Protocol of the Session on September 14, 2005

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind aber die Sonntagsreden, die schönen Sätze, die man auf Papiere schreibt. Jetzt, nach 100 Tagen Regieren, wo es um die Taten geht - da wird es langsam Zeit - und nicht um die schönen Worte, wollen Sie von all dem nichts mehr wissen. Jetzt soll eben doch der Geldbeutel der Eltern mit darüber entscheiden, ob jemand bei uns in Nordrhein-Westfalen studieren kann oder nicht. Jetzt sollen die BAföG-Empfänger doch ein Studienentgelt entrichten.

Ich sage Ihnen, lieber Herr Pinkwart, und anderen aus der FDP wie auch Herrn Stahl, ganz klar: Egal, wie viele Schnörkel Sie um diese klare Tatsache herum malen - Sie können nicht davon ablenken, dass Sie anders handeln, als Sie reden. Sie machen den Menschen etwas vor.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie sind nicht verlässlich. Da fällt mir ein altes Sprichwort von Ihrem Vor-Vor-Vorgänger Johannes Rau ein, der gesagt hat: Gebrochene Versprechen sind gesprochene Verbrechen. Ich finde, das passt in diese Debatte genau. Deswegen ist Ihnen die Debatte so peinlich. Deswegen müssen Sie diese Klatschorgien veranstalten, wie Sie es gerade gemacht haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn ich Ihre Ausreden höre, lieber Herr Pinkwart, dann stelle ich fest, dass Sie ein für einen FDP-Politiker durchaus überraschendes Maß an Phantasie und Kreativität zeigen,

(Heiterkeit von der FDP)

übrigens auch an Bürokratie. Liebe Leute, wie soll das denn funktionieren? Sie wollen einerseits entbürokratisieren, andererseits wollen Sie, dass es an jeder Hochschule anders sein soll. Sie wollen eine Geld-zurück-Garantie abgeben. Wie soll die denn in praktisches Verwaltungshandeln umgesetzt werden? Ich sehe schon die nächste Stellenforderung auf den Finanzminister zukommen, um dafür das Personal an die Hochschulen zu bringen, das dann eben nicht lehrt, sondern verwaltet. Das kann es wirklich nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Komplizierter - Herr Stahl, Sie haben von hoch kompliziert gesprochen - geht es wirklich nicht, als wie Sie diese Ausnahmen gestalten wollen.

Lieber Herr Pinkwart, ich stelle mir gelegentlich vor, wie Sie reagiert hätten, wenn wir uns eine Zeit so freigesprochen hätten. So wörtlich - so haben Sie in einer Pressekonferenz formuliert - dürfe man die Aussage des Koalitionsvertrages doch nicht nehmen. Das seien doch nur „politische“ Vereinbarungen.

Ja, meine Damen und Herren, was denn eigentlich anderes als politische Vereinbarungen? Müssen die dann nicht eingehalten werden?

(Beifall von den GRÜNEN)

Natürlich wissen wir alle - wir in der Opposition etwas genauer als Sie in der Regierung -, dass es viele Passagen in Ihrem Koalitionsvertrag gibt, die man aus Gründen mangelnder Gerechtigkeit lieber nicht umsetzen sollte. Darüber werden wir in den kommenden Monaten viel zu reden, zu debattieren und auch zu streiten haben. Aber hier, bei den Studiengebühren, gilt die alte Lebensweisheit: Ein blindes Huhn findet auch einmal ein Korn.

(Zurufe von der FDP)

Ausgerechnet an dieser Stelle, wo Sie im Koalitionsvertrag und auch in der Regierungserklärung richtig lagen, ausgerechnet da weichen Sie hinterher davon ab. Hätten Sie das doch lieber bei der Windkraft oder bei der Wohnungsbauförderung gemacht. Da wäre es sinnvoll gewesen, von Ihrem Koalitionsvertrag abzuweichen, aber nicht hier.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn Sie, Herr Stahl, vom Studienkontenmodell immer als einem sozialistischen Gesetz sprechen: Das Studienkontenmodell, das wir eingeführt haben, das mittlerweile bundesweit als vorbildlich

gilt, ist auch in Rheinland-Pfalz von der dortigen Landesregierung umgesetzt worden.

(Edgar Moron [SPD]: In Rheinland-Pfalz mit der FDP beschlossen!)

Wer regiert da mit? Die FDP regiert da mit und lobt es in höchsten Tönen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Hier treten Sie das Modell in die Tonne. Das ist doch alles nicht glaubwürdig, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Edgar Moron [SPD])

Sie haben eben gefragt, ob wir wüssten, was es kostet, nur ein Semester länger zu studieren, Herr Pinkwart. Natürlich wissen wir das. Deswegen haben wir das Studienkontenmodell eingeführt. Nach der anderthalbfachen Regelstudienzeit gibt es Studienkonten. Deswegen wäre es konsequent, wenn Sie sich diesem Modell anschließen würden.

Ich erinnere mich sehr gut daran, dass Sie, lieber Herr Rüttgers, draußen bei den Studierenden gegen uns, gegen die alte Landesregierung demonstriert haben, als wir unser Studienkontenmodell gegen Kritik und Widerstände eingeführt und durchgesetzt haben.

Wer sein Studienkonto überzieht, muss einen Teil der dadurch entstehenden gesellschaftlichen Kosten tragen. Das ist die Grundphilosophie dieses Studienkontenmodells. Da soll mir irgendjemand einmal erläutern, was daran falsch ist. Aber dagegen haben Sie damals protestiert, demonstriert und intrigiert. Später setzen Sie dann noch einen darauf und führen Studiengebühren nicht erst nach der anderthalbfachen Regelstudienzeit ein, sondern gleich von Beginn des Studiums an. Das ist einfach unglaubwürdig.

(Beifall von GRÜNEN und SPD - Zuruf von der CDU)

Da lobe ich mir - das fällt mir auch nicht ganz leicht - wirklich die FDP. Sie ist da ganz konsequent. Sie hat nämlich in der vorigen Legislaturperiode einen kernigen Antrag zu diesem Thema eingebracht, aus dem ich gern einige Kernsätze zitieren will. Ich empfehle allen Journalisten, sich einmal die Drucksache 13/2659 vorzunehmen. Darin steht alles, was ich jetzt zitiere.

„Der Landtag fordert die Landesregierung … auf, von der Erhebung von Studiengebühren an nordrhein-westfälischen Hochschulen in Höhe von 50 bis 500 und mehr Euro“

- das war damals noch in der Diskussion -

„pro Semester … abzusehen. Vielmehr wird die Landesregierung aufgefordert, auch weiterhin ein gebührenfreies Erststudium in angemessener Zeit zu gewährleisten.“

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Aha! - Gisela Walsken [SPD]: Sehr interessant!)

Das ist der O-Ton der FDP, nicht der Grünen und nicht der SPD.

(Lachen von SPD und GRÜNEN - Christian Lindner [FDP]: Weiterentwicklung!)

- Sie haben sich „weiterentwickelt“. Wunderbar, Herr Lindner! Auch Ihr Name steht unter dem Antrag. Sie haben ihn mit geschrieben und unterzeichnet.

(Zurufe von der SPD und von Christian Lind- ner [FDP])

- Wissen Sie, Herr Lindner, wir hatten ja manche Schwierigkeiten in unserer Koalition. Aber es hat sich selten jemand in einer Koalition so schnell „weiterentwickelt“ wie Sie!

(Heiterkeit von GRÜNEN und SPD und - Zu- ruf von der SPD: Turbo-Lindner! - Weitere Zurufe)

Weiter geht es in diesem Antrag:

„Unser Land braucht künftig deutlich mehr Akademiker. … In dieser Situation setzen undifferenzierte Studiengebühren ein völlig falsches Signal. Zusatzgebühren, in welcher Form und unter welchem Etikett auch immer,“

- ich ergänze: auch unter dem Etikett „FDP/CDU“ -

(Lachen von den GRÜNEN)

„entfalten kaum einen ausbildungsbeschleunigenden Anreiz, sondern werden in der Tendenz durch die Vergrößerung der finanziellen Belastung die Studienzeiten eher noch weiter verlängern“.

Meine Damen und Herren, über die verschraubte Sprache kann man streiten,

(Heiterkeit von der SPD)

aber der Inhalt ist richtig. Und er bleibt richtig. Deswegen sollten Sie bei diesem Inhalt bleiben. Ich finde es peinlich, dass Sie sich heute nicht mehr dazu stellen, meine Damen und Herren von der FDP.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Weil es so schön ist und weil es der FDP so weh tut, gleich noch ein Satz!

(Lachen von der SPD - Dr. Gerhard Papke [FDP]: Oh! - Gisela Walsken [SPD]: Ja, ja, was geht mich mein Geschwätz von gestern an?)