Protocol of the Session on January 31, 2020

Auf Bundesebene geht es darum, sich für die Änderung des SGB VIII starkzumachen, die die Schaffung einheitlicher Standards bei Dokumentations- und Informationspflichten insbesondere auch zum Austausch zwischen den Bundesländern vorsieht und die anlassbezogene Kontrollmöglichkeit in Einrichtungen der Jugendhilfe ermöglicht.

(Glocke der Präsidentin)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit ist zu Ende. Ich habe nur einen Teil dessen vortragen können, was wir in unserem Antrag fordern. Ich denke, wir werden im Ausschuss sehr intensive Beratungen haben, auf die ich mich freue. Ich überlege, ob Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, an diesen Beratungen überhaupt teilnehmen möchten; denn seien Sie sicher: Das hier gilt für alle Kinder - auch für Kinder von Sinti und Roma.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Joumaah. - Jetzt erhält Frau Kollegin Immacolata Glosemeyer für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Frage steht der Kinderschutz in Deutschland derzeit vor sehr großen Herausforderungen. Zum Entsetzen aller kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen auf Schutzbedürftige.

Die Stadt Lügde hat aufgrund der Vorkommnisse auf einem Campingplatz traurige Berühmtheit erlangt; doch es handelt sich dabei nicht um einen Einzelfall. Zahlreiche Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben in BadenWürttemberg und in Nordrhein-Westfalen die Gesellschaft und die Politik gleichermaßen erschüttert.

Die Opfer sind noch heute traumatisiert, und ihr Vertrauen in Einrichtungen, die ihnen Schutz gewähren sollten, ist nachhaltig zerstört. Sie werden lebenslang das Leid, das ihnen zugefügt wurde, nicht vergessen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind es den Opfern schuldig, dass wir über die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg alles in unserer Kraft Stehende unternehmen, damit sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Das ohrenbetäubende Schweigen, wie es der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung nennt, muss ein Ende haben.

Wir haben uns im Parlament intensiv mit der Aufarbeitung beschäftigt. In einer umfassenden Anhörung im Sozialausschuss haben wir uns von Expertinnen und Experten, der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter, den kommunalen Spitzenverbänden und vielen anderen wichtigen Akteuren deren fachliche Einschätzung zu Handlungsbedarfen erläutern lassen. Auch eine Betroffene wurde gehört. Über die Offenheit, mit der sie über das ihr angetane Leid berichtete, möchte ich mich an dieser Stelle besonders bedanken. Viele wichtige Hinweise aus dieser Anhörung sind in unseren Antrag eingeflossen.

Unsere Sozialministerin, Carola Reimann, hat nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle umgehend gehandelt und die Präventionskette überarbeitet sowie Schnittstellen zu anderen Ministerien gründlich überprüft. Sie hat ihren Fokus auf die Zielgruppen gerichtet, das Hilfesystem nach Defiziten durchleuchtet und daraufhin eine Bildungs- und Informationsinitiative ergriffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das allein ist aber leider nicht ausreichend. Wenn man sich vor Augen führt, dass laut Statistik in jeder Klasse ein Kind sitzt, das von Missbrauch betroffen ist, so muss man sich doch auch die Frage stellen, warum die Signale der Kinder nicht erkannt werden.

Kinder vertrauen sich am ehesten ihnen nahestehenden Personen an, z. B. ihrer Lieblingserzieherin, ihrem Lehrer, ihrer Lehrerin. Aber nicht immer sind sie in der Lage, die Situation richtig einzuschätzen, oder sie haben Sorge, jemanden unbegründet zu beschuldigen. Deshalb ist es unabdingbar, dass Kinderschutz und Kindeswohl zu festen Bestandteilen der Curricula in Ausbildung und Studium sowie ein verpflichtender Baustein bei Fortbildungen werden.

Zur Erarbeitung der Curricula ist es notwendig, auch mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. Sie haben Erkenntnisse darüber, wie Täterinnen und Täter vorgehen. Sie können wichtige Hinweise auf Täterverhalten geben und so dazu beitragen, dass Kindesmissbrauch frühzeitig erkannt wird. Dieses Wissen ist für zukünftige Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrkräfte essenziell.

Die Zusammenarbeit von Kindergärten, Schulen und Gesundheitswesen sowie den Ermittlungsbehörden muss so gestaltet werden, dass der Schutzauftrag zum Wohle der Kinder lückenlos erfüllt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kinderschutzzentren in Niedersachsen leisten schon jetzt wichtige Arbeit. Sie helfen, Problemlagen wahrzunehmen und geben Sicherheit bei der Einschätzung von Gefahrensituationen. Sie bieten neben Fachberatungen auch Schutzkonzepte für Fortbildungen und Fachtagungen an.

Es ist notwendig, diese Fachkompetenzen bekannter zu machen und die Beratungsfunktion weiter auszubauen. Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot - Frau Joumaah sagte schon, wo überall Schutzzentren eingerichtet sind. Wir werden darüber hinaus ein weiteres Zentrum einrichten, und zwar im Raum Südniedersachsen. Wir werden ein Netzwerk schaffen, das wohnortnah gleichwertige Schutzbedingungen für Kinder ermöglicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Kinderschutzzentren müssen auch die Jugendämter bei ihrer Arbeit unterstützt werden, wie uns die Missbrauchsfälle gezeigt haben. Neben einer Vereinheitlichung der Prozesse und Abläufe zwischen den einzelnen Jugendämtern, basierend auf den Empfehlungen und Handlungsvorschlägen der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter, muss auch eine Überprüfung des uneingeschränkten Elternrechtes erfolgen. Wir wissen anhand des Falles von Lügde, dass das Jugendamt durchaus Sorge hatte, vor Gericht zu scheitern, wenn es gegen das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter angeht. Das kann nicht sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinderschutz muss auf Zusammenarbeit setzen. Es ist darum notwendig, die Verpflichtung zur Kooperation und Information gesetzlich zu verankern. Wir fordern mit unserem Antrag auch eine Änderung des SGB VIII auf der Bundesebene, um so die Schaffung einheitlicher Standards bei Dokumentations- und Informationspflichten insbesondere auch zum

Austausch zwischen den Bundesländern voranzutreiben; denn auch dort wurde festgestellt, dass uns der Datenschutz so manches Mal einen Strich durch die Rechnung macht.

Hierzu gehört auch die Schaffung einer Fach- und Rechtsaufsicht des Landes. Dadurch kann eine zentrale Stelle gegen Missbrauch beim Landesjugendamt angesiedelt werden, die den Jugendämtern und den Betroffenen ebenfalls als Ansprechpartner dienen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt an uns, zu handeln. Es liegt in unserer Hand, den Opfern zu helfen. Mit unserem Antrag werden wir mithelfen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen. Ich bin auf die Beratung im Ausschuss gespannt. Ich glaube, da wird es noch den einen oder anderen Hinweis geben. Das Thema wird damit nicht abgeschlossen sein.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Kollegin Glosemeyer. - Für die FDPFraktion hat sich Kollegin Sylvia Bruns zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon mehrfach angesprochen: Auch mich lassen der Fall Lügde und auch viele andere Fälle immer wieder sprachlos zurück. Man wird von Emotionen überwältigt und fragt sich immer wieder, wie jemand Kindern so etwas antun kann. Der sexuelle Missbrauch von Kindern betrifft jene Menschen, die unter unserem besonderen Schutz stehen sollten.

Wir haben auch im Sozialausschuss schon mehrfach über das Thema gesprochen und eine große und ausführliche Anhörung dazu durchgeführt. Zur rechtspolitischen Seite hat Marco Genthe schon im September 2018 einen Antrag in den Rechtsausschuss eingebracht. Wir Freien Demokraten fordern darin u. a. die Erhöhung des Strafrahmens in § 176 Abs. 3 StGB und eine Erhöhung der Mindeststrafe. Weiterhin fordern wir eine Verbesserung der Personalsituation bei Staatsanwaltschaften und der Polizei, die sich mit Verfolgung und Prävention beschäftigen.

Nun gibt es immer wieder Schnittstellenproblematiken - das wurde deutlich. Auch das Problem des Datenschutzes wurde angesprochen. Oftmals gibt

es kommunikative Probleme zwischen den einzelnen Institutionen. Länderübergreifend ist das ebenso der Fall. Ich denke, wir alle werden uns bei der Tagung in Nordrhein-Westfalen wiedersehen, wo wir genau dieses Thema länderübergreifend bearbeiten werden.

Ja, wir teilen auch eindeutig den Ansatz einer verpflichtenden Zusammenarbeit, bei der aus unserer Perspektive das Land unbedingt beteiligt, wenn nicht sogar federführend sein muss. Dafür ist es zwingend notwendig, die Fach- und Rechtsaufsicht in das Ausführungsgesetz des SGB VIII mit aufzunehmen und im Zuge dessen auch eine zentrale Stelle im Landesjugendamt zu schaffen.

Vor allen Dingen scheint es immer wieder ein Problem zu geben, Daten auszutauschen: Daten zwischen Institutionen, Schulen, Kindertagesstätten und Ermittlungsbehörden. Aber auch das findet sich in Ihrem Antrag wieder.

Sie sehen, eigentlich hätten auch wir den Antrag einbringen können. Ich finde es gut und richtig, dass man bei so wichtigen Themen und bei einem ehrlicherweise sehr guten Antrag zusammenarbeitet. Ich freue mich darauf, den Entschließungsantrag im Ausschuss zu beraten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bruns. - Für die AfDFraktion erhält nun der Abgeordnete Herr Wichmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier in erster Lesung über den Antrag der GroKo „Kinderschutz weiterentwickeln“. Angesichts der unglaublichen Missbrauchsfälle der letzten Jahre scheint dies auch dringend notwendig. Dass solche Fälle bei uns überhaupt noch möglich sind, macht wütend, macht fassungslos. Es ist ein Trauerspiel für unsere Gesellschaft, dass wir es bislang nicht geschafft haben, die entscheidenden Lücken im Kinderschutz zu schließen.

Als Skandal empfinde ich, dass sich unser System des Kinderschutzes nicht selbst überprüft - und wenn, dann versucht jeder einzelne Bereich nur, sich selbst zu optimieren. Etwas anderes bleibt ihm bisher nicht übrig.

Wenn ein Verdachtsfall an der Nordsee auftaucht und der Täter in den Harz umzieht, dann ist derzeit recht sicher, dass der Täter im Harz auf niemanden trifft, der vorgewarnt wäre. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Es kann nicht sein, dass z. B. einem Lehrer, der misstrauisch wird, unklar ist: Ab wann darf ich wem welche Informationen mitteilen? - Das Stichwort Datenschutz ist hier bereits angesprochen worden.

Wer beschäftigt sich damit, all diese vielen kleinen konkreten Probleme und Unsicherheiten zu sammeln und dann für Lösungen zu sorgen? Was hier fehlt, ist eine übergeordnete Prüfstelle anstelle einer Sammlung von einzelnen Lösungsansätzen.

Wir haben im September 2019 eine entsprechend hochrangig besetzte Kommission gefordert. Was ist seitdem passiert? - Sie legen einen eigenen Antrag vor - das ist Ihr gutes Recht. Sie legen ihn sehr viel später vor - dafür habe ich angesichts des drängenden Themas weniger Verständnis. Noch weniger Verständnis habe ich dafür, dass Sie dieses große gesellschaftliche Problem nicht nur langsam angehen, sondern dass es Ihnen - neben einigen sehr sinnvollen Bestandteilen; das will ich ausdrücklich sagen - auch noch wichtig ist, Ihre politischen Steckenpferde auf dieses Thema zu setzen, anstatt klar zu analysieren: „Wo liegen die konkreten Probleme? Welche Lösungen gibt es dafür?“, und diese Lösungen dann, bitte, auch umzusetzen. Stattdessen muss man sich bei den 22 Lösungen, die Sie vorschlagen, zum Teil fragen: Was bringen die wirklich konkret?

Kinder sind selbstverständlich bereits jetzt Grundrechteträger. Warum also sollen die Kinderrechte noch einmal ins Grundgesetz? - Das ist eine Ihrer Forderungen. Da Kinder bereits Grundrechteträger sind, wollen Sie damit offensichtlich oder möglicherweise etwas anderes erreichen, und Sie sagen uns einfach nicht, was.

Das Einzige, was ich von Ihnen höre, ist: Die UN hat das so beschlossen. - Das ist aber kein sachliches, das ist kein inhaltliches Argument. Wenn ich möchte, dass mein Kind sich die Zähne putzt, erkläre ich ihm auch nicht, dass Zahnärzte beschlossen haben, dass das gut ist, sondern dass es sonst Karies bekommt. Ich möchte gern ein inhaltliches Argument hören. Den konkreten Beitrag zur Verhinderung von Kindesmissbrauch kann ich dabei nicht erkennen.

Dabei ist der erste Satz der Begründung Ihres Antrags völlig richtig. Der ist so gut, dass ich ihn hier noch einmal vorlesen möchte:

„Der Kinderschutz in Niedersachsen sieht sich einem Knäuel aus unterschiedlichen Zuständigkeiten und Schnittstellen gegenüber.“

Das ist Ihre Baustelle, das ist unsere gemeinsame Baustelle - und nicht allgemeine Absichtserklärungen, dass wir dieses noch bekannter machen müssen und auf jenes noch mehr hinweisen sollten.

Als die AfD-Fraktion im September ihre Forderung nach Einrichtung einer Kinderschutzkommission formuliert hat, wurde dieser Antrag aus Ihren Reihen mit dem Satz verunglimpft, wir bräuchten nicht noch eine Notrufnummer. Mal abgesehen davon, dass so etwas nicht Teil unseres Antrags war: Sie beschränken sich jetzt zumindest zum Teil darauf, zu fordern, die bestehenden Notrufnummern noch bekannter zu machen.

Unsere Kinder sind darauf angewiesen, dass wir sie beschützen. Dazu müssen wir aber auch unsere Arbeit machen. Wenn ich schnell ein Haus bauen muss, dann grabe ich nicht noch nebenbei den Garten um. Was ich damit sagen will, ist: Konzentrieren wir uns auf die entscheidenden Punkte! Erhöhen wir die Entdeckungswahrscheinlichkeit für Täter! Überprüfen wir, welche Stellschrauben bislang dafür sorgen, dass Taten wie die in Lügde so lange unentdeckt bleiben, und dann drehen wir an diesen Stellschrauben! Keine Nebenkriegsschauplätze! Konzentration auf das, was wirklich hilft! Jede Verzettelung begünstigt nur einen: die Täter.

Lassen Sie mich trotzdem an der Stelle sagen, dass ich mit dem Antrag in weiten Teilen zufrieden bin und übereinstimme.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke, Herr Wichmann. - Für Bündnis 90/Die Grünen hat sich die Kollegin Anja Piel zu Wort gemeldet.