Protocol of the Session on January 28, 2004

(Beifall bei der CDU)

Das eigentlich Deprimierende an diesem Landeshaushalt ist, dass er finanzpolitisch unseriös, wirtschaftspolitisch kontraproduktiv und sozialpolitisch unfair und ungerecht ist. Wann hat es das in diesem Lande schon einmal gegeben, dass, während wir hier beraten, unten die Arbeiterwohlfahrt steht und gegen die SPD-geführte Regierung demonstriert, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU)

Was ist der Grund? - Ich glaube, Sie haben einfach nicht mehr die Kraft zu einem neuen Aufbruch. Sie haben nicht mehr die Kraft, die Strukturen in diesem Lande zu verändern. Sie doktern immer weiter herum und liefern handwerklichen Pfusch ab. Damit verheddern Sie sich in Ihren eigenen Widersprüchen.

Im vergangenen Jahr gab es im Durchschnitt in Nordrhein-Westfalen 880.000 Arbeitslose. Damit wurde der Höchststand von 1997 nur ganz knapp verfehlt. Das geschah übrigens auch nur deshalb, weil durch neue Vorruhestandmaßnahmen und durch Statistikbereinigungen die Zahlen manipuliert worden sind. Sonst hätten wir die Zahl 900.000 nämlich überschritten. Das haben die WestLB-Volkswirte so festgestellt.

Aber, Herr Steinbrück und Herr Schartau, Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht mit Statistikbereinigungen. Sie wissen genau so gut wie wir: Dieses Land braucht den Aufschwung. Herr Steinbrück, Sie haben selber gesagt: Wir brauchen den Aufschwung dringend in der zweiten Jahreshälfte 2004. Als Sie das gesagt haben, haben Sie zwar nur die SPD gemeint - das kann man angesichts der Umfragen auch verstehen; da haben Sie Recht -, aber nicht nur die SPD, sondern vor allem dieses Land braucht einen Aufschwung.

Das gilt für diejenigen, die zu wenig Geld für ihre Kinder haben, für diejenigen, die Angst haben, zu investieren, für diejenigen, die Angst vor Altersarmut haben, für diejenigen, die etwas leisten wollen, damit sie sich selber etwas leisten können. Sie alle brauchen den Aufschwung.

Wenn Nordrhein-Westfalen aber den Aufschwung braucht, dann frage ich Sie: Warum kürzen Sie in dieser Situation mit diesem Haushalt die Investitionen weiter drastisch nach unten?

(Beifall bei der CDU)

Warum streichen Sie die Mittelstandsförderung um ein Viertel zusammen? Warum nehmen Sie die Forschungsförderung an den Hochschulen um 30 % herunter? - Wer so Politik macht, der gefährdet den Aufschwung. Auf jeden Fall zerstört er Vertrauen.

Die Landesregierung erklärt, dass die Wirtschaft angesichts der wirtschaftlichen Lage nicht weiter mit neuen Steuern und Abgaben belastet werden darf, damit wir wieder mehr Wachstum und Beschäftigung bekommen. Gleichzeitig führen Sie aber heute eine neue Wassersteuer ein. Das geschieht übrigens nicht für die Umwelt, sondern um die WestLB zu sanieren. 116 Millionen € sind es

in diesem Jahr, und 126 Millionen sind es im nächsten Jahr. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, schafft man kein Vertrauen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Landesregierung sagt den Menschen, dass man beim Straßenbau unsere schöne Kulturlandschaft schützen muss. Mit dem Argument warten wir auf die A 33 nunmehr bereits seit 38 Jahren. Gleichzeitig wird dieselbe schöne Kulturlandschaft ohne Rücksicht auf Verluste mit Windrädern "verspargelt" und verunstaltet. Seit der industriellen Revolution hat es eine solche Zerstörung nicht mehr gegeben.

(Beifall bei CDU und FDP)

So schafft man kein Vertrauen. Der Ministerpräsident dieses Landes sagt den Menschen: Sozial gerecht ist die Politik, wenn sie sich um diejenigen kümmert, die Leistungen für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Zitat: "Um die - und nur um sie - muss sich die Politik kümmern."

Das ist zwar für sich genommen schon falsch, aber wenn der Finanzminister dann auch noch sagt - Zitat -: "Gerechtes Steuerrecht ist kompliziertes Steuerrecht; einfaches Steuerrecht ist ungerechtes Steuerrecht", dann fragen sich alle, und zwar die Leistungsfähigen und die Schwachen, was diese Regierung eigentlich unter Gerechtigkeit versteht. Mit solchen Widersprüchen schafft man jedenfalls kein Vertrauen, werte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung sagt, dass die Mittel für Kindergärten, für Ersatzschulen, für Weiterbildung, für Behinderte, für den Landesjugendplan, für die Übungsleiter, für die Kunst- und die Kulturszene gekürzt werden müssen, damit der Haushalt konsolidiert wird. 800 von 2.400 offenen Jugendzentren sind damit gefährdet. Kindergärten sind von der Schließung bedroht. Gleichzeitig verzocken unfähige Banker bei der West LB mehr als 3 Milliarden €. Für den größten Teil dieses Betrages muss das Land geradestehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Skandal muss auch noch strafrechtliche Folgen haben. Auf jeden Fall schafft man so kein Vertrauen. Bei den Kleinen sparen und das Geld in der Bank verzocken - das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Sie müssen sich nicht wundern, dass eine solche Politik der Widersprüche ein verheerendes Echo findet. Die Konsequenz, Herr Steinbrück: Kaum jemand versteht noch Ihre Politik.

Da protestiert die Evangelische Kirche im Rheinland auf ihrer Synode gegen Ihren Haushalt. Ein schon bemerkenswerter Vorgang! In dem Beschluss heißt es - ich zitiere -:

„Eingespart wird insbesondere im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder, der Jugendarbeit, der Weiterbildung und der Ersatzschulen, also auch dort, wo informelle und autonome Formen des Lernens und Kompetenzerwerbes stattfinden, die Bestandteile des öffentlichen Bildungsauftrages sind - so die SPD in ihrer eigenen Erklärung. Diese stehen in unübersehbarem Widerspruch zu den vom Land NRW selbst festgelegten Schwerpunkten im Bildungsbereich.“

Das ist richtig, was das Parlament der Evangelischen Kirche im Rheinland beschlossen hat. Das sieht die Bevölkerung auch so. Diese Kürzungen sind bildungspolitisch falsch. Wer das immer noch nicht gewusst hat, muss nur die neue IGLU-Studie ansehen, die heute vorgestellt wird: NRW ist nur noch Mittelmaß. Und in dieser Situation zu kürzen ist bildungspolitisch falsch.

(Beifall bei der CDU)

Da protestieren die GEW und Ver.di gegen den Haushalt. In ihrer Stellungnahme heißt es - Zitat -:

„Angesichts der Ergebnisse der PISA-Studie, die … nachweist, dass in Deutschland die soziale Ausgangslage eine dramatische Auswirkung auf die Bildungschancen hat und dass unser … unterfinanziertes und strukturell unzureichendes Bildungswesen ‚Risikogruppen’ gewaltigen Ausmaßes produziert …, sind die beabsichtigten Kürzungen in der öffentlich geförderten Weiterbildung … ein Schlag gegen den Anspruch auf soziale Verantwortung.“

Das ist richtig. Die Kürzungen sind ungerecht und unfair. Sie sind ein Armutszeugnis.

Wenn die Bildungsministerin heute als erste Reaktion auf die IGLU-Daten sagt: „Wir gestalten die Zeugnisse um; in Zukunft müssen Lehrerinnen und Lehrer besser begründen, wenn sie ein Mangelhaft geben“, dann sage ich Ihnen: Man sieht, Sie haben es noch immer nicht gelernt.

(Beifall bei der CDU)

Sorgen Sie dafür, dass der Unterricht nicht mehr ausfällt und die Klassen kleiner werden, und doktern Sie nicht an Nebensächlichkeiten herum! Dann haben die Kinder in diesem Land wieder soziale Aufstiegschancen und werden nicht von Ihnen davon abgehalten.

(Beifall bei der CDU)

Die Industrie protestiert gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch den Haushalt. Der Wirtschaftsverband der Papier erzeugenden Industrie in NRW sagt: Die Wassersteuer

„führt … zu einem weiteren Abbau der Beschäftigung, was insbesondere für den Bereich der gering qualifizierten Arbeitnehmer gilt.“

Auch das, werte Kolleginnen und Kollegen, ist richtig. Die Wassersteuer ist ökonomisch falsch.

Da protestieren die Theatermacher gegen den Haushalt. Im Protestschreiben an den Kultusminister heißt es:

„Mit diesem Haushaltsansatz wird die Kunst- und Theaterlandschaft NRW in überproportionalem Maße beschnitten und in eine untragbare, gar desolate Situation gebracht. … Eine Streichliste ist noch kein Konzept.“

Jawohl, meine Damen und Herren: „Eine Streichliste ist noch kein Konzept.“ Besser kann man den Haushaltsentwurf nicht beschreiben.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Maßnahmen treffen; das ist wahr. Aber sie treffen ziellos und willkürlich. Die Folge ist: Die Leute gehen in die innere Emigration oder sie demonstrieren, und zwar gerade die, sich für andere in diesem Land einsetzen, gerade die, auf die man zugehen muss, gerade die, die man mitnehmen muss, wenn man einen Aufbruch in diesem Land will. Gerade die werden von Ihnen demotiviert - Ehrenamtstour im Sommer hin, Ehrenamtstour her, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Das Vertrauen in den Willen und die Kraft der Koalition zur Lösung der Probleme fehlt. Sie begeistert niemanden und sie weckt keine Lust am Aufbruch.

Ich habe Ihnen schon vor zwei Jahren, Herr Steinbrück, eine Sanierungskoalition angeboten. Sie haben das Angebot zurückgewiesen. Mir könnte das heute also eigentlich ziemlich egal sein. Aber mir ist es nicht egal, und zwar deshalb nicht, weil ich an die Menschen in diesem Land denke, weil ich an die Kinder denke, die Zukunft brauchen, weil ich an die Pendler denke, die hier jeden Tag im Stau stehen und nur die Wahl haben, ob sie auf der Straße oder bei der Eisenbahn im Stau stehen, weil ich an die vielen Menschen denke, die Ihre Politik als willkürlich und ungerecht empfinden, und weil das dazu führt, dass

die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Infrastruktur dieses Landes beschädigt wird.

Das ist auch der Grund, warum die CDULandtagsfraktion Ihnen mit ihrem Entschließungsantrag heute eine Alternative zu dieser willkürlichen, unfairen und ungerechten Politik vorlegt. Wir wollen, dass die Menschen in diesem Land Vertrauen in die Politik zurückgewinnen. Die Menschen in diesem Land, werte Kolleginnen und Kollegen, sollen wissen: Es geht auch anders. Es geht besser. Es gibt eine Alternative. Man muss sie nur wollen und man muss sie sich zutrauen.

(Beifall bei der CDU und einzelnen Abgeord- neten der FDP)

Wir hätten es uns natürlich leicht machen können. Der Haushalt ist verfassungswidrig. Das hat das Gutachten von Prof. Birk bewiesen.

(Widerspruch von Ministerpräsident Peer Steinbrück)

- Herr Steinbrück, natürlich stellt Herr Birk das nicht fest. Nur: Als wir das beim Haushalt 2001 und 2002 gesagt haben, als wir da die Gutachten vorgelegt haben, haben Sie mit der gleichen Überheblichkeit gesagt: Das interessiert mich alles nicht! - Und Sie haben die Quittung vom Verfassungsgericht bekommen. Genauso ist es hier auch.

(Beifall bei der CDU und einzelnen Abgeord- neten der FDP)

Nicht nur die gigantische Neuverschuldung, die Sie machen, wobei Sie nicht gleichzeitig die Investitionen erhöhen, sondern kürzen, hätte Ihnen zu denken geben müssen, sondern auch, dass die Bundesregierung - siehe Jahreswirtschaftsbericht - heute davon absieht, zu sagen: Es gibt eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.