Protocol of the Session on April 23, 2020

In diesem Sinne: Lassen Sie uns um jedes einzelne Kind kämpfen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schröder-Köpf.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich die Kollegin Susanne Menge zu Wort gemeldet.

Einen Augenblick, bitte! - Bitte schön, Frau Kollegin!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man könnte beim Lesen des Titels dieses Antrages zur Aktuellen Stunde darauf kommen, dass Sie - ich erinnere an die letzte Plenarsitzung, Herr

Ahrends - die aktuelle Krise in den Flüchtlingslagern in unseren politischen Aufgabenbereich nun doch einbeziehen. Sie haben letztes Mal gesagt, das spiele hier überhaupt keine Rolle oder dürfe hier keine Rolle spielen.

Man könnte annehmen, dass Sie Luxus so definieren - da hat mir Frau Schröder-Köpf gerade meine Idee für den Anfang weggenommen -, dass es sich im Zusammenhang mit Elend und Willkür in den Lagern tatsächlich um einen Luxus handelt, sich in Sicherheit zu wägen und betreut zu werden. Wie die Kinder, die wir in Niedersachsen aufgenommen haben, dies jetzt spüren, weiß ich nicht. Aber wenn es denn ein Luxus sein soll, dass sie sich sicher und geborgen fühlen, dann bin ich bereit, das einen Luxus zu nennen.

Tatsächlich passiert Folgendes - und Sie selber haben gerade darauf hingewiesen -: Auf Facebook teilen Sie fleißig Fotos. Auf den Fotos sieht man je ein Kind mit einem T-Shirt. Auf dem einen - Sie haben es gerade zitiert - steht der Slogan „A.C.A.B.“ Auf einem anderen T-Shirt steht „Istanbul 1453“, was die Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 meint, womit der Untergang des Byzantinischen Reiches und der Aufstieg des Osmanischen Reiches markiert wird.

Ich habe in Tansania gearbeitet, Herr Ahrends, und die Altkleiderberge gesehen, die aus dem Westen in die entlegensten Dörfer gekarrt werden - ein fragwürdiges Geschäftsmodell übrigens, wie ich meine. Niemand, der aus diesen Kleiderstapeln ein T-Shirt oder etwas anderes greift, denkt allen Ernstes daran, ob der Aufdruck irgendeinen kulturhistorischen oder sicherheitspolitischen Wert hat, und kann diesen in vielen Fällen auch gar nicht erkennen oder entsprechend einordnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie aber arbeiten anders. Der Aufdruck der T-Shirts bedeute, dass Kinder den deutschen Staat nicht schätzten und wahlweise die Islamisierung voranbrächten - Kinder, die sich ein T-Shirt

aus dem westlichen Abfall greifen, um irgendwie genau das zu sein: ein bisschen westlich.

Zurück zur ethischen Diskussion: Ich frage mich wirklich, was die AfD in diesem Zusammenhang unter Luxus versteht. Das, was tatsächlich gerade in Niedersachsen stattfindet, ist Schutz, ist Hilfestellung, Versorgung auf einem Niveau, das wir in Deutschland Geflüchteten bieten. Es liegt entsprechend dem Asylbewerberleistungsgesetz sogar noch unter dem Niveau, das deutsche Bezieherinnen und Bezieher von Sozialhilfeleistungen erhalten. Es ist lediglich die Abwesenheit von Elend, Hunger, Missbrauch und Todesangst.

Dabei ist die Aufnahme der 47 Minderjährigen auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Elend in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln geht ungehemmt weiter. Circa 40 000 Geflüchtete leben dort unter völlig menschenrechtswidrigen Bedingungen. Sie müssten umgehend evakuiert werden. Selbst Hilfsorganisationen ziehen sich jedoch zurück, weil sie keine Möglichkeit mehr sehen, effektiv zu helfen, ohne die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gefährden. Was dort geschieht, ist die menschliche Bankrotterklärung Europas.

Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat durch eine Umfrage unter seinen Mitgliedern herausgefunden, dass bundesweit rund 2 000 Plätze für weitere Minderjährige aus Griechenland in geeigneten Einrichtungen und unter Wahrung des Infektionsschutzes frei wären. Ich habe mir in Braunschweig übrigens selbst einen Eindruck von einer Einrichtung machen können. Es wären in Niedersachsen rund 200 Plätze, wenn man einfach einmal den Königsteiner Schlüssel darüberlegte.

Die große Mehrheit der geflüchteten unbegleiteten Minderjährigen, die wir in den Jahren 2015 und 2016 aufgenommen haben, weist übrigens bereits beachtliche Integrationserfolge auf. Vielfach leben sie unabhängig von Transferleistungen.

Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich endlich ihrer Verantwortung stellen. Allein im Flüchtlingslager Moria, das für 3 000 Menschen konzipiert ist, leben rund 22 000 Schutzsuchende in Schlamm und Elend. Während die Mitgliedstaaten in der CoronaKrise Handlungsfähigkeit beweisen, lässt man Schutzsuchende an den Außengrenzen im Elend zurück. Europa muss diese Menschen umverteilen, anständig unterbringen und ihnen ein ordentliches Asylverfahren gewähren.

Offenbar brauchen die politischen Entscheidungsträger noch mehr Druck, um endlich aktiv zu werden. Ich begrüße deshalb die offenen Briefe zahlreicher Verbände aus der letzten Zeit, in denen die Verfasserinnen und Verfasser an die Bundesländer, den Bund und die EU-Staaten appellieren, endlich ihre Egoismen und Nationalismen zu überwinden. Ich bedanke mich ausdrücklich bei unserem Innenminister für sein unermüdliches Engagement, das auch gegenüber dem Bundesinnenminister durchzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Viele Kommunen haben sich bereits zu sicheren Häfen erklärt. Aber es fehlt der Schritt auf die höheren politischen Ebenen. Wir Grüne fordern hier, im Bundestag und im Europäischen Parlament die entsprechenden Schritte. Wir haben hier eine europäische Aufgabe vor uns, die wir auf allen Ebenen anpacken müssen.

Ich danke fürs Zuhören.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Menge.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

Nun hat für die FDP-Fraktion der Kollege Genthe das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits sehr deutlich gemacht wurde, sind die Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln indiskutabel und absolut menschenunwürdig. Das waren sie auch schon vor der Corona-Krise. Aber die Corona-Krise macht die Situation natürlich bei Weitem nicht einfacher. Ich bin ein bekennender Fan der EU. Aber die EU gibt an dieser Stelle leider ein eher schwaches Bild ab.

Meine Damen und Herren, bereits im November letzten Jahres habe wir in diesem Landtag über die Problematik diskutiert. Wir begrüßen, dass die zuständige EU-Kommissarin Johansson bereits mehrfach bekräftigt hat, in ständigem Kontakt mit den griechischen Verantwortlichen zu stehen, um die Situation dort zu verbessern. Zudem begrüßen wir, dass sich inzwischen mehrere Länder der EU

bereiterklärt haben, insbesondere die stark belasteten Kinder aufzunehmen. Deutschland muss ganz selbstverständlich einen Teil dazu beitragen und hat damit jetzt begonnen.

Zur Wahrheit gehört leider aber auch, dass diese Zustände nicht erst seit Kurzem in den betreffenden Lagern bestehen. Da, meine Damen und Herren, muss man schon einmal die Frage stellen dürfen, was die Bundesregierung aus SPD und CDU eigentlich in den letzten Jahren getan hat, um diese Zustände zu verbessern.

(Beifall bei der FDP)

Wir befürworten natürlich, dass Deutschland Kinder aufgenommen hat, um sie aus dieser Umgebung herauszuholen. Nur wird damit leider das Grundproblem nicht gelöst. Solche Maßnahmen, so wichtig sie im Einzelfall auch sind, können maximal ein humanitäres Signal sein. Das grundlegende Problem wird letztendlich nur auf der europäischen Ebene zu lösen sein.

In erster Linie brauchen wir dafür ein funktionierendes System zur Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Dafür bedarf es einer umfassenden Reform des Dublin-III-Systems. Diese Reform muss endlich dafür sorgen, dass sich ganz Europa seiner Verantwortung bewusst wird und die Länder an den EU-Außengrenzen nicht mit dem Problem alleingelassen werden.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Susanne Menge [GRÜNE])

Die griechische Regierung muss dringend die erforderliche Unterstützung erhalten, damit die Lage insbesondere der Kinder dort verbessert werden kann. Um die Situation in Griechenland insgesamt nicht zu verschärfen, ist es außerdem extrem wichtig, meine Damen und Herren auf der rechten Seite, besonnen zu kommunizieren.

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Gesamtsituation in Griechenland sind aber, wie gesagt, die EU und die Bundesregierung gefragt, weitere Hilfs- und Unterstützungsleistungen beizusteuern und die griechische Regierung beim Wort zu nehmen. Nur der lange Weg über einen europäischen Konsens wird am Ende zu besseren Zuständen in den Flüchtlingslagern an den europäischen Außengrenzen führen.

Allerdings ist es der Großen Koalition in Hannover natürlich völlig unbenommen, die Große Koalition in Berlin daran zu erinnern, dass wir an dieser Stelle weiterkommen müssen. Wir Freie Demokra

ten sind jedenfalls gerne bereit, Sie dabei zu unterstützen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Genthe.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

Für die Landesregierung hat sich nun Herr Innenminister Boris Pistorius zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Minister!

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am vergangenen Samstag konnten wir in Hannover, wie Sie alle wissen, die ersten unbegleiteten Kinder von den griechischen Inseln in Empfang nehmen. Das ist erfreulich, aber das war auch überfällig. Ich hätte mir eine Aufnahme schon deutlich vor Weihnachten gewünscht und habe das auch gefordert. Nichtsdestoweniger - das ist immerhin eine bedeutende Feststellung - ist das ein ganz wichtiger Schritt. 47 Kinder sind damit nun in Sicherheit.

Meine Damen und Herren von der AfD, eines ist das aber bestimmt nicht - es ist unfassbar zynisch, diesen Begriff überhaupt zu verwenden -: Es ist kein Luxus. Die Situation in den Lagern auf den griechischen Inseln war und ist unerträglich. Ich habe mir Ende Oktober und Anfang November vor Ort selbst ein Bild von der Situation machen können. Ich kann das nur jedem empfehlen, der hier klug redet, ohne das jemals gesehen zu haben.

Meine Damen und Herren, es ist kein Luxus, wenn Kinder, die vor Krieg, Hunger und Elend geflohen sind, aus überfüllten Flüchtlingslagern in Sicherheit gebracht werden. Es ist kein Luxus, wenn junge Menschen, die ohne Begleitung ihrer Eltern unter Zelten, Plastikplanen und Mullsäcken leben, hier in einer Unterkunft untergebracht und ausreichend versorgt werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist kein Luxus, wenn wir die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen als humanitäre Verpflichtung betrachten. Meine Damen und Herren, auch das ist kein Luxus.

Die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen sind die schwächste Gruppe unter den Flüchtlingen. Deshalb ist es notwendig, dass sich eine Koalition der Hilfsbereiten in Deutschland und Europa findet, um sie aufzunehmen. Es geht um schnelle Hilfe und darum, reguläre Asylverfahren für diese jungen Menschen in einem geschützten Raum durchzuführen und nicht in diesem Elend vor Ort.