Protocol of the Session on December 16, 2009

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion Frau Hendricks.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Beer hat die Geschichte dieses Antrags – oder sollte ich besser „dieser Anträge“ sagen? – schon deutlich dargestellt. Lassen Sie uns aber auch noch einmal in die Geschichte des inklusiven Bildungssystems einsteigen.

Anfang letzter Woche ist die deutsche Übersetzung der „Policy Guidelines on Inclusion in Education“ der UNESCO erschienen. Alle, die diese Leitlinien in der Originalfassung bisher nicht lesen konnten, haben jetzt die Möglichkeit, sie auch in der deutschen Fassung zu lesen und sich davon zu überzeugen, was im November 2008 in Genf verabschiedet worden ist. Die Teilnehmer aus mehr als 150 Ländern, darunter 60 Bildungsminister, haben in ihrer Abschlusserklärung ein inklusives Bildungssystem gefordert, in dem die Vielfalt als Ressource genutzt werden soll.

Diese Leitlinien sind jetzt auch für die FDP nachlesbar. Anders als auf der internationalen Bühne wird in Nordrhein-Westfalen bei der Umsetzung dieser internationalen Verpflichtung aber gerade wieder einmal eine Provinzposse gespielt, die insbesondere von der FDP ausgerichtet wird. Seit Monaten beschäftigen sich die Fraktionen des Landtags hinter den Kulissen mit der Frage, wie die UNKonvention zur Inklusion von behinderten Schülern und Schülerinnen bei uns gemeinsam umgesetzt werden kann.

Frau Kollegin Beer hat eben geschildert, wie wir versucht haben, die CDU mit ins Boot zu bekommen, was am Ende auch bei der CDU nicht gelungen ist. Wir haben neue Anträge geschrieben. Wir haben uns über Formulierungen unterhalten. Wir waren bereit, bestimmte Sätze zu streichen. Es hätte gelingen können, wenn nicht die FDP gewesen wäre; denn die FDP sah sich nicht in der Lage, diesen gemeinsamen Antrag zum Aufbau eines inklusiven Bildungssystems passieren zu lassen. Dahinter stehen völlig unzulängliche und überkom

mene Vorstellungen, wie das Bildungssystem heute auszusehen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit diesem gemeinsamen Antrag wollen wir die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen auf eine breite Basis stellen. Wir wollen, dass die Inhalte dieser Konvention in NRW umgesetzt werden; denn wir brauchen eine Neuorientierung in der sonderpädagogischen Förderung hin zu einem inklusiven Bildungssystem. Nicht zuletzt wollen wir das grundsätzliche Recht der Eltern, den sonderpädagogischen Förderort für ihre Kinder selbst zu bestimmen.

Es muss einen Aktionsplan für die anstehenden Reformen des NRW-Schulsystems zu einem inklusiven Bildungssystem geben. Wenn wir uns hier im Landtag nicht auf den Weg machen, dann werden Sie – das kann ich Ihnen sagen – zukünftig in den Kommunen mit Bürgeranträgen überhäuft werden. Heute habe ich den ersten Bürgerantrag an die Stadt Bonn auf den Tisch bekommen, in dem die Eltern die Umsetzung des inklusiven Schulsystems in der Stadt Bonn fordern und ganz klar den Wunsch äußern, dass die UN-Konvention in Bonn Anwendung findet. Die Bürger werden Sie also jagen, wenn wir uns in diesem Parlament nicht bewegen.

(Beifall von der SPD)

Es hätte heute eine Glanzstunde des Parlaments werden können. Heute hätte ein gemeinsamer Antrag verabschiedet werden können, wenn wir nicht zwei Abgeordnete der FDP hätten, nämlich Frau Pieper-von Heiden, die offensichtlich bei der Übersetzung von Inklusion erhebliche Probleme hat,

(Beifall von der SPD)

und Herrn Witzel, der sich gegen ein Wahlrecht der Eltern wehrt.

(Ute Schäfer [SPD]: Hört, hört!)

Damit stellt sich die FDP übrigens gegen die eigene Ministerin; denn Frau Sommer hat schon wiederholt deutlich gemacht, dass es ihr Ziel ist, ein Elternrecht für die Wahl des Förderorts der Kinder zu etablieren.

Ob die FDP die Inklusionsfrage zur Koalitionsfrage gemacht hat, wissen wir nicht. Im Ergebnis hat die CDU jedenfalls einen Rückzieher gemacht. Die CDU hat alle Angebote, den Antrag zu überarbeiten, am Ende in den Wind geschrieben und sich von der FDP heute vorführen lassen.

Nun wird es in NRW kein gemeinsames Bekenntnis zur Inklusion geben – es sei denn, dass die namentliche Abstimmung heute noch für Überraschungen sorgt. Vorläufig wird auch keine Weiterentwicklung des Schulsystems zu einem inklusiven System stattfinden. So bleibt uns heute nur, den Entschlie

ßungsantrag der Fraktionen von SPD und Grünen zu beraten.

Nach diesem parlamentarischen Katz-und-MausSpiel hat Frau Sommer nun angekündigt, im Januar die Vertreter der Fraktionen, der Verbände, des Städtetages und der Kommunen zu einer Gesprächsrunde einzuladen. Es ist zu wünschen, dass Frau Sommer sich gegen die FDP durchsetzen kann.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Eigentlich ist es aber an der Zeit, dass Ministerpräsident Rüttgers ein Machtwort spricht und den Koalitionspartner FDP zur Räson ruft, damit die UNBehindertenrechtskonvention auch in NRW möglichst umfassend und zügig umgesetzt wird, so wie es die Eltern in Bonn fordern.

Deshalb fordern wir Sie auf, die Reform des Schulwesens im Sinne der UNBehindertenrechtskonvention in den Kommunen und Kreisen voranzutreiben. Wir möchten, dass Kinder in allen Schulen inklusiv beschult werden. – Ich bedanke mich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Kollegin Kastner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne so, wie ich im Schulausschuss begonnen habe. Für mich ist das heute kein glücklicher Tag. Er gehört sicherlich zu den schwersten in meinem politischen Leben. Ich denke wie viele in diesem Haus, dass es heute hätte gelingen müssen, von diesem Hause aus eine gemeinsame Botschaft an die Eltern und die Kinder mit Behinderung zu senden.

(Beifall von CDU, SPD und GRÜNEN)

Es hat ganz viele Gespräche gegeben. Wir haben uns sehr häufig ausgetauscht – aber leider ohne den erwünschten Erfolg.

Was hier an Spielchen mit einer namentlichen Abstimmung abläuft, ist natürlich Strategie. Da komme ich auch nicht mit, sage ich ganz ehrlich. Ich glaube nämlich schon, dass hier politische Strategie auf dem Rücken einer Sache ausgetragen wird.

(Beifall von der CDU)

Sie alle wissen, sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen, dass Koalitionsverträge einzuhalten sind.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Da muss man sich durchsetzen!)

Frau Beer, Sie haben sich in der rot-grünen Koalition auch nicht durchgesetzt. – Das sind Spiele.

Darüber sollten wir heute im Angesicht der Sache relativ wenig diskutieren.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Es wäre aber richtig gewesen, eine Botschaft an die Eltern und deren Kinder zu bringen, die lautet: Wir sind auf eurer Seite. Wir nehmen euch und eure Anliegen und eure Wünsche genauso ernst wie die UN-Konvention zur Aufhebung der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung.

Auch wenn wir, wie Sie ahnen, Ihrem Antrag nicht zustimmen werden, haben wir uns in der CDUFraktion natürlich zu einer Position entschlossen. Lassen Sie mich dazu hier einiges vortragen.

Die CDU ist selbstverständlich für eine Umsetzung der UN-Konvention. Wir haben sie im Bund und im Land unterschrieben. Die UN-Konvention gilt vor allen Dingen für den Schulbereich. Dort sind wir sicherlich zu großen Teilen einer Meinung; denn auch wir sind der Auffassung, dass Bildung auch für Kinder mit Behinderungen der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe ist.

Es kann nicht so weitergehen, dass die Absolventen der Förderschulen – das muss ein Hauptmotiv sein – vor allen Dingen aus dem Bereich Lernen so wenige Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben, wie es im Moment der Fall ist. Das ist für uns der soziale Sprengstoff der nächsten Jahre. Daran müssen wir arbeiten. Dazu gibt uns die UN-Konvention Handhabungsmöglichkeiten.

Die Umsetzung der Konvention ist aber nicht so zu gestalten, dass man einfach nur einen Schalter umlegt. Das haben uns selbst erfahrene Wissenschaftler in den Anhörungen, die wir hier im Hause durchgeführt haben, mitgeteilt. Die Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems ist für uns ein längerer, ein mehrjähriger Prozess, der auch – das sage ich ganz deutlich – sicherlich mehr bedeutet als das, was in Ihrem Antrag steht, nämlich als immer mehr Lehrer in das bestehende System zu bringen. Das Ganze erfordert ein Konzept. Darin wären wir uns so weit auch einig gewesen.

In einem der Anträge stand, wir hätten lange nichts getan. Das weise ich entschieden zurück. Die Einführung der Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung in dieser Legislaturperiode zeigt von unserer Seite aus einen neuen Weg auf.

(Beifall von der CDU)

Auch die Wissenschaftler haben festgestellt, dass dies ein erster und wichtiger Schritt ist.

Das Ziel der Kompetenzzentren war und ist, die Förderung der Kinder so einzurichten, wie es das Schulgesetz erfordert: individuell, flexibel und vor allen Dingen subsidiär. Das heißt, die Kinder sind Kinder einer Regelschule, und der besondere Förderbedarf ist subsidiär zu erbringen.

Wir haben 20 Zentren, die bereits seit längerer Zeit am Netz sind. Bis zum Ende der Legislaturperiode werden wir 50 sonderpädagogische Förderzentren bekommen. Sie werden – da bin ich mir ganz sicher – Bestandteil und vor allen Dingen Motor des Prozesses der Umsetzung der UN-Konvention sein.

(Beifall von Michael Solf [CDU])

Wir sind aber auch der Meinung, dass die Kompetenzzentren sicherlich nicht nur, wie es in Ihrem Antrag steht, Lehrerfortbildungsanstalten und Beratungsinstitutionen sein sollen. Es muss möglich sein, dass auch Schüler an den Förderzentren unterrichtet werden.

Eine weitere Position der CDU ist, dass wir Elternwünsche ernst nehmen und umsetzen wollen. Wir alle wissen, dass gegenwärtig viele Eltern wie vor den Kopf gestoßen sind, wenn sie den Wunsch haben, dass ihre Kinder an einer Regelschule beschult werden sollen und sie dort abgewiesen werden. Das verstößt gegen die Würde der Eltern und auch der Kinder. Nur: Was ist der Elternwunsch? Darüber lohnt es sich in einem Prozess etwas näher nachzudenken.

Es gibt Eltern, die für ihre Kinder den gemeinsamen Unterricht wünschen. Es gibt aber auch Eltern – dazu bekommen wir ebenfalls zuhauf Nachrichten –, die sich den Unterricht an einer Förderschule wünschen. Deshalb muss man bei der Vielfalt der Kinder bei der Vielfalt der Angebote bleiben. Die Förderschule muss als Angebot fortgeschrieben werden. Es darf kein Entweder-oder, sondern es muss ein Sowohl-als auch geben.

(Beifall von CDU und FDP)

Der Weg, so wie wir ihn gestalten, bedarf sicherlich des Schweißes vieler Edlen. An diesem Prozess darf nicht nur die Politik beteiligt sein, sondern daran müssen alle beteiligt sein, die interessiert an dem Thema arbeiten. Das sind die Kommunen ebenso wie die unterschiedlichen Schulträger in unserem Land in diesem Bereich und die außerschulischen Partner. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir sie alle auf dem Weg zur Umsetzung der UN-Konvention mitnehmen.

Wenn wir damit – die Einladung der Ministerin wird, denke ich, weiter stehen – am Anfang des kommenden Jahres beginnen, dann haben wir heute vielleicht nur einen kleinen Schaden, aber wir sind dann auf dem richtigen Weg, wenn wir alle beteiligen. Die CDU wird sich in diesen Prozess sicherlich mit Freude und Engagement einbringen. – Herzlichen Dank.