Protocol of the Session on June 18, 2008

der Landesregierung

Drucksache 14/6933

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs darf ich für die Landesregierung Frau Ministerin Müller-Piepenkötter das Wort geben. Bitte schön, Frau Ministerin.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Den Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung beraten wird, möchte ich unter den Leitgedanken stellen: Wir stärken die Gerichtsstandorte Herne und Gelsenkirchen durch

Zusammenführung der Amtsgerichte und die Einrichtung neuer Justizzentren.

Meine Damen und Herren, die Gerichte in Nordrhein-Westfalen arbeiten trotz dauerhaft hoher Arbeitsbelastung anerkanntermaßen effektiv und mit hoher Qualität. Sie tragen hierdurch auch dazu bei, den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen zu sichern. Das soll auch so bleiben. Aber, meine Damen und Herren, nichts ist so gut, als dass es nicht noch besser werden könnte. Und dies wird mit der Umsetzung dieses Gesetzesvorhabens der Fall sein.

Mit der Zusammenführung der beiden Amtsgerichte und der zeitgleichen Errichtung der Justizzentren in den Städten Herne und Gelsenkirchen führen wir optimierte Gerichtsstrukturen ein. Wir öffnen Synergiepotenziale zur Stärkung der Rechtspflege. Warum, meine Damen und Herren – so frage ich –, kommen Großstädte wie Köln, Dortmund, Düsseldorf und Aachen und weitere 14 kreisfreie Städte in Nordrhein-Westfalen mit einem Amtsgericht aus? Gibt es dort Besonderheiten, die für Herne und Gelsenkirchen nicht gelten? Die klare Antwort lautet nein. Das ist nicht der Fall. Und deshalb handeln wir.

Die Angleichung der Organisationsstruktur jetzt auch in Herne und Gelsenkirchen auf den Weg zu bringen ist gleichzeitig ein Beitrag und ein Impuls für die weitere ambitionierte Stadtentwicklung.

Deshalb wollen wir die Justizbehörden 2011 bzw. 2012 jeweils an einem Standort in Justizzentren zusammenführen. Das bietet Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, weil ihnen eine zentrale Anlaufstelle zur Verfügung steht. Klarheit und Übersichtlichkeit sind hier die bestimmenden Gesichtspunkte. Justizzentren ermöglichen eine Optimierung des Ressourceneinsatzes im allseitigen Interesse.

Ein Beispiel nur: Es liegt doch auf der Hand, dass es mehr Aufwand verursacht, an mehreren Standorten Sicherheitsschleusen, Büchereien und Wachtmeistereien zu betreiben als an einem optimierten neuen Standort.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, die neuen, bürgernahen Justizzentren in Herne und Gelsenkirchen stärken in diesem Sinne aber nicht nur die Gerichtsstandorte, sondern sie können auch in städtebaulicher Hinsicht wichtige Akzente setzen, wie das etwa in Aachen und Wuppertal bereits der Fall ist. Auch die Landeshauptstadt Düsseldorf wird mit dem neuen Justizzentrum am Oberbilker Markt bald ein weiteres markantes Zeichen haben. Gleiches wollen wir auch in und für Herne und Gelsenkirchen.

Die Justizzentren sind Ausdruck einer starken Justiz zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes – ein Ziel, das wir doch alle erreichen wollen.

Deshalb, meine Damen und Herren Abgeordneten, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den Gesetzentwurf der Landesregierung im allseitigen Interesse unterstützen könnten.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächstem Redner darf ich Herrn Kutschaty für die Fraktion der SPD das Wort geben. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, vor 20 Monaten haben Sie uns angekündigt, dass Sie diverse Gerichtsstandorte in Nordrhein-Westfalen schließen wollen. Seit 20 Monaten warten wir auf überzeugende Argumente aus Ihrem Hause, warum dies gemacht werden soll. Diese Argumente sind Sie leider auch heute schuldig geblieben.

In einem Punkt können wir Ihre Aussage unterstützen: Die Gerichte in Nordrhein-Westfalen arbeiten gut und effektiv. Dazu gehören auch die Amtsgerichte in Buer und in Wanne. Aus diesem Grunde sehen wir keinerlei Veranlassung, diese beiden Standorte aufzugeben. Ich denke auch, in Ihrem Hause gibt es im Augenblick andere Probleme zu lösen, als dass Sie uns mit solchen Gesetzgebungsverfahren beschäftigen müssen.

Ich habe zwar Verständnis dafür, dass im Rahmen der Haushaltskonsolidierung Ihr Haus ebenfalls Überlegungen anstellen muss und dass dann auch die Gerichtsstruktur einer kritischen Überprüfung standhalten muss. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Strukturveränderung ist nur dann sinnvoll, wenn sich auch anhand objektiver Kriterien feststellen lässt, dass dadurch tatsächlich Verbesserungen zu erwarten sind. Sie sind gerade im vorliegenden Fall mit Sicherheit nicht zu erwarten.

Eine Verbesserung der Justiz im Sinne von Effizienzsteigerung und Kostenminimierung durch die Streichung zweier Gerichte ist bei einer umfassenden Bewertung aller Einflussfaktoren einfach nicht ersichtlich. Die Kostenersparnis ist nicht glaubhaft.

Auch hier liegen uns nach wie vor keine konkreten Zahlen vor. Vor ein paar Monaten haben Sie in einer Vorlage angegeben, es würden in Herne

Mietmehrkosten in Höhe von 300.000 € anfallen. Davon steht jetzt nichts mehr darin. Die Zahlen, die Sie jetzt nennen, müssen wir daher als willkürlich gegriffen ansehen.

(Beifall von der SPD)

Frau Ministerin, in Ihrer Rede am 24. Januar 2008 sagten Sie zu diesem Thema, die Landesregierung wolle die Bewertung der Justiz gerade nicht auf reine Kostengesichtspunkte reduziert sehen. Das ist gut so. Das unterstützen wir.

Aber dann hören Sie doch bitte auf die Leute, die etwas davon verstehen. Haben Sie sich zu der Frage einmal mit dem Deutschen Richterbund zusammengesetzt?

(Zuruf von Ministerin Roswitha Müller- Piepenkötter)

Ja, fragen Sie einmal den Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen. Vielen Dank für den Hinweis. Kennen Sie den Ratsbeschluss der Stadt Gelsenkirchen vom 14. Juni 2007? Die Stadt Gelsenkirchen hat sich eindeutig gegen die Schließung des Amtsgerichtsstandorts GelsenkirchenBuer ausgesprochen.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie Politik für die Kommunen machen wollen, dann hören Sie mal auf die Kommunen, und machen Sie keine Politik gegen sie. Aber da setzt sich die Politik der Landesregierung konsequent fort. Das kann man so sehen.

(Beifall von der SPD)

Nächster Punkt: Kienbaum-Gutachten. Kennen Sie das Kienbaum-Gutachten von 1992? Es ist zwar ein bisschen alt, aber es ist trotzdem angesagt, was die Struktur der Amtsgerichte anbelangt.

Dort ist nämlich festgehalten worden, dass kleinere Amtsgerichte oft durchaus besser funktionieren können als größere. Die Erledigungszahlen pro Richter sind besser, und die Erledigungszeiten sind kürzer. Die Identifikation der Mitarbeiter und ihre Motivation sind deutlich höher. Es kann nämlich kein Mitarbeiter untertauchen. Man kennt sich in der Behörde. Größere Behörden benötigen zusätzliche Zwischenführungsebenen, um solche Ebenen steuern zu können. Deshalb sind kleinere Gerichte durchaus nicht nur bürgerfreundlich, sondern auch gut organisiert.

Jetzt kommt das Argument – das kam von Ihnen, und ich schätze, die Kollegen von CDU und FDP werden es auch wieder bringen – : Köln, eine Millionenstadt, hat auch nur ein Amtsgericht. Schau

en Sie sich doch einmal diesen Rechtsprechungsbunker in der Luxemburger Straße an. Meinen Sie, das ist im Sinne einer effektiven und sinnvollen bürgernahen Justiz? Heißt das denn, dass ein einzelner Standort für ein großes Gericht gut sein muss? Ist es ein Vorbild für Sie, solche Gerichtsgebäude zu haben?

Ich glaube, der Trend geht im Augenblick in eine ganz andere Richtung, Frau Ministerin. Beispiel Hansestadt Hamburg: Hamburg hat in den letzten Jahren zwei neue Amtsgerichte geschaffen. Die Stadt Hamburg hat jetzt acht Amtsgerichte. Sie hat in den Jahren 2002 und 2003 zwei neue Amtsgerichte geschaffen.

Warum? – Sie haben gerade gesehen, dass kleinere Behörden besser zu organisieren sind, effektiver arbeiten können und dass auch die Richter durch mehr Milieunähe natürlich einen besseren Praxisbezug haben, sodass Rechtsfragen sach- und zielgerechter gelöst werden können.

Wir halten es also aus fachlicher Sicht nach wie vor für äußerst fragwürdig, ja sogar für kontraproduktiv, Gerichtsstandorte aufzugeben.

Aber es gibt einen weiteren Punkt. Der hat auch etwas mit Stadtteilpolitik, Stadtteilmanagement und Politik vor Ort zu tun. Sie nehmen den Leuten in Gelsenkirchen und in Wanne-Eickel tatsächlich Punkte, die für sie Eigenständigkeit und Identifikation bedeuten. Das führt zu schwerwiegenden Einbußen, zum Beispiel in der Infrastruktur vor Ort. Das ist ein ganz deutliches negatives Zeichen, das Sie in der Kommune setzen.

Deswegen kann ich hier nur noch einmal an Sie appellieren: Stoppen Sie Ihr unsinniges Gesetzgebungsverfahren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kutschaty. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Giebels.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht die Landesregierung aus unserer Sicht einen weiteren sinnvollen Schritt in der Verwaltungsmodernisierung. Hier und heute geht es um die Struktur der Amtsgerichte. Wir wollen einen Schritt gehen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, den Sie im Zuge der Gebietsreform 1975 unterlassen haben. Das ist mehr als dreißig Jahre her. Sie hatten dreißig Jahre lang Zeit, nach der Gebietsreform

auch die Bezirke der Amtsgerichte neu zu ordnen. Das haben Sie nicht getan.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Wir haben in Nordrhein-Westfalen 130 Amtsgerichte, und – so ist nun einmal die Praxis, die Sie nicht leugnen können – bei mehreren Amtsgerichten in einer Stadt durchschneiden sich die Grenzen der Amtsgerichtsbezirke oftmals bei Straßen. Man muss erst umständlich anhand der Hausnummer in einer Straße feststellen, ob vielleicht das eine oder vielleicht doch das andere Amtsgericht zuständig ist. Das ist umständlich, teilweise verwirrend, bürgerfreundlich ist es jedenfalls nicht.

Die Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen haben unterschiedlich große Bezirke. Kollege Kutschaty hat das Beispiel Köln angesprochen. Ich will es gerne noch einmal bringen: Köln hat 500 Quadratkilometer Siedlungsfläche und 1 Million Einwohner. Damit ist Köln von der Fläche her zehnmal so groß wie Herne und hat sechsmal so viele Einwohner. Und es soll nicht funktionieren, dass man nur ein Amtsgericht hat?

(Thomas Kutschaty [SPD]: Was ist denn da besser als in Herne?)

Sie können uns doch wirklich nicht erzählen, dass Sie das aus fachlicher Sicht ablehnen. In Köln funktioniert es mit nur einem Amtsgericht. Für die Kölner Bürgerinnen und Bürger und Rechtssuchenden ist es überhaupt kein Problem das es „nur“ ein Amtsgericht gibt. In Gelsenkirchen haben wir 105 Quadratkilometer Siedlungsfläche mit 250.000 Einwohnern und bisher zwei Amtsgerichte. Dort wird es auch mit einem Amtsgericht funktionieren.

Jede kreisfreie Stadt wird weiterhin ein Amtsgericht haben. Das ist die wichtige Botschaft. Damit wird es zukünftig für alle Rechtssuchenden und Prozessbeteiligten Amtsgerichte in zumutbarer Entfernung geben. Die nordrhein-westfälische Justiz – auch das ist wichtig – zieht sich nicht aus der Fläche zurück.

Es werden nicht einfach Gerichte geschlossen. Nein, die Zusammenlegung von Amtsgerichten geht einher mit der Schaffung von Justizzentren in den jeweiligen Städten. So konkret auch in Gelsenkirchen und Herne. Dies ist nicht nur gut für die Justiz, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger.

Das Beispiel Justizzentrum Aachen, das wir alle aus dem Rechtsausschuss kennen, belegt doch eindeutig, welchen Fortschritt das für den jeweiligen Standort gebracht hat oder bringen wird.