Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wie sich die - berechtigte - Kritik von CDU und FDP angehört hätte, wenn in der rot-grünen Zeit einmal ein Kommafehler im Ministerialblatt gewesen wäre.
Aber wir haben heute den schärfsten Eingriff in Grundrechte, und - Stand: heute - es ist jeder Verstoß gegen die Corona-Verordnung möglich, ohne dass ein Bußgeld gezahlt werden müsste. Ich kann heute Abend eine Party mit 1 000 Leuten machen; das würde nicht sanktioniert.
Jedes Geschäft kann heute gegen die Regeln verstoßen, und diese Regierung nimmt das alles so hin: Ja, wir werden das irgendwann einmal korrigieren. - Das muss man sich einmal vorstellen!
Aber Sie sind ja nicht nur einmal gewarnt worden. Schon im April sagte der Göttinger Staatsrechtler Heinig der NOZ,
‚Grundregeln des Gesetzemachens werden hier nicht beherrscht.‘ Im Text fänden sich ‚verschwurbelte Formulierungen‘“
„die mehr Fragen als nötig aufwürfen. ‚Das ist angesichts der tiefgreifenden flächendeckenden Grundrechtseingriffe problematisch und auch ganz unnötig.‘
‚In den ersten Tagen einer so gravierenden Krise sind handwerkliche Fehler entschuldbar‘, sagte Heinig. ‚Aber so langsam werden sie Ausdruck schlechten Regierens.‘“
Ein Skandal ist auch, dass Sie - wir haben mehrfach davor gewarnt - die Verfassung gebrochen haben. Sie nehmen das einfach so hin. Sie haben Artikel 25 unserer Verfassung mehrfach missachtet, nach dem die Corona-Verordnungen dem Landtag vorzulegen gewesen wären. Wir haben es hier angesprochen. Erst als die grüne und die FDP-Fraktion vor den Staatsgerichtshof gegangen sind, haben Sie diesen Verfassungsverstoß eingeräumt und erklärt: In Zukunft werden wir uns an die Verfassung halten.
Meine Güte, was ist das eigentlich für ein Zugeständnis, dass wir in Zukunft als Parlament auch einmal beteiligt werden! Ich habe es schon beim letzten Mal gesagt: Parlamentsbeteiligung macht Verordnungen nicht schlechter, sondern in der Regel besser.
„Der Niedersächsische Städtetag fordert im Hinblick auf eine mögliche zweite Welle die Einrichtung einer Behörden-Hotline, damit kommunale Verwaltungen rechtssichere und kurzfristige Auskünfte im Zusammenhang mit Verordnungsregelungen erhalten“,
also eine Art Sorgentelefon für die Kommunen. Denn die verstehen auch nicht mehr, was jetzt der Regelungsstand ist.
Es ist angesprochen worden: Was heißt „physische Kontakte … zu beschränken“? Bei Hochzeiten sind 50 Personen möglich. Wie weit geht das eigentlich? Standesamt oder nur Feier draußen?
Der NSGB sagt: Für Busse gilt eine andere Regelung als für Schiffe und Pferdekutschen. Was ist eigentlich, wenn bei einer Hochzeit mit einer Pferdekutsche gefahren wird? Müssen die Brautleute den Abstand auch einhalten? Dürfen sie sich dort küssen, obwohl sie noch nicht in einem Haushalt
Jugendgruppen haben sich beschwert, dass keine ehrenamtliche Jugendarbeit betrieben werden durfte. Pfadfindergruppen durften sich nicht ohne einen Hauptamtlichen draußen treffen. Gleichzeitig waren aber Veranstaltungen mit bis zu 50 Personen erlaubt, bei den Jugendlichen nur bis zu zehn Personen. Wenn es keine Jugendarbeit war, dann war die Veranstaltung erlaubt. War es Jugendarbeit, dann war sie verboten. - Es gibt Widersprüche ohne Ende.
Auch die Kommunen verstehen das nicht mehr. Der Landkreis Hildesheim twitterte nach erneutem Chaos in der Regierung:
Aus gegebenem Anlass sehen wir uns leider gezwungen, zukünftig die chaotischen Regelungen des Landes weder zu kommunizieren noch zu kommentieren. Bitte wenden Sie sich bei allen Fragen direkt an das zuständige Ministerium.
Das Schlimme ist ja: Wenn Sie verschiedene Ministerien oder verschiedene Leute im gleichen Ministerium fragen, kriegen Sie auch noch unterschiedliche Antworten. Herr Althusmann erklärt, die Maskenpflicht müsse irgendwie weg. Er will die ganzen Corona-Verordnungen neu formulieren. Da wird er vom Ministerpräsidenten - wie schon bei den Werkverträgen - zurückgepfiffen. Es bleibt dabei: Obwohl uns lange versprochen wurde, eine schlanke Verordnung wie in Schleswig-Holstein zu machen, wird weiterhin an diesem Chaos gearbeitet.
Nicht nur die Kommunen brauchen Nerven, Textmarker und Vorkenntnisse in Verwaltungsdeutsch. Auch wir als Landtagsabgeordnete verstehen die Verordnung doch nicht mehr.
Man sollte wirklich den Weg einer schlanken Verordnung gehen. Da wäre Parlamentsbeteiligung von Anfang an wichtig.
Mein letzter Satz ist ein etwas verändertes Zitat des ehemaligen Bundesinnenministers de Maizière: Ein Teil dieser Antworten - wie Verordnungen zustande kommen - würde die Bevölkerung verunsichern.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Meyer. - Dem schließt sich der Abgeordnete Volker Meyer von der CDU-Fraktion gleich an. Bitte!
(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Warten wir mal ab! Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gut findet!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss jetzt doch ein paar Sätze an die Opposition loswerden.
Wenn ich auf der einen Seite die AfD mit ihrer Forderung nach der Abschaffung aller CoronaVerordnungen höre, kann ich nur feststellen: Sie sind gewillt, die Gesundheit der Bevölkerung hier in Niedersachsen zu gefährden. Das ist mit uns eindeutig nicht zu machen!
Auf der anderen Seite sollten Sie, Herr Kollege Meyer, Ihren Wissensschatz nicht unter den Scheffel stellen. Ich glaube, dass Sie einiges aus der Verordnung verstehen - wir alle verstehen einiges aus der Verordnung. Ich glaube, dass jeder hier im Raum die Verordnung - zumindest in Ansätzen oder auch in vielen Bereichen - versteht.
Die Position der FDP, die an der Corona-Verordnung konstruktive Kritik übt, ist mir da im Wesentlichen viel lieber. Ich bin mit dem Kollegen Birkner durchaus einer Meinung und habe in den Ausschusssitzungen - genau wie der Kollege
Schwarz -, in denen wir zum Teil gemeinsam anwesend gewesen sind, durchaus für eine klarere und inhaltlich vielleicht auch schlankere Verordnung plädiert.
Mittlerweile muss man aber objektiv feststellen, dass das Verfassen von Schließungsanordnungen einfacher ist als die in Einzelschritten stattfindende Formulierung von Lockerungen, für die bestimmte Auflagen definiert werden müssen.
Innerhalb der letzten Monate gab es sicherlich wöchentlich, manchmal sogar täglich verschiedene Verordnungsänderungen, die oft auch unter enormem Zeitdruck formuliert wurden. Die Gründe hierfür waren Veränderungen der Infektionslage, neue wissenschaftliche Erkenntnisse über den Erreger, aber auch das politische Ziel, die Einschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger und auch für die heimische Wirtschaft möglichst zügig abzumildern.
Trotz aller Kritik im Einzelnen: Wir sind denjenigen, die diese Verordnungen immer wieder formuliert haben, hier und da auch einmal Dank schuldig, weil sie dazu beigetragen haben, das Pandemiegeschehen in Niedersachsen unter Kontrolle zu halten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass die neue Verordnung im Vergleich zur Vorgängerfassung deutlich abgespeckt wurde. Es gibt aus unserer Sicht aber weiterhin einiges an Kürzungs- und Vereinfachungspotenzial. Ich möchte zwei Punkte als Beispiele ansprechen:
Erstens. Der § 8 Abs. 2 zum Betreiben von Fahrschulen ist in dieser Ausführlichkeit sicherlich entbehrlich. Ich glaube, dass ein Verweis auf das Hygienekonzept hier ausreichend wäre.
Zweitens. In § 23 Satz 1 werden - wohl wegen des Bemühens um politische Korrektheit und um möglichst viele Religionen zu erwähnen - die Vorschriften für Religionsausübung mit 82 Worten beschrieben, was in dieser extremen Ausführlichkeit sicherlich zu ausufernd ist. Ich glaube, Religionsausübung ist Religionsausübung, sodass man das vereinfachen könnte, indem man schreibt: Die Religionsausübung in geschlossenen Räumen ist zulässig, wenn ein Hygienekonzept nach § 3 vorliegt. - Das ist kurz und prägnant, und es sind 13 statt 82 Worte.
Hinzu kommt - der Kollege Meyer hat es angesprochen - der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände. Hier bewegen wir uns aber in einem bestimmten Spannungsfeld: Auf der einen Seite möchten gerade viele Bürgermeister - es gingen bei Ihnen sicherlich genau wie bei mir entsprechende Anrufe ein - möglichst kurze und prägnante Vorgaben. Auf der anderen Seite ist es aber
nicht möglich, einfach nur kurze und prägnante Vorgaben zu machen, ohne dass dadurch ein Interpretationsspielraum entsteht. Dieses Span