Protocol of the Session on January 24, 2007

Herr Ministerpräsident, Sie lassen die Sachpolitik links liegen, lassen Ihre Ministerinnen und Minister machen, was sie wollen. Zum Beispiel Innenminister Wolf: Dieser Minister „Gnadenlos“ handelt nach dem Motto: Weil wir abschieben dürfen, schieben wir auch ab – gegen das einstimmige Votum aller Fraktionen dieses Hauses im Petitionsausschuss. Zutiefst unmenschlich nimmt er so bewusst in Kauf, dass die durch jahrelange sexuelle Misshandlung der Kinder durch den Vater schwer traumatisierte, hier integrierte Familie Rustemi nach Serbien abgeschoben wurde. Wie Sie alle wissen, ist die Familie dort an Leib und Leben bedroht.

Herr Ministerpräsident, wie halten Sie es als Christdemokrat, der sich in der Tradition eines Karl Arnold und eines Johannes Rau wähnt, mit diesem Minister „Gnadenlos“ eigentlich aus? Herr Dr. Rüttgers, wenn Sie deren Anspruch, dass Nordrhein-Westfalen das soziale Gewissen Deutschlands ist, gerecht werden wollen, dann sorgen Sie dafür, dass Frau Rustemi und ihre Kinder hierher zurückkommen können.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die inhumane Flüchtlingspolitik zeigt sich auch im Landeshaushalt. Im Haushalt 2007 kürzt die Regierung die soziale Betreuung in Abschiebehaft. Schwarz-Gelb geht es nur darum, Flüchtlinge möglichst schnell loszuwerden. Es gab namhafte liberale Innenminister. Herr Wolf wird niemals dazugehören. Das Jahr 2006 war kein gutes Jahr für die Flüchtlinge, und das Jahr 2006 war auch kein gutes Jahr für die Bürgerrechte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich frage mich, während ich das so beobachte, ob Westerwelle womöglich das gemeint hat, als er versprochen hat: Der Ingo Wolf, der wird mal Kult.

Meine Damen und Herren, ignorant und zukunftsfeindlich ist die Landesregierung auch bei ihrer Klimapolitik. Abschmelzende Gletscher, immer heftigere Stürme, blühende Kirschbäume im Januar, heute kann es niemand mehr leugnen: Die Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels sind überall und ständig sichtbar.

Der frühere Chefökonom der Weltbank, Sir Nicholas Stern, hat vor wenigen Wochen die ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels in einem Bericht an die britische Regierung mit den Folgen – das muss man sich klarmachen! – der Weltwirtschaftskrise und zweier Weltkriege im 20. Jahrhundert verglichen.

Stern geht davon aus, dass wir zukünftig 20 % oder mehr des weltweiten Bruttoinlandsprodukts für die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels aufbringen müssen, wenn wir so weitermachen wie bisher und nicht endlich konsequent handeln. Um die dramatischen Folgen zu verringern, bedarf es laut Stern einer Stabilisierung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre, was letzten Endes eine Reduzierung der jährlichen Emissionen der Industriestaaten um über 80 % des derzeitigen Niveaus bedeutet.

All das ist für diese Landesregierung kein Thema. CDU und FDP haben den Klimaschutz sogar offiziell beendet. Das Klimaschutzkonzept wird nicht fortgeschrieben. Nahezu alle Konzepte und Programme des Landes, die dazu beitragen, CO2

Emissionen zu reduzieren, werden von SchwarzGelb demontiert. Das ist das Falscheste, was man im Moment tun kann.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es ist erschreckend, dass die Landesregierung des Bundeslandes, in dem die schmutzigsten Kohlekraftwerke Europas stehen, nicht handelt. Mehr noch: Jenseits aller Sonntagsreden betätigt sich Schwarz-Gelb auf Bundes- und EU-Ebene als Bremser und Verhinderer in Sachen Klimaschutz. Das ist keine zukunftsfähige ökologische Politik, und das zeugt auch – laut Stern müsste das jeder wissen – von wirtschaftspolitischer Inkompetenz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Rüttgers, das erinnert mich an ein Motiv und ein Muster von früher: Nachdem Sie und Ihre Partei den Klimawandel jahrezehntelang als grüne Katastrophenschwarzmalerei abgetan haben,

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Ich aber nicht!)

handeln Sie jetzt, wo er offenkundig ist, nach dem Motto: Weiter so, man kann ja sowieso nichts machen. – Das ist eine fatale Situation.

Doch, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann etwas machen. Deswegen haben wir Ihnen heute einen Antrag auf den Tisch gelegt, der, wie wir das für erforderlich halten, Sofortprogramme auf den Weg bringt, die den Landesbetrieb Forst in den Stand setzen, die verheerenden, katastrophalen Folgen des Sturms Kyrill in Angriff zu nehmen, Soforthilfe zu leisten, damit vor Ort geholfen werden kann. Wie wichtig der Wald im Zusammenhang mit dem Klimaschutz ist, brauche ich Ihnen hoffentlich nicht zu erzählen.

Ich hoffe, dass Sie diesen Anträgen zustimmen, damit die zuständigen Ministerien, die Gremien, die Behörden arbeiten können, weil Unternehmen, Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer ganz massiv existenziell bedroht sind. Es wäre ein wichtiges Signal, dass wir das ernst nehmen und daran etwas tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Absoluter Spitzenreiter in Sachen Ignoranz und Inkompetenz ist natürlich die FDP. Am 16. November, zweieinhalb Wochen nach der Veröffentlichung des Stern-Berichts – „Spiegel“-Zitat: „Der Tag, an dem sich das Klima veränderte“ –, sagte hier im Plenum Herr Ellerbrock als umweltpoliti

scher Sprecher der FDP: Es gibt kein Grundrecht auf ein konstantes Klima.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das ist wahr!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wissen Sie, worauf es ein Grundrecht gibt? Ich zitiere: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ – Deutsches Grundgesetz.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Jawohl!)

„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Und – Originalzitat aus dem deutschen Grundgesetz –:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Meine Damen und Herren, wer behauptet, dass es kein Grundrecht auf ein konstantes Klima gibt, der hat nichts, aber auch gar nichts verstanden von den Herausforderungen, vor denen auch Nordrhein-Westfalen aufgrund des Klimawandels steht,

(Beifall von den GRÜNEN)

der hat gar nichts, aber auch gar nichts verstanden von der globalen Verantwortung, die gerade ein industriegeprägtes Land wie NordrheinWestfalen hat, der hat nichts verstanden von den katastrophalen Folgen, die eine unverminderte Verschwendung von Energie, die eine unverminderte Emission von CO2, die eine unverminderte Verstärkung des Klimawandels zur Folge haben wird: für die Wirtschaft, für die Menschen und für diesen wunderbaren Planeten.

Wer all das nicht verstanden hat und das auch nicht lernen will, der hat aus unserer Sicht in einer Landesregierung nichts zu suchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, was könnte denn eine Landesregierung für das Klima tun? Sie könnte zum Beispiel den ÖPNV fördern, statt immer neue Straßen zu bauen, zum Beispiel die Schiene fördern, statt Monstertrucks auf die Autobahn zu lassen, zum Beispiel Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien forcieren, statt auf ineffiziente energieverschwendende Großkraftwerke zu setzen.

Apropos ÖPNV: Ich bin schon gespannt, wie die Landesregierung erklären will, wenn in Innenstädten wegen Feinstaubbelastungen Fahrverbote ausgesprochen werden, gleichzeitig aber das ÖPNV-Angebot drastisch reduziert wird, weil die Regierung Rüttgers für einen Investitionsstopp bei Bussen und Bahnen gesorgt hat. Da hängen die Dinge nämlich wieder ganz konkret zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Wittke, der heute auch nicht da ist, rast mit Vollgas in den Verkehrsinfarkt. Herrn Wittke muss immer wieder die Erkenntnis ins Stammbuch geschrieben werden: mehr Busse und Bahnen gleich weniger CO2, mehr Busse und Bahnen gleich weniger Staus. Wenn Herr Wittke so weitermacht und wenn der Ministerpräsident ihn so weitermachen lässt, dann gibt es demnächst für die Staumeldungen einen eigenen Sender.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Ihre Mitglieder leiden offensichtlich – zumindest die meisten – an einer Art „Grün-Phobie“. Die sollten Sie einmal behandeln lassen. Den Schaden haben nämlich nicht wir Grünen, sondern den Schaden haben die Menschen in unserem Land, wenn Sie weiter an dieser „Grün-Phobie“ leiden.

Beispiel „Stiftung Umwelt und Entwicklung“: Herr Ministerpräsident Rüttgers schaut tatenlos zu, wie eine Stiftung, deren Stiftungsratsvorsitzender er ist, durch seine – ich betone: seine – eigene Regierung existenziell bedroht ist. Der Vorstand der Stiftung, Karl Lamers, schreibt in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden Stahl und Papke, er habe sich nicht zur Abwicklung der Stiftung in das Amt des Vorsitzenden wählen lassen. Doch Stahl und Papke haben im Handstreich dafür gesorgt, dass die Stiftung Personal entlassen muss, um ihren bereits eingegangenen Förderverpflichtungen nachkommen zu können.

Ich möchte einmal kurz verdeutlichen, was FDPFraktionschef Papke als „ideologischen Firlefanz“ bezeichnet, wenn er voller Abscheu auf die Stiftung Umwelt und Entwicklung schimpft:

2006 gab es mit dem Weltgarten auf der Landesgartenschau eine Erlebnisausstellung zur Globalisierung, gefördert von der Stiftung Umwelt und Entwicklung. Das haben sich eine halbe Million Menschen angesehen. Verlängerung: 2007.

Auch das Projekt Umweltbildung für Senioren ist gefördert worden von der Stiftung Umwelt und Entwicklung; es wurde ausgezeichnet von der Unesco.

Ach ja, dann gibt es noch die Ausstellung „Klima und Mensch“. Ich meine, wer den Klimaschutz per se für überflüssig hält, der lehnt natürlich auch eine Ausstellung ab, die sich mit vergangenen und zukünftigen Klimaereignissen am Wendepunkt der Erdgeschichte beschäftigt. Im Museum Herne könnte die FDP eine Menge lernen, dank der Stiftung Umwelt und Entwicklung.

Herr Papke, ich frage Sie: Wer ist bei diesen Fragen denn jetzt der Ideologe? Es spricht schon für einen außerordentlich kleinen Geist, wenn der Vorsitzende einer Regierungsfraktion eine angebliche grüne Stiftung aufgrund von vielen Engagierten im Eine-Welt- und Umweltbereich zerschlägt, aber sich um die wahren politischen Notwendigkeiten nicht kümmert.

Auch in der Umweltverwaltung heißt es: Abarbeiten an den Grünen. Es geht nämlich nicht um Effizienz und Einsparungen. Der Finanzminister hat doch unserer früheren Umweltministerin Bärbel Höhn bescheinigen müssen, dass sie in Sachen Bürokratie- und Stellenabbau absolut Spitze war. Nur hat sie die Qualität im Umweltschutz gleichzeitig verbessert. Herr Uhlenberg dagegen zerschlägt den Umweltschutz, er missachtet die Schutzinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher, und er missachtet die Schutzinteressen von Umwelt und Natur.

Das zeigt sich im Übrigen auch ganz aktuell beim Landschaftsgesetz. Landschaftsschutz und Naturschutz sind für Sie offensichtlich überflüssiges Gedöns, Hauptsache die Bauernverbände klopfen Ihnen auf die Schulter.

Aber, meine Damen und Herren – das sollte Sie eigentlich aufhorchen lassen –, auch die Industrie meldet Bedenken an. Wie schrieb der BDI in seinem Brandbrief an die Landesregierung zur geplanten Zerschlagung der Umweltverwaltung? Zitat: „Das kann sich NRW als Industrieland Nummer eins nicht leisten.“ Das schreibt Ihnen der BDI zur geplanten Zerschlagung der Umweltverwaltung. Das müsste Sie doch nachdenklich machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass Sie das nicht tun, das beweist, hier sind gelbe und schwarze Ideologen dabei, sich an der Politik abzuarbeiten, die von den Grünen gemacht wurde. Es geht nicht um die Sache, sondern es geht um die Farbe, und der Ministerpräsident bekämpft sein farbloses Image.

Herr Rüttgers, ein zukunftsfähiges NordrheinWestfalen braucht eine Generalrevision Ihrer Politik. Diese Generalrevision muss auch für die Fa

milien, für die Kinder und für die Bildungspolitik gelten.