Protocol of the Session on April 23, 2020

Wie aus der Tageordnung zu ersehen ist, liegt ein Antrag zur Aktuellen Stunde vor. Unsere GOBedingungen für den Ablauf der Aktuellen Stunde sind Ihnen bekannt.

Jugendliche aus Griechenland - Luxus für wenige statt Hilfe für viele? - Antrag der Fraktion der AfD - Drs. 18/6301

Ich eröffne die Besprechung. Zu Wort gemeldet hat sich der Kollege Ahrends. Bitte schön, Sie haben das Wort!

Ich danke Ihnen. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, der Zeitpunkt ist schlecht, aber wir haben den Zeitpunkt nicht gewählt. Wir reagieren lediglich auf Entwicklungen mit möglicherweise verhängnisvollen Folgen, die zu einem zweiten „2015“ führen können, was gerade nach Corona unbedingt zu verhindern ist.

Auch geht es nicht darum, ob wir 47 Jugendliche in Deutschland versorgen können. Das ist wirklich keine Herausforderung. Es geht vielmehr um das politische Signal, das von der Aufnahme dieser Jugendlichen ausgeht, und darum, was den Bürgern darüber gesagt wurde.

Dass wir Kindern helfen, die in Not sind, ist selbstverständlich. Aber überall in der Welt leben Millionen Familien mit Kindern ohne Aussicht auf den Wohlstand, den wir in Europa genießen - es sei denn, sie schaffen es, in das reiche Europa zu kommen, um dort an dem Wohlstand teilzuhaben. Genau dafür werden oftmals sogenannte Ankerkinder auf den Weg geschickt, deren Aufgabe es ist, nach Europa bzw. nach Deutschland zu gelangen, um dann nach ihrer Ankunft ihre Familien nachzuziehen. So findet man auch Jugendliche aus Algerien, Marokko, Afghanistan, dem Irak, Pakistan und Syrien, die über die Türkei nach Griechenland gekommen sind.

Es ist der Herr Erdogan, der die Zustände auf den griechischen Inseln mitgeschaffen hat. Die Türkei benutzt aktuell Migranten und Kinder als Waffe

gegen Europa. Europa muss hier geschlossen reagieren und auf die Einhaltung des Rückübernahmeabkommens mit der Türkei bestehen - eine Absprache, für die die EU 6 Milliarden Euro bezahlt hat.

Ein Boykott, wirtschaftliche Sanktionen - bis hin zum Ausschluss aus der NATO z. B. wegen seines Angriffskriegs gegen Syrien - wären hier als Droh- oder Druckmittel denkbar gewesen. Doch nichts dergleichen geschieht. Im Gegenteil: Er wird weiter hofiert, während mit seiner Unterstützung wieder mehr Menschen die griechische EU-Grenze illegal überwinden.

Alle EU-Staaten müssen Griechenland helfen, diese EU-Außengrenze zu sichern. Es darf nicht der Herr Erdogan sein, der bestimmt, wie viele Migranten die EU aufnimmt. Das wäre das Ende der offenen Binnengrenzen oder der Anfang einer zweiten Migrationswelle.

Eine Koalition der Willigen, die mitten in der Corona-Krise nur noch aus Deutschland und Luxemburg besteht, entschließt sich zum Alleingang, um Kinder abzuholen, die laut Koalitionsausschuss alle unter 14 Jahre, behandlungsbedürftig und meistens Mädchen sind. Von denen gibt es aber laut Welt-Bericht vom 19. April kaum welche in den Lagern, und auch mit Blick auf die weiteren 350 bis 500 Jugendlichen werden vor allem junge Männer erwartet, die 16 Jahre oder älter sind und laut Sozialministerium auch nicht an Krankheiten leiden. Ohne Tests könnten sogar einige Erwachsene darunter sein. Fast die Hälfte der Angekommenen hat am 1. Januar 2006 Geburtstag.

Man kann hier wohl mit Recht davon sprechen, dass die deutsche Öffentlichkeit bewusst mit Bildern von kleinen Mädchen und falschen Informationen getäuscht wurde. Mit Smartphones, Markenkleidung sowie T-Shirts mit provokanten Aufdrucken - „All Cops Are Bastards“ oder „Istanbul 1453“ - machen diese jungen Männer zumindest auf den ersten Blick nicht unbedingt einen hilfebedürftigen Eindruck.

Nun, da diese Jugendlichen es bis nach Deutschland geschafft haben, überlegen sich vermutlich noch viel mehr Eltern, ihre Kinder nach Griechenland zu schicken und die Schlepper zu bezahlen; denn es lohnt sich ja offensichtlich. Und schon bald dürften die jetzt freigewordenen Plätze in den Lagern mit neuen Kindern gefüllt sein.

Nur eine Politik der sicheren Grenzen kann Eltern davon abhalten, ihre Kinder auf eine gefährliche

und manchmal sogar tödliche Reise nach Griechenland zu schicken. Nur so wird der Herr Erdogan dem EU-Türkei-Abkommen gerecht werden und Migranten auch in der Türkei vernünftig behandeln.

Es muss daher die Frage erlaubt sein, ob hier auf die richtige Weise geholfen wird. Jeder dieser Jugendlichen kostet den Steuerzahler in Deutschland ca. 50 000 bis 70 000 Euro im Jahr. Es werden also Kosten in Millionenhöhe für diese Jugendlichen und deren Familien entstehen - Millionen, die auch in Griechenland vor Ort vielen helfen könnten.

Aktuell werden finanzielle Mittel für den Jemen gekürzt, und in Somalia bzw. Äthiopien verhungert alle 12 Sekunden ein Kind durch Mangelernährung. Mit nur 12 Euro könnte es dort einen Monat lang versorgt werden und so überleben. Für das Geld, was also nur diese erste Gruppe hier in Deutschland kostet, könnten wir in Afrika 20 000 Kinder einen Monat lang ernähren.

Fluchtursachen sollten bekämpft werden, statt mit der Aussicht auf viel Geld in Deutschland neue Fluchtursachen zu schaffen. Sie geben Millionen für wenige aus, während viele andere Ihre Hilfe viel dringender brauchen. Jedes Jahr verhungern alleine in Afrika 3,2 Millionen Kinder. Sie bestimmen für wenige ein Leben im Luxus, während Sie gleichzeitig die Not von vielen ignorieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Ahrends.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

Für die SPD-Fraktion hat sich die Kollegin Doris Schröder-Köpf zu Wort gemeldet. Einen kleinen Augenblick noch. - Danke schön.

Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen, werte Kollegen!

Mark Twain hat die Menschen einmal folgendermaßen beschrieben:

„Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige, was Grund dazu hat.“

Wer auch immer sich bei der AfD-Fraktion für die Aktuelle Stunde den Titel „Jugendliche aus Griechenland - Luxus für wenige statt Hilfe für viele?“ ausgedacht hat, müsste eigentlich schamrot in den Keller gehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort „Luxus“ im Zusammenhang mit den Ärmsten der Armen könnte nicht deplatzierter und unpassender gewählt sein. Sie haben auf der Skala der blau-braunen Tiefpunkte die eh schon ganz unten liegende Latte noch einmal gerissen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD: Oh! - Dana Guth [AfD]: Sie haben schon zugehört?)

- Diese Krokodilstränen glaubt Ihnen doch keiner.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst einmal die Fakten:

Am vergangenen Samstag sind 47 minderjährige Geflüchtete aus den Lagern der griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen gelandet. Sie stammen aus Afghanistan, Syrien und Eritrea. Es handelt sich um Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 8 und 17 Jahren, darunter vier Mädchen, die auf der Flucht von ihren Eltern oder Geschwistern getrennt wurden oder sich ganz alleine bis Griechenland durchgeschlagen haben.

Sie alle teilen ein für uns nicht vorstellbares Leid: Erfahrungen von Flucht, Gewalt, Entbehrungen und entmenschlichender Demütigung. Die meisten der minderjährigen Lagerbewohnerinnen und Lagerbewohner kommen durch Krieg und Flucht schon teils mehrfach traumatisiert in die völlig überfüllten Camps. Die Lebensbedingungen hier, wo mehr als 40 000 Menschen unter schwierigsten hygienischen Bedingungen ausharren, machen sie noch kränker. Etwa 2 000 der rund 14 000 Minderjährigen sind komplett ohne familiäre Begleitung unterwegs. „Ärzte ohne Grenzen“ spricht von etwa 1 000 sehr kranken Kindern in den Camps, die dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sind.

Die niederländische Ärztin Sanne van der Kooij berichtet düster:

„Man sieht Kinder, die wegen ihres Traumas aufgehört haben, zu sprechen, Frauen, die so traumatisiert sind, dass sie sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern können, junge Männer, die versuchen, sich umzubringen.“

So entsetzlich die Lage seit Monaten und Jahren ist, wäre der Ausbruch der Corona-Pandemie in den überfüllten Flüchtlingslagern doch wohl nur eines: eine Katastrophe riesigen Ausmaßes. Die dpa-Nachricht vom Dienstag, dass in einem ehemaligen Hotel auf der Halbinsel Peloponnes von 470 Geflüchteten bereits 150 mit dem Coronavirus infiziert sind, lässt Schlimmes erwarten. Dass internationalen Empfehlungen des Infektionsschutzes in den Lagern auch nur ansatzweise gefolgt werden kann, ist illusorisch.

„Wie sollen wir Abstand halten?“, fragen die Geflüchteten des Lagers Moria in einem internationalen Aufruf, der im Berliner Tagesspiegel am 17. April veröffentlicht wurde. Darin heißt es:

„Wir begannen, unser Leben im Elend zu organisieren. Wir versuchten, unsere Würde zu schützen. Aber wir können nicht gegen ein Virus kämpfen ohne minimale Hygienestandards und Möglichkeiten, uns zu schützen.“

Sehr geehrte Damen und Herren, nun haben wir 47 Seelen in Niedersachsen aufgenommen. Manche werden auf andere Bundesländer verteilt werden. Was genau ist Luxus daran, Kinder aus Elendscamps zu holen und ihnen hoffentlich wieder etwas Zuversicht zu geben und einen Neustart in ein sicheres Leben zu ermöglichen?

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist doch der kleinste Nenner humanitärer Verantwortung. Und wenn Sie mit „Hilfe für viele“ meinen, dass man vor Ort doch ein paar mehr Zelte hätte aufstellen können oder gleich zu Rückführungen in Krisengebiete übergehen sollte, dann ist Ihnen in der Tat nicht mehr zu helfen.

Falls sich wider Erwarten einige von Ihnen doch Sorgen machen sollten, dass die Anzahl der aufgenommenen Kinder nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, möchte ich Ihnen sagen: Natürlich kann die Aufnahme von 47 Kindern nur ein Anfang sein.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Glocke des Präsiden- ten)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Innenminister Pistorius hat sich seit November vergangenen Jahres mit großer Entschlossenheit für die Aufnahme von Minderjährigen eingesetzt. In der Tat wäre die Bereitschaft der Bundesregierung, 1 500 junge Menschen aufzunehmen, nicht ohne seine Entschlusskraft und Initiative auf Landes- und Bundesebene denkbar gewesen. Herr Minister, Respekt und Dank für dieses Engagement.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Minister Pistorius hat sich bei seinem Besuch selbst ein Bild von den Zuständen im Lager Moria machen können. Uns anderen, die von draußen urteilen müssen, empfehle ich die Fotos des griechischen Fotografen Giorgos Moutafis. Sie geben Einblick in das Leben auf der Flucht und auf der Insel Lesbos. Ich zitiere: „Ich bin hier, um die Menschen zu erinnern - und um ihre Gefühle wieder zu wecken.“ Herr Moutafis kennt Sie nicht, Kolleginnen und Kollegen von der AfD, aber er muss Leute wie Sie gemeint haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute Abend beginnt der Ramadan. Deshalb möchte ich aus dem Koran zitieren, was in ähnlicher Form auch im Talmud oder in der Bibel zu lesen ist. Zitat aus dem Koran, Sure 5, Vers 32:

„Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte.“

In diesem Sinne: Lassen Sie uns um jedes einzelne Kind kämpfen!