Protocol of the Session on July 2, 2020

Es ist Ziel der Niedersächsischen Landesregierung, dem Missbrauch von Werkverträgen in der Fleischindustrie wirksam ein Ende zu bereiten: zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch zum Schutz der vielen unbescholtenen, meist kleineren Schlachtereien im ländlichen Raum.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Abschaf- fen!)

Die Landesregierung hat sich deshalb bereits seit längerer Zeit wiederholt für dieses Ziel starkgemacht, etwa durch die maßgebliche Förderung der Beratungsstellen für mobile Beschäftigung oder verschiedene Bundesratsinitiativen, um der missbräuchlichen Nutzung von Werkverträgen entgegenzutreten.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Ja, Rot- Grün!)

Daneben habe ich gemeinsam mit Frau Ministerin Reimann und Frau Ministerin Otte-Kinast in den letzten Wochen zu einem Runden Tisch mit der Schlacht- und Zerlegeindustrie eingeladen, um bei den Unternehmen eine Abkehr vom System der missbräuchlichen Nutzung von Werkverträgen in der Produktion zu erreichen. Es muss aber natürlich auch gesagt werden, dass das Arbeitsrecht, das Arbeitsschutzrecht, das Arbeitszeitrecht und

das Infektionsschutzrecht Materien sind, für deren Regelung zuvorderst der Bund zuständig ist.

Um auf diesem Weg voranzukommen, haben wir ein Zehn-Punkte-Papier vorgelegt. In verschiedenen Gesprächen mit unserer Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast konnten wir unsere Amtskollegen in Nordrhein-Westfalen - Agrarministerin Ursula Heinen-Esser und Arbeitsminister KarlJosef Laumann - dafür gewinnen, daraus eine gemeinsame Initiative zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu machen. Denn Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind die bedeutendsten Länder in der Fleischerzeugung und in der Fleischverarbeitung in ganz Deutschland. Wenn wir uns einig sind, haben wir ein viel größeres Gewicht gegenüber der Fleischindustrie und auch gegenüber dem Bund.

Und, meine Damen und Herren, ich möchte es noch einmal betonen: Wir sind uns einig. Gemeinsam sehen wir zehn Punkte, an denen in Zukunft Veränderungen und Verbesserungen erzielt werden müssen, und zwar zwingend.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt: Die Selbstverpflichtungen der Schlacht- und Zerlegeindustrie sind gescheitert. Wir brauchen in der Branche jetzt einen Systemwechsel mit klaren rechtlichen Vorgaben. In einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft, die unternehmerische Verantwortung betont und faire Löhne zahlt, ist es deshalb die Aufgabe verantwortlich handelnder Politik, klare Rahmenbedingungen zu setzen, die für mich in einem Dreiklang bestehen aus:

Erstens. Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz müssen verbessert werden.

Zweitens. Die Wohnverhältnisse müssen menschenwürdig gestaltet werden.

Drittens. Es muss unternehmerische Verantwortung übernommen werden. Diese muss durch staatliche Kontrolle sichergestellt werden, und diese Kontrolle muss optimiert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Position der Landesregierung zu Werkverträgen in der Fleischindustrie fasse ich deshalb wie folgt zusammen:

Erstens. Das Geschäftsmodell von intransparenten Werkvertragsgestaltungen und Subunternehmerstrukturen muss beendet werden. Wir unterstützen daher die Bestrebungen der Bundesregierung, Schlachten und Verarbeiten von Fleisch in Unternehmen der Fleischwirtschaft ab dem 1. Januar

2021 grundsätzlich nur noch durch Arbeitskräfte des eigenen Betriebs zu gestatten.

Zweitens. Löhne sind voll zu zahlen und nicht zu unterlaufen. Auch in den Unternehmen der Fleischwirtschaft muss der aus der Arbeitnehmerüberlassung bekannte Grundsatz gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, und das ohne ungerechtfertigte pauschale Abzüge für vermeintliche Nebenleistungen, Stichwort „Mieten“.

Drittens. Alle Beschäftigten in Schlacht- und Zerlegebetrieben müssen einer manipulationssicheren elektronischen Zeiterfassung unterliegen. Es muss verhindert werden, dass Mitarbeiter wegen eines drohenden Verdienstausfalls gezwungen sind, Arbeitszeitregeln zu missachten oder womöglich krank am Arbeitsplatz zu erscheinen.

Viertens. Es bedarf verbesserter Hygienestandards, die insbesondere technische Verbesserungen wie beispielsweise spezielle Filteranlagen umfassen. Zusätzlich sind bei den Beschäftigten Tests und Kontrollen vorzunehmen.

Fünftens. Größere Unternehmen der Branchen sind zu verpflichten, für Leih- und Werkvertragsarbeiter ein Melderegister zu führen und dieses den Behörden auf Nachfrage jederzeit vorzulegen. Gegebenenfalls entgegenstehende Datenschutzregelungen sind anzupassen. Dies erst macht es möglich, angemessene Wohnverhältnisse zu kontrollieren.

Sechstens. Die Unterbringung in hygienekritischem und sanierungsbedürftigem Wohnraum zu völlig überteuerten Preisen muss ein Ende haben. Menschenwürdiges Dasein umfasst angemessenen Wohnraum.

Siebtens. Die nur für den Infektionsschutz bestehenden Betretungsrechte sind mit Blick auf den grundgesetzlichen Schutz der Wohnung angemessen zu erweitern, um eine Überprüfung der Einhaltung von menschenwürdigen Unterbringungsstandards effektiv zu ermöglichen. Zu diesen Standards gehört eine Einzelunterbringung, selbst in Wohngemeinschaften.

Achtens. Wir brauchen künftig deutlich schärfere und häufigere Kontrollen, und zwar unangemeldet und kontinuierlich in engsten Zeitabständen.

Neuntens. Für effektive Kontrollen brauchen wir ein abgestimmtes Vorgehen von Arbeitsschutz, Zoll, Landkreisen, kreisfreien Städten und der Region Hannover. Mein persönlicher Wunsch wäre

es, dafür auf Landesebene ein entsprechendes Konzept zu erreichen.

Zehntens und letztens. Die Bußgelder für die Ahndung rechtswidriger Zustände sind deutlich zu erhöhen; denn Kontrolle hat nur Sinn, wenn ein Regelverstoß spürbare Konsequenzen hat.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Die Landesregierung unterstützt den Kabinettsbeschluss der Bundesregierung. Das wird nicht nur aus dem soeben erläuterten ZehnPunkte-Plan deutlich. Das habe ich auch bereits in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 18/6642 deutlich gemacht, die am 23. Juni an den Landtag geschickt wurde. Insofern bedürfte es heute der erneuten Anfrage eigentlich nicht.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Die Frakti- onen dürfen fragen! Das wissen Sie als früherer Parlamentarischer Ge- schäftsführer!)

- Ich respektiere den Fragewunsch des Parlaments zutiefst.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Großzü- gig, dass Sie sich an die Verfassung halten!)

Die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Verbot von Werkverträgen in nur einer speziellen Branche sind jedoch hoch. Der Bund wird mit seinem Gesetzentwurf versuchen - er wird es versuchen müssen -, diese Hürde gerichtsfest zu formulieren.

Zu Frage 2: Der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten bedarf es für eine Meinungsbildung innerhalb der Regierung nicht. Diese Regierung ist sich in dieser Frage einig.

Zu Frage 3: Die Landesregierung möchte mit dem von ihr eingebrachten Wohnraumschutzgesetz menschenwürdige Qualitätsstandards für Wohnraum sicherstellen. Wie vergleichbare Standards für die von Beschäftigten genutzten Unterkünfte gesichert werden können, wird deshalb innerhalb der Landesregierung auf Basis des vorliegenden Gesetzentwurfes derzeit abgestimmt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die erste Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Staudte. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Althusmann, Sie haben gerade eben noch einmal dargestellt, dass das Bundeskabinett das Verbot von Werkverträgen in der Schlachtindustrie fordert. Die Landesregierung spricht sich für ein grundsätzliches Verbot aus. „Grundsätzlich“ hört sich immer gut an. In der Politik und in der Juristerei weiß man aber: „Grundsätzlich“ bedeutet, dass es Ausnahmen gibt.

Kommen Sie jetzt zu Ihrer Frage, Frau Kollegin!

Was sind die Ausnahmen, die diese Landesregierung beim Verbot von Werkverträgen vorsieht?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Es antwortet Herr Minister Dr. Althusmann.

Nach den Plänen der Bundesregierung, Frau Abgeordnete, sollen das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nur noch durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des eigenen Betriebs zulässig sein. Aus Sicht der Landesregierung wird bei einer Ausgestaltung entsprechender Regelungen auch zu prüfen sein, welche Reichweite dieses Verbot tatsächlich hat und wie dieses festzulegen ist.

Die Landesregierung hält es nicht für ausgeschlossen bzw. sogar für geboten, dass in die Prüfung differenzierte Ansätze einfließen. Während der Einsatz von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft ein bekanntes Problem ist, besteht eine solche Problematik beim Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern anscheinend nicht. Das bedarf einer näheren Prüfung, auch um ein Problem durch mögliche Umgehungen eines etwaigen Verbots von Werkverträgen zu verhindern.

Ein Werkvertragsverbot und insbesondere ein Verbot der Leiharbeit treffen auf Hürden; sie sind tatsächlich gegeben. Das betrifft die verfassungsrechtlich garantierte Unternehmens- und Berufsfreiheit, aber auch die im EU-Binnenmarkt geltende Dienstleistungsfreiheit. Diese Vorgaben und Eingriffsgrenzen gilt es bei der Ausgestaltung des

Gesetzentwurfes zu beachten. Der Gesetzgeber, der Bund, wird sich mit diesen Hürden vertieft auseinandersetzen müssen, um für die verfolgte Zielsetzung eine rechtliche vertretbare Regelung zu schaffen.

Die Belange des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie eines reibungslos funktionierenden Arbeitsmarktes werden mit den genannten grundrechtlich geschützten Positionen insbesondere auch unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen und zu vergleichen sein. Mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, ob eine solche Regelung für nur eine Branche zulässig ist. Sollten nämlich vergleichbare Missstände auch in anderen Bereichen bestehen - ich erinnere an die Logistikbranche, die Zustellbranche oder andere -, dann ist ein solches Verbot letztendlich sehr genau darauf hin zu überprüfen, inwieweit es auch andere Branchen betrifft.

Das heißt, ich gehe im Moment davon aus, dass der Bund - voraussichtlich nach der Sommerpause - einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der entsprechend geprüft werden wird. Inzwischen liegt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Juni vor, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der Bund gar nicht umhinkommt, diese Abwägung zwischen den unterschiedlichen Hürden vorzunehmen. Ich gehe aber davon aus, dass diese Problematik geregelt werden kann.

Vielen Dank, Herr Minister. - Die zweite Zusatzfrage für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt Frau Abgeordnete Staudte. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da drängt sich natürlich eine ganze Reihe von Fragen auf. Ich kann leider nur noch eine stellen. Deswegen stelle ich die zurück, wonach interessant wäre, ob Sie sich - - -

(Heiterkeit - Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staudte, das funktioniert nicht!