Protocol of the Session on March 28, 2019

Sehr geehrte Damen und Herren, kein Ort in Niedersachsen ist mit der Geschichte von Flucht, Vertreibung, Heimatverlust und Neuanfang so symbolträchtig verbunden wie Friedland. Denn dort begann für Millionen von Menschen ein neues Leben - für Hundertausende Russlanddeutsche das Tor zur Freiheit. Deshalb befindet sich dort auch der am besten geeignete Ort, um dem historischen Schicksal dieser heute größten Zuwanderergruppe in Niedersachsen zu gedenken.

Im Museum Friedland geschieht das etwa mit der eindrucksvollen Ausstellung „Fluchtpunkt Friedland“. Der vom Land Niedersachsen geförderte Ausbau des Museums zu einem innovativen Besucher- und Dokumentationszentrum bietet ab 2022 eine gute Gelegenheit, der Geschichte der Russlanddeutschen als wichtigen Teil deutscher Geschichte noch größere Aufmerksamkeit als bisher zu schenken. Genau das stellt eine ganz konkrete und gegenwartsbezogene Förderung der historischen Erinnerungsarbeit dar und trägt dem demokratischen Verantwortungsbewusstsein in Niedersachsen Rechnung - nicht aber eine zusätzliche regelmäßige Landtagsgedenkfeier, die ohnehin von den meisten überhaupt nicht gewünscht wird.

Deshalb wiederhole ich meinen Appell: Nehmen wir uns das Bekenntnis zur gemeinschaftlichen Erinnerung in Niedersachsen weiterhin zu Herzen und unterstützen die Landsmannschaft, indem wir möglichst zahlreich am 14. September zur bundesweiten Gedenkveranstaltung nach Friedland reisen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Flucht, Vertreibung, ethnische Säuberung - was die Russlanddeutschen erlitten haben, bleibt täglich traurige Realität weltweit. Auch heute leben Millionen von Menschen mit dem Schicksal, das der Osnabrücker Historiker Jochen Oltmer „Gewaltmigration“ nennt. Eine Gedenkveranstaltung des Landtages könnte dieses Leid aller von Entrechtung, Verfolgung und Entwurzelung betroffenen Menschen auf der Welt in den Mittelpunkt rücken - am Beispiel der Deutschen aus Russland. Was spräche dagegen, den 80. Jahrestag des Stalin-Erlasses im Jahr 2021 zum Anlass für eine würdige Veranstaltung zu nehmen, wie es Landtagspräsidentin Frau Dr. Andretta in Erwägung zieht?

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Schröder-Köpf. - Auf Ihren Redebeitrag hin hat sich Herr Kollege Emden zu einer Kurzintervention gemeldet. Herr Emden, ich erteile Ihnen das Wort für 90 Sekunden.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass wir - offensichtlich wieder einmal unter der Überschrift „AfD wirkt“ - hier konstatieren dürfen, dass wir etwas Wichtiges angestoßen haben, wenn ich jetzt höre, dass am 80. Jahrestag dieses unsäglichen Stalin-Erlasses eine entsprechende Gedenkveranstaltung im Landtag geplant ist. Das ist sehr erfreulich, und wir begrüßen das ausdrücklich.

Ich nehme aber mit genau dem Gegenteil von Freude, nämlich geradezu mit Entsetzen zur Kenntnis, Frau Schröder-Köpf, was Sie eben gesagt haben. Wenn ich Sie richtig verstanden haben sollte, dann habe ich es so verstanden, dass Sie gesagt haben: die demokratischen Parteien in diesem Hause. - Das haben Sie anschließend in den Kontext von SPD, CDU, FDP und Grüne gestellt. Damit haben Sie gesagt, dass die AfD keine demokratische Partei sei.

Sollten Sie das so gemeint haben, ist das absolut nicht hinnehmbar und empörend. Ich fordere Sie auf, das richtigzustellen und, falls Sie das gesagt haben sollten, das umgehend hier zurückzunehmen.

(Beifall bei der AfD)

Danke schön. - Wollen Sie replizieren? Sie müssen nicht, Sie können.

(Doris Schröder-Köpf [SPD] schüttelt mit dem Kopf)

- Okay.

Dann rufe ich von der Fraktion der CDU die Kollegin Editha Westmann auf. Ich erteile Ihnen das Wort.

(Beifall bei der CDU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Zone der totalen Ruhe“ ist der Titel eines Buches von Gerhard Wolter. Wolter, 1923 selbst als

Deutscher in der Ukraine geboren und 1941 nach Kasachstan verbannt, erzählt in diesem Buch von dem Schicksal der Deutschen in Russland während des Zweiten Weltkrieges und während der Nachkriegszeit.

Der Zweite Weltkrieg und Stalins Erlass im Jahre 1941 führten zu dem größten Drama, das die Deutschen in Russland erleben mussten. Wolter beschreibt die Höllenqualen, die die Deutschen in Russland nach dem Erlass vom 28. August 1941 erleben und ertragen mussten. Fast 1 Million Deutsche - ob Neugeborene oder alte Menschen - wurden aus ihrem Zuhause gerissen und in Richtung Sibirien deportiert. Die Reise in den Viehwaggons dauerte meist viele Wochen. Auf ganz engem Raum kamen Kinder zur Welt, und es starben entkräftete und verhungernde Menschen. Meistens war nicht einmal die Zeit, um die Toten zu begraben. Sie wurden einfach an den Gleisen abgelegt.

Männer und später auch Frauen - ungefähr ab dem 16. Lebensjahr - wurden von ihren Familien getrennt und in Sonderlager, die sogenannten Gulags, gesteckt und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Jeder Dritte von ihnen starb an den Folgen des Hungers und der Überlastung.

Nach dem Krieg wurden die Deutschen nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückgelassen, nein, man hat sie in ihren Vertreibungsgebieten angesiedelt, ihnen die Rückkehr untersagt, und - was noch schlimmer war - man hat sie unter ein Sonderkommando des KGB gestellt. Systematisch sollten alle Deutschen in der Sowjetunion ihrer Identität, ihrer Sprache und auch ihrer Kultur beraubt werden. Wolter schreibt in seinem Buch, dass das Thema bis 1987 in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion absolut tabu war. Die Deutschen und die an ihnen verübten Verbrechen waren für das Regime nicht einmal erwähnenswert.

Ich finde, das sagt schon aus, mit was für einem enormen Drama wir es hier zu tun haben.

Der 28. August 1941 steht für diese Tragödie der Deutschen aus Russland. Dieses dunkle Kapitel der Geschichte der Russlanddeutschen wirkt bis in die Gegenwart nach. Wer nun meint, dass das alles so lange zurückliegt, der irrt. Meine Damen und Herren, dieses Verschweigen, diese furchtbare Unterdrückung bis in die 1980er-Jahre ist nicht lange her. Darum sollten wir auch immer wieder unsere Erinnerung darauf lenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit Jahren findet in Friedland die Gedenkfeier zum 28. August 1941 statt, zu der die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland einlädt. Der Rahmen ist würdevoll. Es gibt nach meiner Ansicht keinen besseren Ort, an dem man diese Gedenkfeier abhalten sollte. Diese Feier in Friedland dient der Erinnerung und auch der Mahnung.

Vertreter der Landesregierung, der Politik, der Verbände, Vereine und Institutionen kommen nach Friedland, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Auch für die Vorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Lilli Bischoff, ist dieser Tag, diese Gedenkfeier in Friedland, sehr wichtig; denn Lilli Bischoff hat ganz persönlich die Folgen von 1941 zu spüren bekommen.

Meine Damen und Herren, wir können das Unrecht, das unseren Landsleuten in der ehemaligen Sowjetunion widerfahren ist, nicht ungeschehen machen. Doch wir können unserer Verantwortung gegenüber unseren Landsleuten immer wieder Ausdruck verleihen. Mir ist es wichtig, dass wir uns jeden Tag für unsere Aussiedler und Spätaussiedler einsetzen, beispielsweise wenn es um die Gerechtigkeit in der Fremdrente geht oder um die Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen bzw. um die Nachqualifizierung.

Meine Damen und Herren, wir müssen im Einzelfall auch bei der Familienzusammenführung noch einmal hinschauen. Auch dort gibt es noch Hürden, über die man durchaus diskutieren kann. Und wir müssen viel dafür tun, dass die Wiedereingliederung bei denen, die zu uns kommen, besser funktioniert. Da ist immer noch Luft nach oben. Ich denke, wenn wir sehen, dass die Zahlen immer noch steigen, dass wir jedes Jahr über 7 000 Spätaussiedler hier in Deutschland aufnehmen, dann folgt daraus auch eine große Verpflichtung, uns weiter an dieser Arbeit zu orientieren.

Meine Damen und Herren, wir sollten dieses Gedenken auch immer für uns bewahren - in der Erinnerung daran, dass die Deutschen aus Russland ihre Kraft und ihren Überlebenswillen damals allein aus der Tatsache gezogen haben, dass sie Deutsche waren.

Der Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation wurde von der Bundesregierung vor drei Jahren auf den 19. Juni jedes Jahres festgelegt. Damit fällt dieser bundesweite Gedenktag mit dem Weltflüchtlingstag zusammen. Im vergangenen Jahr hat Frau Landtagspräsidentin Dr. Andretta hier in diesem Hohen Haus zu Beginn

des Juni-Plenums erstmals der Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation gedacht. Frau Dr. Andretta, Ihre Rede ist hier bei den verschiedenen Landsmannschaften und Vertriebenenverbänden sehr dankbar aufgenommen worden.

Für Ihre Worte vom 19. Juni möchte auch ich Ihnen persönlich herzlich danken.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Und mit diesem Dank verbinde ich auch die Bitte, es in diesem Juni-Plenum doch wieder so zu halten, am Weltflüchtlingstag den Opfern von Flucht, Vertreibung und Deportation damals wie heute zu gedenken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag der AfD-Fraktion beinhaltet im Grunde genommen nur den Auftrag, eine Parallelveranstaltung zu initiieren.

(Glocke des Präsidenten)

Purer Aktionismus, wie ich meine!

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Ich finde es nicht richtig, von der gut geübten Tradition abzuweichen, diese Gedenkfeier in Friedland abzuhalten. Ich finde es schon vermessen, zu glauben, dass man als AfD dieser wirklich sehr würdevollen Veranstaltung etwas entgegensetzen kann.

Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP sowie Zustim- mung von Helge Limburg [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Kollegin Westmann. - Wenn ich das richtig sehe, kam der Wunsch nach einer Kurzintervention noch während der Rede. So gesehen, Herr Emden, erhalten Sie jetzt Gelegenheit dazu. 90 Sekunden! Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die brauche ich gar nicht.

Ich möchte nur eines klarstellen: Wir wollen keine Konkurrenzveranstaltung, und wir wollen auch nicht, dass die in der Tat sehr würdige Veranstaltung in Friedland eingestellt wird, um sie hierher zu verlagern. Nein! Wir meinen nur: Der Niedersächsische Landtag stellt einen würdigen Rahmen dar, um auch hier dem Schicksal der Deutschen aus Russland gebührend zu gedenken.

(Editha Westmann [CDU]: Das haben wir im letzten Jahr getan!)

(Beifall bei der AfD)

Danke schön, Herr Emden. - Frau Westmann möchte noch erwidern. Sie haben ebenfalls maximal 90 Sekunden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es nicht bis zu Ihnen durchgedrungen: Wir haben im letzten Jahr im Juni-Plenum hier der Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation gedacht.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Hel- ge Limburg [GRÜNE]: Darauf haben Sie auch gerade ausführlich hinge- wiesen!)