Bürger: Sind die eigentlich noch zu retten, 40 % für Agrarpolitik? – Ich glaube, das ist das, was wir lernen müssen. Wir haben politisch unterschiedliche Meinungen. Die muss man dann auch austragen. Aber man darf es dann nicht gegen Europa richten, wenn man glaubt, damit einen Punkt zu machen, egal von welcher Seite des Spektrums man das macht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Engstfeld sprach Schäuble/Gabriel an. Wolfgang Schäuble ist aus meiner Sicht ein wirklich großer Europäer, der mit Blick auf diese Texte – Martin Schulz, ganze Seite „FAZ“: jetzt brauchen wir die europäische Regierung; jetzt brauchen wir einen Konvent; jetzt brauchen wir dieses oder jenes“ –, wissend, dass wir das mit noch 28 Mitgliedsstaaten und demnächst 27 so schnell nicht hinkriegen, gesagt hat: Lass uns lieber jetzt etwas konkret machen, notfalls mit ein paar Ländern, die dann einfach vorangehen, wo wir es beschließen, ohne dass wir direkt die ganze europäische Verfassung und die Institutionen neu aufrollen.

Ich finde, dass das ein legitimer Ansatz ist; denn die Bürger erwarten jetzt, dass in den nächsten Wochen irgendetwas passiert, wo Europa plötzlich noch einmal handlungsfähig ist. Deswegen ist das nicht Renationalisierung.

Die Methode „Intergouvernemental“ halte ich auch auf Dauer für falsch. Wir sollten aber jetzt mit denen, die willig sind, einmal schnell etwas auf die Strecke bringen und nicht auf den letzten Mitgliedstaat und die letzte zweite Kammer warten. Jede Änderung der Europäischen Verträge braucht 28 Parlamente und noch einmal 28 zweite Kammern. Bundesrat; zweite Kammer beim belgischen Parlament; zweite rumänische Kammer. Da sagt Schäuble: Das dauert zu lange. Wir müssen konkret werden. – Was habt ihr? Störe ich?

(Christian Lindner [FDP]: Ich stimme nur zu!)

Ach so, du stimmst zu. – Das ist das, was wir wieder erklären müssen.

Die letzte Bemerkung, Herr Minister Duin: Eben hat jemand gesagt, die ERASMUS-Studenten seien nicht das Problem. Wenn Sie bei der Norwegen-Lösung landen, sind Sie ungefähr da, wo Sie jetzt waren, ohne dass Sie mitreden. Die Norwegen-Lösung heißt nämlich: Binnenmarkt ist da. ERASMUS ist da.

Man zahlt sogar in den europäischen Haushalt ein. Norwegen zahlt in den europäischen Haushalt ein, darf aber bei keiner einzigen Richtlinie mitbestimmen.

Man hat das in Norwegen mal „Fax-Demokratie“ genannt. In Brüssel wird etwas beschlossen. Die schicken ein Fax nach Norwegen, und Norwegen muss das in nationales Gesetz umsetzen. 6.000 Gesetze in Norwegen basieren auf europäischem Recht. – Das ist die Norwegen-Lösung.

Die Schweiz-Lösung ist nicht viel besser.

Wenn Sie Pech haben und Ihr Volk alles das, was Sie jetzt in diesem Referendum gesagt haben, nicht will – nicht, dass Brüssel bestimmt; nicht, dass Sie bezahlen müssen –, dann landen Sie bei der TürkeiLösung. Dann sind Sie assoziiertes Mitglied der EU. Und jedes Mal, wenn Sie irgendwo in die EU reisen wollen, können Sie einen Visa-Antrag stellen. – Das ist der Worst Case.

Insofern muss man die Menschen fragen: Wollt ihr ein Europa, wo es wieder so geht? Oder wollt ihr ein Europa, wie wir es haben, wie wir es auch offensiv verteidigen müssen?

Ich bin sicher, dass wir im Landtag da einen großen Konsens haben.

Wenn wir diese Debatten fortführen, können wir vielleicht manche, die den Populisten auf den Leim gehen, davon abbringen, diese Populisten zu wählen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Michele Marsching [PIRATEN])

Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Der eine oder andere Abgeordnete hat gerade auf die Uhr geguckt, weil dieser Redebeitrag etwas länger war. Das hing aber auch damit zusammen, dass der Minister zwei Minuten länger geredet hat.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich die Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

2 Chancen der Digitalisierung nutzbar machen

und Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen entschieden entgegentreten

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/12359